Lisa

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Der Denker

Mitglied
"Tu das nicht, Lisa."
Seit sie aus seinem Haus gestürmt war, rannte ich hinter ihr her und redete ohne Pause auf sie ein. Den ganzen Weg hatte sie gegen die Tränen angekämpft. Sie wollte niemandem zeigen wie sehr sie verletzt war. Sie lief den Weg von Martins Wohnung bis zu ihrer eigenen, die am anderen Ende des Viertels lag. Jeder Stein war ihr vertraut, normalerweise genoss sie den langen Spaziergang, doch heute wollte sie nur so schnell wie möglich zu Hause sein. Er hatte Schluss gemacht, nach so langer Zeit, hatte sie einfach abserviert.
Vor ihrem Haus kramte sie in Hektik den Wohnungsschlüssel heraus und schloss mit zitternder Hand auf.
Ohne ihn hatte nichts mehr einen Sinn - ich wußte, dass sie das glaubte. Schnell lief sie die Treppen zu ihrem Zimmer hinauf, an der verdutzten Nachbarin vorbei, riss die Türe auf, warf sie hinter sich zu und ließ sich aufs Bett fallen.
Nun da sie glaubte, alleine zu sein, brach alles heraus. All ihr Schmerz, die Verzweiflung und die Wut entluden sich in Tränen und Wutschreien. Nach einer Weile wurde sie ruhiger, setzte sich noch immer weinend auf und nahm eine Tablettenschachtel aus dem Nachtisch. Seit der Arzt ihr diese Schlaftabletten verschrieben hatte, weil sie oft nicht einschlafen konnte, befürchtete ich genau diese Situation.
"Das ist der falsche Weg!" Sie hörte mich nicht, natürlich nicht. Aber ich konnte doch nicht einfach tatenlos zusehen.
"Willst du nicht noch einmal darüber schlafen", versuchte ich Zeit zu gewinnen. "Ach, warum hörst du mich denn nicht", rief ich verzweifelt - und für eine Weile schien es, als sei ich zu ihr durchgedrungen.
Sie hielt inne, starrte auf die Tablettenschachtel in ihrer Hand. Ich kniete vor ihr nieder, um ihr Gesicht zu sehen, wollte es in beide Hände nehmen, ihr die Tränen wegwischen, sie trösten und ihr zeigen, dass ich für sie da war.
Dieser Anblick brach mir fast das Herz - wenn ich nicht unfähig wäre zu weinen...
Gedankenverloren wollte ich ihr über die Wange streicheln und verfluchte mich als meine Hand durch die zarte Haut fuhr wie durch ein Hologramm. Sie drehte die Schachtel in ihren Händen, schniefte und rieb sich die Augen.
Ich kannte Lisa seit ihrer Geburt, war ihr sofort zugeteilt worden und hatte sie fortan immer begleitet. Ich wusste um die dunklen Seiten ihres Lebens, kannte ihren Schmerz und die Unsicherheit, die sie plagte. Ich hatte schon oft Angst um sie gehabt, doch diesmal wusste ich, dass sie es bitterernst meinte, ich wusste, dass sie glaubte, diesen Schmerz über ihre heute verlorene Liebe nicht ertragen zu können. In diesem Moment dachte sie, dass es nie wieder so schön sein könne wie mit Martin.
Sie riss die Schachtel mit einem Ruck auf und verstreute die Tabletten auf dem Boden.
"Lass das liegen!" Doch sie hörte mich nicht, nahm meine Gegenwart nicht wahr, sondern kroch durch mich hindurch auf dem Boden herum, um sie Tabletten einzusammeln.
Ein kalter Luftzug fuhr mir durch das Haar. Es war dunkler geworden und ich spürte die Anwesenheit des Todesengels.
"Gib auf. Lass sie ihren Frieden finden", hörte ich die eisige, körperlose Stimme.
"Nein! Lass sie! Noch ist es nicht zu spät!" Ich wollte seine Anwesenheit nicht akzeptieren, wollte ihre Seele nicht an ihn verlieren. Noch war ihre Zeit nicht gekommen, noch war ihr junges Leben nicht vorbei, das wusste ich. Ich hoffte es zumindest.
Aus dem Schatten, den der Vorhang an die Wand warf, löste sich eine große, schwarz umhüllte Gestalt. Sie trug eine Kapuze und darunter schien statt des Gesichtes nur ewige Dunkelheit und Vergessen.
"Du wirst sie nicht aufhalten können. Sie ist zu entschlossen. Sie kann dich doch nicht einmal hören", sprach er ohne Emotion und schwebte näher.
"Ich warne dich! Bleib ihr vom Leib!" Ich war aufgesprungen und stellte mich der wallenden Kutte entgegen.
Er blieb abrupt stehen. "Was? Willst du den Tod aufhalten?"
Es war mir völlig klar, wie aussichtslos das schien. Und doch hoffte ich, den Todesengel überzeugen zu können, dass sie aus einer Kurzschlusshandlung dazu bereit war, ihr Leben einfach aufzugeben. Und es lag an mir, sie davon zu überzeugen, dass ihr Leben noch lange nicht vorbei war, das noch so viel vor ihr lag. So viele schöne Dinge, die sie noch zu erwarten hatte.
"Lass ihr doch noch ein bißchen Zeit", flehte ich ihn an.
"Ihre Zeit hier auf der Erde ist vorüber."
Ich griff bittend seinen Umhang. "Gib ihr eine letzte Chance und mir einen letzten Versuch!"
Der Todesengel schwieg. Er schien mich anzustarren. Dann blickte er hinüber zu ihr, sie war gerade mit einem Glas Wasser zurückgekehrt, und wieder zu mir.
"Einen letzten Versuch? Was willst du tun?" fragte er mich erstaunt.
"Du wirst sehen." Ich drehte mich zu Lisa um und hielt meine Hand an ihre Schläfe:
"Erinnere dich..."

