Ich bin 12 Jahre alt

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Clara

Mitglied
@suzah
und wenn 97 Leute vor mir irgendwas anmerken, so wäre ich die 98zigste, die vielleicht zu gleichen Punkten etwas aussagt.

Ich halte das für den Autor, in diesem Falle Cora, für wesentlich aufschlussreicher, wenn mehrere Leute ähnliches anmerken, als wenn sie dann gar nichts mehr sagen z.B.

Hier ist doch niemand das Maß der Dinge.

bg clara
 
D

Dominik Klama

Gast
"Miss Sarajevo" (Bono, Luciano Pavarotti)

Skizze mit einigen wenigen kurzen Alltagsmomenten aus dem Leben eines zwölfjährigen Mädchens. Der Text richtet sich auf ganz allgemeine Art gegen den Krieg. Zu Beginn geht das Kind zur Schule und spielt mit Barbiepuppen. Dann sind Granateneinschläge zu hören, man sucht Zuflucht im Keller und das Wasser wird knapp. Am Ende ist die Lehrerin tot und die Erzählerin wohl auch, denn, wo bisher repetitiv alle paar Absätze der Satz „Ich bin zwölf Jahre alt“ auftauchte, lautet der letzte Satz jetzt: „Ich war zwölf Jahre alt.“

In meinen Auslassungen zu Texten von Kolleginnen und Kollegen in der Leselupe habe ich verschiedentlich schon fallen gelassen, dass die mich nerven, diese Arbeiten, die Figuren, welche jeder mögen muss, mit Themen verbinden, gegen die jeder rechtschaffen „dagegen“ sein muss. Ich habe an anderer Stelle gesagt, dass ich das „irgendwie billig“ finde, mittels Kombination solchen Personals und solcher Thematik eine Stimmung feierlichen Pathos’ zu erzeugen, welches dann, wenn es ums Bewerten des literarischen Gewichts geht, allemal mehr Beifall einheimst als ein Text, der irgendwie „unernst“, „verspielt“ oder „ganz nah am gewöhnlichen Leben von uns allen“ ist.

Dennoch passiert das hier ständig. Ein größeres Thema, um mit feierlichem Ernst und viel selbstgefälligem Stolz auf die eigene moralische Unbestechlichkeit „dagegen“ zu sein, als „den“ Krieg gibt es wohl gar nicht. Falls das jemand mal langweilig wird, kann er ausweichen auf, ich nenne mal paar Vorschläge: Mädchenhandel, Vergewaltigung, sexuellen Missbrauch von Kindern, Heroinhandel, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Quasi-Sklavenarbeitern in industriellen Schwellenländern, Todesschwadronen und folternde Geheimdienste in diktatorischen Regimen.

Alle sind wir so absolut gegen diese Dinge und alle finden wir es so wichtig und bedeutend, wenn sie zum Gegenstand literarischer Texte gemacht werden, dass es schon irgendwie ein Wunder ist, dass es diese ganzen Sachen immer noch gibt. Es gäbe sie ja nicht, wenn es keine Menschen gäbe. Unter Delfinen, Eichen, Wirbelstürmen und Granitfelsen kommen sie nicht vor. Wo aber nun doch die Meinung so einhellig vorherrscht, dass Texte, die von dergleichen handeln, sehr lohnend zu lesen sind und letztlich irgendwie auch was beitragen zur Besserung der Welt, fragt man sich, warum sie noch immer geschrieben werden müssen. Warum wird so noch gehandelt, wenn wir alle es längst verurteilen, wie auch alle unsere Texte es ständig verurteilen? Antwort: Es lesen halt immer nur die Falschen. Aber das darf uns nicht davon abhalten, weiter so zu schreiben!

Kombinieren wollten wir das „bedeutende“ Thema mit einer oder mehreren Figuren, die „uns das Herz aufgehen“ lassen. Ginge das eventuell noch besser als mit einem zwölfjährigen Mädchen, das mit Barbiepuppen spielt? Eine Zwölfjährige, die verrückt nach Castingshows im Privatfernsehen ist? Nee, besser ist das nicht. Ein Elfjähriger, der Kröten fängt und ihnen die Beine ausreißt? Igitt! Mein Gott, nein! Ein schnauzbärtiger Obstladenbesitzer, der zu seinem vor der Hintertür rauchenden, steuerlich nicht angemeldeten Helfer sagt: „Ich hab dir gesagt, während der Arbeit rauchst du nicht! Bezahl ich dich fürs Rauchen oder fürs Arbeiten?“ Na, irgendwie typisch fürs Menschliche an sich und also wunderbar für uns Leser, den Einstieg über Identifikation zu finden, wäre er zwar. Aber halt nicht so genial wie eine zwölfjährige Schülerin.

