Ist in Island alles anders?

„Island ist das friedlichste Land der Welt“, lese ich aus dem Hamburger Abendblatt vom 7. September 2014 vor. „Haben Sie das gewusst? Ich nicht!“
„Nein, das wusste ich ehrlich gesagt nicht“, entgegnet mein Gesprächspartner geduldig, „Könnten wir jetzt noch einmal auf ...“
„Sollen wir jetzt alle nach Island ziehen?“, unterbreche ich ihn und beantworte meine Frage gleich selbst, „Nein, natürlich nicht! Das wäre ja schon aus Platzgründen gar nicht möglich!“ Meine Gedanken schweifen ab, so dass ich die nächsten Worte oder sogar Sätze des Anrufers nicht mitbekomme.
„Was macht dieses Volk anders als andere?“, steige ich wieder in die Unterhaltung ein. „Gibt es dort keine Konflikte? Oder liegt es an der geographischen Lage? Dann könnten wir quasi gar nichts dafür? Liegt uns kämpfen also im Blut?“ Da ich ohne große Atempause auskomme - meine Tochter erklärt mir immer, dass ich problemlos jeden Schnell-Quassel-Wettbewerb gewinnen würde - kann ich auch jetzt meine Überlegungen sofort weitergeben, „Ich rede jetzt nicht von den blutigen Auseinandersetzungen in der Ukraine oder zwischen Israelis und Palästinensern, von Stammeskämpfen in Afrika, oder von Angriffen der Taliban auf die eigene Zivilbevölkerung, sondern von den alltäglichen Reibereien, die inzwischen zur Normalität gehören.
Diese ‚Kriegsschauplätze’ im normalen Leben, wo sich Menschen von ihrer schlechtesten Seite zeigen, und man sich für seine Mitmenschen schämt. „Fremdschämen“ nennt man das heutzutage und die Situationen, in denen mir dieses Wort in den Sinn kommt, häufen sich zunehmend. Finden Sie nicht?“
Auch jetzt keine Chance zur Beantwortung.
„Bereits die Kleinsten neigen zur Gewalt und Sie stimmen mir sicherlich zu, dass sie, also die Kinder, dadurch eine wirksame Methode lernen, sich durchzusetzen, wenn man ihnen keinen Einhalt gebietet.
Am besten beobachtet man den menschlichen Nachwuchs auf einem Spielplatz. Haben Sie Kinder? Na, ist auch nicht so wichtig!
Die Zeiten, in denen ich täglicher Gast auf einem Spielplatz war, sind zwar vorbei, die Erinnerungen daran bleiben. Vor allem einprägsame Szenen, in denen zum Beispiel eines unserer Kinder eine Schaufel über den Kopf gezogen bekam. Von der ausbleibenden Entschuldigung einmal abgesehen, blieb die Mutter des Rabaukens außerordentlich gelassen.
„Kevin, datt tut man doch nit, da geht die Schaufel kaputt“, säuselte sie, in einem Tonfall, den ich anschlage, wenn ich möchte, dass die Kinder ihre Teller nach dem Essen in die Spülmaschine stellen.
Wahrscheinlich muss ich froh sein, dass sie mit ihrem Sprössling überhaupt kommuniziert, denn die Worte, die besagter Kevin sonst von sich gibt, gehören alle in die unterste Schublade der Fäkalausdrücke.
Spätestens als Kevin über einem, vielleicht gerade 15 Monate alten Kleinkind einen Eimer Sand verteilt, würde ich dieses Kind, wäre es denn meines, aus dem Sandkasten verbannen und eine Auszeit verordnen (Das hat bei unseren Kindern übrigens wunderbar gewirkt und musste nur recht selten angewandt werden, da beim nächsten Mal bereits die Androhung auf eine Auszeit half).
Lapidarer Kommentar der Mutter des Täters zu der des Opfers: „Der Kleine sitzt da abba wirklich im Weg!“
Bei so viel Ignoranz fehlen mir oft schlicht die Worte und kopfschüttelnd versuchte ich damals meine Kinder aus der Gefahrenzone zu bringen. Ein schweißtreibendes Unterfangen meinerseits, da unser fünfjähriger Sohn überhaupt nicht einsah, warum er seinen Platz räumen sollte, wo doch der andere sich daneben benahm. Darauf hatte ich auch keine Antwort, jedenfalls keine, die für Kinderohren bestimmt sind.“

