Gletscher

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G

Gelöschtes Mitglied 26374

Gast
In beidem, seiner Unberührtheit und seinem Verschwinden, sprachlos, ohne Worte - glänzend gegenübergestellt.
Die verallgemeinende Tagesaussage der letzten Strophe könnte falsch verstanden werden - Wasserfall: ist gleich das ständige Gerede vom Klimawandel ...

vollständigste unglücklich, weil als Superlativ nicht möglich.

Ein gutes Gedicht.

Gruß vom
Fritz
 

Rachel

Mitglied
Hallo Fritz! Danke für die hilfreichen Anmerkungen. Kein Superlativ ... schade. Ohne gefällt es mir nicht ganz so. Momentan fällt mir nichts Neues ein.

Was die letzte Strophe angeht - ja die kann (hoffentlich nicht nur fatal) falsch verstanden werden. Hat mich nicht gestört. Nun ... bin ich verunsichert. Anfangs hatte ich da ein unverfängliches "er". Werde es wieder ändern. Hab Dank!


gletscher

er war rein
und unberührt
als er schwieg

der vollständige
als er auftaute
und sich zurückzog

und nichts sagte

aber er sprach
warm geworden
wie ein wasserfall
 

sufnus

Mitglied
Hi Rachel! :)
Unsere Nachfahren (man sieht: ich bin Optimist) werden in Lyrikanthologien (Optimist!!!) über das erste Drittel des 21. Jh. auf alle Fälle das ein oder andere Gletschergedicht aufnehmen. Der verschwindende Gletscher ist ein perfekt "griffiges" Zeichen des Klimawandels, ein stummes und doch beredtes Naturphänomen verursacht von diesem ganz speziellen Mitglied der Natur, diesem Trockennasenaffen mit dem großen Cortex.
Sehr gerne gelesen!
Bei den vollständige vs. vollständigste-Überlegungen würde ich zu Bedenken geben, dass einerseits Lyrik keine Präsentationsplattform für besonders korrektes Deutsch ist, dass aber andererseits unkorrekte Formen häufig auf Stellen in einem Gedicht hinweisen, die man als Autor*in nochmals eingehender durchdenken und -fühlen könnte.
Was wolltest Du denn mit "vollständigste" im Zusammenhang ausdrücken? Es bezieht sich auf die folgenden Zeilen, "als er auftaute und sich zurückzog" oder? Ist gemeint, dass er vor dem Auftauen vollständig war und danach eben nicht mehr oder gibts hier noch untergründige Schwingungsebenen? :)
LG!
S.
 

Rachel

Mitglied
Hei Sufnus, das ist eine schöne Vorstellung: Die Blütenlese für spätere Trockennasenaffen :)

Und ja, so ist es gemeint ... der vollständigste Gletscher ist jener vor dem Auftauen, ohne Fußabdruck, unbetreten, der unversehrte in seiner vollen Größe ... usw.
Ich merke, wenn ein Gedicht in wenigen Sekunden in einem Guss runter geschrieben ist, dann ist eine nachträgliche Änderung kaum möglich, das heißt, die Grammatik darf und ist, was sie ist. Ohne richtig/falsch. Grüße und herzlichen Dank!
 

sufnus

Mitglied
Ich merke, wenn ein Gedicht in wenigen Sekunden in einem Guss runter geschrieben ist, dann ist eine nachträgliche Änderung kaum möglich, das heißt, die Grammatik darf und ist, was sie ist. Ohne richtig/falsch. Grüße und herzlichen Dank!
Hey Rachel,
das ist wahr - das nachträgliche Rumgewurschtel am eigenen Text ist eine schwierige Übung und führt auch häufig zu Verschlimmbesserungen. Trotzdem finde ich, dass es sich gerade auch dann lohnt, wenn man anschließend wieder zum Ausgangstext zurückkehrt. :) Und hier auf der Lupe ist natürlich der Vorteil, dass es immer hemmungslose Rezipienten gibt, die sich ohne Berührungsängste über einen Text hermachen und wild daran herumwerkeln. Im Sinne einer zusätzlichen Reflexionsebene halte ich das auch tatsächlich für hilfreich (wie gesagt: man kann als Autor*in ja immer - ggf. sogar mit noch mehr Überzeugung zum Ausgangstext zurückkehren - und falls man doch irgendeinen Vorschlag als brauchbar für sich entdeckt, schadets auch nix, also eine win-win-Situation).

Mit dieser Selbstvergewisserung also nun mein Versuch mit Deinem schönen Gletschertext:

Ich würde ggf. ein paar inhaltliche Doppelungen noch rauskürzen: rein und unberührt scheint mir z. B. ein bisschen redundant, dito das auftauen und sich zurückziehen, das dann auch durch die Wendung warm geworden am Schluss nochmals aufgegriffen wird.

So ergibt sich zunächst:

gletscher

er war unberührt
als er schwieg

der vollständige
als sich zurückzog

und nichts sagte

aber er sprach
wie ein wasserfall

Von dieser einfach nur gekürzten Fassung ausgehend, gäbe es dann viele Möglichkeiten wieder ein bisschen zu erweitern oder gar noch stärker zu komprimieren, so dass dann eher karge oder wortspielerische oder empathische Varianten herauskommen. Ich hab auch grad einen auf der gekürzten Fassung aufbauenden Vorschlag hingeschrieben, aber dann gemerkt, dass der eher eine Okkupation Deines Gedichts wäre, also: schnell wieder weg damit. :)

LG! :)

S.
 

mondnein

Mitglied
nur metaphorisch?

die realen Gletscher sind, wenn sie sterben, alles andere als "rein" und "unberührt". Sie sind dreckig und grau.
 

Rachel

Mitglied
Ja, metaphorisch.

Der unberührte Gletscher ist rein. Er zieht sich aus seinen eigenen Gründen zurück. Nicht weil er muss.
 

mondnein

Mitglied
als er auftaute
und sich zurückzog

und nichts sagte

aber was sprach
warm geworden
wie ein wasserfall
Auftauen und Sichzurückziehen sind sonst ausschließlich Gegenteil von einander. Oder ergänzen sich als ausschließlich Verschiedene: Das, was wegschmilzt, ist etwas anderes, als was sich zurückzieht. Warm geworden wie Wasser ist die Schmelze. Das schweigende in sich Zurückgezogene ist das Gegenteil vom warmen Geplapper. Das ist dann rein. Es sei denn, es schmilzt, spricht, fließt über.

grusz, hansz
 



 
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