In ordine inverso
Es war ruhig geworden, in der Olympia Halle der europäischen Hauptstadt, in der sich rund sechzehntausend Zuschauer eingefunden hatten, um dem diesjährigen Spektakel, dem Finale des Eurovision Song Contest, wie es sich nannte, beizuwohnen.
Keine Mühen, keine Kosten hatten die Veranstalter gescheut, um alles bisher da gewesene bei diesem so genannten Sängerwettstreit zu überbieten.
Kein Wunder, stellte doch die Ausrichtung eines solchen Finales für das gastgebende Land ein derart gigantisches Prestige-Projekt dar, das sich nur noch von Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften überbieten ließ.
Hierzu trug erheblich der Umstand bei, dass dieses Musikspektakel über Fernsehsatelliten in eine ständig ansteigende Zahl von Ländern des gesamten Kontinentes übertragen wurde, direkt in die Wohnstuben der teilnehmenden Nationen.
So fieberten denn nicht nur die Zuschauer in der Halle, sondern draußen an den Bildschirmen Aber- und Abermillionen Menschen dem Beginn des Wettstreits entgegen.
Endlich war es soweit. Fanfaren erklangen, das Moderatorenpaar des Gastgebers, eine bildhübsche Dame Ende zwanzig, eine ehemalige Teilnehmerin des Wettbewerbes, und ein elegant gekleideter Herr im gleichen Alter, lächelten in die Kameras, als plötzlich ein Mann im vorgerückten Alter, ganz in Schwarz gekleidet, neben die beiden trat und sie ein wenig rüde beiseite schubste.
Im Publikum wurden Pfiffe laut, doch mit einer energischen Handbewegung brachte der Alte sie zum schweigen.
Mit sonorer Stimme verkündet er sodann:
„Meine Damen und Herren, hier in der Halle wie auch weltweit an den Bildschirmen, im Namen des gastgebenden Landes begrüße ich Sie alle auf das herzlichste. Wie uns soeben vom Europäischen Komitee des Eurovision Song Contest mitgeteilt wurde, hat sich das Komitee ad hoc entschieden, das heutige Finale zum ersten Mal nach einem anderen Modus als bisher durchzuführen.“
Die beiden Moderatoren blickten sich verblüfft an.
Die ehemalige Sängerin zog das hübsche Stupsnäschen kraus:
„Entschuldigen Sie bitte“, rief sie ins Mikrofon, und alle hörten mit, „warum wissen wir nichts von dieser Entscheidung?“
„Und wie soll dieser andere Modus aussehen?“ wollte ihr Partner wissen.
„Weil die Entscheidung, wie ich soeben ausführte, gerade eben erst getroffen wurde“, gab der Alte, ein wenig ärgerlich zurück.
„Nun, wie dem auch sei“, wandte er sich wieder ans Publikum, „das Komitee hat entschieden, das heutige Finale in ordine inverso durchzuführen.
Die Moderatoren blickten den Alten fragend an.
„In ordine inverso?“ fragten sie unisono.
„Jawohl, meine Herrschaften, so ist es. Für diejenigen unter Ihnen, die der italienischen Sprache nicht mächtig sind“, wandte er sich erneut ans Publikum, „das bedeutet, in umgekehrter Reihenfolge.“
„Was soll das denn bedeuten?“ entrüstete sich die junge Moderatorin, „soll die Reihenfolge der Auftritte etwa geändert werden? Das geht jetzt nicht mehr. Die Inszenierung ist auf das genaueste ausgetüftelt, die Sänger samt Bands entsprechend darauf eingestellt. Das können wir doch jetzt nicht mehr ändern!“
„Sie haben mich missverstanden, meine Gnädigste“ gab der Alte ungerührt zurück, „die umgekehrte Reihenfolge bezieht sich nicht auf die einzelnen Auftritte, sondern auf etwas anderes.“
„Auf etwas anderes? Was soll das denn heißen?“
„Ganz einfach. Bisher wurde immer zuerst gesungen, dann die Stimmen der einzelnen Teilnehmerländer eingeholt. Diesmal machen wir es umgekehrt.“
„Sie wollen damit sagen, wir sollen erst die Stimmen einholen und dann auftreten lassen? Erst votieren, dann singen? Meinen Sie das im Ernst?“
„In der Tat. So hat das Komitee entschieden.“
„Und Sie glauben, dass an dieser Entscheidung nichts mehr zu ändern ist?“
„Normalerweise nimmt das Komitee eine einmal getroffene Entscheidung nicht mehr zurück. Ich könnte höchstens anfragen, ob es damit einverstanden ist, nach Einholung der Länderstimmen auf die Liedbeiträge ganz zu verzichten. Ja, warum eigentlich nicht, ist doch dann eh nicht mehr notwendig.“
Bei diesen Worten brach in der Halle ein nicht enden wollender Jubel aus, ein Jubel, den man wohl als absolute Zustimmung deuten konnte.
Auf diese Weise wurde an dem Abend ein historischer Meilenstein gesetzt, der erste seit Bestehen des gesamten Musik Spektakels.
Bleibt abzuwarten, wie lange es dauert, bis der zweite Meilenstein folgt, der nur noch lauten kann:
weder votieren noch singen; das wäre wohl endgültig der lang erwartete Durchbruch des in Ehren ergrauten Festivals.
