Hallo Kalei,
meinen Vorredner kann man sich anschliessen. Handwerklich gibt es nichts zu mäkeln, so dass ich mich allein an dem Inhalt versuchen möchte:
Taugt das klassische Sonnett für einen Poetry-Slam?
Das Sonnett als Klanggedicht taugt dem Wesen nach dem gesprochenen Vortrag. Eine Lesung ist dem Sonnett vielleicht wesensimmanenter als den meisten anderen Gedichtformen. Das Vortragen an sich kann also nicht das Problem sein.
Poetry-Slam ist eine unmittelbare Erfahrung des gesprochenen Wortes. Wärend beim Sonnett das Versmaß und die Metrik ein Korsett schnüren, geht es beim Poetry-Slam doch mehr um den "Flow" der Sprache. Atemberaubende Wortakrobatik steht im Vordergrund, die dem Vortragenden ein enormes Maß an Zungenfertigkeit abverlangt. Dies wird umso mehr gesteigert, als dass es ein Zeitlimit gibt, innerhalb dessen man sich zu bewegen hat. Es geht also auch um Sprechgeschwindigkeit.
Dieser Geschwindigkeit muss ein Sonnett sicher einiges an Tribut zollen. Dem steht jedoch gegenüber, dass Sonnette auch gelesen funktionieren, hingegen die Poetry-Slam-Texte ihr Pulver meist allein in akustischer Hinsicht zu verschiessen vermögen.
Hat nun Goethe gegen Bushido abgeloost?
Ne, sehe ich anders. "Hinteres Mittelfeld" ist nicht der letzte Platz. Es gab also auch Günstlinge des Textes im Publikum. Vielleicht verhinderte allein die Qualität des Textes eine bessere Platzierung? Quod erat demonstrandum!
Wer Bushido hört, ist meist ein junger Mensch. Viele der Hörer haben sicher auch ein sozial schwieriges Umfeld. Da steht zu Hause sicher nicht der Faust im Buchregal. Wenn aber von all den Kiddies auch nur eine Handvoll Gefallen daran finden, ihre Empfindungen mittels lyrischer Sprache auszudrücken, finde ich das OK.
Wer zu David Garrett ins Konzert geht, hat auch keine Ahnung von klassischer Musik. Die Hemmschwelle zu klassischen Konzerten ist sicher hoch. Wenn man David Garrett als Enthemmer braucht, ist auch das OK. Wenn auch hier wieder eine Handvoll junger Menschen später in die "richtigen" Konzerte gehen usw...
Ich weiß auch nicht, ob das Poetry-Slam-Klientel das klassische Bushido-Klientel ist. Ich denke eher, dass es sich um vorwiegend junge Menschen mit gutem Bildungshintergrund handelt. Und denen soll es gegönnt sein, die Lyrik weiterzuentwickeln.
Im übrigen erinnere ich an den Streit, den schon Goethe führen musste. Ich empfehle sein Werk "Dichtung und Wahrheit".
Es ist alles nicht neu, es wird lediglich variiert. Das ist doch das Schöne an Sprache, vor allem an lyrischer.
Schön geschriebener Text, allerdings vermag mich die Botschaft nicht ganz zu überzeugen. Aber sie hat mich zum nachdenken angeregt; dafür meinen Besten Dank.
Gruß,
Archi