Kapitel 2 von "Das Land Hinter dem Horizont"

Pennywise

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KAPITEL 2

WENGOR

Wengors Höhle war wesentlich größer als ich es vermutet hätte. Von Yavas Erzählungen wußte ich doch, daß Zwerge nur so an die 90 Zentimeter groß waren. Der Raum in dem wir uns nun befanden, war aber bestimmt zweieinhalb Meter hoch, so daß sogar ich mich mehr als frei bewegen konnte.
Die einzige Beleuchtung waren ein kleines Feuer, gleich rechts vom Eingang, über dem ein Topf mit einer undefinierbaren Flüssigkeit dampfte und ein paar verstreut aufgestellte Kerzen. Sie spendeten ein gemütliches Licht, welches dazu einlud sich hinzusetzen und in aller Ruhe eine Pfeife zu rauchen und über den vergangenen Tag nachzudenken. Staunend bemerkte ich all die vielen Bücher und Schriftrollen, die überall verstreut herumlagen.
Sogar in dem grob gezimmerten Bett, welches links vom Eingang stand, stapelten sich verschnörkelte Bücher und geheimnisvolle Schriftrollen.
In der Mitte des Raumes, in Anbetracht seiner Größe war es mir unmöglich von einer Höhle zu sprechen, nahm ein gewaltiger Eichenholztisch den meisten Platz ein. Auf ihm türmten sich geheimnisvolle Flaschen, mit noch geheimnisvollerem Inhalt, gefolgt von mehreren großen Gläsern mit toten Tieren, welche in einer trüben Flüssigkeit schwammen. Weiters waren dort vier oder fünf Häufchen Pulver in den verschiedensten Farben und viele getrocknete Kräuter und Blüten. Umrahmt wurde dieses Durcheinander von fremdartigen Apparaturen, deren Sinn für den Betrachter unergründlich schien. Außerdem natürlich wieder Bücher, Bücher und nochmals Bücher.
In der linken hinteren Ecke stand ein Schrank, der angesichts seiner überwältigenden Größe eher in die Wohnung eines Riesen gehört hätte. Er war aus einem mir unbekannten Holz gefertigt und schien überhaupt nicht hierher zu passen.
Waren die anderen Gegenstände, wie etwa der Tisch und die darum herumstehenden Stühle, sowie das Bett eher grob zusammengezimmert, so schien der Schrank eher in langjähriger Arbeit geschnitzt worden zu sein. Feine Ornamente und Verzierungen umrahmten jede der beiden mächtigen Türen und setzten sich in einer sehr feinen Malerei fort, die wiederum Ornamente und Schriftzeichen darstellte. Alles in allem stellte er sich eher als Kunstwerk, denn als Gebrauchsgegenstand dar. Nur das dicke und schwere Schloß davor paßte wieder zur Einrichtung.
Den Abschluß schließlich bildete in der rechten Ecke ein kleines Laboratorium, wo wieder viele Gläser, Flaschen und Apparaturen standen, die von den schon obligatorischen Schriftrollen überlagert waren. An der Wand hing eine große Schiefertafel, auf der merkwürdige Formeln und wirr anmutende Zeichnungen zu sehen waren.
Von Wengor selbst war nichts zu sehen.
Mit vor Staunen offenem Mund stand ich da und betrachtete all das fremdartige und ein wenig unheimlich anmutende Zeugs. Als ich einen Blick auf meine Freunde warf, konnte ich erkennen, daß es ihnen nicht viel anders zu ergehen schien. Auch sie waren beeindruckt.
„Was ist das alles?“ fragte ich leise.
Doch noch bevor Yava oder Cilia meine Frage beantworten konnten, falls sie sie überhaupt hätten beantworten können, sprach eine alte, aber dennoch elanvolle Stimme zu mir.
„Alles was du hier siehst, ist mein Lebenswerk!“
Erschrocken drehte ich mich um und sah auf einen gebeugten alten Mann mit krummen Beinen und einem viel zu großen Kopf.
Wengor!
Er war ungefähr 80 Zentimeter groß, mit einer solch großen Knollennase mitten in dem zerfurchten Gesicht, wie ich sie noch nie in meinem Leben zuvor gesehen hatte. Sein Kopf wurde umrahmt von einem Wirrwarr aus grauen Haaren, bei denen man nicht mehr erkennen konnte, wo sie aufhörten und der, ebenfalls aschgraue, Bart anfing, der ihm fast bis zum Boden reichte und einen großen Teil seines doch erheblichen Bauches bedeckte.
Seine riesigen Füße, die eher zu einer Person meiner Größe gepaßt hätten, rundeten das Bild eines ziemlich lächerlich wirkenden Geschöpfes ab. Wären da nicht seine Augen gewesen. Ein Blick in seine schwarzen Augen, die von riesigen weißen Brauen umgeben waren, ließen ihn alles andere als lächerlich wirken. Man konnte dort all seine Weisheit und sein Wissen sehen und das allein reichte aus um Ehrfurcht vor diesem Zwerg zu haben. Und noch etwas strahlten sie aus: Güte. Nie in meinem ganzen Leben hatte ich sofort so großes Vertrauen zu jemandem gehabt, wie jetzt zu Wengor.
Meine anfängliche Enttäuschung über den kleinen Mann, wich einer gewissen Art von Begeisterung.
Xyleanthecus riß mich aus meinem Staunen.
„Darf ich vorstellen, Wengor der Zwerg.“
Wengor musterte unsere kleine Gruppe ganz genau. Seine Augen wanderten von Yava über Cilia bis zu mir. Und es schien fast so, als ob er uns alle gleichzeitig, ja den ganzen Raum mit einemmal überblicken konnte. Hätte mir jemand gesagt er könne auch nach hinten sehen, so hätte ich das sofort geglaubt.
Langsam kam er auf uns zu und blieb direkt vor mir stehen.
„Setz dich! Es ist unhöflich, wenn ich die ganze Zeit zu dir aufschauen muß, oder hast du noch nicht bemerkt, daß ich ein wenig kleiner bin als du?“
Ich gehorchte aufs Wort und lies mich auf einen der Stühle nieder, die um den Tisch standen.
„So ist es besser! Viel besser!“
Kein Wort durchbrach die Stille, die nun eingetreten war. Yava und Cilia standen stumm da und ich traute mich auch nicht etwas zu sagen, während Xyleanthecus am Eingang stand und uns interessiert beobachtete.
Wie hatten wir uns noch vor wenigen Minuten gefreut, als er vor uns auftauchte um uns zu sagen, daß wir Wengor besuchen dürften. Man konnte richtig sehen, wie Yava sich auf einmal entspannte und ihm eine Zentnerlast von den Schultern viel.
„Wo ist denn nun der Eingang?“ wollte ich wissen.
Xyleanthecus bedeutet uns ihm zu folgen. Er ging auf die Felswand zu, die sich direkt vor uns befand, und murmelte einige unverständliche Worte. Und siehe da, der Fels schien sich irgendwie zu verändern! Es war als ob jemand direkt darunter ein Feuer entfacht hätte, denn die Luft flimmerte auf einmal. Und der Fels selber schien zu schmelzen, regelrecht davonzufliessen! Ich traute meinen Augen nicht, aber plötzlich klaffte vor uns eine Öffnung von etwa einem mal eineinhalb Metern! Staunend traten wir ein und befanden uns in einer Art Vorraum zur eigentlichen Höhle. Als ich mich umdrehte, konnte ich immer noch in den, mittlerweile fast ganz dunklen Wald hinaussehen.
„Macht er den Eingang nicht wieder zu?“ fragte ich .
„Das ist bereits geschehen! Illusionszauber!“ klärte Xyleanthecus mich auf.
Ich wurde immer aufgeregter, gleich würden wir dem großen Zauberer Wengor gegenüberstehen, von dem sich Yava eine solch große Hilfe versprach.
Und nun standen, bzw. saßen wir hier herum und keiner brachte ein Wort heraus.
Wengor schaute mich an, blieb aber stumm. Es kam mir so vor, als ob er auf etwas warten würde. Aber ich fühlte mich nicht berufen den Anfang zu machen. Yava war hier der Anführer und ihm gebührte es auch unser Anliegen vorzutragen.
Wengor jedoch schien das anders zu sehen, denn er würdigte Yava keines Blickes.
Immer noch starrten seine Augen mich an und mir wurde langsam unheimlich zumute. Ich begann unter meiner Kutte zu schwitzen und die vielen Kerzen und das offene Feuer taten ihr übriges dazu bei. Unruhig rutschte ich auf dem Stuhl umher und wartete darauf, daß Yava das Schweigen brechen würde.
Was mich aber am meisten wunderte war, daß Cilia solange ruhig blieb. Sonst war sie doch auch nicht auf den Mund gefallen und quasselte immer gleich drauflos, aber selbst sie schien in einer Art Ehrfurcht erstarrt zu sein.
Wengor seufzte und brachte mich dadurch fast dazu von meinem Stuhl zu fallen, so angespannt und nervös war ich.
Wenn doch nur endlich etwas passieren würde! Die Spannung im Raum wurde fast unerträglich, aber immer noch traute ich mich nicht den Anfang zu machen. Was war denn bloß mit Yava los, er mußte doch merken, daß endlich jemand etwas sagen mußte!
Als ob er meine Gedanken gehört hätte, stand er auf und brach das Schweigen.
„Großer Wengor, wir sind zu dir...“
Mit einer abfälligen Handbewegung brachte Wengor ihn zum Schweigen, während seine Augen mich weiterhin fixierten.
Das war eine eindeutige Aufforderung an mich zu reden.
Bei dem Gedanken daran war mir gar nicht wohl und innerlich bat ich Yava um Verzeihung. Ich holte tief Luft und bemühte mich meiner Stimme einen festen Klang zu geben.
„Großer Wengor, ich... äh,.. nein wir...“ das mit dem festen Klang ging vollends in die Hose. Ich hörte mich an wie ein ängstlicher Vogel, der einer Katze in die Augen sieht.
„Also wir sind gekommen ....“ Warum waren wir noch hier? Warum mußte ausgerechnet ich die Rolle des großen Redners spielen, ich hatte mich so darauf verlassen, daß Yava das übernehmen würde, daß ich jetzt nichteinmal die richtigen Worte fand. Leben, was kannst du grausam sein!
Hilfesuchend sah ich mich nach meinen Freunden um, konnte aber von hier keine Hilfe erwarten.
„Vielleicht wäre es besser, wenn du mit Yava reden würdest“ brachte ich schließlich hervor.
Wengor zog eine Augenbraue hoch und beäugte mich noch eindringlicher.
Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich sehen, daß Yava ziemlich wütend dreinblickte und auch Cilia schien von meinem Ausspruch nicht gerade begeistert zu sein.
Die Temperatur im Raum schien plötzlich um zehn oder zwanzig Grad gestiegen zu sein, denn mir rann der Schweiß in Sturzbächen von der Stirn. Ich merkte, wie ein Tropfen sich langsam Richtung Auge schlich, wagte aber nicht meine Hand zu heben um ihn fortzuwischen. Ich mußte mich jetzt zusammenreißen, um nicht alles zu gefährden.
Wengor würde nicht ewig dort sitzen und warten. Und offensichtlich wollte er nur mit mir reden, also faßte ich meinen ganzen Mut zusammen und fing noch einmal an.
Meine Stimme zitterte zwar noch ein wenig, aber sie klang fester und bestimmter als vorhin und das gab mir den Mut weiterzureden.
„Großer Wengor, wir sind zu dir gekommen weil wir dich um Zauberwaffen bitten möchten, die wir für eine sehr gefährliche und nicht weniger wichtige Sache benötigen.“
Ich weiß nicht warum, aber ich fügte dem nochetwas hinzu.
„Und wir alle sind in unseren Herzen rein!“
Ich hörte Cilia kichern und als ich mich umschaute, konnte ich auch auf Yavas und Xyleanthecus Gesichtern ein Lächeln sehen. Als ich mich wieder Wengor zuwandte, konnte ich sehen, daß er mich noch immer fragend ansah.