Wenn man dann aber öfter was verfasst, wird man feststellen, dass das auf Dauer nicht geht. Man kann nicht jeden Tag über Zwölfjährige im Granatenhagel schreiben. Da müssen irgendwann schon auch andere Personen her und andere Themen, auch mal was Schönes, an dem man sich freuen kann.

Okay, blicken wir in unseren Baukasten. Was liegt denn da so rum? Neues Personal: Zwei Studenten, männlich, weiblich, die sich verliebt haben, Alter: 24 und 22. Eine Frau, die vier Kinder groß gezogen hat, seit die aus dem Haus sind, ist es leer um sie geworden, jetzt malt sie in Öl und schreibt Gedichte und spaziert im Park und sieht den Kindern beim Spielen zu im Frühling. Gut, aber Vorsicht: schon wieder Kinder, langweilig soll’s ja nicht werden! Ein Fernfahrer, der mit einer viel jüngeren Motorradfahrerin rummacht, eigentlich nur seine Ruhe haben will, jetzt aber in eine gefährliche Sache reinrutscht mit gewissenlosen Menschenschleppern, die illegale Einwanderer aus Afrika in die EU einschleusen; und der jetzt einem davon, einem jungen Schwarzen, das Leben rettet, dafür aber von den Grenzschützern und den Gangstern verfolgt und von den eigenen Kollegen verraten wird? Super! Ließe sich vielleicht ausbauen zum dritten Roman.

Wie ich auch schon mal meinte, an anderer Stelle: Über Fußpilz und Achselschweiß und Blasen an den Füßen und Harndrang schreiben wir lieber nix. Bringt’s einfach nicht so ganz. Ebenso ist leider abzuraten von Epen über im Lauf der Jahre verarmte Hartz-IV-Empfänger. Die sind sichtlich nicht arm genug, denn sie rauchen doch alle noch ihre Zigaretten. Was unsere Personen nicht tun sollten, denn wir sind grundsätzlich dagegen mit unserem Schreiben, dass Menschen sich zu Grunde richten. Nicht schreiben werden wir auch über geschiedene fünfundvierzigjährige Büroangestellte männlichen Geschlechts. Denn deren Arbeit interessiert doch keinen, außerdem kennen wir sie schon alle selber, weil wir doch auch den ganzen Tag am PC versauern. Auch sind geschiedene fünfundvierzigjährige Männer immer selber schuld, ihre vor zwanzig Jahren noch zweiundzwanzigjährigen Geliebten haben nur das Beste gewollt, Männer aber sind unbelehrbar. Was sich auch darin zeigt, dass sie jetzt alleine entweder nur Fußball oder Porno-DVDs gucken und im Internet nach Schmuddelkram suchen. Nee, so Typen, einfach nicht gut genug für das künstlerische Schreiben! Ebenfalls nicht schreiben werden wir über Leute, die älter als siebzig sind. Faktisch sind die alle mehr oder weniger veralzheimert und machen nur noch Scheiß. Oder aber es sind wunderbar lebenskluge, herzensgütige Weißhäupter, die auf ein erfülltes Leben zurückschauen, keine Sekunde Angst vor dem Sterben haben und ihren Töchtern und Enkelinnen tröstlichen Halt geben, wenn sie von ihren Männern betrogen werden, respektive mit ihren Barbiepuppen spielen unter den leis im Sommerwind sich wiegenden Linden am Brunnen vor dem Tor. Den keineswegs verdorrten Linden! Ja, doch, so ließe sich über siebenundsiebzigjährige Omas schon schreiben, aber da muss man immer verteufelt Acht geben, dass es nicht als Kitsch rauskommt. Das ist schwer. Leichter ist das, wenn zwölfjährige Mädchen im Keller auf der Decke liegen und der Boden zittert, weil der Serbe oder Iraker oder Nazi einmarschiert.

