Lebenslang

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vicell

Mitglied
Nebel, überall wohin ich schaue, ist Nebel. Manchmal finde ich den Herbst einfach unerträglich. Dieser gottverdammte Nebel zum Beispiel.
Er setzt sich überall fest und verschwindet nicht. Manchmal sehe ich ihn draußen durch mein kleines Fenster im dritten Stock einfach tagelang um mich herumschleichen. Dann verschwindet er abrupt und taucht unversehens wieder auf. Und an manchen Tagen, da sehe ich die Sonne kaum. Eigenartig.

Der Telefonhörer hängt immer noch in meiner Hand. Langsam stehe ich auf und räume das Telefon an seinen Platz, und merke, wie die grinsenden Fratzen in mir immer noch unvermindert ihre schamlosen Spiele treiben.
Ich sitze auf meinem Bett, rauche, und starre in die Dunkelheit.
Was hatte sie gesagt?
Ich überlege angestrengt.
Zu Beginn gibt es immer die Hoffnung, sagte sie mir.
Welche Hoffnung? Ich baumele mit den Füßen und genieße die Schwärze, die mich beruhigend einhüllt und mir haltlose Versprechungen macht.
Hoffnung, dass es dieses Mal nicht so schlimm werden wird wie das letzte Mal?
Aber was tun, wenn der selbe gottverdammte Wind um die dieselben grauen Häuser streicht, wenn der Nebel mich förmlich erdrückt, sich in mir bewegt, und niemand mir sagen kann, warum er das tut?
Derselbe eintönige erbarmungslose Wind, er saugt mir alles Leben aus den Knochen, zieht die Wärme aus mir und verlässt mich zitterndes Bündel schließlich hohnlachend.

Ich halte es nicht mehr aus. Wütend stehe ich auf, ziehe meinen Mantel an, stülpe meine Mütze über und kontrolliere sorgfältig meinen letzten Zigarettenbestand.
Und wundere mich lediglich müde, dass sogar noch welche vorhanden sind. Na bravo, gratuliere ich mir stillschweigend, während ich die dunkle Treppe hinuntertappe, zu träge, um Licht zu machen.
Ich entschließe mich zu einem kleinen Spaziergang. Einfach so.
Ich ziehe die Schultern ein und stemme mich nach draußen ins Freie.
Ohne groß zu überlegen, laufe ich los, biege um die dunkle Ecke und verschwinde ins Nirgendwo. Irgendwann muss ich ja mal die Gegend, in der mein Bruder und ich erst knapp zwei Wochen leben, kennenlernen.

Eine große Gestalt kommt aus dem Dunkeln im schnellen Tempo auf mich zu. Ich halte meinen nun wachen Blick unentwegt auf sie/ ihn? gerichtet und registriere dumpf die hallenden Schritte, die an mir vorbeihasten.
Eindeutig keine Frauenschritte, stelle ich fest, drehe mich aber nicht zu der weiterhastenden Gestalt um, sondern setze langsam meinen Weg fort.

Wieso lausche ich eigentlich auf andere Schritte? Auf was warte ich eigentlich?
Was hatte sie gesagt. Ah ja, jetzt erinnere ich mich. Irgendwas mit Tellern. Sie hatte Teller für mich gekauft, achtzehn Stück an der Zahl, weiß sollen sie sein, mit blauem Rand. Sehr hübsch übrigens. Ich mag Blau. Überhaupt liebe ich kräftige Farben. Aber das brauche ich ihr nicht zu sagen. Es ist schon seltsam, eine solche Freundschaft, überlege ich beim Laufen. Oft stelle ich mir die Frage, ob ich diese Freundschaft überhaupt verdiene. Wenn ich ehrlich mit mir bin, etwas, was ich übrigens hasse, dann drängt sich mir die Gewissheit auf, diese einzigartige und unverbrüchliche Freundschaft nicht verdient zu haben.
Ich bin unsicher, lenke meine Schritte in die kleine Nebenstrasse, die unvermutet vor mir auftaucht und lasse meine Gedanken spielen.
Ich glaube weder an Schicksal, noch an vorherbestimmte Sachen, jedoch glaube ich fest an den Zufall und an mein Leben mit ihm. Und an meine Liebe zu ihr.