„Ich darf dir nicht sagen wofür genau wir die Waffen brauchen, denn wir dürfen kein Risiko eingehen, was aber nicht heißen soll, daß du unser..., ich meine...“
Jetzt hatte ich mich gründlich verhaspelt. Wie sollte ich ihm erklären, daß wir ihm nicht mißtrauten, er aber auch nicht wissen sollte, was wir vorhaben.
„Bevor du deine Zunge verschluckst, tu es doch einfach!“
„Was?!“
Wieder schaute er mich nur mit seinen durchdringenden Augen an.
„Bitte ihn um die Waffen!!!“ Cilias Aufregung war ihrer Stimme deutlich anzumerken.
„Los doch!!!“
Um die Waffen bitten, natürlich. Aber würde er eine einfache Bitte akzeptieren? Wenn es wirklich stimmte, daß er nur sehr wenigen solch eine Waffe gegeben hat, dann war es bestimmt mit einer einfachen Bitte nicht getan. Auf einmal war ich mir sehr sicher, daß Wengor mich irgendwie prüfen wollte. Sofort wurde mein Verstand hellwach. Natürlich, alles was bisher geschehen war ist eine Prüfung gewesen, und den Anfang habe ich bestimmt nicht gerade gut bestanden.
Nun da ich mir sicher war, daß Wengor mich nicht fressen, sondern nur prüfen wollte, wurde ich viel ruhiger.
Ich durfte also keinen Fehler mehr machen, sonst war vielleicht alles gefährdet!
„Nun mach doch schon!!“ Cilia wurde immer unruhiger und schwebte aufgeregt hin und her.
Langsam richtete ich mich auf und wischte mir(endlich!) den Schweiß von der Stirn. Geradewegs sah ich Wengor in die Augen.
„Was muß ich tun um die Voraussetzungen zu erfüllen, daß du mir meine Bitte gewährst?“
Wengors Gesicht erhellte sich ein wenig, nicht viel, aber man konnte es merken.
„Um was willst du bitten?“
„Um Schutz und Kraft!“
„Für wen bittest du?“
„Für meine Freunde und mich!“
„Für welchen Zweck bittest du ?“
„Unrecht wieder Gut zu machen und Frieden wiederherzustellen und zu erhalten!“
Yava, Cilia und Xyleanthecus verfolgten gebannt unsere Unterhaltung, Keiner von ihnen wagte es auch nur laut zu atmen. Ich allerdings bemerkte sie nicht einmal.
„So erhebe dich und schließe deine Augen!“
Ich tat wie mir geheißen war und stand mit schlotternden Knien und wild rasendem Herzen mit geschlossenen Augen vor Wengor dem Zwerg und war gespannt was nun folgen sollte.
Zunächst passierte gar nichts, außer dem rascheln von leisen Schritten. Und nach nur wenigen Sekunden hörte ich Wengors Stimme erneut.
„Du kannst deine Augen jetzt wieder öffnen!“
Als ich das tat, sah ich, daß wir mittlerweile alleine im Raum waren. Die Schritte vorhin mußten die meiner Freunde gewesen sein, die hinausgegangen sind. Aber noch mehr hatte sich verändert. Sämtliche Kerzen und sogar die Feuerstelle waren erloschen. Statt des großen Eichentisches stand nun ein viel kleinerer zwischen Wengors und meinem Stuhl, auf den er mich jetzt bat Platz zu nehmen. Auf dem Tischchen stand eine dicke Kerze, die nun die einzige Lichtquelle im Raum war. Es war mir schleierhaft, wie das alles in so kurzer Zeit geschehen sein konnte!
Mir war richtig mulmig zumute, immerhin befand ich mich mit einem Zwerg, dem man große Zauberkräfte nachsagte alleine in einer Höhle, die nur von einer kleinen Kerze erhellt wurde. Wenn das keine magische Stimmung war, dann wußte ich nicht was sonst eine sein sollte.
Wengor forderte mich erneut auf Platz zu nehmen und kurze Zeit später saßen wir uns an dem kleinen Tisch gegenüber, zwischen uns die Kerze und in mir ein großes Unbehagen. Was würde mich erwarten? Sicherlich irgendeine Art von Prüfung, sagte ich mir. Bloß was wollte er prüfen?! Ob ich dazu befähigt war Zauberwaffen zu tragen oder zu benutzen? Wie sollte ich dazu befähigt sein, wenn ich vor nicht einmal einer Woche noch nicht einmal von deren Existenz etwas geahnt hatte.
Fragend blickte ich in Wengors Gesicht, das im Schimmer des Kerzenscheins noch geheimnisvoller aussah.
Ohne Zweifel strahlte er eine gewisse Ruhe und Besonnenheit aus, und meine Nervosität wich langsam. Wovor sollte ich auch Angst haben, mehr als versagen konnte ich nicht und in dem Fall waren ja noch Yava und Cilia da. Vielleicht konnten sie dann noch etwas retten. So beschloß ich zu warten, bis Wengor das Wort ergreifen würde. Schließlich hatte er diese Situation herbeigeführt.
Zunächsteinmal saß er aber nur da und schaute mich an, während die Kerze langsam herunterbrannte. Ich wußte mittlerweile nicht einmal mehr wie lange wir hier schon saßen. Es könnten ein paar Minuten, aber auch Stunden sein.
Aber wenn es Stunden wären, dann wäre die Kerze schon viel weiter abgebrannt! Also doch erst kurze Zeit.
Langsam wuchs meine Unruhe wieder. Wenn es doch bloß bald losgehen würde, wenn sich doch nur etwas täte.
Ich bemühte mich mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen, aber lange würde ich das nicht mehr durchhalten.
„Wie lautet dein Name, Menschlein?“ brach Wengor endlich das Schweigen. Die Prüfung hatte begonnen!
„Ich heiße Gordon“
„Woher stammst du?“
„Ich lebte auf einem Hof nahe dem Schloß Darlington, aber wo ich geboren bin weiß ich nicht!“
„Lebtest?“
„Ja! Ich kann nicht mehr dorthin zurück! Yava und Cilia haben mich um Hilfe gebeten und so bin ich mit ihnen losgezogen. Cilia hat mich ‚sehend‘ gemacht. Und du weißt bestimmt was das für mich bedeutet!“
Wengor schüttelte langsam den Kopf. Er schien etwas zu mißbilligen, aber ich konnte mir nicht erklären was es war.
„Du wirst für lange Zeit aus dem Reich der Menschen verbannt sein! Hat dir das niemand erklärt?“
Das war es also! Er dachte wohl, daß Yava mich für seine Zwecke benutzt hatte, ohne mich gründlich aufzuklären.
Aber das konnte ich nicht auf meinem treuen Freund sitzen lassen!
„Doch doch, Yava hat es mir genau erklärt! Die Menschen werden mich eine Weile meiden und könnten mir soga..“
„Eine W e i l e ! Das dürfte nicht ganz ausreichen um den Zeitraum zu beschreiben! Für ein Zauberwesen ist es vielleicht eine Weile, denn manche von uns werden viele hundert Jahre alt. Eine Weile. Du wirst erst im Greisenalter wieder unter deinesgleichen wandeln können, ohne Gefahr zu laufen gemeuchelt oder verfolgt zu werden! So sieht es aus!!“
Wengor war anscheinend sehr erregt.
„Nun gut, daran können wir im Moment nichts ändern, laß uns weitermachen! Sage mir nun, zu welchem Zweck ihr meine Hilfe benötigt!“
Das war die Frage, vor der ich mich am meisten gefürchtet hatte! Was sollte ich darauf antworten?!
Yava hatte mir immer wieder eingeschärft, daß wir niemandem über unser Vorhaben informieren sollen. Nicht umsonst legte er so großen Wert auf Geheimhaltung. Niemandem sollten wir vertrauen, denn jeder könnte zu Kartoqhs Dienern gehören! Andererseits aber weiß Wengor eh schon viel über uns. Und wenn wir zu ihm gekommen sind um seine Hilfe zu erbeten, dann konnten wir also nicht davon ausgehen, daß er unser Feind ist. Dann würde er uns sowieso nicht helfen und wir würden ohne seine Waffen kaum eine Chance gegen Kartoqh haben.
Somit sah ich es als ziemlich gefahrlos an ihm zu sagen, wofür wir die Waffen brauchen. Außerdem konnte und wollte ich nicht glauben, daß er zu Kartoqh gehörte. Wenn er wirklich so große Magie hatte, dann würde er sich sicherlich nicht so einfach verzaubern lassen.
„Wir wollen in das Land hinter dem Horizont!“
„Bei meinen Ahnen, weißt du überhaupt was du da sagst?!?“
Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit solch einer Reaktion. Richtig erschrocken wich Wengor ein Stück zurück und starrte mich fassungslos an. Abrupt stand er von seinem Stuhl auf und ging im Zimmer auf und ab, während er ständig mit den kleinen dicken Fingern in seinem Bart herumwühlte.
„Ihr wollt zu Kartoqh ?! Warum? Wann? Aus welchem Grund? W i e wollt ihr überhaupt dorthin gelangen?“
Wengor wurde immer aufgeregter und langsam begriff ich, auf was ich mich da wirklich eingelassen hatte.
Endlich setzte er sich wieder und sah mich an.
„Wie kommt jemand auf eine derart verrückte Idee?! Selbst wenn man einen Weg finden würde um in sein Reich einzudringen, warum sollte man soetwas tun? Das ganze Gleichgewicht zwischen Gut und Böse würde auseinanderbrechen!“
„Das Gleichgewicht ist schon stark erschüttert worden. Kartoqh hat Mirima und Avaron entführt!“
„Er hat w a s ???“
Vollkommen entgeistert stand Wengor wieder auf, um sich sofort wieder auf den Stuhl plumpsen zu lassen.
Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen und seine Augen starrten mich wie wirr an.
„Bei meinen Ahnen, wie ist soetwas möglich?“
Also fing ich an von der Entführung zu berichten und wie Cilia das alles beobachtet hatte.
Zwischendurch brachte Wengor immer nur ‚Bei meinen Ahnen – Bei meinen Ahnen‘ hervor.
Auch als ich endete, sagte er nur ‚Bei meinen Ahnen!‘
„Verstehst du nun, warum wir deine Hilfe brauchen?!“
„Ich weiß nicht, ob meine Hilfe da ausreichen wird, ob irgendeine Hilfe ausreichen wird.“
„Also wirst du uns helfen?!“ fragte ich hoffnungsvoll.
„Es ist nicht die Frage ob ich helfen w i l l , sondern ob ich helfen k a n n ! „
„Wieso können, ich denke du bist ein großer Zauberer!“
„Wegen meiner Zauberkraft mach dir mal keine Sorgen, daran liegt es nicht“
„Woran dann?“
„Es liegt allein an dir ob ich euch helfen kann oder nicht.“
„An mir, wieso an mir??“
„Gesetze! Zwergengesetze! Ich darf nur denen Schutz und Kraft geben, deren Seele rein und dessen Herz unschuldig ist!
Du kannst dir vorstellen, daß damit eine Prüfung verbunden ist, die du ersteinmal bestehen mußt, bevor ich euch helfen darf!“
„Was für eine Prüfung ist denn das?“
„Wie schon gesagt, ob deine Seele und dein Herz rein sind und du somit ein gutes Wesen bist!“
Wengor schaute mir direkt in die Augen.
„Verstehst du das?“
„Ich denke schon.“
„Gut, dann warte hier!“
Wengor stand auf und ging zum großen Schrank, der hinten im Raum stand. Er kramte in seinem Wams und holte schließlich einen großen, wie es den Anschein hatte hölzernen Schlüssel hervor und schloß damit das Schloß auf, das den Schrank zugesperrt hatte. Ich hörte Glas klirren und Papier rascheln, als Wengor wohl irgend etwas im Schrank suchte. Schließlich kam er mit einer vergilbten Schriftrolle an den Tisch zurück und breitete sie vorsichtig vor sich aus.
„Bist du bereit?“
Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Jetzt lag es also doch ganz allein an mir, Keiner konnte mir helfen und wenn ich versagen würde, dann wäre so gut wie alles vorbei! Ich war nervös, aber Wengors sanfter Blick beruhigte mich ein wenig und so nickte ich.
„Dann laß uns anfangen!“
Er schaute auf das Pergament und las eine Weile.
„Sei ganz ruhig und konzentriere dich nur auf dein Innerstes! Versuche deinen Verstand außer acht zu lassen und denke stattdesssen mit Deinem Herzen!“
Die Prüfung begann!
„Sage mir,

