Gedanken eines Verblichenen bei seiner Beerdigung

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Gedanken eines Verblichenen bei seiner Beerdigung

Bei dem nachfolgenden Szenario hat der Stiefvater meines Schwiegersohns Pate gestanden.
Er war bei der ganzen Verwandtschaft „unten durch“. Er war zwar ein Filou und auch nicht treu, aber die Pauschalverurteilung hat mich geärgert. Darum habe ich ihm zur Ehrenrettung hier ein bleibendes Denkmal gesetzt.
Natürlich war ich bei der Bestattung zugegen.



Am Eingang der Aussegnungshalle, der Verstorbene in Erwartung der Trauernden

13.40 Uhr
Die Ersten kommen, vorneweg mein Schwager mit Frau.
Dann meine drei Schwestern mit Anhang. Jutta und Lisa, die Heuchlerinnen hätten ruhig zu Hause bleiben können. Du, Else bist ganz anders. Wir zwei haben uns immer verstanden. Dir glaub ich die Tränen.

13.45
Wer seid ihr denn? Etwa eine Abordnung vom Magistrat? Ich wusste gar nicht, dass ich so bekannt war.
Gleich wird wohl Marie, meine Witwe eintreffen.

13.50
Aha, da kommt sie ja, mit meinem Sohn Walter und seiner Frau, und das unschuldige Enkelchen ist auch dabei.
Nu tu nicht so, Marie. Du bist doch froh, dass Du mich los bist.

13.55
Mein Sohn Klaus mit Freundin Vera! Die haben ja richtig was ausgegeben für den Kranz. Und was für ’ne große Schleife! Lese ich richtig? In ewiger Liebe! Zu meinen Lebzeiten habe ich davon nichts gemerkt. Du, Klaus, warst immer ein Egoist.

14.00
Es geht los, das Ritual nimmt seinen Lauf. Warum nur war ich Katholik.
Nun wird erst mal gesungen. Autsch, das ging daneben, Frau Organistin. Das hat sogar meine Enkelin gemerkt. Für falsche Töne muss meine Sterbekasse nicht herhalten . Aber auf einen falschen Ton mehr oder weniger kommt es hier auch nicht mehr an.

14.20
Ich warte noch immer, dass der Herr Pfarrer Unwahrheiten über mein Leben verbreitet, doch ich soll wohl überhaupt nichts darüber erfahren. Marie hat ihm wahrscheinlich rein gar nichts über mich berichtet. Gerade höre ich zum dritten Mal, dass der liebe Gott mir armem Sünder vergeben wird. Wofür eigentlich?
Ich weiß es. Treu bin ich nie gewesen. Irgendwie kann ich ja verstehen, Marie, dass sich Deine Trauer in Grenzen hält.

14.25
Die Sargträger erscheinen. Viel zu tragen habt ihr heute nicht. Gerade 40 Kilo hat der Krebs
von mir übrig gelassen.

14.30
Abmarsch zur Grube, vorneweg der Pfaff mit Weihrauchfässchen. Ich kann Weihrauch nicht riechen,

Am Grab

14.35
Da steht ihr nun, ihr Trauerklöße, und wisst nicht, wo ihr hingucken sollt. Vera hat ganz feuchte Augen. Aber die gelten wohl gar nicht mir. Vielleicht denkt sie darüber nach, dass sie auch mal dran ist.

14.45
Marie hebt die Schaufel und gönnt mir drei Portionen Heimaterde. Mein Sohn Klaus spendiert nur zwei – dafür war sein Kranz am größten. Und dann schippen all die andern. Meine kleine Enkelin (im Kinderwagen) verfolgt mit Interesse die Zeremonie. Ach Bobbelchen, du bist, neben Else die Einzige, die den Opa wirklich lieb gehabt hat.

14.55
Oh, wenn sehe ich denn da? Einen Zaungast, Elvira, mein letztes Nebenverhältnis. Mensch, versteck doch den Rosenstrauß hinterm Rücken! Das müssen die hier nicht mitkriegen.
Sie hat mich verstanden.

