Heldentod
Ich wusste nicht genau, wie ich an ihn heran kommen sollte. Er hatte sich in Rekordzeit umgezogen, wuselte rastlos zwischen den Stühlen herum wo die letzten Musiker ihre Instrumente und Noten wegpackten, und er sah zänkisch aus. Seinesgleichen neigen dazu, Zeitungsleute nach Möglichkeit zu übersehen, aber er wird wohl ein paar unverfängliche Worte übrig haben um ein paar Zeilen zu füllen, überlegte ich. Soll ich Maestro zu ihm sagen ehe ich mich bei seinem sperrigen Namen verhaspele?
Als er sich zu mir drehte ging alles viel schneller als erwartet. Knapp und routiniert beantwortete er meine Fragen und beim Mitschreiben wusste ich schon, dass die Zitate freundlich wirkten wenn sie erst in Druckerschwärze umgesetzt waren. Der schneidenden Unterton in seiner Stimme ließ sich nicht zu Papier bringen. Schließlich richtete ich das Kameraobjektiv auf das scharfkantige, zerfurchte Gesicht und zögere. Er wirkt erschöpft, seine Augen funkeln gereizt. Brauchte ich das Foto wirklich? Ehe ich die Kamera sinken ließ entdecke ich einen bronzefarbenen Schimmer auf den verschränkten Armen. Gerade als ich mich über den unsinnigen Einfall wunderte, den Farbton auf einem Foto festhalten zu wollen, knipste jemand einen Scheinwerfer aus und die Haut auf den Armen schimmerte nur noch grau. „Übrigens hat mir das Konzert gefallen,“ warf ich ein. „Was ist Ihr Fachgebiet bei der Zeitung?“ entgegnet er ungerührt. Ich erzählte, dass ich von schulschwänzenden Kindern, Kommunalpolitik bis zu kranken Kühen für alles in der Provinz zuständig sei, Kulturelles inklusive, und bemerkte, wie sich seine Mundwinkel sarkastisch verhärteten. „Ich bin kein Musikkritiker,“ schob ich schnell hinterher. Den Saal verließ ich grußlos.
Vielleicht war das Konzert nicht wirklich gut gewesen. Natürlich würde ich die Aufführung nicht überschwänglich loben, ich beschloss, alles als einen netten Abend zu beschreiben, und während ich den Text formulierte bemerkte ich, dass ich meinen abweisenden Gesprächspartner zu mögen begann. Über viele Jahre galt er als ausgezeichneter Instrumentalist, und als Orchesterleiter war er wohl auch recht gut. Vielleicht kam er während ich schrieb gerade nach Hause.
Er sah zänkisch und verlebt aus auf den Fotos die ich am nächsten Morgen aus dem Labor abholte. „Hat wohl eine harte Nacht hinter sich, der Kerl. Wir nehmen besser eins von den Musikern,“ meinte der Redakteur, der Texte und Fotos in die Zeitung für den nächsten Tag einpasste.
Vielleicht hatte ich nur schlecht fotografiert. Ich gab den sperrigen Familiennamen in die Internetsuchmaschine ein, und der Computerbildschirm zeigte eine Handvoll Fotos. Er sah auf allen Fotos zänkisch aus.
Am nächsten Tag fragte ich einen Komponist als er die Zeitung aufschlug. „Das Orchester ist eigentlich ganz gut. Ein Genie ist er nicht gerade, aber was er macht ist soweit in Ordnung,“ antwortete der Komponist und blätterte weiter. Am Konzertabend war er zu Hause geblieben.
Ich kannte die Einstellung des Komponisten. Er ging nicht zu Konzerten, die ihn nicht interessierten, weigerte sich strikt, mit Leuten, die er nicht mochte, zu sprechen, und manchmal weigerte er sich, aufzutreten. „Ehe ich mich von irgendwelchen Politikern, Betriebswirten oder anderen Idioten kaufen lasse, die sich hin und wieder mit einem Künstler schmücken müssen, verzichte ich lieber auf die Kohle,“ sagte er manchmal wenn er gut gelaunt war.
So kam es, das eines seiner Stücke von einem nervösen Spanier dirigiert wurde, der selbst deutlich weniger Vertrauen in sein Können setzte als der Komponist. Mit einem professionell strahlenden Lächeln schüttelte der Spanier dem feisten Festivalintendanten die Hand, verneigte sich schließlich auch vor den Kaugummi kauenden Teenagern im Publikum, und die ersten Schweißperlen standen schon auf seiner Stirn ehe er anfing.