Was erscheint und verschwindet,
was trennt und verbindet,
was erhält und zerstört,
hast du davon schon gehört?“

Rätsel, es war also ein Rätsel!
Mal überlegen, es erscheint und verschwindet. Das taten so manche Dinge. Tiere. Menschen, Jahreszeiten. Was war da noch, trennen und verbinden. Das war schon schwerer. Moment mal, Die Sonne verschwand abends und taucht am morgen wieder auf. Und sie verbindet den Tag mit der Nacht, gleichfalls aber trennte sie die Nacht vom Tag. Aber der Mond machte das auch. Wie war die dritte Zeile, was erhält und zerstört. Das paßte weder auf den Mond noch auf die Sonne! Doch halt, mir viel etwas ein, was einer der Gärtner mir einmal erzählt hatte.
Ohne die Sonne würde nichts wachsen, bei zuviel Sonne aber verdorrte alles auf der Erde. Das mußte es sein!
„Die Sonne“ rief ich aufgeregt.
„Es muß die Sonne sein! Sie erscheint jeden Tag und verschwindet abends, sie verbindet die Nacht mit dem Tag und trennt den Tag von der Nacht und sie läßt Pflanzen wachsen, zerstört sie aber auch, wenn es lange nicht regnet!“
Wengors Gesichtszüge lockerten sich ein wenig und ich meinte sogar ein Lächeln über sein Gesicht huschen zu sehen!
„Das ist richtig mein Söhnchen, vollkommen richtig! Aber wir sind noch nicht fertig, höre nun den zweiten Teil:
Du kannst es nicht suchen,
es wird dich finden.
Es kann ewig bleiben,
und gleich auch verschwinden.
Du kannst es nicht sehen,
kannst greifen es nicht.
Und manch starker Held
Daran leicht zerbricht!“

Wenn man es nicht greifen und sehen kann, dann konnte es kein Gegenstand sein! Also ein Gefühl oder sowas. Was konnte man nicht suchen. Glück konnte man nicht suchen, sondern es würde einen finden! Es bleibt manchmal sehr lange, kann aber auch sofort wieder verschwinden ! Das war es! Ich wollte schon antworten, als ich spürte, daß etwas fehlte.
‚Und manch starker Held daran leicht zerbricht‘
Wie kann man an Glück zerbrechen?! Es war also doch etwas anderes. Woran kann ein starker Held zerbrechen?
Eigentlich kannte ich nur einen starken Helden. Dies war der Neffe vom Duke of Darlington, der viele Schlachten und Turniere gewonnen hatte. Überall wurde er verehrt und genoß hohes Ansehen. Bis zu jenem Tag, als er völlig betrunken in den Burggraben gefallen ist und dort ertrank. Die Leute erzählten sich, daß er von einer Dame verschmäht worden ist, die er über alles geliebt haben soll. Wie kann man nur wegen eines Weibsbildes ...
.Die Liebe ! Das war es.
„Das kann nur die Liebe sein!“ sagte ich nicht ohne Stolz.
„Das ist vollkommen richtig! Nun höre aber das letzte Rätsel! Bestehst du auch diese Prüfung, dann werde ich euch nach besten Kräften helfen!
Du kennst es genau,
weißt woher es kam,
aber nicht wohin es geht.
Kennst seinen Namen,
aber nicht seinen Sinn.
Es gibt deren viele,
aber keines ist gleich.“

Das kam mir leicht vor, denn das Einzige was ich genau kannte, das war ich! Woher ich komme weiß ich auch, aber nicht wohin ich einmal gehen werde, ich kenne meinen Namen, aber nicht den Sinn meines Daseins. Und es gibt viele Menschen auf der Welt, aber kein anderer ist so wie ich!
„Das bin ich !“
Wengor erhob sich und streckte die Arme empor.
„Bei meinen Ahnen, die Prüfung ist bestanden!
Die Rätsel gelöst und seine Reinheit vorhanden!
Gebt mir die Macht ihm nun zu helfen,
bei uns Zwergen, den Feen, Gnomen und Elfen!“

Es krachte und blitzte in der Höhle, als ob plötzlich ein Gewitter herniedergehen würde.
Erschrocken fuhr ich zusammen, aber noch bevor ich mich von meinem Schrecken erholen konnte, war der Spuk schon wieder vorbei.

