KW 14/24 Gedanken nach dem Kafka-Kinofilm

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Kai Kernberg

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KW 14/24 Gedanken nach dem Kafka-Kinofilm

Diese Gefangenschaft ist an sich kein schlechtes Gefühl. Beim "Einfahren" war mir mulmig. Das lag an der Ungewissheit wie das wohl werden würde. Richtig unangenehm war die Verhandlung, öffentlich am Pranger stehen ist seit jeher eine anstrengende Schmach. Sicher auch der Moment der Verhaftung, erkannt zu werden, geschnappt zu werden ist eine Niederlage, aber auch eine Erlösung, irgendwie. Davor die bangende Zeit nach der Tat. Am Anfang habe ich mich noch akribisch versteckt. Ich wagte mich kaum noch aus der eigenen Wohnungstür. Nur bei schlechtem Wetter, mit möglichst hochgeschlossener Kleidung huschte ich zum Einkaufen. Irgendwann wurde ich leichtsinnig. Ich glaubte, es sei Gras über die Sache gewachsen und trat hinaus, um im Alltagsleben aufzugehen. Die Tat selbst. Es war mir sofort klar, dass ich das nicht mehr gut machen kann. "Ganz oder gar nicht?", "Love it or leave it?", "Wenn‘s läuft, dann läuft‘s?". Ich hätte davon ablassen sollen.

Nun ist es eben die Gefangenschaft. Sie ist berechtigt. Sie ist im konkreten Moment durchaus angenehm. Zumindest strahlt der Raum Wärme und Hoffnung aus. Es ist eine Art Turmzimmer, ein runder, großer Raum. Ob er in einem Turm ist und wie das Gebäude überhaupt von außen aussieht, weiß ich nicht. Schon an den Weg hierher kann ich mich nicht erinnern. Mir scheint, als sei die Gefangenschaft an Ort und Stelle um mich herum errichtet worden. Von innen wird das Zimmer an der rund umlaufenden Wand und der Decke von Holzspanten ausgekleidet. Sie sind rötlich und schimmern gelb. Je nach Licht glänzen sie golden oder rosig. Dabei wundere ich mich, wo das Licht herkommen mag. Mein Gefängnis hat keine Fenster und es gibt keine Lampen. Und doch ist der Raum, der das Gewölbe eines mongolischen Beduinenzeltes nachformt, angenehm hell beleuchtet.
Meine Gedanken kreisen um zwei Details. Da ist diese Treppe, die im Holzboden nach unten führt. Dort ist es wohl dunkel. Irgendwoher weiß ich, dass ich diese Treppe hinuntergehen und frei nach draußen passieren könnte. Niemand würde mich daran hindern. Doch ich tue es nicht. Denn ich bin gefangen und dass aus gutem Grund. Die Tat verbietet schon den Schritt auf die erste Stufe.
Was mich noch mehr beschäftigt sind die Wände. Ich lege meine Hand auf das Holz. Die Lasur glänzt, meine Hände streichen über die Maserung. So viele Bretter, die überlappend die Zeltform auskleiden. Ich drehe mich um und blicke durch den Raum. Meine Gefangenschaft ist so geräumig, dass auf einer Hälfte davon der Treppenabgang, ein Esstisch für sechs Personen und eine Küchenzeile Platz findet. Jedes Holzelement hat links einen Haken und rechts eine Öse aus Messing. Billige Haken und Ösen, mit denen man Kaninchenställe verriegelt. Aber glänzend und verlockend. Jeder Haken hält die Öse des nächsten Brettes. Ganz leicht lassen sie sich aushaken. Das ist auch erlaubt. Ich weiß nicht wer es war, aber es wurde mir ausdrücklich erlaubt, sie zu öffnen. Es ist mir auch gestattet Bretter nach Belieben herauszunehmen und die Gefangenschaft gar komplett abzubauen. Möglicherweise stünde ich dann auf einer Wiese, von Sonnenlicht umflutet. Ein Haken, zwei, drei. Die Bretter lassen sich lockern, herauslösen kann ich sie noch nicht. Umherblickend muss ich mir eingestehen, dass die Aufgabe zu groß ist. Alleine werde ich es nicht schaffen, den Raum von innen zu entkleiden.
Warum sollte ich auch? Ich fühle mich hier doch wohl. Die schimmernde Wärme, die nach Wald duftende Ruhe, das umgreifende Gefühl der Geborgenheit. Es gibt keinen Grund, dem zu entfliehen. Es gibt trotzdem den Drang zu entkommen.

"Wir helfen Dir", erklingt es unerwartet von den die Treppe Emporsteigenden. Wo kommen sie her? Woher wissen sie von meinen Gedanken? Sie machen es einfach. Haken an der Wand werden gelöst, Bretter heruntergekommen. Dahinter sind weitere Bretter. Die Aufgabe ist noch viel größer, als ich erahnte. Zum Glück habe ich Hilfe. Zum Glück habe ich Komplizen. Mit ihnen hätte ich auch den Coup planen sollen. Sind sie auch Gefangene? Kommen sie aus einem anderen Turmzimmer? "Wir müssen Pause machen", sind sie sich einig und lassen sich am Tisch nieder. Im Nu ist er voller Flaschen, Teller, Besteck, benutzten Servietten. Alle Plätze sind besetzt und weitere wuseln an der Küche herum. Andere öffnen noch mehr Haken und lösen Bretter. "Wir müssen gehen", gibt einer den Impuls zum Aufbruch. So wollt ihr mich zurücklassen?

Mit einer verwüsteten Gefangenschaft? War es nicht erlaubt, die Wände abzubauen? "Ja, wenn Du es innerhalb eines Tages schaffst, sie vollständig abzutragen, darfst Du Dich von hier aus frei bewegen", fällt mir die Prämisse ein. Wer hat das gesagt? Was ist die Konsequenz, wenn ich es nicht schaffe, wenn ich die Aufgabe nicht zu Ende bringen kann? Nun stehe ich wieder alleine in der Gefangenschaft. Hätte ich doch früher davon abgelassen.
 
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