Kobolde

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Kobolde

Ich wunderte mich schon lange nicht mehr darüber, dass mich kleine Kinder toll fanden. Wo ich auch ging, ständig folgten mir ihre winzigen Augen und ihre Münder formten ein großes „O“. Ich schien sie magisch anzuziehen und sie freuten sich, mir alles erzählen zu können. Was sie auch immer wieder ohne Vorwarnung taten. – Sehr fröhlich und oft sehr zur Verärgerung ihrer Eltern.
Spätestens wenn ich mich eines Tages mit einem munteren Liedchen auf den Lippen und einem Regenschirm in der Hand wieder finden würde, nur um über die Dächer der Stadt davon zu schweben, würde ich wissen, dass auch hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Außerdem wäre ich dann ziemlich wütend. Wer wollte schon eine chronisch gutgelaunte Nanny sein?
Bis dahin konnte ich nur hoffen, dass meine beste Freundin – selber Mutter zweier Kinder – Recht hatte: Kinder mochten mich, weil ich an dieselben Dinge glaubte wie sie.
Ungeheuer im Schrank, schwarze Männer unter dem Bett, Elfen, Feen, Hexen, das volle Programm.
Was meine Freundin nicht wusste, diese Wesen existierten tatsächlich. Kinder wussten das. Und sie ließen sich nicht einreden, dass sie nur geträumt, oder Furcht vor der Dunkelheit hatten.
Sie fürchteten sich aus einem einfachen, sehr logischen Grund: Weil die meisten dieser Wesen tatsächlich furchtbar waren.
Ich allerdings hatte schon vor langer Zeit aufgehört, Angst zu haben. Mein Körper konnte nur ein bestimmtes Maß an Dauerangst ertragen und es gab schrecklichere Wesen als Männer die unter dem Bett lauerten und nach Füßen schnappten, wenn man nur ein Nachthemdchen trug. – Vampire und Werwölfe zum Beispiel.
Alpträume und Kindheitsängste vergingen – meistens sogar ohne fremde Hilfe – chronischer Blutverlust und akute Körperbehaarung blieben ein Leben, bzw. einen Tod lang.
Jaja, ich weiß schon. Wer im Glashaus sitzt und so weiter… aber Hexen finde ich persönlich nicht weiter schlimm, schließlich bin ich selber eine und wenn man mich nach Hexen fragte, lautete meine Antwort: nett, sensibel, sympathisch, gutaussehend… ach ja, und natürlich bescheiden. – Genau meine Personenbeschreibung.
Ab und zu neigen wir dazu extrem Zynisch zu sein und Haare sehr dünn zu spalten. Aber vielleicht war auch nur ich das. Es war das, was ich am besten konnte. – Abgesehen davon, Probleme aller Art anzuziehen.