Als ich mich so einigermaßen wieder gefaßt hatte, bemerkte ich, daß alle Kerzen im Raum, inklusive der Feuerstelle wieder brannten . Überhaupt sah alles wieder so aus wie es war, als wir die Höhle betraten.
Auch das mußte Zwergenmagie sein.
Wengor kam zu mir zurück und setzte sich auf einen Stuhl.
„Das hast du gut gemacht, mein Söhnchen.“ Sagte er wohlwollend und nicht ganz ohne Stolz zu mir.
„Ich habe mich selten in einem Menschen getäuscht. Und bei dir hatte ich gleich das Gefühl, daß du es schaffen würdest.
Aber ganz sicher kann man sich halt nicht sein. Nun aber zu eurem Vorhaben.
Zunächst muß ich dir etwas über das Land hinter dem Horizont erzählen.“
Mir kam es so vor, als ob sich seine ansonsten so klaren Augen etwas verdunkelten. Und auch seine Miene verdüsterte sich etwas.
„Ihr werdet auf große Gefahren treffen, vor denen euch nicht einmal mein Zauber schützen kann! Seit also stets vorsichtig und verlaßt euch nicht blindlings auf Magie! Kartoqh ist sehr mächtig, aber auch noch andere Gefahren werden auf euch lauern. Du mußt wissen, daß Kartoqh nicht der einzige ist, der dorthin verbannt wurde. Das Land hinter dem Horizont ist eine andere Dimension, die so zusagen als Verbannungslager für sämtliche Unholde und abtrünnige Wesen benutzt wird. Jeder, der sich gegen das Gute stellt und eine Bedrohung für das Reich der Zauberwesen darstellt, wird dorthin verbannt.
Alle großen Familien, also die Gnome, Feen, Elfen und wir Zwerge verfügen über starke Bannzauber. Und ein Zwerg war es auch, der diese andere Dimension entdeckte. Es ist nicht mehr bekannt wie genau er es schaffte, da es schon viele tausend Jahre her ist, aber vermutlich war es reiner Zufall. Das ist aber auch nicht weiter wichtig. Wichtig ist, daß es diese Dimension gibt.“
„Was ist eine Dimension?“ fragte ich neugierig. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen worüber Wengor da sprach.
„Eine andere Dimension ist eine eigene Welt, zu der man eigentlich keinen Zutritt hat, außer man hat die richtige Magie!
Und mit der richtigen Magie kann man soetwas wie eine Tür zu diesem Reich öffnen und jemanden hindurchschicken.
Und genau diese Magie verhindert auch, daß diese Tür von der anderen Seite geöffnet wird. Deshalb sind die Bannzauber auch die bestgehütetsten Geheimnisse in der Welt der Zauberwesen.
Kartoqh , der ein Meister der schwarzen Magie ist, wurde also dorthin verbannt.“
„Ist er ein Mensch?“
„Das war er einmal! Vor vielen hundert Jahren, ich war selbst noch sehr jung, entdeckte er seine magischen Kräfte. Natürlich waren sie am Anfang noch sehr schwach, aber er lernte schnell damit umzugehen und baute sie immer weiter aus. Es dauerte nicht sehr lange und er fiel einigen Zauberwesen auf. Magie bleibt nicht lange im verborgenen und die Zauberwesen beobachteten genau was Kartoqh tat. Er wäre nicht der Erste, der unserem Reich gefährlich werden könnte.
Aber anfangs nutzte er seine Magie nicht für das Böse. Er beschränkte sich auf harmlose Dinge, wie Feuer machen ohne
Zunder, oder mit dem Bewegen von Gegenständen nur mit der Kraft seines Geistes. Man konnte davon ausgehen, daß von ihm keinerlei Gefahr drohte. Eines Tages aber, wie genau es geschah weiß niemand so genau, da machte er sich selber ‚ sehend‘ und trat somit in unsere Welt ein. Er wurde sofort zum Zwergenkönig Kargan gebracht, denn wir Zwerge sind die Wesen, die den Menschen am ehesten ähneln und an die ihr auch am ehesten glaubt. Außerdem haben wir viel für euch übrig und somit wurde beschlossen, das Kartoqh ersteinmal bei den Zwergen bleiben sollte.
Das tat er am Anfang auch sehr gern. Er war überwältigt davon, daß unsere Welt existierte, ähnlich wie es dir wohl gerade ergeht, und war sehr wissensdurstig.
Nach einigen Jahren kannte er sich in unserer Welt fast so gut aus, wie in seiner und wurde dadurch zu einem großen Gelehrten, dessen Rat man gerne annahm. Dies führte dazu, daß er eines Tages am Hofe von Morinda und Everon, dem damaligen Feenkönigspaar, Berater wurde.“
„Davon hat Yava mir schon erzählt, aber dann hat er sich eines Tages dem Bösen verschrieben!“
„Genauso war es. Es dauerte nicht einmal hundert Jahre, und das ist in unserer Welt nicht allzulange, da bemerkte er wohl, daß man mit weißer Magie zwar helfen und gutes tun kann, aber Reich und mächtig so wie er es verstand, wurde man damit nicht.
Durch seine Tätigkeit als Berater hatte Kartoqh natürlich Zugang zu sämtlichen Aufzeichnungen, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Sorgsam studierte er alles und fand folgendes heraus.
Im Reich der Zauberwesen gibt es sowohl gute, als auch weniger gute, bzw. bösartige Kreaturen. Es gibt sogar zahlenmäßig mehr bösartige Kreaturen als gute! Trotzdem gelang es den Guten immer wieder den Sieg davonzutragen, wenn es einmal zu soetwas wie einem Krieg gekommen war. Das Gute siegte immer. Das lag vor allen Dingen daran, daß diese Übergriffe des Bösen unorganisiert und daher eher harmlos ausfielen. Es gibt genug Wesen, die über sehr viel Kraft verfügen, wie z.B. die Trolle, aber durch ihre eher bescheidene Intelligenz und auch durch die Tatsache, daß es hier Naturgesetze gibt, die deren Möglichkeiten einschränken; Trolle können z.B. Feen tagsüber nichts anhaben, hatten wir nie ernsthafte Probleme. So sind wir Zwerge, die Feen und Elfen, sowie die Gnome den bösen Wesen zwar kräftemässig unterlegen, aber wir haben halt die Intelligenz und auch unsere Zauberkräfte. Zwar verfügen Trolle, Leshys und ein paar andere der Kreaturen auch über soetwas wie Magie, aber auch diese ist eher bescheiden. Jedenfalls was das Zauberreich anbetrifft. Für euch Menschen können sie trotzdem sehr gefährlich werden.“
„Habt ihr denn gar keine starken Krieger?“ ein wenig enttäuscht war ich schon, denn in den Erzählungen von Olga, der Köchin im Schloß, hatte ich immer von den starken Kriegern der Zwerge gehört.
„Nun, wir Zwerge haben auch starke und gut gebaute Leute in unseren Reihen, aber wenn es auf einen Kampf Zwerg gegen Troll hinauslaufen würde, haben nur wenige Zwerge eine Chance. Aber diesen körperlichen Nachteil machen wir durch Intelligenz und Magie mehr als wett.“
„Und die Magie der bösen Wesen hat gar keine Wirkung?“
„So kann man das auch wieder nicht sagen. Sie verfügen schon über Zauber, die euch Menschen wirklich gefährlich werden können. Und auch wir Zauberwesen sind nicht ganz davor gefeit. Aber über harmlose Bann- oder Verwandlungszauber geht das nicht hinaus, die überdies auch nicht lange halten. Sie haben zwar Magie, aber ihnen fehlt der Verstand um sie richtig einzusetzen. Außerdem fehlt ihnen die Fähigkeit sich zu beraten und gemeinsam vorzugehen, da sie eher auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Trolle zum Beispiel würden einen in Not geratenen Artgenossen nicht einmal beachten, wenn sie etwas gutes zu essen sehen. Und genau das war immer unser Vorteil.
Kartoqh erkannte das natürlich und er sah, was für ein gewaltiges Machtpotenzial da vor ihm lag.
Wenn es ihm gelingen würde diese wilde Horde zu vereinen, all diese ungenutzten Kräfte des Bösen unter seine Kontrolle zu bringen, würde er die mächtigste Armee aller Zeiten hinter sich haben. Er beschloß also sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, der Sturz des Guten in der Welt und die Machtübernahme sowohl des Zauber- als auch des Menschenreiches. Und er stellte sich sehr schlau bei seinem Vorhaben an. Kartoqh lies sich Zeit. Um nichts in der Welt sollte es auffallen was er vorhatte. Noch viele Jahre tat er seinen Dienst bei den Feen und baute dabei seine magischen Fähigkeiten immer weiter aus. Und er knüpfte Kontakte zu den bösen Mächten. Es gelang ihm sich das Vertrauen einiger Trolle zu erschleichen. Durch seine Zauberkräfte konnte er sich so verändern, daß er von ihnen nicht als der Berater der Feen erkannt wurde. Das durfte natürlich auch niemand erfahren. Sein Plan war es einige Trolle so auszubilden, daß er sie quasi als Generäle einsetzten konnte. Bald aber sah er ein, daß er diesen Plan verwerfen mußte, denn die Trolle stellten sich so dumm an, daß sie das gelernte vom ersten Tag am zweiten schon nicht mehr wußten. Ein neuer Plan mußte also her. Aber alle Pläne scheiterten an der Dummheit oder der Sturheit von den Trollen, Leshys und wie sie alle heißen. Keiner wollte auf den anderen hören oder gar Befehle annehmen. Also mußte er sich um alles selbst kümmern.
Das Problem darin bestand aber, daß er nicht beides machen konnte, eine Armee ausbilden und zusammenführen und Berater am Hofe der Feen zu sein. Er mußte sich also Zeit verschaffen und tat dies mit einer List.
Unter dem Vorwand seine magischen Fähigkeiten zu erweitern und seinen Geist zu reinigen verließ er den Palast der Feen. Und da dies eine nicht unübliche Sache bei Zauberern war, schöpfte auch niemand Verdacht. Kartoqh nutzte diese Freiheit aus, da niemand sagen konnte wie lange eine solche Reinigung dauern würde. Es gab in der Vergangenheit Zauberer, die erst nach ein paar Jahren wiedergekommen sind. Somit hatte er alle Zeit der Welt sein Vorhaben umzusetzen. Er begann also damit seine Armee um sich zu scharen. Zwar ging er dabei sehr vorsichtig zu Werke, und etwa ein halbes Jahr lang blieb dies auch vollkommen unbemerkt, aber trotzdem sickerte dann etwas durch.
