Jennifer

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D

Dominik Klama

Gast
Weil ich es zunehmend weniger mag, wenn in der LL die ausführlichsten und kontroversesten Diskussionen unter einem Werk als "freie Textassoziation" der Mitglieder in einer Tour fort, über zehn, zwölf Reagierende geführt werden, sodass ein Leser, der nicht LL-Mitglied ist, überhaupt nicht ahnt, dass so eine Diskussion irgendwann stattgefunden hat, weil ihm die Antworten alle nicht angezeigt werden, poste ich das hier als "tiefere Analyse".

Da hast zum Glück den letzten Satz gestrichen. Bei der zweiten Antwort fragte ich mich, wo ist denn hier von Hundebabys und einem Wald die Rede gewesen und las das erst noch mal, bevor mir auffiel, dass es eine Vorversion gegeben hatte, in welcher sich diese dann auch fanden.

Es wird immer Leser geben, die wollen, dass der Autor eine Botschaft hat und diese ihnen unmissverständlich mitteilt. Es wird immer Leser geben, die es nicht gewohnt sind, dass Autoren auch über das, was sie nicht hinschreiben, arbeiten, nicht nur über das, was sie hinschreiben. Denen man also hinschreiben müsste, das und das wurde hier weggelassen, lieber Leser. Man kann dann viel diskutieren, aber es liegt in der Natur der Sache, dass so eine Diskussion nie zu einem harmonischen Ende kommen wird.

Es ist zwar durchaus richtig, dass es viele Autos mit getönten Scheiben gibt und dass der Besitz so eines Autos nichts offenbart über die Gefährlichkeit des Fahrzeughalters, aber wir sind uns wohl im Klaren, dass dies keine 5 Minuten aus dem echten Leben waren, sondern ein Text, ein arrangiertes Sprachgebilde. Bei so etwas können wir Autoren fest damit rechnen, dass die Leser sich fragen, warum hat er das gemacht, was bedeutet das für ihn, was hat er mit dem Schreiben gewollt. Wir können also ziemlich wirre Texte und sehr offene, undefinierte Plots hinschreiben und darauf zählen, dass der Leser danach suchen wird, Fingerzeige finden will, die ihm diese Fragen beantworten. Da hier in dem Text aber nur das Mädchen spricht und dessen momentane Lage und ihr Zustandekommen so gut wie nicht, der Zuhörer gar nicht beschrieben werden, wird der Leser gezwungen, sich darüber seine eigenen Gedanken zu machen. Und dann kann er am Ende, nach einem gewissen Moment der Ratlosigkeit, nicht umhin, das "dunkle Scheiben" zu bemerken und sich zu fragen, warum das im Text ist. Es steht nicht im Text, dass dieses Auto blau war. Warum steht nicht drin, dass es blau war, aber drin, dass es dunkle Scheiben hatte.

Wer für so was kein Gespür hat, hat nicht das beste Gespür für Literatur für Erwachsene und sollte es erst einmal mit Kindergeschichten probieren.

Dennoch, obwohl es bisher vielleicht den Anschein hatte, bin ich nicht so angetan von dem Text, wie viele andere hier es schon waren.

(Dazwischen kurz noch: Ich hatte erst etwas Mühe mit dem "Kennst du die Jennifer?". Das erschien mir wie eine Zwischenfrage des unbekannten Fahrers. Es ist aber wichtig, dass der Leser irgendwann versteht, dass in dem Text nichts anderes als wörtliche Äußerungen des Mädchens vorkommen, dass dies sein Prinzip ist. Und da erhebt sich dann die kritische Frage: Warum eigentlich? Warum ist das Gesetz für diesen Text, dass wir nur das Mädchen sprechen hören dürfen? Denn klar ist ja, dass der Angesprochene irgendwie reagiert, selten vielleicht, aber irgendwann schon, sonst würde das Kind nicht so vertrauensselig weitererzählen, es würde Angst bekommen und diese wäre an seinen Äußerungen erkennbar. Der Grund, warum der Zuhörende kein Wort sagt, ist, dass der Leser sich umso mehr Gedanken über dessen Person und Rolle machen soll. Wie bei den Scheiben: Es muss wohl irgendwas bedeuten, dass sie dunkel sind. Beim stummen Fahrer: Es muss doch irgendwas damit auf sich haben, dass der Autor kein Wort über diesen Menschen verrät.]