15.00
Die Trauergemeinde friert, aber sie hält eisern aus. Schließlich gibt’s ja bald eine Stärkung, den Leichenschmaus im Restaurant.

15.05
Ohne mich fahrt ihr nicht ab, ich will dabei sein. Else, beste Schwester, rutsch mal ein bisschen, dann passe ich noch auf den Rücksitz.

In der Gastwirtschaft – und danach

15.15
Sie sind fast alle mitgekommen..

15.45
Na Schwager, du langst ja schon das dritte Mal zu. Marie sieht’s mit Missfallen. Aber das Geld von meiner Sterbekasse ist sowieso schon verbraten. Warum müssen Beerdigungen bloß so teuer sein!
Du, Bobbelchen, machst dir darüber keine Gedanken. Lass dich ruhig von der Bagage verwöhnen. Else lässt meinen Schatz von ihrem Kuchen abbeißen, und der freundliche junge Mann am Nachbartisch (wer ist das bloß?) hat seine Freude dran. Siehste, Bobbelchen, jetzt bist du Mittelpunkt der Veranstaltung.

16.05
Von mir ist kaum noch die Rede. Die ersten Gemeindemitglieder verabschieden sich unauffällig.

16.35
Ich bin noch ein bisschen geblieben. Habe mir noch ein Bierchen bestellt. Marie mochte es gar nicht, wenn ich mir Bierchen bestellte.

16.50
Abflug – zurück in meine Kiste.

16.51
… und noch vielen Dank, Elvira – für die Rosen.
 
Gedanken eines Verblichenen bei seiner Beerdigung

Bei dem nachfolgenden Szenario hat der Stiefvater meines Schwiegersohns Pate gestanden.
Er war bei der ganzen Verwandtschaft „unten durch“. Er war zwar ein Filou und auch nicht treu, aber die Pauschalverurteilung hat mich geärgert. Darum habe ich ihm zur Ehrenrettung hier ein bleibendes Denkmal gesetzt.
Natürlich war ich bei der Bestattung zugegen. Ich habe ständig die Gegenwart des Toten gespürt.



Am Eingang der Aussegnungshalle, der Verstorbene in Erwartung der Trauernden

13.40 Uhr
Die Ersten kommen, vorneweg mein Schwager mit Frau.
Dann meine drei Schwestern mit Anhang. Jutta und Lisa, die Heuchlerinnen hätten ruhig zu Hause bleiben können. Du, Else bist ganz anders. Wir zwei haben uns immer verstanden. Dir glaub ich die Tränen.

13.45
Wer seid ihr denn? Etwa eine Abordnung vom Magistrat? Ich wusste gar nicht, dass ich so bekannt war.
Gleich wird wohl Marie, meine Witwe eintreffen.

13.50
Aha, da kommt sie ja, mit meinem Sohn Walter und seiner Frau, und das unschuldige Enkelchen ist auch dabei.
Nu tu nicht so, Marie. Du bist doch froh, dass Du mich los bist.

13.55
Mein Sohn Klaus mit Freundin Vera! Die haben ja richtig was ausgegeben für den Kranz. Und was für ’ne große Schleife! Lese ich richtig? In ewiger Liebe! Zu meinen Lebzeiten habe ich davon nichts gemerkt. Du, Klaus, warst immer ein Egoist.

14.00
Es geht los, das Ritual nimmt seinen Lauf. Warum nur war ich Katholik.
Nun wird erst mal gesungen. Autsch, das ging daneben, Frau Organistin. Das hat sogar meine Enkelin gemerkt. Für falsche Töne muss meine Sterbekasse nicht herhalten . Aber auf einen falschen Ton mehr oder weniger kommt es hier auch nicht mehr an.