"Ah da bist du ja Kleines", lachte Lisas Großvater, als sie die Türe öffnete, kaum groß genug, um an die Türklinke zu fassen.
"Hallo, Opa!"
Er breitete seine Arme aus und sie rannte ihm entgegen.
"Ich hab dich ganz doll lieb", brummelte Opa, drückte sie fest an sich und strahlte über das ganze Gesicht.
"Und ich hab dich ganz sehr viel mehr lieber."
Da lachte ihr Opa und Lisa kicherte auch. Er setzte sie wieder ab und nahm sie bei der Hand.
"Na, wollen wir in die Stube gehen?"
Lisa war wie immer sehr aufgeregt und sprang wild umher, als sie das hörte. "Au ja!"
Dann gingen sie zu Opa in die Werkstatt, wo überall Holzblöcke, Stäbe, Stoffrollen, Werkzeuge, hölzerne Puppen und Miniaturmöbel herumstanden. Opa war früher einmal Puppenmacher gewesen. Mit der Zeit hatte er zwar sein Geschäft aufgeben müssen, aber es machte ihm so viel Freude, neue Puppen zu entwerfen, da seine Enkelin ihm immer kleine selbst erfundene Theaterstückchen vorführte. Er kreierte zusammen mit ihr die fantastischsten Wesen und mit Lisas unglaublicher Fantasie waren ihnen keine Grenzen gesetzt. So hatten sie gute und böse Zauberer geschaffen, liebliche Prinzessinnen mit zugehörigen heldenhaften Rittern in schillernder Rüstung, gewaltige, schuppige Drachen, große Könige, Elfen, Schrate, Trolle und Riesen. Daneben hatten sie auch viele neue Wesen gebastelt, wie die neugierigen Blumboldlinge, schlecht gelaunte Meckerzwerge und zwergenhafte Gewittermümmler.
Den ganzen Nachmittag sägten und bastelten sie, wenn sie bei Opa war, wobei das Sägen natürlich er übernahm und sie dann klebte, bemalte und Stoff schnitt.
Außerdem brachte sie dem Opa fast jedes Mal Zeichnungen mit, wie ihre neuste Kreatur aussehen sollte und der Opa verstand es,, aus den bunten Kreisen und Strichen die Figur herauszulesen und nachzubauen.
Und wie an jedem Abend kam Opa auch diesmal in den Genuss einer Theatervorstellung. Nachdem sie zusammen einen Pudding gegessen hatten - diesmal waren Opa und Lisa besonders froh und der Pudding besonders lecker, weil nicht mal die Milch übergekocht war, wie sonst üblich - begann Lisa mit ihrer Vorführung.
Opa war diesmal noch begeisterter als sonst. Er rief dem Helden immer zu, er solle sich vor dem Drachen in Acht nehmen, aber der Dummkopf hörte ja nie auf ihn.
Sie lachten zusammen den ganzen Abend, bis Lisa einschlief und Opa sie zu Bett brachte.


