anbas
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Klaglos in Deutschland
Wenn man den Durchschnittsdeutschen zur Begrüßung fragt, wie es ihm geht, und er antwortet "Danke, kann nicht klagen!", dann geht es ihm höchstwahrscheinlich ziemlich schlecht. Auf jeden Fall sieht er zumindest in diesem Moment keinen Sinn mehr in seinem Leben. Denn der Deutsche braucht eigentlich immer etwas, worüber er klagen und jammern kann. Das liegt so in seiner Natur, wie den Russen das Saufen und den Japanern das permanente Fotografieren, wenn sie im Urlaub unterwegs sind. In den meisten Deutschen steckt nämlich ein kleiner Masochist, der das Leid braucht, um sich zu spüren. Ohne die Möglichkeit, zu klagen, zu jammern oder sich über etwas zu beschweren, fühlt er sich leer. Diese Leere muss sofort ausgefüllt werden – am besten durch einen neuen Grund zum Klagen.
Besonders deutlich wird das, wenn jemand antwortet, dass es ihm gut gehe:
"Wie geht es Dir?"
"Oh danke, richtig gut!"
"Ach, das ist ja schön – und wie geht es Deiner Mutter?"
Der Fragende weiß natürlich ganz genau, dass die Mutter des anderen schwerkrank in einem Pflegeheim liegt. Da gibt es immer einen Grund zum Klagen. Doch wehe, wenn nicht.
"Wie geht es Dir?"
"Oh danke, richtig gut!"
"Ach, das ist ja schön – und wie geht es Deiner Mutter?"
"Danke der Nachfrage, der geht es auch richtig gut!"
"Die wohnt doch in einem Pflegeheim? Na, dann hat sie ja richtig Glück. Wenn ich da an die Tante meiner Nachbarin denke – oh mein Gott, sind das Zustände in deren Heim …"
Und schon wurde das Gespräch in einen klagerelevanten Bereich umgeleitet, so dass man bei des Deutschen zweitliebsten Beschäftigung nach dem Autofahren angekommen ist.
Aber neben der existenzbedrohenden Lebenssinn-Leere in guten Zeiten, hat das Klagen noch einen anderen Sinn: Man bekommt Aufmerksamkeit. Selbst derjenige, der als langweiliges Nichts durchs Leben geht, hat plötzlich die Chance für einen kurzen Moment im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen.
Der typische Deutsche reagiert also auf Leid wie pawlowsche Hunde und steigt sofort mit einem kaum zu bändigenden Redeschwall in das Gespräch ein, sobald dieses die Themen Krankheit, Gesundheitswesen, Wetter oder Politik auch nur hauchweise streift. Dies sind die Bereiche, in denen es eigentlich immer etwas zu klagen gibt. Und was nicht beklagenswert ist, wird beklagbar gemacht.
"Wie geht es Dir?"
"Danke, mir geht es richtig gut!"
"Na, dann hoffen wir mal, dass das so bleibt. Es kann ja so schnell etwas passieren. Gerade neulich ist der Vater von einem Schulkameraden meines Sohnes einfach so umgekippt. Herzinfarkt. Furchtbar – und die Familie steht jetzt auch noch vor dem Ruin."
An diesem Punkt kann man dann sagen, was man will – das imaginäre Damoklesschwert ritzt schon an der heilen Welt des Wohlbefindens. Schuld sind natürlich immer die Politiker, die Flüchtlinge oder das Wetter. – Oder auch alle auf einmal. Ich warte noch auf den Moment, in dem jemand darüber lamentiert, dass die Politiker zu viele Flüchtlinge ins Land lassen, die dann zu viel furzen, was wiederum das Klima so beeinträchtigt, dass der Golfstrom seine Richtung ändern wird, wodurch wir dann die nächste Eiszeit bekommen und aufgrund des maroden Gesundheitssystems alle verrecken werden.
Aber wehe, jemand besteht darauf, dass es uns, also den Deutschen, besser geht, als wie noch vor dreißig Jahren, und anregt, man solle sich auf das konzentrieren, was gut bei uns läuft. Derjenige, der so etwas sagt, wird bombardiert mit Beweisen des Gegenteils, gilt als weltfremd, als jemand, der seine Augen vor den eigentlichen Problemen unserer Zeit verschließt.
