Gregors Geheimnis
Ich trieb mein altes Fahrrad mit Angst an. So kräftig ich konnte, trat ich in die Pedale, schaffte nahezu mühelos die Steigung entlang des Meilwaldes, ignorierte die abgasschwangere Luft, die der morgendlich Berufsverkehr verursachte, und fuhr zweimal bei Rot über die Ampel. Für den Weg von meiner Wohnung in die Innenstadt brauchte ich gerade einmal zehn Minuten.
So früh am Morgen würde die Buchhandlung in der Gregor arbeitete noch relativ leer sein. Keuchend rannte ich die Treppe in den ersten Stock hoch und kollidierte beinahe mit einer Buchhändlerin, die eine ältere Dame zum Klassiker-Regal dirigierte.
Ich entdeckte Gregor neben der Info zwischen den Kinderbüchern und der Esoterikabteilung. Er packte gerade eine von mindestens zwanzig Bücherkisten aus und stapelte die einzelnen Titel auf einem dreistöckigen Bibliothekswagen. Als er mich sah, huschte ein freudiges Lächeln über sein Gesicht, das sofort wieder erstarb. Verbissen sortierte er seinen Wareneingang, als hätte er mich gar nicht bemerkt.
„Hallo“, sagte ich atemlos.
Er brummte etwas Unverständliches und arbeitete unbeirrt weiter.
„Gregor! Es ist etwas geschehen. Vorhin…“
„Keine Zeit. Du siehst ja, wie viel ich zu tun habe.“ Er deutete in einer fahrigen Geste über die Kartons. Auf seiner Stirn glänzten Schweißtropfen.
„Gregor! Es geht um Leo. Du kannst dir nicht vorstellen, was heute Morgen…“
„Giggi! Hör auf.“ Er blickte sich vorsichtig um. „“Wir können hier nicht miteinander reden. Es geht nicht, verstehst du. Es geht einfach nicht!“
„Ich verstehe gar nichts. Wie oft hab ich dich schon hier besucht? Was hast du denn?“
„Du störst. Wie du siehst gehöre ich zur arbeitenden Bevölkerung und kann nicht einfach so einen kleinen Plausch abhalten.“ Er packte krampfhaft seine Kisten weiter aus.
„Kleiner Plausch? Du hast keine Ahnung, was passiert ist.
„Leo…“
„Giggi!“ Er hielt inne und sah mich so erschrocken an, als hätte ich ein verbotenes Wort ausgesprochen.
„Was um alles in der Welt hast du denn?“
„Es geht nicht, dass du einfach hier auftauchst, versteh doch.“
Hast du Ärger mit deinem Chef?“ Ich sah mich um. Im Laden befanden sich nur wenige Kunden. Die Oma hatte ihren Klassiker gefunden und stand inzwischen an der Kasse, wo sie umständlich nach ihrem Geldbeutel suchte. Einem dunkelhaarigen Mann mit blauem Jack-Wolfskin-Rucksack fiel gerade ein Kochbuh herunter. Er bückte sich und stellte es wieder an seinen Platz. Von Gregors Chef, einem grauhaarigen Panther mit kundenfreundlichem Dauergrinsen, war weit und breit nichts zu sehen. „Der ist doch gar nicht da, also was machst du für ein Theater? Außerdem – seit wann lässt du dich unterbuttern?“
Ich sah ihn herausfordernd an. „Das wäre ja ganz was Neues.“
Gregor nahm einen Karton, hob ihn kurz hoch und setzte ihn dann energisch wieder ab, als müsse er angestaute Wut abreagieren.
„Giggi, verdammt noch mal. Hör jetzt auf hier rumzuquatschen und verschwinde. Verschwinde endlich!“
Seine Gesichtsfarbe nahm das bedenkliche Rot des Bluthochdruckpatienten an. Er atmete schwer, die ganze Aura, die ihn umgab war schwer. Es lag etwas in der Luft, das düster und bedrohlich war. Langsam kapierte ich, dass hier etwas Sonderbares vor sich ging, etwas, was ich nicht einordnen konnte und mich vollends verwirrte.
„Um Gottes Willen Gregor, jetzt rede doch mit mir?“, flüsterte ich.
„Wenn dir etwas an deinem Leben liegt, dann geh jetzt“, sagte Gregor. Auch er flüsterte. Für einen Augenblick sah er mir in die Augen.
Ich schauderte, als ich erkannte, wie ernst es ihm war.