Lisa musste plötzlich lächeln, als sie sich an ihren Großvater erinnerte. Die Zeit mit ihm war einfach herrlich gewesen.
"Schön, eine positive Erfahrung, aber sie musste so viel Schlimmes erleiden." Der Todesengel streckte den Arm aus und Dunkelheit stieg ihr aus seinem Ärmel in Augen, Ohren, Mund und Nase. "Erinnere dich, Lisa..."

"Hähä. Guck dir die an", hörte sie einen Jungen hinter sich sagen. Sie ging weiter und tat als schmerzten sie die Worte und Blicke nicht. Lange schon hatte sie aufgehört sich zu fragen, was mit ihr nicht in Ordnung war und warum sie von den Mitschülern nicht akzeptiert wurde.
Mittlerweile war sie schon ungefähr sechs Jahre an dieser Schule und war es inzwischen fast gewohnt, dass man über sie herzog. Im Gang setzte sie sich auf eine freie Bank und zog ein Buch aus ihrer Tasche. Hinter diesem Schutzwall fühlte sie sich sicherer und hoffte, man würde sie so einfach übersehen.
In die fantastischsten Abenteuer vertieft fiel es ihr leichter, das Lachen, die gemeinen Bemerkungen und die Fingerzeige der Schüler zu ignorieren.
Sie las gerne solche Geschichten. Weit weg von ihrer Welt. Dort gab es niemanden, der sie ärgerte. Nein, dort war sie sogar eine mächtige Magierin oder Kommandantin eines gewaltigen Raumschiffes, wenn sie es wollte. Sie hatte viele Freunde, darunter riesige Drachen, ganze Kriegerheere, oder die Außerirdischen der gesamten Milchstraße.
Seit sie auf dieser Schule war, hatte sie begonnen, ihre Gefühle immer besser abzuschirmen. Sie wollte keinem zeigen, was sie fühlte, wie sehr sie die Bemerkungen der Anderen verletzten.
Anfangs war es noch schwer gewesen, da schaffte sie kaum, ihre verräterischen Tränen zurückzuhalten. Aber inzwischen hatte sie das einigermaßen unter Kontrolle. Bemerkungen wie "Sieh dir mal die häßliche Pute an." oder "Captain, wir sind auf eine fremde Rasse gestoßen.", quittierte sie inzwischen nur noch mit einem Heben der Augenbraue.
Wenn sie durch die Gänge der Schule lief, konzentrierte sie sich darauf, immer möglichst finster zu blicken, damit sich keiner mehr an sie herantraute. Mit der Zeit nahmen die Bemerkungen ein bißchen ab. Es machte wohl keinen Spass mehr, wenn Lisa nicht in Tränen ausbrach.
Leider hatte sie durch diese Abschottung auch keine Freunde. So blieb ihr nichts Anderes übrig, als ihren Kummer für sich zu behalten.
Ihre Mutter interessierte sich sowieso nur für das, was in ihrem Zeugnis stand und Lisa tat ihr auch den Gefallen und sorgte für gute Noten. Aber in ihrem Inneren litt sie unter der mangelnden Akzeptanz ihrer Mitschüler. Sie bekam Magenkrämpfe und Übelkeit. Jeden Morgen musste sie darum kämpfen, in die Schule zu gehen, sich wieder dem Terror dieser kleinen Monster aussetzen. Sie musste akzeptieren, dass Lehrer über solche Neckereien und Scherze hinwegsahen, auch wenn sie ihr wehtaten.
Aber wirklich tief verletzt worden, war sie von ihrer Freundin Beate. Sie war damals die erste, die sich an Lisa herantrauten. Zuerst blieb es bei vereinzelten, kurzen Gesprächen, dann sahen sie sich immer öfter und stellten sogar schnell viele Gemeinsamkeiten fest. Bald verbrachten sie fast jede Pause zusammen, trafen sich auch nachmittags und wurden richtig dicke Freunde.
Endlich glaubte Lisa, eine Gefährtin außerhalb ihrer Fantasiewelten gefunden zu haben, jemanden der ihr beistand, dem sie alles erzählen konnte.
Beate würde wieder ein wenig Freude in ihr Leben bringen. Bis Beates andere Freundinnen bemerkten, dass sie dauernd mit der Außenseiterin Lisa zusammen war und sie darauf ansprachen. Von da an redeten Lisa und Beate kaum mehr miteinander. Beate sah demonstrativ in eine andere Richtung, wenn Lisa sich näherte und bald existierte Lisa für Beate einfach nicht mehr. Das war jetzt wieder ein Jahr her und Lisa hatte den Verrat ihrer einzigen und besten Freundin zwar akzeptieren müssen aber nie wirklich verstanden.