Dabei hat dieser Mensch nie behauptet, dass alles gut sei, wie es ist. Er hat nur darauf hingewiesen, dass es viele Dinge gibt, die besser sind, als wie sie es noch vor einigen Jahren waren. Doch damit macht er sich zum Spielverderber im Club der Dauernörgler. Denn natürlich ist es in allen anderen Bereichen des Lebens viel schlimmer geworden, so dass der Untergang der Menschheit unmittelbar bevorsteht.
Doch es geht auch anders. Selbst in Nörgel-Deutschland gibt es Menschen, die mit einem positiven und optimistischen Blick durchs Leben gehen. Und oft sind es gerade jene, die in der Top-Liga der germanischen Jammerlappen mitspielen könnten.
Vor einigen Jahren führte ich folgendes Telefonat mit einem Bekannten, bei dessen Frau sowohl Parkinson als auch MS im Frühstadium festgestellt wurde:
"Na, wie geht es Euch?"
"Danke, uns geht es gut!"
"Was macht Renate?"
"Die musste noch mal ins Krankenhaus. – Aber uns geht es gut."
"Ach und Du hast Dir deshalb frei genommen? Oder hast Du Nachtschicht, dass ich Dich jetzt zu Hause erreiche?"
"Nein, ich habe mir die Schulter gebrochen und bin krankgeschrieben. Aber glaub mir, es geht uns gut!"
Ich bewundere solche Menschen. Doch wenn ich anderen von diesem Telefonat erzähle, bekomme ich häufiger mal Dinge zu hören wie: "Ach, die lügen sich doch nur selber in die Tasche!" – Und da ist sie wieder, der kleine nach Leid lechzende teutonische Heulsuse, die es nicht fassen kann, dass man nicht mit ihr spielen will.
Trotz aller Bewunderung sind mir allerdings diese Alles-ist-gut-Redner auch irgendwie suspekt. Handelt es sich vielleicht wirklich nur um Verdrängungsmechanismen? Oder sind diese Leute so oberflächlich, dass sie gar nicht sehen, wie die Welt den Bach runtergeht? Wie auch immer – es ist trotzdem gut, dass es sie gibt. Irgendjemand muss schließlich ab und zu etwas Sonnenlicht in unser sonst so düsteres Leben bringen.
Ich selber schließe mich übrigens aus der Riege der Jammerlappen nicht aus. Aber als Betroffener wird man ja wohl hin und wieder mal ein wenig über die ganze Jammerei klagen dürfen.
Wenn man den Durchschnittsdeutschen zur Begrüßung fragt, wie es ihm geht, und er antwortet "Danke, kann nicht klagen!", dann geht es ihm höchstwahrscheinlich ziemlich schlecht. Auf jeden Fall sieht er zumindest in diesem Moment keinen Sinn mehr in seinem Leben. Denn der Deutsche braucht eigentlich immer etwas, worüber er klagen und jammern kann. Das liegt so in seiner Natur, wie den Russen das Saufen und den Japanern das permanente Fotografieren, wenn sie im Urlaub unterwegs sind. In den meisten Deutschen steckt nämlich ein kleiner Masochist, der das Leid braucht, um sich zu spüren. Ohne die Möglichkeit, zu klagen, zu jammern oder sich über etwas zu beschweren, fühlt er sich leer. Diese Leere muss sofort ausgefüllt werden – am besten durch einen neuen Grund zum Klagen.
Besonders deutlich wird das, wenn jemand antwortet, dass es ihm gut gehe:
"Wie geht es Dir?"
"Oh danke, richtig gut!"
"Ach, das ist ja schön – und wie geht es Deiner Mutter?"
Der Fragende weiß natürlich ganz genau, dass die Mutter des anderen schwerkrank in einem Pflegeheim liegt. Da gibt es immer einen Grund zum Klagen. Doch wehe, wenn nicht.
"Wie geht es Dir?"
"Oh danke, richtig gut!"
"Ach, das ist ja schön – und wie geht es Deiner Mutter?"
"Danke der Nachfrage, der geht es auch richtig gut!"
"Die wohnt doch in einem Pflegeheim? Na, dann hat sie ja richtig Glück. Wenn ich da an die Tante meiner Nachbarin denke – oh mein Gott, sind das Zustände in deren Heim …"
Und schon wurde das Gespräch in einen klagerelevanten Bereich umgeleitet, so dass man bei des Deutschen zweitliebsten Beschäftigung nach dem Autofahren angekommen ist.
Aber neben der existenzbedrohenden Lebenssinn-Leere in guten Zeiten, hat das Klagen noch einen anderen Sinn: Man bekommt Aufmerksamkeit. Selbst derjenige, der als langweiliges Nichts durchs Leben geht, hat plötzlich die Chance für einen kurzen Moment im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen.