Ich trieb mein altes Fahrrad mit Angst an. So kräftig ich konnte, trat ich in die Pedale, schaffte nahezu mühelos die Steigung entlang des Meilwaldes, ignorierte die abgasschwangere Luft, die der morgendlich Berufsverkehr verursachte, und fuhr zweimal bei Rot über die Ampel. Für den Weg von meiner Wohnung in die Innenstadt brauchte ich gerade einmal zehn Minuten.
So früh am Morgen würde die Buchhandlung in der Gregor arbeitete noch relativ leer sein. Keuchend rannte ich die Treppe in den ersten Stock hoch und kollidierte beinahe mit einer Buchhändlerin, die eine ältere Dame zum Klassiker-Regal dirigierte.
Ich entdeckte Gregor neben der Info zwischen den Kinderbüchern und der Esoterikabteilung. Er packte gerade eine von mindestens zwanzig Bücherkisten aus und stapelte die einzelnen Titel auf einem dreistöckigen Bibliothekswagen. Als er mich sah, huschte ein freudiges Lächeln über sein Gesicht, das sofort wieder erstarb. Verbissen sortierte er seinen Wareneingang, als hätte er mich gar nicht bemerkt.
„Hallo“, sagte ich atemlos.
Er brummte etwas Unverständliches und arbeitete unbeirrt weiter.
„Gregor! Es ist etwas geschehen. Vorhin…“
„Keine Zeit. Du siehst ja, wie viel ich zu tun habe.“ Er deutete in einer fahrigen Geste über die Kartons. Auf seiner Stirn glänzten Schweißtropfen.
„Gregor! Es geht um Leo. Du kannst dir nicht vorstellen, was heute Morgen…“
„Giggi! Hör auf.“ Er blickte sich vorsichtig um. „“Wir können hier nicht miteinander reden. Es geht nicht, verstehst du. Es geht einfach nicht!“
„Ich verstehe gar nichts. Wie oft hab ich dich schon hier besucht? Was hast du denn?“
„Du störst. Wie du siehst gehöre ich zur arbeitenden Bevölkerung und kann nicht einfach so einen kleinen Plausch abhalten.“ Er packte krampfhaft seine Kisten weiter aus.
„Kleiner Plausch? Du hast keine Ahnung, was passiert ist.
„Leo…“
„Giggi!“ Er hielt inne und sah mich so erschrocken an, als hätte ich ein verbotenes Wort ausgesprochen.
„Was um alles in der Welt hast du denn?“
„Es geht nicht, dass du einfach hier auftauchst, versteh doch.“
Hast du Ärger mit deinem Chef?“ Ich sah mich um. Im Laden befanden sich nur wenige Kunden. Die Oma hatte ihren Klassiker gefunden und stand inzwischen an der Kasse, wo sie umständlich nach ihrem Geldbeutel suchte. Einem dunkelhaarigen Mann mit blauem Jack-Wolfskin-Rucksack fiel gerade ein Kochbuh herunter. Er bückte sich und stellte es wieder an seinen Platz. Von Gregors Chef, einem grauhaarigen Panther mit kundenfreundlichem Dauergrinsen, war weit und breit nichts zu sehen. „Der ist doch gar nicht da, also was machst du für ein Theater? Außerdem – seit wann lässt du dich unterbuttern?“
Ich sah ihn herausfordernd an. „Das wäre ja ganz was Neues.“
Gregor nahm einen Karton, hob ihn kurz hoch und setzte ihn dann energisch wieder ab, als müsse er angestaute Wut abreagieren.
„Giggi, verdammt noch mal. Hör jetzt auf hier rumzuquatschen und verschwinde. Verschwinde endlich!“
Seine Gesichtsfarbe nahm das bedenkliche Rot des Bluthochdruckpatienten an. Er atmete schwer, die ganze Aura, die ihn umgab war schwer. Es lag etwas in der Luft, das düster und bedrohlich war. Langsam kapierte ich, dass hier etwas Sonderbares vor sich ging, etwas, was ich nicht einordnen konnte und mich vollends verwirrte.
„Um Gottes Willen Gregor, jetzt rede doch mit mir?“, flüsterte ich.
„Wenn dir etwas an deinem Leben liegt, dann geh jetzt“, sagte Gregor. Auch er flüsterte. Für einen Augenblick sah er mir in die Augen.
Ich schauderte, als ich erkannte, wie ernst es ihm war.