Als Lisa die Erinnerungen an die Grausamkeit ihrer Mitschüler und den Verrat ihrer Freundin wieder in den Sinn kamen, fing sie an zu schluchzen. Sie warf sich auf das Bett und blickte weinend zur Decke, als könne diese ihr helfen. Sie hatte keine wirklichen Freunde im Leben und nun stieß sie ihr Freund, der Mann, den sie liebte, auch noch weg.
"Es war eine harte Zeit für sie und dass sie Beate traf, war einfach Pech. Aber auch Lisa wird Freunde gewinnen, echte Freunde. Sie ist so ein lieber Mensch, sie wird ihr Glück finden." Ich war überzeugt davon, dass meine Vorhersage zutreffend war, auch wenn es mich noch einige Mühe kosten würde, ihr das Selbstvertrauen wiederzugeben, welches ihr ihre Mitschüler so gründlich genommen hatten.
Dunkel raunte es mir in den Nacken: "Menschen. Sie klammern sich gerne an ihrem Übel fest, machen aus jedem kleinen Missgeschick eine Tragödie und übersehen all zu gerne ihr Glück."
Ich verstand, was er meinte, ich hatte es zu oft erlebt. Doch ich wollte nicht akzeptieren, dass Lisa aus ihrem Unglück heraus eine Dummheit beging. Ich ließ sie sich noch einmal an die Begegnung mit Martin erinnern.

"Lisa?"
Sie blickte verwirrt von ihrem Buch auf. "W-was? Wie?"
Der Junge lachte. Aber Lisa merkte es sofort. Es war kein bösartiges Lachen. Im Gegenteil, es wirkte sympathisch.
"Stört es dich, wenn ich mich ein wenig zu dir setze?"
Sie sah in skeptisch an. "Oh... Nun...klar...warum nicht?"
Martin setzte sich neben sie und lächelte. Unwillkürlich musste sie zurück lächeln.
"Was liest du da", wollte er wissen.
Sie wusste nicht ob sie der Sache trauen sollte. Wahrscheinlich würde er sie auslachen, doch trotzdem antwortete sie: "Es geht um die Reisen eines Raumschiffes zu fremden Welten mit Außerirdischen und so."
Martin nickte und blickte auf den Einband. "Ja, der Band ist gut. Obwohl ich die ersten zwei Teile besser fand."
Lisa schaute ihn verblüfft an. "Du... du..."
Martin grinste. "Ja. Ich."
Das war der Tag, an dem Lisa die Liebe kennenlernte. Es war so schön, dass sie den ganzen Tag an ihn und sein Lächeln denken musste. Selbst in ihren Träumen war er bei ihr.
Es blieb auch nicht bei diesem einen Gespräch. Martin kam jede Pause zu ihr, wartete nach Schulende auf sie und begleitete sie nach Hause, obwohl Lisa wusste, dass er am anderen Ende des Viertels wohnte.
Schließlich nahm Martin sie mit auf ihr ersten Partys. Ein erster, noch sehr schüchterner Kuss und dann nach ein paar Wochen fragte er sie, ob sie mit ihm gehen wollte...