Meine unterschobenen Antworten zu den weiter oben von einem Leser gestellten Fragen:

1. Warum wurde das aufgeschrieben?
Um das Publikum zu beeindrucken, etwa so: "Heia, anfangs schien es so harmlos, dann wurde es ein Krimi, eine Tragödie. Ich bin erschüttert. Es ist unglaublich, mit wie wenigen und schlichten Sätzen er geschafft hat, so eine Sache auf dezente Weise zu erzählen, für die andere Leute ganze Romane brauchen."

2. Welche Art Leser soll damit erreicht werden?
Vor allem natürlich die Klassenkameraden, die Kollegen, die seit längerer Zeit im selben Forum sitzen und sich untereinander inzwischen etwas kennen. Die soll der Neid packen: "Eine ganz kurze Geschichte so hinterrücks mit so unverfänglichen Sätzen zu erzählen, das hätte ich, wenn ich ehrlich bin, nicht hingekriegt. Er ist wirklich gut."

3. Welchen Grund gab es, diesen Text zu veröffentlichen?
Artistik und Virtuosentum vorzeigen, bewundert werden, am meisten von denen, die auch so was probieren.

4. Welchen Wert hat er für den Autor/in?
Einen großen. Er zeigt dem Autor dass er sehr clever ist und kleine, erschütternde Text-Uhrwerke herstellen kann.


Mit anderen Worten, zusammengefasst, was ich am Text nicht mag, ist seine Selbstbezüglichkeit. Themen, Figuren, Situationen, Handlungen, die dem Autor so gut wie egal sind, die aber aufmerksamkeitsstark sind und mit deren effizienter Aufbereitung man Punkte als "Künstler" sammelt. Leeres Virtuosentum.

Bei Kurzprosa treibt sich so was natürlich andauernd herum. Aber nicht nur dort.
 
moin dominik!

ich mach es auch mal "konstruktiv", damit es wie eine unterhaltung aussieht ;)

1)
Um das Publikum zu beeindrucken
natürlich möchte man einen eindruck hinterlassen!

2)
Vor allem natürlich die Klassenkameraden, die Kollegen
nein - da ich vorher nie weiß, welche wirkung welche geschichte auf welchen leser hat, gestalte ich die texte so, dass sie für mich etwas aussagen. ein anderes kriterium habe ich da kaum ...

3)
Artistik und Virtuosentum vorzeigen, bewundert werden
wenn es denn so ist, nehme ich das natürlich gern hin. allerdings bin ich mir meiner schreibe nicht so sicher, dass ich das grundsätzlich erwarten würde. (ist so, auch wenn's vielleicht wie koketterie daherkommt.)

4)
durch die rege diskussion um den text ist er in der tat inzwischen auch in meinen augen im wert gestiegen.
Er zeigt dem Autor dass er sehr clever ist und kleine, erschütternde Text-Uhrwerke herstellen kann.
wäre ja nicht die schlechteste erkenntnis.

Themen, Figuren, Situationen, Handlungen, die dem Autor so gut wie egal sind, die aber aufmerksamkeitsstark sind und mit deren effizienter Aufbereitung man Punkte als "Künstler" sammelt. Leeres Virtuosentum.
es fließt eben nicht alles direkt aus dem herzen aufs papier. andernfalls wäre es auch eher tagebuch.
natürlich zupft man an den motiven und personen herum, bis sie in einem bild erscheinen, das für einen selbst akzeptabel ist. natürlich ist das konstruktion mit dem ziel, wirkung zu erzielen. etwa: wenn's mir was zu denken gibt, tut's das vielleicht auch für andere ...

stellt sich nur noch die frage, ab wann etwas nicht mehr leer ist.

danke auf jeden fall fürs lesen und kommentieren!

lg
 



 
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