Ein Künstler braucht ein ziemlich dickes Fell wenn er sich jahrelang in der Öffentlichkeit bewegt, überlegte ich. War es das? Sich tausend Mal verbeugen bis der letzte Ignorant einen fremden Namen behält schlägt sich schnell auf das Gemüt. Der Musiker mit dem sperrigen Namen galt viele Jahre als ausgezeichneter Instrumentalist, und auch wenn sie nicht für den ganz großen Ruhm genügt hat war seiner Karriere recht beachtlich. Die weniger Begabten verschwinden viel früher aus dem Scheinwerferlicht, oder betreten gar keine Bühne, und die meisten von ihnen tauchen enttäuscht bis verbittert als Musiklehrer an irgendwelchen Schulen wieder auf. Das große Mittelfeld hält sich mehr oder weniger lange im Kulturbetrieb. Für die Tänzer ist normalerweise mit Mitte dreißig Schluss, spätestens. Sängerkarrieren enden oft früher als erhofft, die Instrumentalisten halten unterschiedlich lange durch. Manche Pianisten werden steinalt und bleiben zu erstaunlichen Leistungen fähig, aber bei den meisten Instrumentalisten lässt die Feinmotorik früher nach. Einige geben irgendwann das mühselige Unterfangen auf, die Realität an die eigenen musikalischen Visionen anzupassen und verlieren schließlich die Lust am Musizieren, andere werden einfach krank.
Die Stärksten und Besten kommen vielleicht bis ans Dirigentenpult. Der mit dem sperrigen Namen kam als Orchesterleiter ganz gut zurecht, aber genau darin lag sein Verhängnis. Durch atemberaubende Höchstleistungen wird er kaum auffallen, was ihm Kritiker und Publikum früher oder später übel nehmen wird. Die Feuilleton schlucken ihn, die Klatschspalten spucken ihn vielleicht wieder aus ehe er entgültig verschwindet. Zerrieben wird er auf jeden Fall. Wieder einmal war ich froh, dass meine Lehrer aus mir keinen Musikkritiker gemacht hatten, und ich ertappte mich bei den Wunsch, nicht mehr über Konzerte schreiben zu müssen, oder wenigstens dem Dirigent mit dem sperrigen Namen aus dem Weg zu gehen.
Ein paar Monate später überredete ich den Komponisten mitzukommen. „Besser geworden ist das Orchester nicht,“ kommentierte er in der Pause. „Irgendwann kommt jemand auf die Idee, Roboter zu programmieren die den Takt schlagen können. Dann fallen wenigstens die Fehler weg und die Konzertveranstalter sparen einen Haufen Geld.“
Ich hatte es schon geahnt. Die Töne rieselten routiniert und glatt in den Saal, Ein paar Stühle vor mir fröstelte eine ältere, feingeistig blasse Dame, von hinten hustete jemand in die leise zirpenden Geigen, aber alle klatschten artig nach jedem Programmpunkt, also war es trotzdem ein netter Abend, oder? Das Programm war weit entfernt von Experimentalem, alles schon tausendmal gehört, und es war offensichtlich, dass Mozart, Bizet und Tschaikowsky nicht ganz so klangen, wie es sich die Konzertbesucher erhofft hatten. Ich konnte mich also nicht herausreden dass ich kein Musikexperte war wenn ich über das Ereignis berichtete.
Der Mensch im Frack gab sich alle Mühe. Er hatte sich auf Gedeih und Verderb in seine Aufgabe gestürzt und wand sich nun in einem unsichtbaren Netz zwischen der Partitur und den Musikern. Schweiß rann über seinen Nacken und ich erinnerte mich an die Haut, die vor einigen Monaten für einen Augenblick bronzefarben war. Tut es weh, das Scheitern, das Ausgestauscht-Werden, die Bühne entgültig zu verlassen in dem Bewusstsein, fremden und eigenen Ansprüchen nicht genügt zu haben? Ja, und wie! Die Launen untergehender Operndiven, die Bosheit alternder namenloser Theaterleute kommen nicht von ungefähr. Wenn die Engagements ausbleiben verschwinden nicht automatisch auch die Wünsche der Menschen, sie gerinnen manchmal zu Enttäuschungen, welche sich wie ein Fluch an die Gescheiterten haften.
Nachdem der letzte Ton verklungen war, verharrte der Gescheiterte in seiner Position. Sein Brustkorb hob und senkte sich noch einmal, dann setzte der Schlussapplaus doch noch ein. Immerhin gab es keine Buh-Rufe, es gab nie Buh-Rufe wenn Künstler in diesem Saal gastierten.
Widerwillig begab ich mich schließlich nach vorne. Die Lokalseiten der Provinzzeitungen zählen nicht, sagte ich mir, dann erschien er schon in Straßenkleidung im Gardarobengang, und er sah wirklich zänkisch aus. „Aha, die Presse“, sagte er spitzlippig als gälte es, einen Bestattungsunternehmer zu begrüßen.