Da kehrte wieder Lisas wunderschönes Lächeln zurück, dass sie schon fast vergessen hatte. Das war damals so schön gewesen mit Martin. Sie umarmte ihr Kissen und kuschelte sich fest hinein.
"Siehst du. Sie hatte es nur vergessen." Auch ich lächelte.
"Menschen vergessen zu schnell. Noch hast du nicht gewonnen, wir werden sehen!"
Der Todesengel wies erneut mit seinem langen Ärmel auf sie. Ich ahnte, was er vor hatte. Sie sollte sich an diesen Abend erinnern, als Martin mit ihr Schluss gemacht hatte.

"Ach nee, Lisa. Ich hab heute keinen Bock drauf."
Lisa stand fertig zum Ausgehen in der Wohnzimmertüre. "Wie meinst du das?"
Martin rutschte auf dem Sofa herum. "Ich will einfach nicht schon wieder mit dir ausgehen!"
Sie lehnte sich enttäuscht an die Tür. "Ich dachte, du gehst gerne mit mir ins Theater."
Martin setzte sich auf. "Nun hör mal! Wir machen das schon fast jede Woche einmal, mir steht es einfach bis hier. Das ist doch stressig!"
"Schrei doch nicht so." Erschrocken schaute sie ihn mit weit geöffneten Augen an.
Martin hatte sich irgendwie verändert. Sie wusste nicht, wie er sich so grundlegend wandelt konnte, aber das war nicht der Martin, den sie in der Schule kennengelernt hatte.
"Du nervst!" Seine Worte trafen sie hart. Trotzdem setzte sie sich zu ihm und streichelte durch sein Haar.
Er entzog sich ihren Liebkosungen und blickte mürrisch zu Boden.
"Lisa?" Er machte eine lange, sehr bedeutungsvolle Pause. "Lisa, ich glaube... ich glaube, das hat keinen Sinn mehr mit uns beiden..."
Da wusste sie es. Wie sehr hatte sie gehofft, dass er das nicht sagen würde. Es gab eine andere in seinem Leben.
"Martin..." Weiter kam sie nicht, denn der Schmerz schnürte ihr die Luft ab.
“Geh jetzt, bitte!"
Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief sie aus seinem Haus.


Wieder begann sie zu weinen. Es zerriss mir das Herz, sie so leiden zu sehen.
"Dieser verfluchte Idiot. Wieso erkennt sie nicht, was für ein Trottel er ist? Wegen dem will sie sich umbringen? Er verdient es nicht, dass du dir das wegen ihm antust, Lisa", sprach ich sie erneut an, obwohl ich wusste, dass das nicht viel brachte.
Der Todesengel schnaubte mir eisige Luft ins Gesicht. "Du siehst, Schutzengel," sagte er fast abwertend. "Sie will nicht mehr, er hat ihr Herz gebrochen."
"Das kann aber nicht der Grund dafür sein, dass sie sich das Leben nimmt." Ich war verzweifelt, denn ich wollte sie nicht verlieren.
"Bitte", forderte ich ihn auf, "hilf mir! Nimm sie nicht mit! Die Entscheidung liegt doch bei dir! Du hast es in der Hand."
Er schüttelte den Kopf. "Nein. Nicht ich. Diese Entscheidung muss Lisa selbst treffen."
"Verdammt!" Die weibliche Stimme kam vom Bett. "Was zum Teufel...", rief Lisa.
Sie schnappte sich den Tablettenberg und rannte damit zur Toilette. Ungeachtet des Todesengels, den ich einfach im Zimmer stehen lies, lief ich hinter ihr her, das Schlimmste befürchtend. Wie war ich erleichtert als ich die Toilettenspülung hörte.
"Was um alles in der Welt fällt mir ein", schimpfte sie, rieb sich die roten Augen und kehrte in ihr Zimmer zurück.
"Was ist passiert?" Völlig verwirrt folgte ich ihr jeden Schritt durch die Wohnung.
"Lisa hat sich entschieden", raunte mir der Todesengel ins Ohr.
Gemeinsam sahen wir sie, Fotos von ihr und Opa, von Mama und Papa, auch einige von Martin aus einem Karton kramen.
"Hat sie es geschafft", fragte ich den Todesengel, doch als ich mich umdrehte, war nichts als der Schatten der Vorhänge an der Wand zu sehen. Ich sah wieder zu Lisa und war unbeschreiblich glücklich.
Es war so befreiend, sie wieder lachen zu sehen.
Plötzlich fühlte ich etwas Ungewohntes auf meinem Gesicht. Unsicher tastete ich auf meine Wange und fühlte die Tränen. Und ich dachte, Engel können nicht weinen...
 