Was ich komischerweise noch gar nie gelesen habe, ist, wie die deutschen Kontingenttruppen so wo einmarschieren und die kleinen Mädchen aus dem Keller holen und ihnen Haribo-Colorado schenken und alles Granatenfeuer auf einmal schweigt für immer und die Linden wieder zartgrüne Blätter treiben, weil die Deutschen einmarschiert sind. Oder, wie so ein vierundzwanzigjähriger berufsmäßiger Landser sich bückt, um aus der benzinschlierenglänzenden Lache eine angeknackste, aber nicht zerstörte Hornbrille aufzuheben, die er einer Zwölfjährigen väterlich lächelnd auf die Stupsnase setzt, damit sie zur Schule gehen kann.

Denn dies ist es doch, was Deutschland unentwegt tut, ob nun unter Kanzler Schröder oder Merkel, es bringt den Kindern der Welt den Frieden und die Sicherheit zurück. Im Irak, in Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan, am Horn von Afrika. Und uns hier im Land ja auch die Freiheit. Die wird nämlich am Hindukusch verteidigt. Und würde sie das nicht seit zehn Jahren schon, dann schmachteten wir alle längst in islamischer Knechtschaft. (Also gemeint hier natürlich nur jene Sonderformen von Islam, die NICHT zu Deutschland gehören.)

Manche sagen aber auch, unsere Jungs „da unten“ streiten nicht eigentlich für die Freiheit und die Zwölfjährigen und die Frauen, sondern für den ununterbrochenen Zufluss unserer Verbrennungsmotoren. Gibt Altpräsidenten und Industriellen-Spitzenvertreter, die das sogar fordern, dass man das endgültig zu einem festen Bestandteil des humanistischen deutschen Bürger- und Staatsverständnisses macht. Damit aber verhält es sich, wie so oft. Zuletzt sind wir alle Menschen und wollen alle dasselbe: Ohne Öl und Erdgas gäb’s hier keine Jobs mehr, die Väter könnten ihren Töchtern keine Decken und Barbiepuppen (die auch aus dergleichen gemacht sind) mehr kaufen.



Im Übrigen möchte ich bemerken, dass ich manches in obigem Text etwas ungelenk ausgedrückt finde. Beispiele:

> „Von meinem Fenster aus kann ich die verdorrten Bäume sehen. Ihre Äste recken sich in den Wind empor wie die Arme von Schulkindern, die eine Antwort geben wollen.“

Verdorren Bäume eigentlich wie Sonnenblumen, wenn es lange nicht geregnet hat? Wäre „dürre Bäume“ nicht besser oder „blattlose“ oder „kahle“? Können sich verdorrte Bäume überhaupt noch „recken“ wie mittelalterliche Recken? Oder sind sie nicht eher ziemlich tot und darum bewegungslos? Warum diese so jungen Menschen ständig was sich „empor“ recken oder heben lassen, verstehe ich auch nie. Das hab ich schon mal angekreidet. Überlegt mal: „Frau Schmitz stand vor der 6a. Alle Arme rechten sich empor wie verdorrte Bäume.“ Käme euch das nicht seltsam vor? Und üblich ist es ja nicht, blattlose Bäume mit übereifrigen Schulkindern zu vergleichen. Schon klar, warum sie ankommt damit. Sie weiß schon, dass sie nachher noch was von der Klasse und der Lehrerin schreiben wird. Aber wir wissen es noch nicht, wenn wir es zum ersten Mal lesen.

> „Auf dem Rückweg klettere ich über die großen Steine, ohne dass es mir eingefallen ist.“

Setzen wir nach dem Steine doch einfach einen Punkt und machen Schluss. Dann sparen wir uns zu überlegen, wie man den Rest besser schreiben könnte.

> „Als der Einschlag ist, bin ich noch immer vor dem Haus.“

Sie sagt jetzt, sie hat die Denk- und Sprechweise einer Zwölfjährigen simulieren wollen. Aha. Na gut.
 
S

suzah

Gast
hallo clara,
deinen letzten kommentar hab ich gelesen. du hast recht mit deiner anmerkung, aber ich hatte doch auch nichts gegenteiliges behauptet? mehrere meinungen sind immer hilfreich für einen autor.
dir liebe grüße suzah
 
S

suzah

Gast
hallo dominik klama,
lediglich der letzte absatz deines beitrags bezieht sich direkt auf den text der autorin!
ich denke du erschwerst uns allen sehr das lesen deiner kritischen anmerkung, wenn sie so weit hergeholt ist und zu viele beispiele bringt, die uns allen ja auch bereits bekannt sind.
ist es dir nicht möglich, dich etwas kürzer zu fassen, nicht jeder hat so viel zeit, das wesentliche aus deinen kommentaren herauszufinden.
trotzdem schöne grüße, suzah
 



 
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