Der typische Deutsche reagiert also auf Leid wie pawlowsche Hunde und steigt sofort mit einem kaum zu bändigenden Redeschwall in das Gespräch ein, sobald dieses die Themen Krankheit, Gesundheitswesen, Wetter oder Politik auch nur hauchweise streift. Dies sind die Bereiche, in denen es eigentlich immer etwas zu klagen gibt. Und was nicht beklagenswert ist, wird beklagbar gemacht.
"Wie geht es Dir?"
"Danke, mir geht es richtig gut!"
"Na, dann hoffen wir mal, dass das so bleibt. Es kann ja so schnell etwas passieren. Gerade neulich ist der Vater von einem Schulkameraden meines Sohnes einfach so umgekippt. Herzinfarkt. Furchtbar – und die Familie steht jetzt auch noch vor dem Ruin."
An diesem Punkt kann man dann sagen, was man will – das imaginäre Damoklesschwert ritzt schon an der heilen Welt des Wohlbefindens. Schuld sind natürlich immer die Politiker, die Flüchtlinge oder das Wetter. – Oder auch alle auf einmal. Ich warte noch auf den Moment, in dem jemand darüber lamentiert, dass die Politiker zu viele Flüchtlinge ins Land lassen, die dann zu viel furzen, was wiederum das Klima so beeinträchtigt, dass der Golfstrom seine Richtung ändern wird, wodurch wir dann die nächste Eiszeit bekommen und aufgrund des maroden Gesundheitssystems alle verrecken werden.
Aber wehe, jemand besteht darauf, dass es uns, also den Deutschen, besser geht, als wie noch vor dreißig Jahren, und anregt, man solle sich auf das konzentrieren, was gut bei uns läuft. Derjenige, der so etwas sagt, wird bombardiert mit Beweisen des Gegenteils, gilt als weltfremd, als jemand, der seine Augen vor den eigentlichen Problemen unserer Zeit verschließt.
Dabei hat dieser Mensch nie behauptet, dass alles gut sei, wie es ist. Er hat nur darauf hingewiesen, dass es viele Dinge gibt, die besser sind, als wie sie es noch vor einigen Jahren waren. Doch damit macht er sich zum Spielverderber im Club der Dauernörgler. Denn natürlich ist es in allen anderen Bereichen des Lebens viel schlimmer geworden, so dass der Untergang der Menschheit unmittelbar bevorsteht.
Doch es geht auch anders. Selbst in Nörgel-Deutschland gibt es Menschen, die mit einem positiven und optimistischen Blick durchs Leben gehen. Und oft sind es gerade jene, die in der Top-Liga der germanischen Jammerlappen mitspielen könnten.
Vor einigen Jahren führte ich folgendes Telefonat mit einem Bekannten, bei dessen Frau sowohl Parkinson als auch MS im Frühstadium festgestellt wurde:
"Na, wie geht es Euch?"
"Danke, uns geht es gut!"
"Was macht Renate?"
"Die musste noch mal ins Krankenhaus. – Aber uns geht es gut."
"Ach und Du hast Dir deshalb frei genommen? Oder hast Du Nachtschicht, dass ich Dich jetzt zu Hause erreiche?"
"Nein, ich habe mir die Schulter gebrochen und bin krankgeschrieben. Aber glaub mir, es geht uns gut!"
Ich bewundere solche Menschen. Doch wenn ich anderen von diesem Telefonat erzähle, bekomme ich häufiger mal Dinge zu hören wie: "Ach, die lügen sich doch nur selber in die Tasche!" – Und da ist sie wieder, der kleine nach Leid lechzende teutonische Heulsuse, die es nicht fassen kann, dass man nicht mit ihr spielen will.
Trotz aller Bewunderung sind mir allerdings diese Alles-ist-gut-Redner auch irgendwie suspekt. Handelt es sich vielleicht wirklich nur um Verdrängungsmechanismen? Oder sind diese Leute so oberflächlich, dass sie gar nicht sehen, wie die Welt den Bach runtergeht? Wie auch immer – es ist trotzdem gut, dass es sie gibt. Irgendjemand muss schließlich ab und zu etwas Sonnenlicht in unser sonst so düsteres Leben bringen.
Ich selber schließe mich übrigens aus der Riege der Jammerlappen nicht aus. Aber als Betroffener wird man ja wohl hin und wieder mal ein wenig über die ganze Jammerei klagen dürfen.