Es war schließlich ein Gnom, der den ganzen Verrat aufdeckte und ohne den wir hier vielleicht nicht sitzen würden!
Yrkianth war sein Name und er wird noch heute als Retter der Zauberwelt verehrt, nicht nur bei den Gnomen!“
„Ja! Ich meine, daß Xyleanthecus den Namen mehrmals erwähnt hat!“ fiel ich Wengor ins Wort.
„Das glaube ich gern, Söhnchen! Yrkianth jedenfalls wurde Zeuge einer Unterhaltung zwischen zwei Leshys. Das allein war schon ungewöhnlich. Zwar gehören sie derselben Rasse an, aber mögen tun sie sich deswegen noch lange nicht. Oftmals bekämpften sie sich sogar gegenseitig. Yrkianths Interesse war also geweckt, und so erfuhr er, daß es nun endlich bald losgehen sollte. Die Feen und Elfen, von jeher die verhaßtesten Feinde der Leshys, würden bald ihre gerechte Strafe von dem Menschenmagier bekommen.
Alarmiert durch diese Aussage, machte er sich sofort auf den Weg zu Morinda und Everon, dem Königspaar der Feen.
Ihr Berater, der Magier Kartoqh würde schon wissen was zu tun ist. Dort nahm man die Nachricht zwar mit Bedenken auf, doch man wußte nicht recht was man machen sollte. Außer Kartoqh kannte man keinen Menschenmagier im Reich der Zauberwesen. Man beschloß in Ruhe auf die Rückkehr Kartoqhs zu warten. Vielleicht wußte er was zu tun war.
Keiner hegte den Verdacht, daß Kartoqh dieser Menschenmagier sein könnte. Die Verbindung zwischen dem Verschwinden von ihm und dem Auftauchen eines Menschenmagiers, der den Feen und Elfen etwas antun wollte, stellte keiner her. Außer Yrkianth. Ihm kam es schon merkwürdig vor. Als er seinen Verdacht dem Königspaar mitteilte, erntete er nur verständnisloses Kopfschütteln. Kartoqh hatte sich das Vertrauen der Feen schon so weit erschlichen, daß diese ihm bedenkenlos vertrauten. Doch Yrkianth lies nicht locker. Schließlich brachte er Morinda dazu Kartoqh suchen zu lassen und wenn es nur darum ginge seinen Verdacht zu entkräften, Morinda willigte schließlich ein und entsandte die besten Kundschafter des Feenreiches. Und tatsächlich gelang es einer Fee Kartoqh zu finden. Durch den reibungslosen Ablauf seiner bisherigen Taten war er unvorsichtig geworden. Die Fee fand ihn inmitten einer Horde Trolle, denen er gerade erklärte wie er vorgehen wollte um den Palast der Feen zu stürmen.
Mit dieser Nachricht und einer gehörigen Portion Angst im Leib machte sich die Fee wieder auf in den Palast und erstattete dort Bericht. Morinda und Everon waren natürlich entsetzt von der Nachricht, ließen sich aber nicht lange beirren und riefen die Oberhäupter der anderen großen Stämme zu sich.
Dies waren Kargan der Zwergenkönig, Marven, den König der Elfen und schließlich Chiachria und Trentanchi, das Königspaar der Gnome. Marven kam nur sehr widerwillig, denn die Feen und Elfen waren seit Urzeiten nicht gerade befreundet. Doch als er hörte was passiert war, schloß er sich dem Rat an der nun gebildet wurde.
Yrkianth erzählte noch einmal allen was er gehört hatte und die kleine Fee, die Kartoqh gefunden hatte erstattete ebenfalls noch einmal Bericht. Alle waren schockiert und überlegten eifrig was zu tun war. Es stand sehr viel auf dem Spiel, dessen waren sich alle bewußt. Wenn es Kartoqh tatsächlich gelungen war die bösen Mächte zu vereinen, dann mußte er noch mächtiger sein, als man bisher angenommen hatte. Jeder erahnte die Gefahr die von ihm ausging.
Kargan schließlich machte den Vorschlag Kartoqh in das Land hinter dem Horizont zu verbannen. Marven, der Elfenkönig hatte da aber seine Bedenken.
„Wenn Kartoqh so eine Macht hat wie wir annehmen, dann wird es wohl nichteinmal der starke Bannzauber der Zwerge schaffen ihn dorthin zu verbannen, geschweige denn ihn dort zu halten!“
Dieser Einwand war nicht von der Hand zu weisen.
„Außerdem bin ich der Meinung ihn zu töten. Die Verbannung ist nicht die gerechte Strafe für solch einen Unhold!“
Zustimmendes Gemurmel war die folge.
„Warum verwenden wir nicht all unsere Vernichtungszauber und schicken Kartoqh in die Ewigkeit! Damit wären wir ihn ein für allemal los.!“
„Und wenn es nicht klappt, wenn er so stark ist, daß wir ihn nicht töten können?“ fiel Morinda ein.
„Wie du weißt, sind unsere Vernichtungszauber lange nicht so stark wie der Bannzauber der Zwerge!“
„Das ist richtig Morinda“ bestätigte Marven, „ aber auch den Bannzauber der Zwerge könnte er überstehen!“
Da kam Kargan eine blendende Idee.
„Seht ihr denn nicht was hier gerade passiert?“ rief er und blickte in die Runde.
„Was seit jeher unmöglich schien hat die Angst vor Kartoqh geschafft! Elfen und Feen sitzen an einem Tisch und ziehen an einem Strang! Das hat es in der Geschichte der Zauberwesen noch nicht gegeben!“
Morinda und Everon schauten erst sich und dann Marven an.
„Das ist schon richtig guter Kargan, aber ich verstehe nicht ...“ sprach Everon, bis er von Kargan unterbrochen wurde.
„Mir ist da folgende Idee gekommen. Es ist richtig, daß der Bannzauber der Zwerge zwar der stärkste von uns allen ist, aber auch er könnte bei Kartoqh versagen. Hört meinen Plan! Wenn es uns gelingt alle vier Bannzauber der Gnome, Elfen, Feen und uns Zwergen zu vereinen, könnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen glaube ich nicht, daß Kartoqh so mächtig ist, solch einem Bann zu widerstehen und zum anderen könnten wir den Bannzauber sagen wir mal auf hundert Jahre beschränken.“
„Wieso beschränken?“ wollte Chiachria verwundert wissen.
„Aus einem ganz einfachen Grund. Wenn der Bannzauber alle hundert Jahre erneuert werden muß, können es sich die Feen und Elfen nicht mehr leisten im Zorn miteinander zu leben. Mehr als einmal schon hätte uns euer Streit fast um den Sieg über die dunklen Mächte gebracht Bislang ist es immer gut gegangen. Jetzt haben wir die Gelegenheit euren Streit endlich zu beenden und vor allen Dingen einen guten Grund ihn nicht mehr aufflammen zu lassen!“
Von dieser Idee waren alle begeistert und Elfen und Feen reichten einander die Hände. Dies sollte ein Zeichen sein, daß die vier großen Mächte sich nie verfeinden sollten.
Mit großer Eile ging man nun daran die Bannzauber zu vereinen. Nachdem dies geschehen war mußte nun noch ein Plan her, wie man Kartoqh in die Falle locken könnte.
In diesem Moment kam ein Bote der Feen in den Königssaal, um zu berichten, daß Kartoqh auf dem Weg ins Schloß war. Du kannst es Zufall oder Bestimmung nennen, daß Kartoqh gerade jetzt wieder ins Schloß zurückkehren wollte, aber so geschah es nuneinmal. Nun mußte schnell gehandelt werden, denn er durfte auf gar keinen Fall merken, was hier vonstatten gegangen ist.
Yrkianth hatte eine sehr gute Idee.
„Warum sagen wir ihm nicht einfach die Wahrheit!“
Sämtliche Anwesenden schauten ihn entgeistert an.
„Was meinst du damit ?“ stellte Kargan die Frage, die allen auf den Lippen hing.
„Laßt es mich erklären!“
Yrkianth weihte alle in seinen Plan ein.
Nach seiner Ankunft im Schloß sollten Morinda und Everon sofort zu Kartoqh eilen, um ihm von Yrkianths belauschtem Gespräch zwischen den beiden Leshys zu erzählen. Sie sollten dabei aber nur vage von einem Aufstand der Trolle berichten und Kartoqh dazu bringen in eine nahegelegene Höhle zu gehen, in der Yrkianth auf ihn warten würde um mit ihm zu besprechen was er gehört hatte. Die Höhle hätte Yrkianth ausgewählt, damit niemand sie belauschen könne.
Natürlich würde nicht nur Yrkianth in der Höhle sein, sondern auch alle Oberhäupter der vier Stämme, nebst deren bester Krieger und Magier. Man konnte schließlich nie wissen.
Der Plan fand das Wohlwollen aller und so beschloß man ihn auszuführen.
Als Kartoqh am späten Abend wieder im Schloß eintraf, wurde er sofort zum Königspaar beordert. Als er die Nachricht vom Aufstand der Trolle hörte, konnte man ihm aber absolut nicht anmerken, daß er etwas damit zu tun haben könnte.
Trotzdem eilte er sofort zu der Höhle, um mit Yrkianth zu sprechen.
Im Inneren jedoch mußte er sehr aufgewühlt gewesen sein und gewiß hatte er nicht vor mit Yrkianth zu sprechen.
Er hatte vor ihn zu töten! Und was soll ich dir sagen, Söhnchen, er hat es auch geschafft.
Gleich nachdem er die Höhle betreten, und Yrkianth entdeckt hatte, streckte er ihn mit einem bösen Zauber nieder.
Niemand hatte damit gerechnet, denn alle hatten vermutet, daß Kartoqh ersteinmal mit ihm reden würde, um zu erfahren was er genau alles erfahren hatte. Solch einer plötzlichen Attacke hatte niemand etwas entgegenzusetzen.
Doch der Schock über seinen Tod wich schnell der Erkenntnis, daß man nun erst recht schnell handeln mußte.
Kargan, der mächtige Zwergenkönig trat aus seinem Versteck hervor und begann den Bannzauber mit lauter Stimme zu sprechen.
Nun war der Überraschungseffekt auf unserer Seite. Kartoqh war wie gelähmt vor Schreck und konnte nichts mehr tun.
Kargans Stimme hallte gewaltig, von den Wänden noch verstärkt durch die Höhle :