Es war ruhig geworden, in der Olympia Halle der europäischen Hauptstadt, in der sich rund sechzehntausend Zuschauer eingefunden hatten, um dem diesjährigen Spektakel, dem Finale des Eurovision Song Contest, wie es sich nannte, beizuwohnen.
Keine Mühen, keine Kosten hatten die Veranstalter gescheut, um alles bisher da gewesene bei diesem so genannten Sängerwettstreit zu überbieten.
Kein Wunder, stellte doch die Ausrichtung eines solchen Finales für das gastgebende Land ein derart gigantisches Prestige-Projekt dar, das sich nur noch von Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften überbieten ließ.
Hierzu trug erheblich der Umstand bei, dass dieses Musikspektakel über Fernsehsatelliten in eine ständig ansteigende Zahl von Ländern des gesamten Kontinentes übertragen wurde, direkt in die Wohnstuben der teilnehmenden Nationen.
So fieberten denn nicht nur die Zuschauer in der Halle, sondern draußen an den Bildschirmen Aber- und Abermillionen Menschen dem Beginn des Wettstreits entgegen.
Endlich war es soweit. Fanfaren erklangen, das Moderatorenpaar des Gastgebers, eine bildhübsche Dame Ende zwanzig, eine ehemalige Teilnehmerin des Wettbewerbes, und ein elegant gekleideter Herr im gleichen Alter, lächelten in die Kameras, als plötzlich ein Mann im vorgerückten Alter, ganz in Schwarz gekleidet, neben die beiden trat und sie ein wenig rüde beiseite schubste.
Im Publikum wurden Pfiffe laut, doch mit einer energischen Handbewegung brachte der Alte sie zum schweigen.
Mit sonorer Stimme verkündet er sodann:
„Meine Damen und Herren, hier in der Halle wie auch weltweit an den Bildschirmen, im Namen des gastgebenden Landes begrüße ich Sie alle auf das herzlichste. Wie uns soeben vom Europäischen Komitee des Eurovision Song Contest mitgeteilt wurde, hat sich das Komitee ad hoc entschieden, das heutige Finale zum ersten Mal nach einem anderen Modus als bisher durchzuführen.“
Die beiden Moderatoren blickten sich verblüfft an.
Die ehemalige Sängerin zog das hübsche Stupsnäschen kraus:
„Entschuldigen Sie bitte“, rief sie ins Mikrofon, und alle hörten mit, „warum wissen wir nichts von dieser Entscheidung?“
„Und wie soll dieser andere Modus aussehen?“ wollte ihr Partner wissen.
„Weil die Entscheidung, wie ich soeben ausführte, gerade eben erst getroffen wurde“, gab der Alte, ein wenig ärgerlich zurück.
„Nun, wie dem auch sei“, wandte er sich wieder ans Publikum, „das Komitee hat entschieden, das heutige Finale in ordine inverso durchzuführen.
Die Moderatoren blickten den Alten fragend an.
„In ordine inverso?“ fragten sie unisono.
„Jawohl, meine Herrschaften, so ist es. Für diejenigen unter Ihnen, die der italienischen Sprache nicht mächtig sind“, wandte er sich erneut ans Publikum, „das bedeutet, in umgekehrter Reihenfolge.“
„Was soll das denn bedeuten?“ entrüstete sich die junge Moderatorin, „soll die Reihenfolge der Auftritte etwa geändert werden? Das geht jetzt nicht mehr. Die Inszenierung ist auf das genaueste ausgetüftelt, die Sänger samt Bands entsprechend darauf eingestellt. Das können wir doch jetzt nicht mehr ändern!“
„Sie haben mich missverstanden, meine Gnädigste“ gab der Alte ungerührt zurück, „die umgekehrte Reihenfolge bezieht sich nicht auf die einzelnen Auftritte, sondern auf etwas anderes.“
„Auf etwas anderes? Was soll das denn heißen?“
„Ganz einfach. Bisher wurde immer zuerst gesungen, dann die Stimmen der einzelnen Teilnehmerländer eingeholt. Diesmal machen wir es umgekehrt.“
„Sie wollen damit sagen, wir sollen erst die Stimmen einholen und dann auftreten lassen? Erst votieren, dann singen? Meinen Sie das im Ernst?“
„In der Tat. So hat das Komitee entschieden.“
„Und Sie glauben, dass an dieser Entscheidung nichts mehr zu ändern ist?“
„Normalerweise nimmt das Komitee eine einmal getroffene Entscheidung nicht mehr zurück. Ich könnte höchstens anfragen, ob es damit einverstanden ist, nach Einholung der Länderstimmen auf die Liedbeiträge ganz zu verzichten. Ja, warum eigentlich nicht, ist doch dann eh nicht mehr notwendig.“
Bei diesen Worten brach in der Halle ein nicht enden wollender Jubel aus, ein Jubel, den man wohl als absolute Zustimmung deuten konnte.
Auf diese Weise wurde an dem Abend ein historischer Meilenstein gesetzt, der erste seit Bestehen des gesamten Musik Spektakels.
Bleibt abzuwarten, wie lange es dauert, bis der zweite Meilenstein folgt, der nur noch lauten kann:
weder votieren noch singen; das wäre wohl endgültig der lang erwartete Durchbruch des in Ehren ergrauten Festivals.