Hölderlin im Turm

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Herr H.

Mitglied
Hölderlin im Turm


Er wohnte in dem Turm vom Schreinerhause
fast wie ein Eremit in seiner Klause.
Bei vielen galt er nun seit Jahren schon
als eine gruselige Attraktion.

Es kamen viele, diesen Mann zu sehen.
Mitunter musste man gar Schlange stehen
für einen Blick auf den im Geist Verwirrten,
um den die wildesten Gerüchte schwirrten.

Kein Zweifel, dieser Mensch da war verrückt!
Schon wie er ging, so kriecherisch gebückt!
Dazu die Augen, die so ängstlich blickten
und jede Fröhlichkeit im Keim erstickten!

Die Haare wirkten ungepflegt und strähnig.
Vor jedem Gast gab er sich untertänig
und nannte ihn, fern der Realität,
mal „Exzellenz“ und auch mal „Majestät“.

Wenn man ihn bat, dann zierte er sich nicht
und schrieb fast aus dem Stegreif ein Gedicht.
Oft spielte er auf dem Klavier ein Stück
und sank dumpf brütend in sich selbst zurück.

So manche hatten Mitleid mit dem Armen.
Doch andere, die kannten kein Erbarmen.
Sie gafften kichernd in sein Wohngemach
und äfften ihn dann unterm Fenster nach.

Nur wenige erkannten in der Blöße,
die er sich gab, die selten reine Größe
des Mannes, von der sie ja nur den Schatten
auf der zerfurchten Stirn gesehen hatten.

Sie ahnten nicht, dass ihm vor vielen Jahren
die Götter Griechenlands so nahe waren,
dass er die schönsten Hymnen auf sie schrieb
und so die Kunst zu neuen Höhen trieb.

Sie wussten nicht, wie oft und doch vergebens
er auch mit den Dämonen seines Lebens
gerungen hatte bis zu jenem Tag,
an dem er ihrer Urgewalt erlag.

Er war zerbrochen, ja; doch seine Lieder,
die klingen noch in unsern Zeiten wieder.
Er sank zum Orkus, ja; doch sein Gedicht
lebt weiter in den Herzen und stirbt nicht.



 
G

gitano

Gast
Hallo Herbert!
Solche Texte sollten immer wieder geben!
Die Erinnerung an dere wachzuhalten, die für ihre Ideale und ihr Schaffen einen hohen Preis zahlten.
Hymnen und Oden Hölderlins...Die, die ich gelesen habe, stammen aus der Zeit vor seiner Erkrankung bzw. am Beginn seiner Erkrankung (schizophr. Psychose).
1989 war ich erstmalig im Hölderlin-Turm, am Neckarufer in Tübingen. Später habe ich mir bei weiteren Besuchen vorgestellt wie gewesen sein muß...27 Jahre....zwischen katholischem Stift, Uni, Psychiatrie und der geitsigen Tradition von Tübingen...
Einiges davon finde ich in Deinem Text wieder - mara nannte es "Hommage".
Wie gut und einfühlsam, daß Du nicht versucht hast in Odenform zu schreiben ... Es wäre m.M.n. wirklich deplatziert gewesen.

Im Text bemerke ich auch sehr schön und angemessene Zurückhaltung und doch eine untergründige Werbung zur Anteilnahme am Schicksal ... das wir uns alle nicht aussuchen könnnen. Dieses dann quälende Schicksal so lange zu tragen, nach einer glanzvollen kurzen Zeit, für mich schwer vortstellbar.
..und auch schwer vorstellbar, was jene Schreinerfamilie für seine Betreuung leistete- und andererseit wieder das Begaffenlassen ...auch gegen Geld....Versorgung kostete halt Geld.
Wenn die lebensharten Dinge zugreifen...was bleibt dann noch von dem Ideal, das der Dichter besingt - wofür er erhoben und gefeiert wird...Fiktion?
Bei keinem anderen deutschen Dichter bewegen mich solche Fragen so intensiv.
Danke das Du an ihn und den schweren teil seines Schicksals erinnerst.
Vielleicht kannst Du es mir ja nachsehen, dass ich gerade auf die handwerkliche Qualität Deines Textes nicht sonderlich eigehen möchte. Eventuell später ...
nachdenklich, ... mitfühlend
gitano
 

Herr H.

Mitglied
Hallo gitano,

herzlichen Dank für dein persönliches, sensibles Echo. Auch ich war schon mehrmals im Hölderlinturm und immer wieder aufs Neue bewegt von der Atmosphäre und der lyrischen Sprachkunst des Dichters. Seitdem begleitet mich Hölderlin. Vielleicht kennst du den Vers aus dem "Empedokles": "So gehet festlich hinab das Gestirn. Und trunken von seinem Lichte glänzen die Täler." Fast mag es mir scheinen, als habe der Dichter da sein eigenes Schicksal und die Rezeption vorausahnend erfasst.