„ Im Namen der Zwerge, Elfen, Gnome und Feen
befehle ich Dir, von dannen zu geh’n !
In das Land hinter dem Horizont !
Gefangen auf einhundert Jahre sollst Du dort sein,
und kein einziger Zauber wird Dich jemals befrei‘n,
aus dem Land hinter dem Horizont !
Keine Macht kann Dir mehr helfen !!!
Das ist der Bann der Zwerge, Gnome, Feen und Elfen !! „

Kartoqh stand wie erstarrt und blickte Kargan in die Augen. Jeder konnte deutlich seinen Haß und die Wut über die Entdeckung seines Planes sehen. Er schien gar nicht zu merken, was da mit ihm vorging. Während der Beschwörung wurde sein Körper immer durchsichtiger, aber Kartoqh schien das nicht zu interessieren. Sein Zorn über das Mißlingen seines Planes hatte ihn so sehr erfaßt, daß er keine Chance zur Gegenwehr hatte, wenn diese überhaupt bestand.
Als er realisierte was hier vorging, war es bereits zu spät für ihn. Trotzdem versuchte er sich plötzlich mit aller Macht gegen den Zauber zu wehren, aber Kargans Worte legten sich wie Ketten um seinen Körper und er wurde immer mehr von dem Zauber eingeschnürt. Und er litt große Qualen. Nicht körperlich, der Bannzauber fügte ihm keine körperlichen Schmerzen zu. Aber seine schwarze Seele litt unendlich. Er war gekommen um die Weltherrschaft an sich zu reißen und nun wurde er von seinen größten Feinden in die ewige Verbannung geschickt. Eine Niederlage auf der ganzen Linie, noch bevor der eigentliche Kampf überhaupt angefangen hatte.
Langsam löste sich sein Körper auf, wurde immer durchsichtiger, bis er, einer Rauchwolke gleich im Nichts verschwand.
Kein Laut kam während der Bannung über seine Lippen, aber wer damals in seine Augen schaute, der bekam noch Jahre später Alpträume davon.

Als Kargan geendet hatte, waren alle Beteiligten erleichtert. Großes Übel wurde abgewendet und die Elfen luden alle zu einem großen Fest. Bei dieser Gelegenheit wurde dann auch noch die alte Feindschaft zwischen den Feen und den Elfen begraben und somit stand einer friedlichen Zukunft nichts mehr im Wege. Das Fest dauerte vier Tage und jeder war lustig und vergnügt.
Allein Marven der Elfenkönig wollte nicht recht fröhlich werden und schaute die meiste Zeit verdrießlich drein. Kargan bemerkte dies und sprach ihn darauf an.
„Marven, warum blickst du so düster in die Welt? Wir haben es geschafft!!!! Kartoqh ist verbannt und eure Fehde mit den Feen ist auch ausgeräumt, vor allen anderen du solltest fröhlich umherspazieren, was betrübt dich daher?“
„Im Grunde hast du ja Recht weiser Kargan, aber ich denke immer daran, daß wir vielleicht einen großen Fehler gemacht haben.“ Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:
„Ich habe etwas gesehen!“
„Die Zukunft hat sich dir aufgetan?!“

Wengor erklärte mir kurz, daß Elfen soetwas manchmal können. Sie sind nicht in der Lage gezielt in die Zukunft zu blicken, aber dann und wann haben sie Erscheinungen von Dingen, die geschehen werden.

„Ja, aber es war alles verschwommen. Einzig einen nicht gerade unzufriedenen Kartoqh konnte ich erkennen. Er schritt lächelnd in seinem Land umher, als ob er es wäre, der den Sieg errungen hätte!“
„Wieso in seinem Land ??Das Land hinter dem Horizont ist die Verbannungsebene für alle bösartigen Kreaturen, denen wir Herr geworden sind. Man kann also kaum von Kartoqhs Reich sprechen !!“
„Ja, noch ist es nicht sein Reich. Wer aber weiß, was dieser mächtige Mann dort alles zu erwirken mag !! Vielleicht war es ein Fehler ihn dorthin zu verbannen, zuviel dunkle Magie und zuviel Bösartigkeit aus der er neue Kraft schöpfen kann!“ Marven seufzte tief.
„Wenn er es richtig anstellt, könnte er dort noch wesentlich mächtiger werden, als er es ohnehin schon ist.“
„Und wenn schon !“ winkte Kargan ab, „solange wir uns einig sind, die Elfen, Gnome, Feen und Zwerge, wird er niemals das Land hinter dem Horizont verlassen können!! Soll er doch machen was er will in seinem Reich, was stört es uns !?!“
„Wahrscheinlich hast du ja Recht, aber warum habe ich ihn dann lächeln gesehen, warum???“

„Nun, jetzt wissen wir warum !!“ beendete Wengor seine Erzählung.
Die ganze Zeit über hatte ich ihm ehrfurchtsvoll zugehört. Kartoqh mußte ein wahrlich gefährlicher Mann sein und so langsam kamen mir wieder Zweifel, ob es richtig war, daß ein unbedeutender Wicht wie ich, jedenfalls kam ich mir wie so einer vor, mich in solch eine Geschichte einzulassen.
Doch dann fiel mir wieder Cilias Befreiung ein, bei der ich die große Macht spürte, die aus meinem Arm kam. Wieder mehr Mut schöpfend verließen mich die Zweifel so schnell wie sie gekommen waren und wichen einer immer größer werdenden Entschlossenheit, meinen neuen Freunden zu helfen. Wir alle zusammen, mit den Waffen von Wengor würden es schon schaffen.
Entschlossen blickte ich in Wengors Augen und konnte darin soetwas wie Zufriedenheit erkennen.