Unser erster Abend kommt mir in den Sinn. Rainer, ein Freund von mir, und ich wollten ins Kino. Ich wartete auf ihn, war einige Minuten vor ihm da gewesen und freute mich sehr auf unseren Abend.
Schließlich tauchte seine lange Gestalt auf, drückte mich und eröffnete mir gleichzeitig, dass er noch eine Freundin eingeladen hätte. Ob ich etwas dagegen hätte, fragte er mich etwas schüchtern. Ich blinzelte ihn erstaunt an, überlegte und verneinte schließlich.
Wir warteten also gemeinsam auf seine Freundin und endlich kam sie herbeigeeilt.
Eine fröhlich vibrierende Stimme hatte sie, und ihre ansteckende Herzlichkeit eroberte mein Herz im Sturm.

Es war ein sehr langer und intensiver Abend. Nach dem Film saßen wir noch zu dritt stundenlang im Café und schwatzten über Gott und die Welt. Und die Welt erschien uns so vertraut klein an diesem unvergesslichen Abend.
Wenn sie lachte, dann vibrierte ihr ganzer Körper vor Lebensfreude und ihre explodierende Ausgelassenheit schwemmte alles Trübsal weg.
Ich konnte nicht anders, ich bewunderte sie und ließ sie den ganzen Abend kaum aus den Augen. Ihre sorgfältig gezupften Brauen, die kleine wohlgeformte Nase, ihre rehbraunen Augen, die im dämmrigen Licht funkelten, und ihr üppiges lockiges dunkles Haar formten ein harmonisches Ganzes, welches mir gutgelaunt entgegenstrahlte. Ich war glücklich.

Ich habe meine Schritte angehalten und starre in das Dunkle. Kurz überlege ich, ob ich jetzt nicht einfach nach Hause gehen sollte, mein Bruder wartet auf mich, schießt es mir durch den Kopf, aber ich laufe weiter. Immer weiter und weiter, solange, bis das Grau des Nebels den Moment ertränkt, indem ich mich befinde.

Ihre verzweifelte Stimme vorhin am Telefon. Ich war unfähig gewesen zu sprechen angesichts dieser Wut in der Stimme. Ich habe sie doch nicht gewollt, diese Wut. Gehasst und vor allem nicht verstanden habe ich sie, diese Erbitterung und Verzweiflung.

Es war so ein schöner Abend damals, überlege ich flüchtig. Eine fantastische Freundschaft, die diesem Abend folgte. Sie war einfach da, eigentlich unglaublich. Es brauchte nur dieser kleine winzige Augenblick, indem Rainer uns beide
vorstellte, und mein Leben schlug eine andere Richtung ein.

Zwei kleine unsichere Menschen, ständig auf der Suche nach Größeren und unvorstellbaren Dingen wie die Liebe, hatten sich gefunden und bildeten ein unschlagbares Ganzes.
Ich denke heute, dass mich das letzte Jahr, seit ich sie kenne, mehr geändert hat, als die Jahre zuvor. Sicher, da waren noch viele andere Dinge, die mir eine Richtung gaben, andere Menschen und Freunde, aber sie hatten ihr sicheres Leben und Einkommen, und führten ein völlig anderes Leben, als ich es tat.
Sie und ich allerdings haben soviel gemeinsam, dass es beinahe schmerzt. Und für diesen Schmerz liebe ich sie.
Dabei sind wir so unterschiedlich, denke ich müde, als ich meine Schritte langsam auf die andere Seite lenke. Es ist so eigenartig hell, als ich die Straße überqueren will. Ich bleibe stehen und blinzele unentschlossen ins Licht.
„Carol?“
Ich bemerke die zwei Lichter in ihren Augen, die mich anlachen und mir ihre Liebe förmlich entgegen schreien.