Ich hole Luft und es entsteht eine kurze Unterbrechung. Da mein Gesprächspartner seinen Einsatz verpasst, ergreife ich abermals das Wort:
„Eine andere Möglichkeit seinen Wortschatz an Schimpfwörtern zu erweitern oder die dunklen Seiten des menschlichen Miteinanders zu erleben, bietet das Einkaufen von(vermeintlichen) Schnäppchen.
Haben Sie schon einmal versucht, montags oder donnerstags bei Aldi eines der Angebote zu ergattern?“ Eine rein rhetorische Frage, deshalb erwartet bestimmt niemand, dass ich ihn zu Wort kommen lasse. „Großkampftag, sage ich Ihnen, vor allem, wenn Inliner, Kinderskianzüge oder sonstige Kinderklamotten im Prospekt stehen. Da wird gedrängelt, geschubst, beschimpft, ja sogar die Ware aus dem Einkaufswagen gemopst, den man für einen Augenblick unbeaufsichtigt in einem Nachbargang parkt, damit er nicht im Weg steht. Frechheit, oder?
Verschwitzt, aber stolz, es geschafft zu haben, gehe ich an solch einem Tag schließlich zum Parkplatz, nachdem ich selbstverständlich an derjenigen Kasse anstand, wo es am längsten dauerte, weil etliche Leute Artikel zurückgeben mussten und eine Rentnerin anscheinend ihr Sparschwein geplündert hat, um acht Euro und neunzehn Cent ausschließlich mit zwei, fünf, zehn und zwanzig Cent-Münzen zu bezahlen.
Als ich meine Beute daheim auspacke, muss ich leider feststellen, im Eifer des Gefechts, nur auf die Farbe, nicht auf die Größe der Kinderkleidung geachtet zu haben! Pech, alles umsonst, denke ich frustriert und nehme mir wieder einmal vor, nie wieder montags oder donnerstags bei Aldi einzukaufen (obwohl von vorne herein klar ist, dass ich es nicht werde einhalten können).“ Ich halte kurz inne. „Macht es Ihnen auch bestimmt nichts aus, mir zuzuhören? Dann ist es ja gut! Zurück zu meinen Überlegungen!
Ein weiterer beliebter ‚Kriegsschauplatz’ in deutschen Landen ist der Straßenverkehr. Während mir mein fahrbarer Untersatz lediglich als Transportmittel dient, um vor allem Chauffeurdienste zu leisten und unsere Kinder von A nach B zu kutschieren, so ist das Auto für viele das Statussymbol schlechthin. Dementsprechend wird es eingesetzt, oft ohne Rücksicht auf Verluste, sprich auf langsamere Verkehrsteilnehmer. Ich hoffe ja, Sie gehören nicht zu diesen Kamikazefahrern? Um die Zeitersparnis kann es nicht gehen, denn die ist marginal und spätestens an der nächsten roten Ampel steht der Raser wieder neben einem, mit dem Fuß auf dem Gaspedal, um auf alle Fälle als erster die imaginäre Startlinie zu überfahren. Oder, warum muss man jemanden in riskanter Fahrweise überholen, wenn man bei der nächsten Möglichkeit rechts abbiegen möchte? Ich kann das nicht nachvollziehen! Sie vielleicht? Fehler passieren - ohne Frage - das ist menschlich. In so einem Fall bin ich dankbar, wenn ein anderer an meiner Stelle aufgepasst, aber ich provoziere andere Verkehrsteilnehmer nicht - auch wenn so mancher das Einhalten von Geschwindigkeitsbegrenzungen durchaus bereits als Provokation sieht und so dicht auffährt, dass man meint, demnächst touchiert zu werden. Wussten Sie übrigens, dass es in Island kaum Verkehrstote gibt? Kunststück, argumentieren Sie jetzt wahrscheinlich sofort, dort wohnen wesentlich weniger Menschen, demzufolge auch weniger Fahrzeuge. Stimmt, aber die Anzahl der Verkehrstoten bezieht sich in den meisten Statistiken immer auf 100.000 Einwohner eines Landes und Island ist bei den Schlusslichtern zu finden.“
Ein erneutes Luftholen meinerseits, bietet dem Anrufer die Chance, die diesmal auch genutzt wird. Ansatzweise zumindest! „Um auf den Grund meines Anrufes zurückzukommen ...“, startet er einen erneuten Versuch, doch nunmehr schwingt ein leicht quengeliger Unterton mit.
„Einen Moment noch! Ja?“, falle ich ihm erneut ins Wort und teile ihm weiterhin meine Gedankengänge mit. Da er mich abermals nicht unterbricht, gehe ich davon aus, dass das seine Zustimmung findet. „Das Prinzip, Dinge haben zu wollen, aus dem simplen Grund, weil sie der Nachbar auch hat, ist nebenbei bemerkt, kein rein menschlicher Wesenszug. Stellen Sie sich vor, Ameisen, Bienen und Hornissen zum Beispiel überfallen andere Völker, um an deren Vorräte und Land zu kommen. Auch manche Affenarten, etwa die Schimpansen, sind im Stande, mit anderen zu streiten, sich zu bekriegen.
Betrachtet man sich das Wort „Krieg“ einmal genauer, ich habe dafür einen Blick in den Duden geworfen, so stammt der Begriff aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutete ursprünglich „Hartnäckigkeit“, „Anstrengung“, „Streit“. „Kriegen“, also Krieg führen, das dazu gehörige Verb, heißt dagegen „bekommen“, „erhalten“.
Dazu ein kleiner Mehrzeiler, der mir gerade unter die Finger gekommen ist! Haben Sie die Zeit noch? Sehr schön!