„Nicki, ich dachte unter eurem Bett ist der schwarze Mann. Teilt er sich den Platz mit Kobolden, oder arbeiten die in Wechselschicht?“ Versuch 1: Mit Rationalität auskontern.
Nicki und Jonathan, die Kinder meiner besten Freundin, sahen mich empört an. Anscheinend hatte ich zu oft Babygesittet, um ihnen mit meiner Art noch den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Merken: Sarkasmus war ansteckend.
„Den hast du doch beim letzten Mal verjagt“, protestierte der vierjährige Jonathan. – Na, wenigstens hatte der Besen geholfen.
Meine Freundin Friede ist zwar entsetzt gewesen, als sie feststellte, dass ich den Kindern einen Besen gekauft hatte, damit sie den schwarzen Mann verprügeln und seine Überreste wegfegen konnten, hatte aber nach einer meiner Erklärungen – die Version für Erwachsene, die nicht mehr an schwarze Männer glaubten – eingesehen, dass es eine gute Idee war.
Wenn die Kinder Angst bekamen, nahmen sie einfach den Besen und fuchtelten vor ihren Alpträumen oder Einbildungen in der Luft herum. – Und wenn der schwarze Mann dabei noch eines auf die Mütze bekam, sollte mir das Recht sein. Der Saukerl hatte mich drei Nächte hintereinander vom Schlafen abgehalten, weil Nickis und Jonathans Schreie mich geweckt hatten.
Auf jeden Fall war der Besen besser, als ihnen einzureden, dass schwarze Männer oder Ungeheuer nicht real waren. Die Erwachsenen konnten endlich wieder in Ruhe schlafen, die Kinder lernten früh, sich zu verteidigen und der schwarze Mann…? Mal ehrlich, was hatte er auch unter einem Bett zu suchen? Selbst Schuld!
Kobolde dagegen waren ein ganz anderes Kaliber. Ich wusste, dass sie existierten, aber ihre Aufgabe sah es nicht vor, unter den Betten von kleinen Kindern zu lauern. Stand zumindest in „Kobolde für Anfänger.“ – Vielleicht hätte ich den Folgeband lesen sollen?!
Missmutig trabte ich hinter den Kindern her, in ihr Zimmer. Mit Ausfallsprüngen schaffte ich es allen Fallen in Form von Legosteinen, Puppenköpfen und Autos zu entkommen und unbeschadet bis zu dem kleinen freien Fleck vor dem Bett zu gelangen.
„Habt ihr schon mal was von aufräumen gehört?“, keuchte ich außer Atem. Mortal Kombat im Kinderzimmer gegen Spielzeug. – Unfair!
„Ach Jenni, das ist doch Absicht, damit der schwarze Mann sich weh tut, wenn er vom Besen getroffen, hinfällt.“
Mmmhhh… ja, das hatte eine gewisse Logik. Leider gefiel sie mir nicht, denn in ihr schwang mit, dass mein Wesen so langsam auf die Kinder abfärbte.
Ich kniete mich nieder und spähte unter das Bett. Großer Gott!
„Wie sollen denn da noch Kobolde drunterpassen?“ Mein Lachen klang ein wenig künstlich, weil ich gegen einen echten Lachanfall ankämpfte. Selten hatte ich so viele Spielsachen auf einen Haufen gesehen. – Oder so viele Staubfusseln.
Ich starrte einige Zeit in die Dunkelheit unter dem Bett. Nicht, weil ich auf Kobolde wartete, sondern weil ich sicher gehen wollte, dass die Staubhaufen, Staubwirbel und Staubfäden nicht eine eigene Kommune gegründet hatten und sich dort demokratischen Abstimmungen und Welteroberungsplänen hingaben. Aber es war einfach ordinärer Dreck, nichts besonderes.
Ich nahm den Besen und fegte alles nach vorne. Ist schon erstaunlich, wozu ein simples Haushaltsgerät alles fähig war. Sehr effektiv und kostengünstig. Notfalls half es auch noch gegen Staub.
„So mal sehen: Staub, Erdklümpfen, undefinierbares Etwas, Spielzeugauto, vergessene Barbie.“ Ich sah in zwei Paar erwartungsvoll geöffnete Kinderaugen. „Tut mir leid, kein Kobold. Kein Koboldloch.“
„Aber die sind da unten.“
Grummelnd erklärte ich mich damit einverstanden, in Nickis Bett zu übernachten. Den Besen behielt ich. – Man konnte ja nie wissen.
Als mitten in der Nacht – warum kamen Kobolde, schwarze Männer und andere kleinen Monster oder großen Ungeheuer eigentlich immer nachts? Hatten sie sich mit den Kindern verschworen, damit ich nie wieder acht Stunden Schlaf am Stück bekam? – Gemurmel unter dem Bett einsetzte, musste ich zugeben, dass Nicki und Jonathan Recht hatten: Koboldalarm.
Glücklicherweise hatten sie ihrer Mutter noch nicht Bescheid gesagt. Die hätte sicher eine Mausefalle aufgestellt – mit nichts kann man einen Kobold wütender machen. Wer mochte es schon, in der Körpermitte gequetscht zu werden?
„Ekelig.“ „Gemeinheit.“ „Frechheit.“ „Unglaublich.“ Das waren nur einige der Kommentare, mit denen die Kobolde die Sauberkeit unter dem Bett bezeichneten.
Ich kicherte leise: Oja! Kobolde fanden Ordnung und Sauberkeit in Kinderzimmern furchtbar. In solchen Zimmer fand man sie nie.
„Wir machen doch nur unseren Job!“, war der letzte Einwand, den ich leise schimpfend hörte, bevor sich die Kobolde zurückzogen.
Jetzt musste ich nur noch die Kinder von Ordnung überzeugen. – Aber das war ein Problem für einen anderen Tag.
 



 
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