sylvanamaria
Mitglied
Feddersen lebte ein ausgesprochen wohl geordnetes Leben. Er
lebte nach der Uhr. Er stand jeden Morgen um die gleiche Zeit auf, kam um die gleiche Zeit in sein Büro, aß um die gleiche Zeit zu Mittag und ging um die gleiche Zeit schlafen....
An einem Donnerstag im November verließ er sein Büro pünkt-
lich um 17.30 Uhr. Dieser Tag sollte aber anders sein als die vielen Donnerstage davor. Feddersen wusste nicht, dass sein Leben etwas Besonderes für ihn bereit hielt und dass er am Abend ein Held wider Willen sein würde.
Der Pförtner in der Empfangshalle sagte: "Pünktlich wie im-
mer, Herr Feddersen." "Stimmt genau" sagte Herr Feddersen.
"Auf Wiedersehen" Nachdem er die üblichen drei Minuten an
der Wartestelle gewartet hatte, stieg Herr Feddersen in einen Bus der Linie 60. Dabei sprach er ein paar Worte mit dem Busfahrer Willy Otremba, der den Bus schon immer fuhr. "Schöner Abend heute" sagte Feddersen. "Soll aber noch regnen." gab Otremba zurück. Dabei hatten wir doch in letzter Zeit eine Menge Regen" sagte Feddersen. "Da haben Sie recht." "Sie sehen etwas blass aus", meint Herr Fed-dersen. "Das liegt wohl am Wetter, ich habe leichte Kopf-schmerzen“, gibt Otremba zurück. Freundlich nickend ging Feddersen weiter und setzte sich auf den gleichen
Platz wie jeden Abend. Er nahm seine Zeitung aus der Aktenta
sche, um wie üblich die Wirtschaftsberichte und die welt-politische Lage zu studieren. Herr Feddersen war ein sehr neugieriger Typ.
Plötzlich war etwas anders als sonst. Herrn Feddersen seine Zeitung flatterte. Ungewöhnlich, da Otremba den Bus sonst ruhig wie ein Kinderbett fuhr. Geöffnete Fenster im Oktober waren auch eher selten. Herrn Feddersen Gedanken tauchten aus dem Meer von Börsenkursen, Marktlage, Bruttonationalein-kommen, Kartellen, Fusionen und Marktanalysen auf und re-gistrierten die Abweichung vom Gewohnten. Seine Nase erhob sich über den Zeitungsrand. Der Bus fuhr leichte Schleifen und Otremba saß seltsam verdreht auf seinem Stuhl. "Herr Otremba, alles in Ordnung ?"
Höflich erkundigte sich Herr Feddersen nach dem Befinden des
Busfahrers, erhielt aber keine Antwort. Merkwürdig. Der Bus
zitterte unter seinen Füßen wie ein nicht gezähmtes Tier an
der Kette. Leicht beunruhigt faltete Herr Feddersen sorg-fältig seine Zeitung und stand auf. In dem Augenblick kipp-te der Körper des Busfahrers auf das Lenkrad und der Bus beschleunigte nach links. Herr Feddersen verlor das Gleich-gewicht und plumpste einer Dame unsanft auf den Schoß, die für einen Protest vielzu erschrocken war. Mühsam stemmte er sich hoch und kämpfte sich zum Führerstand vor. Ein Glück, dass Herr Feddersen ein wissbegieriger und pedantischer Typ war und alles wissen musste,was mit seinem Leben in Berüh-rung kam. Er wusste daher , dass jeder Bus über ein Not-system verfügte, um Gefahrensituationen wie diese auszubrem-sen und er wusste auch wo.
Niemand der im Bus Anwesenden konnte später genau beschrei-ben, wie Herr Feddersen die Krisensituation so souverän meisterte. Jeder hatte etwas anderes erfasst. Der kleine Mann war über sich hinausgewachsen und hatte sowohl den Bus gestoppt als auch erste Hilfemaßnahmen eingeleitet und die Notdienste verständigen lassen. Jeder der Anwesenenden hatte widerspruchslos die Befehle von Herrn Feddersen be-folgt, sich von der gewaltigen Stimme in dem schmächtigen Körper kommandieren lassen. Herr Feddersen selbst - schwieg. Die Zeitung griffen das Drama auf und berich-teten von dem Helden, dank dessen Hilfe der Busfahrer und
21 Fahrgäste überlebten. Der Held selbst ging unscheinbar und bescheiden nach Hause in die Lindenstraße 22, um wie gewohnt sein Abendessen einzunehmen. Ein Held wider Willen um der Nächstenliebe willen.
lebte nach der Uhr. Er stand jeden Morgen um die gleiche Zeit auf, kam um die gleiche Zeit in sein Büro, aß um die gleiche Zeit zu Mittag und ging um die gleiche Zeit schlafen....