Wengor stand auf und holte die Anderen herein. Natürlich war es Cilia, die nicht lange an sich halten konnte.
„Hast du es geschafft? Bekommen wir die Waffen? Wird Wengor uns helfen? Warum hat das eigentlich so lange gedauert? Sage mir, war es schlimm ? Nun rede doch, sag doch mal was !!“
Cilia war so aufgeregt, daß sie während sie so plapperte langsam zur Decke emporstieg.
Doch bevor ich antworten konnte, übernahm Wengor das Wort.
Er teilte den anderen mit, daß ich diese Prüfung bestanden hatte. Voller Stolz blickte ich meine Kameraden an konnte in ihren Augen sowohl Erleichterung und Zufriedenheit, als auch Anerkennung erkennen.
„Aber ob das allein reichen wird, wage ich nicht zu sagen!“
„Also hilfst du uns?!“ schalt sich Yava ein.
„Ich werde euch helfen, denn bei eurem Vorhaben könnt ihr alle Hilfe gebrauchen, die ihr bekommen könnt.“
„Also weißt du was wir vorhaben“ Das war mehr eine Feststellung, als eine Frage und ich sah schuldbewußt zu Yava hinüber, konnte aber nichts mißbilligendes in seinem Blick erkennen.
„Ja, Gordon hat mir alles erzählt und das war auch gut so!! Ich will euch all mein Wissen und meine Magie zur Verfügung stellen und am liebsten würde ich selber mit euch gehen, aber ..“
Wengor stoppte mitten im Satz.
„Aber ich bin einfach zu alt für solche Sachen geworden. Außerdem weiß ich gar nicht, ob ich mich in der Außenwelt überhaupt noch zurechtfinden würde. Zulange war ich allein ... zu lange!“
Wengor schaute ein wenig schwermütig drein und mir kam es so vor, als ob er es jetzt bereuen würde, daß er so lange allein in seiner Höhle gehaust hatte.
„Jedenfalls müssen wir uns beeilen, denn da Tor zu Kartoqhs Welt wird nicht ewig offen bleiben!
Ihm wird daran gelegen sein, daß sein Tor sich bald wieder schließen wird, damit keine ungebetenen Besucher hereinkommen können!“
„Warum hat er dann das Tor nach der Entführung nicht einfach wieder geschlossen?“ wollte ich wissen.
Wengor lachte rauh.
„So einfach ist das mit Dimensionstoren nicht !! Du kannst dir dieses Tor nicht wie eine einfache Tür vorstellen, die man ganz nach Belieben auf- und wieder zumachen kann. Es erfordert eine Gewaltige Zauberkraft so ein Tor überhaupt zu erschaffen!! Kartoqh muß sehr mächtig geworden sein, seit er verbannt worden ist und Gorgons Befürchtungen sind wohl mehr eingetreten, als sogar er es erwartet hatte. Kartoqh ist mächtiger geworden, als es irgend jemand gedacht hätte!!
Jedenfalls besteht die größte Schwierigkeit nachdem man es geschafft hat so ein Tor zu öffnen darin, daß man es stabil hält! Man muß sowohl hindurchschreiten, als auch wieder zurückkehren können. Da aber die Naturgesetze sowohl der Einen, als auch der anderen Seite bestrebt sind diese unnatürliche Öffnung zu schließen, ist es ein überaus schwieriges Unterfangen auch nur annähernd die Kräfte auszumessen, die man benötigt. Nimmt man zuviel Magie, dann würde das Tor zerreißen, wie alter Stoff, nimmt man aber zuwenig, dann würde es unweigerlich in sich zusammengedrückt werden, und mit ihm alles was gerade versucht hindurchzugehen.
Es ist wirklich erstaunlich, daß es Kartoqh gelungen ist solch ein Tor überhaupt zu erschaffen.
Aber weder er, noch irgend jemand anderes kann voraussagen, wann es zusammenbrechen wird.
Daher müssen wir uns beeilen, wollen aber trotzdem vorher etwas essen, denn mit leerem Magen ist schlecht zaubern!!“
Wengor schlurfte zur Feuerstelle und holte einen dampfenden Topf an den Tisch, um den wir uns mittlerweile alle versammelt hatten. Nachdem wir ausgiebig und mit großem Appetit gegessen hatten, gebot uns Wengor am Tisch sitzenzubleiben, während er sich an seinem großen Schrank zu schaffen machte. Nach einer Weile kam er mit zwei, in Tüchern eingewickelten Gegenständen wieder.
Das mußten die Waffen sein !!! Ich wurde immer aufgeregter, schließlich sollte ich nun meine allerersten Waffen bekommen. Und Zauberwaffen noch dazu!! Unruhig auf meinem Stuhl hin und her rutschend starrte ich Wengor an, während er auspackte. Was würde er da wohl für uns haben, ein goldenes Schwert oder ein silberner Dolch?? Ich zitterte richtig vor Erregung.
Doch als Wengor seine „Schätze“ ausgepackt hatte, war meine Enttäuschung sehr groß!!
Ein normales Eisenschwert und ein schmuckloses Stück Holz lagen da vor uns auf dem Tisch.

Meine Enttäuschung muß sehr offensichtlich gewesen sein, denn Wengor sah mich mit einem verschmitzten Lächeln an.
„Du hast wohl etwas anderes erwartet Söhnchen!! Magische Dinge werden nicht durch ihr Aussehen wertvoll und auch nicht unbedingt durch ihr Material. Die Magie ist es, die ihnen ihre Einzigartigkeit und ihre Kraft verleiht. Laß dich niemals täuschen und beurteile Dinge oder Personen nach ihrem Aussehen!!! Zu oft schon hat sich das als sehr schwerer Fehler erwiesen.
Dieses Schwert und das Amulett sehen in der Tat sehr bedeutungslos aus und sie sind es auch noch. Zwar nicht ganz so unscheinbar, wie sie aussehen, aber auch noch keine richtig magischen Dinge. Außerdem kann es sehr von Nutzen sein, wenn man Dingen nicht gleich ansieht, was sie können !! Denn wie gesagt, soetwas ist allzu oft schon unterschätzt worden.
Nun wollen wir uns aber um diese zwei Dinge hier kümmern.“
Beinahe liebevoll nahm er das Schwert in die Hand und betrachtete es ehrfürchtig. Fast widerstrebend legte er es vor sich auf den Tisch. Für mich sah es wie ein einfaches Schwert aus Eisen, mit einem Holzgriff aus.
„Dieses Schwert habe ich vor ... ach es müssen an die einhundertundfünfzig Jahre her sein, mit meinen eigenen Händen geschmiedet. Das Erz dafür habe ich auch mit meinen eigenen Händen abgebaut. Und ich muß sagen, daß es mir gelungen ist die Klinge in einem sehr aufwendigen Verfahren so zu härten, daß nichts auf dieser Welt sie mehr zerbrechen könnte!!! Das allein macht es schon zu einer sehr mächtigen Waffe. Aber nun wollen wir dem Schwert noch ein wenig Magie einhauchen.“
Zwinkernd schaute er mich an und wurde daraufhin gleich wieder Ernst.
Bedeutungsvoll hob er die Hände und konzentrierte sich ganz auf das Schwert. In seiner Höhle schien es dunkler geworden zu sein, und ein magischer Glanz breitete sich um Wengor aus.
Ich spürte plötzlich die Magie um uns herum und sogar Cilia starrte gebannt auf den Zwerg, als anfing eine Zauberformel zu sprechen.

„Bist geschmiedet allein von Zwergenhand,
in Zwergenfeuer dann gebrannt!
Du Metall aus reinstem Zwergeneisen,
sollst den Feind in seine Schranken weisen!
Die Kraft von Jenem der dich trägt,
sollst du verstärken, wenn er schlägt!
Magie und auch ein Zauberbann,
die Macht von dir nicht brechen kann!
Schneiden sollst du auch durch Fels und Stein,
bei meiner Zwergenmacht, so soll es sein!“

In der Erwartung von Blitz und Donner die seinen Worten sicher folgen würden, duckte ich mich auf meinem Stuhl, aber nichts dergleichen geschah. Einzig die Höhle schien wieder ein wenig heller geworden zu sein und der Glanz um Wengor herum war verschwunden.
Als ich meinen Blick auf die Waffe richtete, sah sie so aus wie vorher. Nichts an ihrem Äußeren ließ erkennen, daß sie nun Zauberkräfte hatte. Als ich sie aber in Händen hielt, nachdem Wengor mich dazu aufgefordert hatte, da spürte ich die Macht, die von ihm ausging. Irgend etwas schien mich zu durchfluten und ich kam mir sehr viel stärker vor als sonst.

