Herz und Hobby auf dem Prüfstand

Herz und Hobby auf dem Prüfstand

Neulich erklärte mir meine Eheallerliebste: Ich teile dich nicht mit einer anderen Frau! Die andere ist ein verflossener Kurschatten, Holländerin, mit einem Deutschen verheiratet. Im Prinzip ist das Problem nicht mehr gefährlich, sondern wohl eher ein Fall für den Psychoanalytiker, zumal die Gefahr nur noch als Brieffreundin, gewissermaßen auf dem Papier, existiert.
Bei Ehepaaren mit modernen Ansichten (und wir sind ein solches) hat sich überdies die Erkenntnis durchgesetzt, dass jeder Partner einen gewissen Freiraum für seine ureigensten Hobbys haben sollte.
Und diesen unseren Freiraum will ich nun genauer, will sagen rechnerisch, unter die Lupe nehmen. Also -- Frau besucht lx im Monat ihren Literaturzirkel. Da ist sie dann 4 Stunden außer Haus und debattiert mit ihren Damen über letzte Bestseller, die sich gelegentlich als allerletzte Ladenhüter entpuppen. Jeden Tag liest sie zusätzlich etwa 1 Stunde, auch als Vorbereitung für die nächsten Diskussionsrunden. Überschläglich kommen also ca. 35 Stunden pro Monat für ihr ganz persönliches Hobby zusammen. Natürlich ist da noch eine Grauzone (Dunkelziffer), die sich nicht astrein belegen lässt. Dahinter verbergen sich z.B. gelegentliche kunstvolle Stickereien, wahre Wunderwerke, die ich nur ehrfurchtsvoll bestaunen kann.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Frau pro Monat etwa 40 Stunden ganz für sich allein zur Verfügung hat.
Nun komme ich dran. Ich verkrieche mich jeden Nachmittag ca.2,5 Stunden in meinem von Frau sehr hübsch eingerichteten Studio (das hat sie nun davon) und fröne meinen Liebhabereien, als da sind musikalische Studien an meinem Keyboard, Sprachstudien (Holländisch), lesen von guten Büchern (das Interesse daran hat sich Frau selbst zuzuschreiben), Briefe verfassen usw. Aber allein die Zahl 2,5 (Stunden/Tag) zeigt, dass ich um der Gerechtigkeit willen ein Opfer bringen muss.
Wen oder was opfere ich denn nun? Also die Brieffreundin vorerst nicht, und die Musik auf keinen Fall - da muss ich sogar wieder mehr tun. Es bleiben eigentlich nur die Sprachstudien, die eine Menge Zeit verschlingen, weil ich normalerweise alles gründlich mache. Also weg damit - Marijke freut oder ärgert sich auch über deutsche Briefe.
Aber wie soll ich ihr nur beibringen, dass sie für mich nichts anderes zu sein hat als ein Bestandteil des mir zustehenden Freiraums, sozusagen als herzneutrale, ja herzlose Hobbyaktivität wie Briefmarken sammeln, Skatabend oder Fußballnachmittag?
Da überfällt mich ein Schreck. Entspricht das nicht etwa doch meinen Gefühlen? Denn Hand aufs Herz, verheiratet sein möchte ich nicht mit ihr.
Gehöre ich etwa doch zu den schlimmen, egoistischen Männern, für welche die Frauen hübsche und/oder interessante Spielzeuge sind? Sind es nicht vor allem Marijkes niedliche Deutschfehler, die mich so faszinieren? Ich will die Gewissenserforschung doch lieber nicht vertiefen, denn ich will mich nicht für einen schlechten Menschen halten.
Aber da stimmt noch einiges andere nicht. Gibt es denn überhaupt herzneutrale Hobbys? Ich stelle mir gerade einen Philatelisten vor, dem es anlässlich eines Tauschabends gelungen ist, einen Vereinskollegen übers Ohr zu hauen. Das lässt doch sicher sein Herz vor (Schaden)freude höher schlagen! Oder ist es etwa keine Herzensangelegenheit, wenn bei einer Skatrunde ein Herz-Hand-Spiel trotz guter Karten der Gegner gewonnen wird? Oder man denke an die herzhafte Begeisterung von Werder-Bremen-Fans, wenn der Hamburger SV die Bude voll Tore geschossen bekommt. Nein, so gesehen darf auch die Brieffreundin eine Herzensangelegenheit sein, nur hat Frau natürlich ein Anrecht darauf, dass sich alles in vertretbarem Rahmen hält.
Ich bin im Moment zu faul nachzurechnen, wie viel Stunden ich für meine Briefe an Marijke investiert habe. Jedenfalls besteht diesbezüglich wenig Anlass zu Eifersucht, zumal ich jeden Brief -bis auf einen - freiwillig der Zensur ausgeliefert habe.
Bedenklicher ist schon die Dunkelziffer zahlreiche Stunden betreffend, in denen ich mit meinen Gedanken auf Abwegen war. Was aber hat Marijke schon von meinen Fantastereien! Und ich habe auch nur Ärger dadurch. Frau kann nämlich Gedanken lesen. Hier gelobe ich also wirklich Besserung!
Fast hätte ich's vergessen. Mein Minuskonto ist ja im Grunde erheblich größer. Da sind noch viele, viele Stunden Heimarbeit, die ich einer ehemaligen Geliebten, meinem Job, habe zuteil werden lassen.
Darf ich trotzdem noch ein bisschen mit meiner Brieffreundin flirten? Marijke wird vielleicht sowieso bald nichts mehr von sich hören lassen, denn sie ist ja nicht nur verheiratet, sondern dieses auch noch glücklich. Da hat es selbst ein raffinierter Schreiberling schwer, das Interesse des verehrten weiblichen Wesens auf Dauer wachzuhalten. Ich bin halt ein Skeptiker.
Zwei Jahre später:
Die prognostizierte Funkstille ist nicht eingetreten. Marijke und ich, wir schreiben uns immer noch, und ein Ende ist nicht abzusehen. Wir schreiben uns nicht oft, aber "es steht immer viel drin". Gelegentlich haben wir auch einen netten Plausch am Telefon. Es ist eigentlich schon fast wie bei Brüderchen und Schwesterchen. Aber darüber sprechen wir nicht - das fühlen wir.
Dabei hat der Herzbube bereits über sechzig Jahre auf dem Buckel, und Schwesterherz könnte seine Tochter sein.
 



 
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