Ich werde von dem Kreischen des heranrasenden Autos emporgehoben und falle wie ein müdes Herbstblatt, welches eigentlich erst nach seinem Fall in voller Schönheit leuchtet und von den Fußgängern achtlos beiseite getreten wird, sanft zu Boden.
Noch einmal will ich Carols Namen rufen, aber ich schaffe es nicht. So müde kann nur ein Toter sein, denke ich langsam und grinse über diesen Schwachsinn, der durch mein unfallgeschädigtes Hirn tobt.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, dringt eine erschrockene männliche Stimme an mein Ohr.
Was ist hier los? Ich will mich umdrehen, zu dieser Stimme, aber ich kann mich nicht bewegen. Ich spüre nichts und versinke in mein geliebtes Nebelgrau, das mir nun endlich sein Geheimnis verrät: Fluss und Bewegung, das Streicheln des Windes, er hat mich in sein nebliges Innerstes eingeschlossen. Ich lächele über soviel Naivität, lasse mich aber von fremden Händen, die den unruhigen Nebel in mir erbarmungslos beiseite wischen, hochheben.
Mein Gott, wie vertraut erscheint mir das alles, flüstere ich unhörbar dem verständnisvollen Nebel in mir zu, der nicht von meiner Seite weichen will.
Ein Gesicht beugt sich über mich und atmet mich an.
„Können Sie mich hören?“, laut und fremd ist es, und voller Leben.
Ich will auch leben, denke ich langsam und qualvoll und habe die Frage und das Gesicht schon wieder vergessen.
Das entsetzte Gesicht über mir verschwindet schnell und ich höre die Stille in mir, die gierig mein Restleben aufsaugt. Das widerliche Schmatzen bringt mich fast um meinen Verstand.
„Mein Gott, beeilen Sie sich, die Kleine schafft es sonst nicht mehr...“
Verdammt, von wem reden die? Ich überlege, kann aber meine Gedanken nicht mehr ordnen.

Carol steht vor mir, morgendlich frisch, nur die Erschöpfung in ihren weichen Augen ist sichtbar. Aber sie hatte ihr Haar gebürstet und steht sehr aufrecht da, wieder ganz sie selbst, so als wenn dieses grauenvolle Telefonat nie gewesen wäre. In der strahlenden Luft um sie herum ist sie das Schönste, was ich je gesehen habe.
Ihr leises Lächeln dringt zu mir und streichelt mich, streicht den letzten Schmerz von mir und wieder fühle ich mich so glücklich, leicht und unbeschwert wie an unserem ersten Abend vor so langer Zeit...Ich sehe Carol, wie sie dasteht, so völlig selbstverständlich und gelassen, aufgeregt und nervös, aber vor Liebe überströmend. Als wüchse sie aus dem Boden, geschichtslos, nur der Erde zugehörig, wie die riesigen Bäume an der Straße hinter mir, die auftauchen, mich streifen und rasend schnell wieder verschwinden, dem weinendem Krankenwagen stumm Platz machend. Es scheint mir, als weine die ganze Stadt.

Ich sehe immer noch unverwandt Carol und atme tief ihre Gegenwart ein. Als sie mich zum Abschied vorsichtig an sich zieht, spüre ich den vertrauten Duft von wilden Kirschen in ihrem Haar.

Ich schließe glücklich die Augen und lasse mich auf einer Trage herausheben.
Still und seelenlos baumelt mein erschöpfter Körper zwischen den dahineilenden Männern und betrachtet den Nebel, der ihm erbarmungslos seinen plötzlichen unerklärlichen Drang zu leben ausreden will.

Die Männer verschwinden leise und einer von ihnen berührt mich wie zum Abschied leicht an der Schulter. Ich will den Gruß erwidern, aber ehe ich zu Ende denken kann, sind sie weg.