14.20
Ich warte noch immer, dass der Herr Pfarrer Unwahrheiten über mein Leben verbreitet, doch ich soll wohl überhaupt nichts darüber erfahren. Marie hat ihm wahrscheinlich rein gar nichts über mich berichtet. Gerade höre ich zum dritten Mal, dass der liebe Gott mir armem Sünder vergeben wird. Wofür eigentlich?
Ich weiß es. Treu bin ich nie gewesen. Irgendwie kann ich ja verstehen, Marie, dass sich Deine Trauer in Grenzen hält.

14.25
Die Sargträger erscheinen. Viel zu tragen habt ihr heute nicht. Gerade 40 Kilo hat der Krebs
von mir übrig gelassen.

14.30
Abmarsch zur Grube, vorneweg der Pfaff mit Weihrauchfässchen. Ich kann Weihrauch nicht riechen,

Am Grab

14.35
Da steht ihr nun, ihr Trauerklöße, und wisst nicht, wo ihr hingucken sollt. Vera hat ganz feuchte Augen. Aber die gelten wohl gar nicht mir. Vielleicht denkt sie darüber nach, dass sie auch mal dran ist.

14.45
Marie hebt die Schaufel und gönnt mir drei Portionen Heimaterde. Mein Sohn Klaus spendiert nur zwei – dafür war sein Kranz am größten. Und dann schippen all die andern. Meine kleine Enkelin (im Kinderwagen) verfolgt mit Interesse die Zeremonie. Ach Bobbelchen, du bist, neben Else die Einzige, die den Opa wirklich lieb gehabt hat.

14.55
Oh, wenn sehe ich denn da? Einen Zaungast, Elvira, mein letztes Nebenverhältnis. Mensch, versteck doch den Rosenstrauß hinterm Rücken! Das müssen die hier nicht mitkriegen.
Sie hat mich verstanden.

15.00
Die Trauergemeinde friert, aber sie hält eisern aus. Schließlich gibt’s ja bald eine Stärkung, den Leichenschmaus im Restaurant.

15.05
Ohne mich fahrt ihr nicht ab, ich will dabei sein. Else, beste Schwester, rutsch mal ein bisschen, dann passe ich noch auf den Rücksitz.

In der Gastwirtschaft – und danach

15.15
Sie sind fast alle mitgekommen..

15.45
Na Schwager, du langst ja schon das dritte Mal zu. Marie sieht’s mit Missfallen. Aber das Geld von meiner Sterbekasse ist sowieso schon verbraten. Warum müssen Beerdigungen bloß so teuer sein!
Du, Bobbelchen, machst dir darüber keine Gedanken. Lass dich ruhig von der Bagage verwöhnen. Else lässt meinen Schatz von ihrem Kuchen abbeißen, und der freundliche junge Mann am Nachbartisch (wer ist das bloß?) hat seine Freude dran. Siehste, Bobbelchen, jetzt bist du Mittelpunkt der Veranstaltung.

16.05
Von mir ist kaum noch die Rede. Die ersten Gemeindemitglieder verabschieden sich unauffällig.

16.35
Ich bin noch ein bisschen geblieben. Habe mir noch ein Bierchen bestellt. Marie mochte es gar nicht, wenn ich mir Bierchen bestellte.

16.50
Abflug – zurück in meine Kiste.

16.51
… und noch vielen Dank, Elvira – für die Rosen.
 

Juhser

Mitglied
Ein Verblichene ist blass. Ob ihn dieser Umstand zum Erblasser werden ließ? Worunter Juristen regelmäßig Anderes verstehen.
Leute, die aus der Nähe von Kalau stammen, wiederum Anderes, und sie würden dem Verblichenen noch vor dem Erblassen raten:
"Lass es mit den Erben" ...
War es das, was uns der Autor sagen wollte?
Ich glaube nicht. Ich glaube, er fragt:
Wie hätte das Leben denn aussehen müssen, dass der Abgang stilvoll und mit einer Prise "danke sehr" gewürzt sein kann?
 
Hallo Juhser!