W

willow

Gast
Hallo Dede,

erst einmal gratuliere ich zum schriftlichen Teil des Abis... keine Sorge, das Schlimmste hast du eindeutig hinter dir, das Mündliche wird jetzt locker laufen, glaub mir.

Schon komisch, deine Geschichte nach langer Zeit wieder zu lesen, ich weiß zwar, was passieren wird, obwohl ich nicht mehr alle Einzelheiten im Kopf hatte. Die Sequenz mit dem Opa fehlte mir im Gedächtnis völlig.

Nach wie vor finde ich die Geschichte gut, weil sie diesen Dialog zwischen Todes- und Schutzengel als Kern enthält, aus der Sicht des Schutzengels. Lisa, die eigentliche Protagonistin, spielt eine untergeordnete Rolle, wichtig ist der Kampf der beiden Engel um das eine Leben. Das fand ich als Idee auch schon damals super.

Vielleicht könnte man die Geschichte vor allem bezüglich es Dialogs der beiden Engel noch ein wenig ausbauen, vielleicht eine Grundsatzdiskussion daraus machen. Gut finde ich, dass beide Engel einfach nur ihren Job machen, sie bekriegen sich nicht, haben eigentlich nichts gegen einander, verhalten sich im Prinzip kollegial. Das würde ich noch ein wenig ausbauen, unterstreichen.

Ich freue mich, wenn du jetzt wieder ein bisschen mehr Zeit zum Schreiben findest... und die Hoffnung auf DE habe ich auch noch nicht aufgegeben...;)

Ganz lieber Gruß,

willow
 

[aZrael]

Mitglied
Hallo DeDe.

Klasse, deine neue Geschichte. Die Thematik und vor allem die Art der Erzählung haben mich sehr gefesselt.
Alleine, wie du die emotionale Entwicklung der Geschichte angelegt & gestaltet hast, ist einfach spitze.

Auch die Idee mit der Einflußnahme über die Erinnerungen ist genial... denn oft handeln wir ja nach Erfahrungen, die wir gemacht haben....

Nur kommt mir der Schlußsatz irgendwie bekannt vor: "Und ich dachte, Engel können nicht weinen... "
ließ mal das ende vom ersten Kapitel von "Dunkles LIcht"... ;)

Ich freue mich schon darauf, mal wieder etwas von dir zu lesen. Und ach ja: liebe grüße an Willow *g*

mfg, [aZrael]
 

Der Denker

Mitglied
Hallöchen ihr zwei.

Nachdem ich den Göttern genug geopfert habe, funktioniert jetzt auch mein PC wieder und ich kann euch antwoten...

@willow: Danke, danke... Ja, das sagst du jetzt so :D Naja, ich werds schon überstehen...irgendwie... Danke dir auch, dass du sie nochmal gelesen hast und nochmals für deine Hilfe, als ich sie geschrieben habe. Ja, du hast recht, ich könnte das mal versuchen noch zu verbessern, wenn ich mich dazu aufraffen kann... :p
Was DE angeht... kein Kommentar... (frag mich nicht, warum ich das dann hier erst hinschreibe...)