Liebe Grüße von

Herrn H.
 

mara

Mitglied
@Gitano - mit diesem Kommentar sprichst du mir aus dem Herzen. Ich war zwar noch nie an Hölderlins Turm, habe aber einiges von ihm und über ihn gelesen. Ich finde auch, dass in manchen seiner früheren Texte so etwas wie eine Vorahnung auf seine spätere Erkrankung durchklingt. Vielleicht, weil jemand, der an einer so schweren psychischen Krankheit leidet, sicherlich schon lange vorher spürt, dass etwas mit ihm nicht stimmt; möglicherweise aber auch, weil wir seine Werke im Wissen um sein späteres Schicksal lesen...
 
G

gitano

Gast
Hallo Herbert!

Vielleicht kennst du den Vers aus dem "Empedokles": "So gehet festlich hinab das Gestirn. Und trunken von seinem Lichte glänzen die Täler."
leider nicht,
Ich hatte meinen Fokus auf der Lyrik Hölderlins.

Fast mag es mir scheinen, als habe der Dichter da sein eigenes Schicksal und die Rezeption vorausahnend erfasst.
hm, schwierig, zumal der Stoff ja in diese Richtung zeigt (Sprung in den Ätna des E.) Diese Handlung war ja wohl gereift und überlegt - kein Spontaner Akt des E. Für mich gehört diese Zeile mehr dort hin. Das Hölderlin allerdings aus eigenem Erleben, Empathie und auch Fantasie eine sehr gute Vorstellung davon hatte...da würde ich vermuten : dem war so.

Immer wenn er in seinen Texten von Angst oder Gefahren sprach, schwingt natürlich aus heutiger Sicht soetwas mit...als hätte er Vorahnungen gehabt. Aber ein Problem der schizophr. Psychose ist auch: "Verkennung"
Ich sehe vielmehr in dem sich übersteigertem Identifizieren mit mancher historischen Person eine mangelnde Abgrenzungsfähigkeit...die zweifellos ein Alltagsleben zum Problem werden läßt - und dann auch als "krankhaft" bezeichnet wird.

Trotzdem ist er für mich einer der Großen, Könner, Idealist und Gelehrter...
man bedenke auch sein Theoliestudium - und dagegen seine Weltsicht! Was für ein Spagat!...und die gesellschaft, die keinesfalls interessiert war an seinen Idealideen...es war die Zeit der Napoleonkriege...da hatte man andere Sorgen!

Auch ein Gryphius ist sicher wegen des dreizigjährigen Krieges weniger bekannt heute, als es seine leistungen verdienten. Zumindest in seinen weltlichen Sonetten ist er nicht schlechter als Shakespeare...seine Dramatik (das wenige was ich daraus las..) ist leider etwas zu "deutsch".

Es wäre spannend, wie Hölderlin in heutiger zeitgemäßen Sprache klingen und rüberkommen würde...und die Wirkung daraus.
Grüße zu Dir und an den großen Dichter
gitano
 

Herr H.

Mitglied
Hallo gitano,

du hast zweifellos recht, wenn du meinst, dass für Hölderlin das Alltagsleben zum Problem geworden ist. Das deckt sich mit meinem Eindruck, dass er gleichsam nur in einem sterilen, nahezu mystisch verklärten Raum existieren konnte. Nicht nur Dichter wie Schiller oder Ossian, sondern auch seine Geliebte Susette Gontard wollte er auf diese fast sakrale Höhe heben. Letztlich ist er zerbrochen an der rauen Wirklichkeit des Lebens.

Viele Grüße von

Herrn H.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Oden

Wie gut und einfühlsam, daß Du nicht versucht hast in Odenform zu schreiben ... Es wäre m.M.n. wirklich deplatziert gewesen.
"Die Odenform" gibt es nicht.
Die von Hölderlin bevorzugte lyrische Form ist die alkäische Strophe. Horaz, von dem die meisten Lieder in dieser Form stammten, bevor Hölderlin sie okkupierte, pflegte eine nüchterne Zurückhaltung. Die Attribute oft weit getrennt von den Substantiven - Hyperbaton - und ein Satzbau, dessen Logik sich über mehrere Verse spannt wie ein weiter Melodiebogen.
Wer diese Form bei einem Gedicht über den größten deutschen Sänger alkäischer Strophen für deplaziert hält, muß sie auch bei Hölderlin selbst für deplaziert halten.
 



 
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