„Erraten“, antwortete ich. „Bringen wir es hinter uns.“
Ich wusste nicht genau, wie ich an ihn heran kommen sollte. Er hatte sich in Rekordzeit umgezogen, wuselte rastlos zwischen den Stühlen herum wo die letzten Musiker ihre Instrumente und Noten wegpackten, und er sah zänkisch aus. Seinesgleichen neigen dazu, Zeitungsleute nach Möglichkeit zu übersehen, aber er wird wohl ein paar unverfängliche Worte übrig haben um ein paar Zeilen zu füllen, überlegte ich. Soll ich Maestro zu ihm sagen ehe ich mich bei seinem sperrigen Namen verhaspele?
Als er sich zu mir drehte ging alles viel schneller als erwartet. Knapp und routiniert beantwortete er meine Fragen und beim Mitschreiben wusste ich schon, dass die Zitate freundlich wirkten wenn sie erst in Druckerschwärze umgesetzt waren. Der schneidenden Unterton in seiner Stimme ließ sich nicht zu Papier bringen. Schließlich richtete ich das Kameraobjektiv auf das scharfkantige, zerfurchte Gesicht und zögere. Er wirkt erschöpft, seine Augen funkeln gereizt. Brauchte ich das Foto wirklich? Ehe ich die Kamera sinken ließ entdecke ich einen bronzefarbenen Schimmer auf den verschränkten Armen. Gerade als ich mich über den unsinnigen Einfall wunderte, den Farbton auf einem Foto festhalten zu wollen, knipste jemand einen Scheinwerfer aus und die Haut auf den Armen schimmerte nur noch grau. „Übrigens hat mir das Konzert gefallen,“ warf ich ein. „Was ist Ihr Fachgebiet bei der Zeitung?“ entgegnet er ungerührt. Ich erzählte, dass ich von schulschwänzenden Kindern, Kommunalpolitik bis zu kranken Kühen für alles in der Provinz zuständig sei, Kulturelles inklusive, und bemerkte, wie sich seine Mundwinkel sarkastisch verhärteten. „Ich bin kein Musikkritiker,“ schob ich schnell hinterher. Den Saal verließ ich grußlos.
Vielleicht war das Konzert nicht wirklich gut gewesen. Natürlich würde ich die Aufführung nicht überschwänglich loben, ich beschloss, alles als einen netten Abend zu beschreiben, und während ich den Text formulierte bemerkte ich, dass ich meinen abweisenden Gesprächspartner zu mögen begann. Über viele Jahre galt er als ausgezeichneter Instrumentalist, und als Orchesterleiter war er wohl auch recht gut. Vielleicht kam er während ich schrieb gerade nach Hause.
Er sah zänkisch und verlebt aus auf den Fotos die ich am nächsten Morgen aus dem Labor abholte. „Hat wohl eine harte Nacht hinter sich, der Kerl. Wir nehmen besser eins von den Musikern,“ meinte der Redakteur, der Texte und Fotos in die Zeitung für den nächsten Tag einpasste.
Vielleicht hatte ich nur schlecht fotografiert. Ich gab den sperrigen Familiennamen in die Internetsuchmaschine ein, und der Computerbildschirm zeigte eine Handvoll Fotos. Er sah auf allen Fotos zänkisch aus.
Am nächsten Tag fragte ich einen Komponist als er die Zeitung aufschlug. „Das Orchester ist eigentlich ganz gut. Ein Genie ist er nicht gerade, aber was er macht ist soweit in Ordnung,“ antwortete der Komponist und blätterte weiter. Am Konzertabend war er zu Hause geblieben.
Ich kannte die Einstellung des Komponisten. Er ging nicht zu Konzerten, die ihn nicht interessierten, weigerte sich strikt, mit Leuten, die er nicht mochte, zu sprechen, und manchmal weigerte er sich, aufzutreten. „Ehe ich mich von irgendwelchen Politikern, Betriebswirten oder anderen Idioten kaufen lasse, die sich hin und wieder mit einem Künstler schmücken müssen, verzichte ich lieber auf die Kohle,“ sagte er manchmal wenn er gut gelaunt war.
So kam es, das eines seiner Stücke von einem nervösen Spanier dirigiert wurde, der selbst deutlich weniger Vertrauen in sein Können setzte als der Komponist. Mit einem professionell strahlenden Lächeln schüttelte der Spanier dem feisten Festivalintendanten die Hand, verneigte sich schließlich auch vor den Kaugummi kauenden Teenagern im Publikum, und die ersten Schweißperlen standen schon auf seiner Stirn ehe er anfing.