„Na Söhnchen, gefällt es dir?“ Wengor schien entweder die Wirkung der Waffe auf mich zu spüren, oder er wußte wie solche Waffen auf „normale“ Wesen wirkte.
Ich schwang das Schwert ein paar mal hin und her. Es war leicht wie eine Feder. Zufrieden nickte ich Wengor zu.
„Du mußt dir noch einen Namen dafür aussuchen, das tut ein richtiger Kämpfer !“
Ich überlegte, und der erste Name der mir einfiel war Olga, die Köchin auf Schloß Darlington!
Eigentlich ein alberner Name für ein Schwert, aber erstens war Olga immer gut zu mir und zweitens gefiel mir der Name auf einmal.
“Ich werde es Olga nennen!“ Über Yavas Gesicht huschte soetwas wie ein Lächeln, soweit man das bei einem Hundegesicht erkennen konnte, aber das war mit egal.

„Olga? Nun gut, ein Name wie jeder andere. Nun aber muß ich die etwas über ... Olga erzählen!
Es ist sehr wichtig, daß du mir gut zuhörst! Bedenke immer welch große Macht du da in Händen hältst! Vergiß nie wofür du kämpfst. Solange du reinen Herzens bist und für das Gute und gegen das Böse in den Kampf ziehst, wird es dir gute Dienste leisten. Versuchst du allerdings es gegen das Gute einzusetzen, dann wird es sich gegen dich selber richten, um erst dich und dann sich selbst zu zerstören. Wenn du es mit Wut oder gar Haß führst, dann verliert es einen Teil, oder gar seine sämtlichen Zauberkräfte!! Hast du das alles verstanden??“
„Ich denke schon!“ murmelte ich. Nach Wengors Worten hatte ich noch mehr Ehrfurcht vor dem Schwert als zuvor. Es mußte wirklich eine ganz besondere Klinge sein, die nun in meinem Besitz war und ich war fest entschlossen alle Ermahnungen von Wengor ernst zu nehmen und mich an alle Regeln zu halten. Trotzalledem war mir ein wenig unwohl bei dem Gedanken, eine solch mächtige Waffe in meinen, im Grunde sehr ungeübten Händen zu halten. Doch bevor ich mir weitere Gedanken darüber machen konnte, nahm Wengor das Stück Holz zur Hand, welches vor uns auf dem Tisch lag und befreite es nun vollkommen, von dem Tuch in dem es eingewickelt war.
Wie mir schien sehr ehrfurchtsvoll, legte er es auf den Tisch.
Es war ein altes, sehr abgenutztes Stück Holz, in der Form eines Drachenkopfes. Da es an einem Lederband befestigt war, konnte man erahnen, daß es sich hierbei um ein Amulett handelte. Wie schon zuvor bei dem Schwert, kam es mir sehr schäbig und überhaupt nicht magisch oder machtvoll vor. Doch durch Wengors Worte und vor allen Dingen seinen Taten, war ich nun etwas vorsichtiger mit meinen Mutmaßungen. Doch so recht wollte ich nicht glauben, daß es sich hier um einen mächtigen Zauber handeln würde. Ein Schwert und sei es noch so schäbig, stellt an sich schon eine potentielle Gefahr dar, aber so ein Stück Holz?

„Wenden wir uns nun dem Amulett zu !“ sprach Wengor, während ich meinen Gedanken nachhing. Doch bevor noch irgend jemand anderes etwas sagen konnte, platzte Yava hervor:

„Wie bist du denn daran gekommen ??!! Ist es etwa das, wofür ich es halte ??“
„Es ist so, wenn du es für Bolmots Amulett hältst!!“
„Wer ist denn Bolmot ?“ wollte Cilia wissen, und nahm mir damit die Worte aus dem Munde.
Wobei ich nicht ganz unzufrieden war, daß ich hier nicht der Einzige war, der nicht alles zu verstehen schien.
„Er war der größte Zwergenmagier, der je gelebt hat!“ Zum erstenmal in der ganzen Zeit, während wir in Wengors Höhle waren, meldete Xyleanthecus sich zu Wort.
„Lernt ihr junges Gemüse denn eigentlich überhaupt nichts mehr, von der Vergangenheit unserer Geschichte?“ Kopfschüttelnd sah er Cilia an, die nur, mit leicht errötetem Kopf ,die Achseln zuckte.
„Vor mehr als zweitausend Jahren lebte er hier irgendwo im Wald. Er war der geheimnisvollste Zwerg, der je das Licht der Welt erblickte. Groß für einen Zwerg, dafür aber nicht so stämmig, wie allgemein üblich. Man vermutete, daß er halb menschlich gewesen sei, aber das fand man nie heraus. Jedenfalls war er der mächtigste Zwergenmagier, der je lebte. Wahrscheinlich sogar noch sehr viel mächtiger, als unser lieber Wengor hier.“
„Nicht wahrscheinlich, bestimmt, bestimmt sogar !“ murmelte Wengor leise.
„Nur sehr wenige hatten ihn je zu Gesicht bekommen und in vielen Gegenden galt er schon als eine nicht existierende Legende. Als jedoch der mächtige Drachenkönig Sakkhir das Land vor sehr langer Zeit bedrohte und kaum noch Hoffnung bestand ihm widerstehen zu können, da zog Bolmot in die Schlacht für uns alle. Er vernichtete Sakkhir nur mit Hilfe dieses Amulettes, welches ausschließlich mit Schutzzaubern versehen war! Bolmot widmete sich niemals den kriegerischen Künsten der Magie. Er war friedliebend wie kein Zweiter, konnte aber nicht zusehen, wie die Welt von Sakkhir vernichtet werden würde. Er stellte also dieses Amulett her, aus dem Holz der längst vergessenen Schwarzeiche, die nirgendwo mehr zu finden ist. Es war magisches Holz und Bolmot schnitzte es eigenhändig zu diesem Amulett. Danach belegte er es mit seinen mächtigsten Schutzzaubern und trat Sakkhir entgegen. Niemand sonst konnte sich an ihn heranwagen, da er jeden sofort mit seinem tödlichen Gift- und Feuerodem vernichtet hätte. Nicht aber Bolmot. Durch das Amulett geschützt drang er bis zum Feind vor und vernichtete ihn. Wie genau er das angestellt hat weiß man nicht genau, da Bolmot seit diesem Tage verschwunden war. Niemand hat ihn je wiedergesehen. Viele meinten, daß er mit Sakkhir in das Reich der Toten eingegangen sei, aber als man den Kampfplatz später untersuchte, fand man nur die Leiche des riesigen Drachen. Andere behaupteten, daß Bolmot schwer verletzt in seine Höhle geflüchtet war und vermutlich dort gestorben sei. Da niemand wußte wo seine Höhle war, konnte auch keiner nachschauen gehen. Es blieb also ein Rätsel. Wie dieses Amulett jetzt hier auf diesen Tisch gelangt, ist aber auch mir ein Rätsel. Doch wird Wengor uns bestimmt nicht lange im Unklaren lassen.“ Fragend blickte er zu Wengor.
„Wie und wann ich an dieses Amulett gekommen bin, tut hier nichts zur Sache! Ich habe es nuneinmal, seien wir einfach dankbar dafür!“
„Ist es denn noch aktiv?“ fragte Yava ein wenig ehrfurchtsvoll, was ich von ihm gar nicht gewöhnt war. Es mußte sich in der Tat um ein sehr wertvolles und mächtiges Kleinod handeln.
„Sicherlich wird noch einiges von Bolmots Magie in ihm stecken, selbst nach so langer Zeit. Aber ich vermag nicht zu sagen wie viel, da ich mit Bolmots Magie nicht sehr vertraut bin. Ich hatte zwar Zeit das Amulett zu studieren, aber mehr als etwas erahnen kann auch ich nicht. Vielleicht würde ich hinter seine Magie kommen, wenn ich ein wenig mehr Zeit hätte, aber die haben wir ja leider nicht. Deshalb müssen wir es ein wenig mit meiner Magie aufpäppeln. Natürlich nur, wenn ihr auch mit meiner bescheidenen Magie vorlieb nehmen wollt. Sie ist zwar nicht so mächtig wie Bolmots, aber ich habe auch ein paar nette Tricks auf Lager !!“
Wengor schaute in die Runde, und da er keinerlei Widerspruch vernahm, fing er an, sich auf das Amulett zu konzentrieren.
Wieder hatte ich den Eindruck, daß es in dem Raum dunkler geworden war, und daß sich um Wengor herum eine feine Aura ausbreitete. Er hob beschwörend die Hände und murmelte einen neuen Zauberspruch :

„Kein böser Zauber, keine Krankheit und kein Gift,
den Träger dieses Amulettes trifft !
Keine Macht und keine Hexerei,
brechen dieses Amulett entzwei,
solange der Träger im Herzen rein!
Bei meiner Zwergenmacht, so soll es sein!!“

Es passierten wieder keine merkwürdigen Dinge, wie Blitz oder Donner, und auch als Wengor mir das Amulett um den Hals hing, spürte ich diesmal kein Kribbeln oder dergleichen. Jedoch kehrte in mir eine Ruhe und Zufriedenheit ein, die mir sehr gut tat und mir noch mehr Mut für unseren weiteren Weg machte.
Nun hatten wir also unsere Zauberwaffen. Ein starkes Schwert namens Olga und ein Amulett, das selbst einen Drachen besiegt hatte. Auf irgendeine Art und Weise fühlte ich mich gut und war bereit in das Land hinter dem Horizont aufzubrechen. Nichts stand uns mehr im Weg und es würde wohl sehr bald losgehen. Dachte ich.
 



 
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