„Lasst mich bitte leben...“, flüstere ich leise vor mich.
Aber niemand hört mich, sie sind unerreichbar für mich geworden.

Der Nebel in mir triumphiert und umschlingt mich besitz ergreifend. Sein mitleidloses Grau umfasst mich mit einer weichen Härte und zieht mich unentwegt in seine Arme.

Ich richte mich, unsichtbar für die anderen geworden, auf und erblicke Carol, die immer noch mit ihrem schwarzen Mantel und dem Kirschduft im Haar dasteht und mich vorsichtig anlächelt.
Ich lächle zurück und spüre den Schmerz unserer Liebe.

Langsam stehe ich auf und gehe auf sie zu.
 

Zinndorfer

Mitglied
Hallo Vicellomania, eine interessante Story. Ich denke, die Figur des Rainer solltest du nicht komplett untergehen lassen, nachdem du ihn erst mal eingeführt hast, und dann meine ich, es wäre DANN DOCH ein bisschen viel Nebel im Text. Aber dieses Forum hier ist ja ganz begeistert von Wortwiederholungen, sodass du es ebensogut lassen kannst. ;-)
Gruß Zinndorfer



Nebel, überall wohin ich schaue, ist Nebel. Manchmal finde ich den Herbst einfach unerträglich. Dieser gottverdammte Nebel zum Beispiel.
Er setzt sich überall fest und verschwindet nicht. Manchmal sehe ich ihn draußen durch mein kleines Fenster im dritten Stock [strike]einfach[/strike] tagelang um mich herumschleichen. Dann verschwindet er einfach und taucht unversehens wieder auf. Und an manchen Tagen sehe ich die Sonne kaum. Eigenartig.
Der Telefonhörer hängt immer noch in meiner Hand. Langsam stehe ich auf und räume das Telefon an seinen Platz, bin mir [strike]der Tatsache [/strike]bewusst, dass die [red]grinsende[/red] Fratzen in mir immer noch unvermindert ihre schamlosen Spiele treiben.
Ich sitze auf meinem Bett, rauche, und starre in die Dunkelheit.
Was hatte sie gesagt?
Ich überlege angestrengt.
Zu Beginn gibt es immer die Hoffnung, sagte sie mir.
Welche Hoffnung? Ich baumele mit den Füßen und genieße die Schwärze, die mich beruhigend einhüllt und mir haltlose Versprechungen macht.
Hoffnung, dass es dieses Mal nicht so schlimm werden wird wie das letzte Mal?
Aber was tun, wenn der selbe gottverdammte Wind um die dieselben grauen Häuser streicht, wenn der Nebel mich förmlich erdrückt, sich in mir bewegt, und niemand mir sagen kann, warum er das tut?
Derselbe eintönige erbarmungslose Wind, er saugt mir alles Leben aus den Knochen, zieht die Wärme aus mir und verlässt mich zitterndes Bündel schließlich hohnlachend.

Ich halte es nicht mehr aus. Wütend stehe ich auf, ziehe meinen Mantel an, stülpe meine [strike]geliebte[/strike] in dem Zusammenhang schnurz Mütze über und kontrolliere sorgfältig meinen letzten Zigarettenbestand.
Und wundere mich lediglich müde, dass sogar noch welche vorhanden sind. Na bravo, gratuliere ich mir stillschweigend, während ich die dunkle Treppe hinuntertappe, zu träge, um Licht zu machen.
Ich entschließe mich zu einem kleinen Spaziergang. Einfach so.
Ich ziehe die Schultern ein und stemme mich nach draußen ins Freie.
Ohne groß zu überlegen, laufe ich los, biege um die dunkle Ecke und verschwinde ins Nirgendwo. Irgendwann muss ich ja mal die Gegend [blue]kennen lernen[/blue], in der mein Bruder und ich erst knapp zwei Wochen leben. [strike]kennen lernen.[/strike]

Eine dunkle Gestalt kommt [blue]schnell[/blue] auf mich zu. Ich halte meinen [strike]nun [/strike]wachen Blick unentwegt auf sie/ ihn? gerichtet und registriere dumpf die hallenden Schritte, die an mir vorbeihasten.
Eindeutig keine Frauenschritte, stelle ich fest, drehe mich aber nicht zu der [strike]nun [/strike]davoneilenden Gestalt um, sondern setze langsam meinen Weg fort.