An einem Donnerstag im November verließ er sein Büro pünkt-
lich um 17.30 Uhr. Dieser Tag sollte aber anders sein als die vielen Donnerstage davor. Feddersen wusste nicht, dass sein Leben etwas Besonderes für ihn bereit hielt und dass er am Abend ein Held wider Willen sein würde.
Der Pförtner in der Empfangshalle sagte: "Pünktlich wie im-
mer, Herr Feddersen." "Stimmt genau" sagte Herr Feddersen.
"Auf Wiedersehen" Nachdem er die üblichen drei Minuten an
der Wartestelle gewartet hatte, stieg Herr Feddersen in einen Bus der Linie 60. Dabei sprach er ein paar Worte mit dem Busfahrer Willy Otremba, der den Bus schon immer fuhr. "Schöner Abend heute" sagte Feddersen. "Soll aber noch regnen." gab Otremba zurück. Dabei hatten wir doch in letzter Zeit eine Menge Regen" sagte Feddersen. "Da haben Sie recht." "Sie sehen etwas blass aus", meint Herr Fed-dersen. "Das liegt wohl am Wetter, ich habe leichte Kopf-schmerzen“, gibt Otremba zurück. Freundlich nickend ging Feddersen weiter und setzte sich auf den gleichen
Platz wie jeden Abend. Er nahm seine Zeitung aus der Aktenta
sche, um wie üblich die Wirtschaftsberichte und die welt-politische Lage zu studieren. Herr Feddersen war ein sehr neugieriger Typ.
Plötzlich war etwas anders als sonst. Herrn Feddersen seine Zeitung flatterte. Ungewöhnlich, da Otremba den Bus sonst ruhig wie ein Kinderbett fuhr. Geöffnete Fenster im Oktober waren auch eher selten. Herrn Feddersen Gedanken tauchten aus dem Meer von Börsenkursen, Marktlage, Bruttonationalein-kommen, Kartellen, Fusionen und Marktanalysen auf und re-gistrierten die Abweichung vom Gewohnten. Seine Nase erhob sich über den Zeitungsrand. Der Bus fuhr leichte Schleifen und Otremba saß seltsam verdreht auf seinem Stuhl. "Herr Otremba, alles in Ordnung ?"
Höflich erkundigte sich Herr Feddersen nach dem Befinden des
Busfahrers, erhielt aber keine Antwort. Merkwürdig. Der Bus
zitterte unter seinen Füßen wie ein nicht gezähmtes Tier an
der Kette. Leicht beunruhigt faltete Herr Feddersen sorg-fältig seine Zeitung und stand auf. In dem Augenblick kipp-te der Körper des Busfahrers auf das Lenkrad und der Bus beschleunigte nach links. Herr Feddersen verlor das Gleich-gewicht und plumpste einer Dame unsanft auf den Schoß, die für einen Protest vielzu erschrocken war. Mühsam stemmte er sich hoch und kämpfte sich zum Führerstand vor. Ein Glück, dass Herr Feddersen ein wissbegieriger und pedantischer Typ war und alles wissen musste,was mit seinem Leben in Berüh-rung kam. Er wusste daher , dass jeder Bus über ein Not-system verfügte, um Gefahrensituationen wie diese auszubrem-sen und er wusste auch wo.
Niemand der im Bus Anwesenden konnte später genau beschrei-ben, wie Herr Feddersen die Krisensituation so souverän meisterte. Jeder hatte etwas anderes erfasst. Der kleine Mann war über sich hinausgewachsen und hatte sowohl den Bus gestoppt als auch erste Hilfemaßnahmen eingeleitet und die Notdienste verständigen lassen. Jeder der Anwesenenden hatte widerspruchslos die Befehle von Herrn Feddersen be-folgt, sich von der gewaltigen Stimme in dem schmächtigen Körper kommandieren lassen. Herr Feddersen selbst - schwieg. Die Zeitung griffen das Drama auf und berich-teten von dem Helden, dank dessen Hilfe der Busfahrer und
21 Fahrgäste überlebten. Der Held selbst ging unscheinbar und bescheiden nach Hause in die Lindenstraße 22, um wie gewohnt sein Abendessen einzunehmen. Ein Held wider Willen um der Nächstenliebe willen.