Den Autor hat schlicht die Scheinheiligkeit der Zeremonie aufgeregt und er konnte dieser nur mit Sarkasmus gedenken.
Die ablaufende Uhr als Stilmittel schien ihm für diesen Zweck besonders geeignet.
LG Eberhard
 
E

equinox

Gast
Hallo Eberhard,

obwohl Übersinnliches seinen Platz bei mir hat, ist mir doch zu...also, die Gedanken eines Verblichenen in Wort und Schrift festzuhalten...hm!
Hättest Du diesen Text in Kurzprosa eingestellt, aber hier - ins Diary - wo doch eigentlich "nur Erlebtes" reingehört...sehr ungewöhnlich.

Wäre vill. ein guter Anfang für "Horror u. Psycho"


LG equinox
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Eberhard,

ich sehe hier keine 'Ehrenrettung' und 'bleibendes Denkmal' ist dann doch ein bisschen dick aufgetragen.

Dabei finde ich die Idee richtig gut und den Aufbau interessant.

Aber so ungenau, wie in Deinen einleitenden Sätzen die reale Person blieb, so wenig spannungsgeladen sind die Charakteristika der beschriebenen Personen. Irgendwie bleibst Du im Klischeé stecken: er trank gerne einen, er war nicht treu *gähn*, und weil er einer war, der gerne Spaß im Leben hatte, den die anderen sich verkniffen haben, war er bei ihnen unten durch *gähn*

Da gehört noch ein bisschen Fleisch an die Knochen, dann wird es vielleicht eine Ehrenrettung. Da sind so einige Details des Augenzeugen, die man als Leser gar nicht braucht, der Text muss also gar nicht viel länger werden.

Liebe Grüße
Petra
 
Hallo Petra!
Tut mir leid, dass Du 2x gähnen musstes. Meine Bekannten haben das Ganze durchgängig als kurzweilig gefunden.
Wenn ich auf die Passagen verzichten würde,
die man als Leser gar nicht braucht,
würde viel von dem satirischen Grundcharakter verloren gehen. Darauf möchte ich nicht verzichten. Zusätzliche Detailinformationen über die Personen würden so manchen Leser sogar langweilen (es sei denn, ich würde spannende Übertreibungen einbauen, die sich aber mit meinen Erinnerungen nicht vereinbaren ließen). Da bleibe ich doch lieber bei Klischees.
Dein Einwand bezüglich 'Ehrenrettung' wiegt schwerer. Da muss ich mir noch was einfallen lassen. Der Vorspann hatte übrigens noch eine andere Funktion. Er sollte eine geschmeidige Überleitung zu der ungewohnten Darstellung
im 'Uhrenformat' bilden.
LG Eberhard
 
Hallo Petra!
Ich habe noch mal nachgedacht über die Dich müde machenden
Klischees. Ich werde versuchen, diesen ein buntes Mäntelchen umzuhängen. Ich möchte aber noch weitere Entgegnungen abwarten.
LG Eberhard
 

Paulina

Mitglied
Lieber Eberhard, danke für diesen Text.
Ich finde ihn ebenfalls vergnüglich, und ich musste nicht gähnen.
Er bescherte mir so zu sagen ein dejá vu. Vor Jahren elebte ich bei einer Trauerfeier so viel Heuchelei, dass mir speiübel war. Der Trauerede nach wurde hier ein gänzlich anderer Mensch beigesetzt als der, den ich als ausgemachten Mistkerl (Verzeihung für das harte Wort!) kannte.
Ich war nur dort, um die Form zu wahren. Auch eine Form der Heuchelei. Oder?
Viele Grüße
Paulina
 
Liebe Paulina!
Dein Kommentar hat mir wohl getan.
Ich habe übrigens mal an einer Trauerfeier für einen "Ungläubigen" teilgenommen. Meine Hochachtung für den Pfarrer verwandelte sich schnell ins Gegenteil, denn er musste sich penetrant oft bei "seinem Herrn" entschuldigen, dass er sich überhaupt auf eine Trauerrede eingelassen hat. Es war einfach furchtbar.
Lieben Gruß
Eberhard
 



 
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