Wieso lausche ich eigentlich auf andere Schritte? Auf was warte ich eigentlich?
Was hatte sie gesagt. Ah ja, jetzt erinnere ich mich. Irgendwas mit Tellern. Sie hatte Teller für mich gekauft, achtzehn Stück an der Zahl, weiß sollen sie sein, mit blauem Rand. Sehr hübsch übrigens. Ich mag Blau. Überhaupt liebe ich kräftige Farben. Aber das brauche ich ihr nicht zu sagen. Es ist schon seltsam, eine solche Freundschaft, überlege ich beim Laufen. Oft stelle ich mir die Frage, ob ich diese Freundschaft überhaupt verdiene. Wenn ich ehrlich mit mir bin, etwas, was ich übrigens hasse, dann drängt sich mir die Gewissheit auf, diese einzigartige und unverbrüchliche Freundschaft nicht verdient zu haben.
Ich bin unsicher, lenke meine Schritte in die kleine Nebenstrasse, die unvermutet vor mich auftaucht und lasse meine Gedanken spielen.
Ich glaube weder an Schicksal, noch an vorherbestimmte Sachen, jedoch glaube ich fest an den Zufall und an mein Leben mit ihm. Und an meine Liebe zu ihr.

Unser erster Abend kommt mir in den Sinn. Rainer und ich wollten ins Kino. Ich wartete auf ihn, war einige Minuten vor ihm da gewesen und freute mich sehr auf unseren Abend.
Schließlich tauchte seine lange Gestalt auf, drückte mich und eröffnete mir gleichzeitig, dass er noch eine Freundin eingeladen hätte. Ob ich etwas dagegen hätte, fragte er mich etwas schüchtern. Ich blinzelte ihn erstaunt an, überlegte und verneinte schließlich[strike] seine Frage[/strike].
Wir warteten also gemeinsam auf seine Freundin und endlich kam sie herbeigeeilt.
Eine fröhlich vibrierende Stimme hatte sie, und ihre ansteckende Herzlichkeit eroberte mein Herz im Sturm.

Es war ein sehr langer und intensiver Abend. Nach dem Film saßen wir noch zu dritt stundenlang im Café und schwatzten über Gott und die Welt. Und die Welt erschien uns so vertraut klein an diesem unvergesslichen Abend.
Wenn sie lachte, dann war es alles, was sie tat.??? Ihr ganzer Körper vibrierte und ihre explodierende Ausgelassenheit schwemmte alle Trübsal weg.
Ich konnte nicht anders, ich bewunderte sie und ließ sie den ganzen Abend kaum aus den Augen. Ihre sorgfältig gezupften Brauen, die kleine wohlgeformte Nase, ihre rehbraunen Augen, die im dämmrigen Licht funkelten, und ihr üppiges lockiges dunkles Haar formten ein harmonisches Ganzes, [blue]das [/blue]mir gutgelaunt entgegenjauchzte. Ich war glücklich.

Ich habe meine Schritte angehalten und starre in das Dunkle. Kurz überlege ich, ob ich jetzt nicht einfach nach Hause gehen sollte, mein Bruder wartet auf mich, schießt es mir durch den Kopf, aber ich laufe weiter. Immer weiter und weiter, solange, bis das Grau des Nebels den Moment ertränkt, indem ich mich befinde.

Ihre verzweifelte Stimme vorhin am Telefon. Ich war unfähig gewesen zu sprechen angesichts dieser Wut in der Stimme. Ich habe sie doch nicht gewollt, diese Wut. Gehasst und vor allem nicht verstanden habe ich sie, diese Erbitterung und Verzweiflung.

