Interview

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lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Interview

Das Boot dreht
noch eine Runde
ich wende
das Band
deine Stimme
eine letzte halbe Stunde

du redest für mich
eine Möbius-Schleife
egal
wo du heut pennst

ich tippe Worte
prüfe die Zitate
und hoffe

was man sich so merkt
das Partyschiff
die reiche Jugend

doch nicht
was nach dem Klick
noch kommt

offene Enden

lass es ein See sein
auf dessen Grund
ein alter Wels
die Zeit wegdreht
 
O

orlando

Gast
Hallo lapismont,
über den Anfang deines Gedichts könntest du noch einmal nachdenken, der in meinen Augen zu lang gefasst und klanglich nicht optimal ist. Vielleicht:

[blue]Das Boot dreht
eine letzte Runde
ich wende das Band[/blue]

du redest für mich
eine Möbius-Schleife
egal
wo du heut pennst

...
Ist immer schade, wenn gleich im Einstieg leichtes Unbehagen aufkommt. ;)

Den Rest finde ich gut. Die letzte Textgruppe sehr gut:

offene Enden

lass es ein See sein
auf dessen Grund
ein alter Wels
die Zeit wegdreht
Das ist feine, elegante Lyrik. Und sooo schön traurig ...
Könnte (im Singular) sogar ein eigenständiges Gedicht darstellen.

LG, orlando
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo orlando,

Danke für Deine Zeilen.

Das Unbehagen der ersten Strophe zu lockern ist schwer, ich denke darüber nach.

Die beiden Verse
deine Stimme
eine letzte halbe Stunde
müssen inhaltlich jedoch hinein.

Es geht ja konkret um ein Interview. So, wie ich das Band wende, wende ich nun beim Abhören auch das Gesagte, erinnere an die Stimme, die Umgebung.

cu
lap
 

ENachtigall

Mitglied
Ein Interview, ein Boot, eine Möbius-Schleife.

Ein Stück Vergangenheit, auf Band genommen: lass es ein Tonband sein, oder eine Kassette; etwas, dass sich, falls es reißt, (selbst seitenverdreht) wieder zusammenkleben lässt. Schön plastisch, wie anhand dieses Details die Vergangenheit sofort ein Gesicht, einen die Zeit eingrenzenden Rahmen bekommt.
Das Boot dreht
noch eine Runde
ich wende
das Band
deine Stimme
eine letzte halbe Stunde
Schon die erste Strophe vollzieht die gegengleiche Verbindung zweier Seiten (Möbius-Schleife) sprachinhaltlich nach, indem während einer weiteren Runde (die das lyrische Boot dreht), die Wende des Bandes die Stimme des Gegenüber auf die Hälfte einer letzten Stunde reduziert. Positiv betrachtet, veredelt die Wende die Verbindung der Seiten mit einer intakten Schnittstelle.

Ähnlich einer Gedankenpause, die einem Prozess den entscheidend kreativen Schub zu geben vermag.

So wandert das Gesagte, das Aufgezeichnete, die Stimme samt aller ausgelösten Erinnerung - so lange der lyrische Zuhörer will - durch die Gegenwart. Das ist das Herz des Poems.
Die Schnittstelle ist jetzt der Zeitsprung vom Damals ins Jetzt, als sei dazwischen nichts gewesen.

du redest für mich
eine Möbius-Schleife
egal
wo du heut pennst

ich tippe Worte
prüfe die Zitate
und hoffe
In diesem Versdoppel steckt eine weitere Wendung: die zwischen konzentrierter Geschäftigkeit und zugeneigter Zerstreuung.

Sehr schön, die "offenen Enden" und der fantastische, mit einer letzten Wendung aufwartende Schluss:

was man sich so merkt
das Partyschiff
die reiche Jugend

doch nicht
was nach dem Klick
noch kommt

offene Enden

lass es ein See sein
auf dessen Grund
ein alter Wels
die Zeit wegdreht
Mir gefällt an diesem Gedicht außerordentlich gut: die differenziert verspielte Art, das Phänomen der Möbius-Schleife (dessen Bedeutung mir nicht präsent war) konkret zu inszenieren.
Das ist hier in visuell sehr fassbarer und situativ-emotional stark nachempfindbarer Weise gelungen. Es hinterlässt mich, mit wohligem Staunen einem guten Stück Lyrik auf der Spur zu bleiben.

LG

Elke
 
Alleine schon das Wort "Band" weckt nostalgische Erinnerungen.
Besonders gefallen hat mir [blue]"egal
wo du heut pennst"[/blue], das ist so ein kleiner Blick zur Seite und irgendwie, so habe ich das Gefühl, auch ein kleiner Seitenhieb...um dann wieder zum Geschehen zurück zu kehren.
Man weiß nicht wo oben und unten ist, aber irgendwie scheint alles am richtigen Fleck zu sein - eben wie bei einer Möbiusschleife. Hat mir gut gefallen.

Gruß, A.D.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
ich glaub, ich muss das Rio Reiser Zitat rausnehmen, oder? es geht ja nicht um Rio.
Ich mag diesen Schrei und er passt eigentlich perfekt an die Stelle, aber ich merke an der Reaktion von Andere Dimension und auch durch Elke, dass es hier vielleicht zu viel ist.
mhm.

grübelnd,
lap
 

ENachtigall

Mitglied
Es passt schon, Ralf, und Du hast Recht: eine deutlichere Kennzeichnung würde es nur stärker hervorheben, was nicht im Sinne seines Stellenwertes im Gesamttext wäre.

LG

Elke
 



 
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