Es lebte ein König - es ist nicht lang her, er regierte ein kleines Land.
Doch irgendwann, da wollte er mehr,
und besetzte ein weiteres Land.
Andere Länder, sie fürchteten sehr,
denn vielleicht - wer weiß -
wollte der König noch mehr?
Mächtige Herrscher aus fernen Ländern
schickten ihre Armeen in diesen Teil der Welt,
dabei ging es ihnen nicht um das Land,
sondern wie immer, ging’s nur um’s Geld.
Und so stand bereit bald ein riesiges Heer.
Aussicht auf Frieden, die gab es nicht mehr.
Es kam zum Krieg, das Land färbte sich rot,
tausende von Menschen waren tot -
jedoch der König, er lebte noch.
Er hatte kein Volk mehr, er hatte kein Land,
er hatte nichts mehr in der Hand.
Da zog er weiter, in ein neues Land
und suchte ein anderes Volk,
das hat ihn dann zum König ernannt,
und er regiert wieder ein kleines Land.

Nichts Besonderes, in keiner Weise! Den Pulitzer-Preis würde es garantiert nicht gewinnen, aber ein Körnchen Wahrheit steckt doch darin.
Wie in dem Gedicht steht also zu befürchten, dass sich an der Mentalität Streit zu suchen, in Zukunft auch nichts ändern wird.
Bleibt nur zu hoffen, dass die Zahl der vernünftigen Politiker immer höher sein wird, als die der Radikalisten und dass es genügend Menschen gibt, die sich gegen Ungerechtigkeiten wehren - friedlich, versteht sich - und, wo das unmöglich ist, im Stillen helfen, einfach so, aus Menschlichkeit und ohne Hintergedanken; denn so kann jeder Einzelne seine „Kampfzone“ peu á peu verkleinern. Und“, ich klemme mir den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter und sortiere die alten Zeitungen aus, die ich gleich danach in die Papiertonne werfen werde, bevor ich unserer Jüngste vom Kindergeburtstag hole. Schließlich kann ich nicht stundenlang nur telefonieren, dann werde ich mit meiner Arbeit ja überhaupt nicht mehr fertig, „die Erfahrung zeigt, dass satte und zufriedene Menschen weniger aggressionsbereit sind. Wenn die Mehrheit einsieht, dass teilen auf Dauer Vorteile bringt - eben keinen Streit, oder Krieg - könnten alle davon profitieren. Ständig höhere Löhne zu fordern, aber gleichzeitig Billigware konsumieren, die von Kindern oder unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt wurde, ist verlogen und unfair.
Und wer weiß, vielleicht erreichen wir ja dann irgendwann „isländische Zustände“? Die Isländer gelten als ein sehr freundliches Volk, wussten Sie das? Der Bildungsstand ist hoch und die Kriminalitätsrate niedrig; somit durchaus als Vorbild zu empfehlen.