Es war so ein schöner Abend damals, überlege ich flüchtig. Eine fantastische Freundschaft, die diesem Abend folgte. Sie war einfach da, eigentlich unglaublich. Es brauchte nur dieser kleine winzige Augenblick, indem Rainer uns beide vorstellte, und mein Leben schlug eine andere Richtung ein war schon . Zwei [strike]kleine [/strike]unsichere Menschen, ständig auf der Suche nach Größeren und unvorstellbaren Dingen wie die Liebe, hatten sich gefunden und bildeten ein unschlagbares Ganzes.
Ich denke heute, dass mich das letzte Jahr, seit ich sie kenne, mehr geändert hat, als die Jahre zuvor war schon . Sicher, da waren noch viele andere Dinge, die mir eine Richtung gaben, andere Menschen und Freunde, aber sie hatten ihr sicheres Leben und Einkommen, und führten ein völlig anderes Leben, als ich es tat.
Sie und ich allerdings haben soviel gemeinsam, dass es beinahe schmerzt. Und für diesen Schmerz liebe ich sie.
Dabei sind wir so unterschiedlich, denke ich müde, als ich meine Schritte langsam auf die andere Straßenseite lenke. Es ist so eigenartig hell, als ich die Straße überqueren will. Ich bleibe stehen und blinzele unentschlossen ins Licht.
„Carol?“ [red]ich[/red] bemerke die zwei Lichter in ihren Augen, die mich anlachen und mir ihre Liebe entgegen schreien.
Ich werde von dem Kreischen des heranrasenden Autos emporgehoben und falle wie ein totes Herbstblatt,[blue] das [/blue] eigentlich erst nach seinem Fall in voller Schönheit leuchtet und von den Fußgängern achtlos beiseite getreten wird, sanft zu Boden.
Noch einmal will ich Carols Namen rufen, aber ich schaffe es nicht. So müde kann nur ein Toter sein, denke ich schwach und grinse über diesen Schwachsinn, der durch mein [red]Unfallgeschädigtes [/red]Hirn tobt.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ dringt eine erschrockene männliche Stimme an mein Ohr.
Was ist hier los? Ich will mich umdrehen, zu dieser Stimme, aber ich kann mich nicht bewegen. Ich spüre nichts und versinke in mein geliebtes Nebelgrau, der mir nun endlich sein Geheimnis verrät: Fluss und Bewegung, das Streicheln des Windes, er hat mich in sein nebliges Innerstes eingeschlossen. Ich lächele über soviel Naivität, lasse mich aber von fremden Händen, die den flüsternden Nebel in mir erbarmungslos beiseite wischen, hochheben.
Mein Gott, wie vertraut erscheint mir das alles, flüstere ich unhörbar dem verständnisvollen Nebel in mir zu, der nicht von meiner Seite weichen will.
Ein Gesicht beugt sich über mich und atmet mich an.
„Können Sie mich hören?“, laut und fremd ist es, dieses Gesicht, so voller Leben.
Ich will auch leben, denke ich langsam und qualvoll und habe die Frage und das Gesicht schon wieder vergessen.
Das entsetzte Gesicht über mir verschwindet schnell und ich höre die Stille in mir, die gierig mein Restleben aufsaugt. Das widerliche Schmatzen macht mich [strike]noch ganz[/strike] verrückt.
„Mein Gott, beeilen Sie sich, die Kleine schafft es sonst nicht mehr...“
Verdammt, von wem reden die? Ich überlege, kann aber meine Gedanken nicht mehr ordnen.
Carol steht vor mir, morgendlich frisch, nur die Erschöpfung in ihren weichen Augen ist sichtbar. Aber sie hatte ihr Haar gebürstet und steht sehr aufrecht da, wieder ganz sie selbst, so als wenn dieses grauenvolle Telefonat nie gewesen wäre. In der strahlenden Luft um sie herum ist sie das Schönste, was ich je gesehen habe.
„Liebes“, ihr leises Flüstern dringt zu mir und streichelt mich, streicht den letzten Schmerz von mir und wieder fühle ich mich so glücklich , leicht und unbeschwert wie an unserem ersten Abend vor so langer [red]Zeit...Ich [/red]sehe Carol, wie sie dasteht, so völlig selbstverständlich und gelassen, aufgeregt und nervös, aber vor Liebe überströmend. Als wüchse sie aus dem Boden, geschichtslos, nur der Erde zugehörig, wie die riesigen Bäume an der Straße hinter mir, die auftauchen, mich streifen und rasend schnell wieder verschwinden, dem weinendem Krankenwagen stumm Platz machend. Es scheint mir, als weine die ganze Stadt.