Ein Künstler braucht ein ziemlich dickes Fell wenn er sich jahrelang in der Öffentlichkeit bewegt, überlegte ich. War es das? Sich tausend Mal verbeugen bis der letzte Ignorant einen fremden Namen behält schlägt sich schnell auf das Gemüt. Der Musiker mit dem sperrigen Namen galt viele Jahre als ausgezeichneter Instrumentalist, und auch wenn sie nicht für den ganz großen Ruhm genügt hat war seiner Karriere recht beachtlich. Die weniger Begabten verschwinden viel früher aus dem Scheinwerferlicht, oder betreten gar keine Bühne, und die meisten von ihnen tauchen enttäuscht bis verbittert als Musiklehrer an irgendwelchen Schulen wieder auf. Das große Mittelfeld hält sich mehr oder weniger lange im Kulturbetrieb. Für die Tänzer ist normalerweise mit Mitte dreißig Schluss, spätestens. Sängerkarrieren enden oft früher als erhofft, die Instrumentalisten halten unterschiedlich lange durch. Manche Pianisten werden steinalt und bleiben zu erstaunlichen Leistungen fähig, aber bei den meisten Instrumentalisten lässt die Feinmotorik früher nach. Einige geben irgendwann das mühselige Unterfangen auf, die Realität an die eigenen musikalischen Visionen anzupassen und verlieren schließlich die Lust am Musizieren, andere werden einfach krank.
Die Stärksten und Besten kommen vielleicht bis ans Dirigentenpult. Der mit dem sperrigen Namen kam als Orchesterleiter ganz gut zurecht, aber genau darin lag sein Verhängnis. Durch atemberaubende Höchstleistungen wird er kaum auffallen, was ihm Kritiker und Publikum früher oder später übel nehmen wird. Die Feuilleton schlucken ihn, die Klatschspalten spucken ihn vielleicht wieder aus ehe er entgültig verschwindet. Zerrieben wird er auf jeden Fall. Wieder einmal war ich froh, dass meine Lehrer aus mir keinen Musikkritiker gemacht hatten, und ich ertappte mich bei den Wunsch, nicht mehr über Konzerte schreiben zu müssen, oder wenigstens dem Dirigent mit dem sperrigen Namen aus dem Weg zu gehen.
Ein paar Monate später überredete ich den Komponisten mitzukommen. „Besser geworden ist das Orchester nicht,“ kommentierte er in der Pause. „Irgendwann kommt jemand auf die Idee, Roboter zu programmieren die den Takt schlagen können. Dann fallen wenigstens die Fehler weg und die Konzertveranstalter sparen einen Haufen Geld.“
Ich hatte es schon geahnt. Die Töne rieselten routiniert und glatt in den Saal, Ein paar Stühle vor mir fröstelte eine ältere, feingeistig blasse Dame, von hinten hustete jemand in die leise zirpenden Geigen, aber alle klatschten artig nach jedem Programmpunkt, also war es trotzdem ein netter Abend, oder? Das Programm war weit entfernt von Experimentalem, alles schon tausendmal gehört, und es war offensichtlich, dass Mozart, Bizet und Tschaikowsky nicht ganz so klangen, wie es sich die Konzertbesucher erhofft hatten. Ich konnte mich also nicht herausreden dass ich kein Musikexperte war wenn ich über das Ereignis berichtete.
Der Mensch im Frack gab sich alle Mühe. Er hatte sich auf Gedeih und Verderb in seine Aufgabe gestürzt und wand sich nun in einem unsichtbaren Netz zwischen der Partitur und den Musikern. Schweiß rann über seinen Nacken und ich erinnerte mich an die Haut, die vor einigen Monaten für einen Augenblick bronzefarben war. Tut es weh, das Scheitern, das Ausgestauscht-Werden, die Bühne entgültig zu verlassen in dem Bewusstsein, fremden und eigenen Ansprüchen nicht genügt zu haben? Ja, und wie! Die Launen untergehender Operndiven, die Bosheit alternder namenloser Theaterleute kommen nicht von ungefähr. Wenn die Engagements ausbleiben verschwinden nicht automatisch auch die Wünsche der Menschen, sie gerinnen manchmal zu Enttäuschungen, welche sich wie ein Fluch an die Gescheiterten haften.
Nachdem der letzte Ton verklungen war, verharrte der Gescheiterte in seiner Position. Sein Brustkorb hob und senkte sich noch einmal, dann setzte der Schlussapplaus doch noch ein. Immerhin gab es keine Buh-Rufe, es gab nie Buh-Rufe wenn Künstler in diesem Saal gastierten.
Widerwillig begab ich mich schließlich nach vorne. Die Lokalseiten der Provinzzeitungen zählen nicht, sagte ich mir, dann erschien er schon in Straßenkleidung im Gardarobengang, und er sah wirklich zänkisch aus. „Aha, die Presse“, sagte er spitzlippig als gälte es, einen Bestattungsunternehmer zu begrüßen.
„Erraten“, antwortete ich. „Bringen wir es hinter uns.“