Ich sehe da gerade einen Zeitungsartikel. Am 21. September ist - so wurde es 2001 in der UN-Resolution festgelegt- Weltfriedenstag. Die katholische Kirche hat seit 1968 dafür den Neujahrstag auserkoren. In Deutschland wählte man dafür den 01. September und das schon seit 1966, gefeiert wird er dieses Jahr allerdings erst am 17. November. Warum weiß ich auch nicht! Aber egal welches Datum - der Weltfriedenstag findet leider wenig Beachtung, ja, ich wage zu behaupten, dass viele Menschen überhaupt nichts von der Existenz dieses Tages wissen, geschweige denn, das genaue Datum kennen. Ich wusste es zum Beispiel nicht, obwohl ich mir dieses Datum ganz einfach merken könnte, da an diesem Tag meine Mutter Geburtstag hat, außerdem fängt um dieses Datum herum immer das Oktoberfest in München an.
Ob die Isländer diesen Tag feiern, konnte ich leider nicht herausfinden.
Übrigens gibt es auf Island keinen Aldi! Vielleicht sind die Bewohner dort deshalb gelassener, als wir Deutschen? Oder sollten wir sie bedauern? Oder ist in Island einfach alles anders?“ Ich lege abermals eine Atempause ein.
„Um nochmals kurz auf den Grund meines Anrufes zurückzukommen“, wiederholt die Stimme ihr Anliegen, „wir führen eine Umfrage durch, im Auftrag von ...“
„Entschuldigen Sie bitte Herr ..., Ihren Namen habe ich vorhin nicht richtig verstanden, aber ich habe jetzt leider überhaupt keine Zeit, um irgendwelche Fragen zu beantworten. Und Sie hatten jetzt ja wohl lange genug Zeit! Mein Vater sagt immer, wenn dir jemand in sechzig Sekunden nicht erklären kann, was er will, leg’ auf, denn dann ist es lediglich überflüssiges Geplapper. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören!“
 

molly

Mitglied
Hallo Christa,

falls er mal wieder anruft, musst Du ihm unbedingt noch erzählen, dass in Island sehr gute Krimiautoren leben. Vielleicht sind sie deshalb nicht so kriegerisch.
Sehr gern gelesen :)

Gruß molly
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Das ist kein journalistischer Text (auch Kolumnen sollen in diesem Forum nicht-erzählend sein; zudem ist es etwas lang als Kolumne (Spalte), dafür braucht man fast eine Seite ;) ).
 

molly

Mitglied
Nein, bitte nicht löschen. Ich fände, die Geschichte passt zu Humor und Satire. Frage doch Jon.
Gruß
molly
 

John Wein

Mitglied
Also ich tue mich ein bisschen schwer, hier außer vielleicht dem ersten Satz, etwas Humoristisches abzugewinnen. Möglicherweise ist es eine Satire, das kann man allerdings nicht auf den ersten Blick sondern nur beim Tiefschürfen erkennen.
Eigentlich solltest du das Leben etwas leichter nehmen und gelassener gegenüber deinen Mitmenschen sein; ist schwierig und braucht oft Mut. Es gelingt mir auch nicht immer. Hau mit der Faust auf den Tisch und dann ist gut!
;-))
 



 
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