Ich sehe immer noch unverwandt Carol und atme tief ihre Gegenwart ein. Als sie mich zum Abschied vorsichtig an sich zieht, spüre ich den vertrauten Duft von wilden Kirschen in ihrem Haar.

Ich schließe glücklich die Augen und lasse mich auf einer Trage herausheben.
Still und seelenlos baumelt mein erschöpfter Körper zwischen den dahineilenden Männern und betrachtet den Nebel, der ihm erbarmungslos seinen plötzlichen unerklärlichen Drang zu leben ausredet.

Die Männer verschwinden leise und einer von ihnen berührt mich wie zum Abschied leicht an der Schulter. Ich will den Gruß erwidern, aber ehe ich zu Ende denken kann, sind sie weg.

„Lasst mich bitte leben...“, flüstere ich leise vor mich.
Aber niemand hört mich, sie sind unerreichbar für mich geworden.

Der Nebel in mir triumphiert und umschlingt mich besitz ergreifend. Sein mitleidloses Grau umfasst mich mit einer weichen Härte und zieht mich unentwegt in seine Arme.

Ich richte mich, unsichtbar für die anderen geworden, auf und erblicke Carol, die immer noch mit ihrem schwarzen Mantel und dem Kirschduft im Haar dasteht und mich vorsichtig anlächelt.
Ich lächle zurück und spüre den Schmerz unserer Liebe.

Langsam stehe ich auf und gehe auf sie zu.
 

Tartan

Mitglied
Hi Lieblingscello!

Weißt ja, dass mir der Text von dir gefällt, gelle? :)

( Aber ganz schön melancholisch. Hab beim ersten Mal lesen ziemlich schlucken müssen! )

*Busserl*

Dat Tartänsche
 

vicell

Mitglied
Hallo Zinndorfer,
danke für deine Hinweise!!!
...und tatsächlich, dein kundiges Späherauge hat so einige nette Stellen entdeckt, die ich gleich mal korrigiert habe.
Nun, wiegesagt, es eine Geschichten über zwei Freundinnen, eine Liebesgeschichte und für die Figur des Rainers sah ich in diesem Zusammenhang keinen Platz mehr. Dhaer entschied ich mich dagegen, ihn noch etwas ausfürhlicher darzustellen.
Ob dieses Forum nun Wortwiederholungen liebt oder nicht, sei mal dahingestellt, ich jedenfalls bin kein allzugroßer Fan davon...(wie kommst du eigentlich drauf??)daher hab ich einige Sachen nochmals überarbeitet.
Was den Nebel anbelangt, er ist und bleibt hier das Schlüsselelement. Windige Sache, sowas, ich weiß, aber das gibt dieser Story, die aus einer rein emotionalen Situation heraus entstanden und runtergeschrieben worden ist (mehr verrat ich aber nicht, sonst wirds zu rührselig *lächel*) genau den Beigeschmack, den ich damals haben wollte.
Ums mal profan auszudrücken...:)

Tartan, dear, vielen Dank für die Blumen...

Lieben Gruß nochmal und ein extra Dankeschön fürs aufmerksame Lesen!

Gruß,
die vic *manchmal nebelsüchtig*
 



 
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