@[aZrael]: Hallöchen, aZrael,
Danke auch dir. Das ist mir jetzt ehrlich peinlich... ich hab das bestimmt nicht bewusst gemacht...vielleicht finde ich noch eine andere Möglichkeit für das Ende... hoffentlich nicht woanders geklaut...
Mán sieht und liest sich vielleicht auch.



Liebe Grüße,
dede
 

[aZrael]

Mitglied
uppps... sorry dede, wollte dir keinen diebstahl unterstellen.... vielmehr fühlt sich mein ego geschmeichelt, daß meien geshcichte vielleicht so viel eindruck hinterlassen hat, als daß schon große schreiber anleihen ihr entnehmen ;) ... nochmal sorry

aZrael
 

Der Denker

Mitglied
Große Schreiber... *lach*

Hallo aZrael,

jetzt schlägts aber dreizehn. :D
Große Schreiber! Ich fasse es nicht!
Damit setze ich mich jetzt nicht auseinander, aZrael...

Ja, irgendwie muss der Satz wohl hängen geblieben sein. Danke dir nochmals, dass du mir das nicht übel nimmst.

Und entschuldige dich nicht.


Liebe Grüße,
dede
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

dede, eine super-geschichte! hat mir sehr gut gefallen. schön, mal wieder etwas von dir gelesen zu haben, und dann auch noch sowas gutes. ganz lieb grüßt
 

Der Denker

Mitglied
Hallo, flammarion,

freut mich, dass es dir gefällt, danke dir. Ich hoffe, dass bald mal wieder was Neues folgt. ;)


Liebe Grüße,
dede
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Dede.

bin beim Stöbern auf diese Erzählung gestoßen, nicht wundern :)
Das ist sehr gut - am besten gefällt mir, neben der Grundidee, die stilistische Abgrenzung der Erinnerungen von der Haupthandlung. Die Opa-Szene klingt wie in einem Kinderbuch, z.B., entsprechend Lisas damaligem Alter.

Schreib doch mal wieder hier, ja?

Gruß,
Gabi
 

Roni

Mitglied
hallo denker,

ich kann mich nur anschliessen, eine schoene geschichte mit einer guten idee.

irgendwo gegen ende stehen mal zwei 'schoen' in einander folgenden saetzen, irgendwo fehlt ein fragezeichen, statt 'wegen dem' vielleicht lieber 'seinetwegen'?
aber das sind kleinigkeiten, die nicht ins gewicht fallen.

ganz besonders gut hat mir die darstellung von engel und tod gefallen - z.b. diese stelle:
" ... und darunter schien statt des Gesichtes nur ewige Dunkelheit und Vergessen."
oder auch:
"Der Todesengel streckte den Arm aus und Dunkelheit stieg ihr aus seinem Ärmel in Augen, Ohren, Mund und Nase"
da werden mit wenigen worten gute bilder erschaffen

man koennte den dialog sicher noch ausbauen, vielleicht auch lisa gegen ende nicht nur in erinnerungen trost finden lassen, sondern auch eine kleine zukunftshoffnung einbauen - aber das muss nicht. die story ist auch so 'fertig'.

kurzum, eine prima geschichte rund um die kernaussage:

"Menschen. Sie klammern sich gerne an ihrem Übel fest, machen aus jedem kleinen Missgeschick eine Tragödie und übersehen all zu gerne ihr Glück."

gruss
roni
 

Der Denker

Mitglied
Hallöchen, ihr beiden!

Ich muss zugeben, nicht mehr damit gerechnet zu haben, in der Leselupe nochmal jemals etwas zu schreiben.

Nichtsdestotrotz freut mich, dass diese Geschichte wieder von dir ans Tageslicht gezerrt wurde, Gabi. Außerdem freut mich natürlich sehr, dass sie euch gefällt.

@Gabi: Erstmal schreib ich momentan gar nicht, weil mir leider die Zeit dazu fehlt. Aber selbst wenn ich die Zeit hätte, wär fraglich, ob ich was zustande brächte. Und selbst dann, wüsste ich nicht, ob ich das in die LL stellen würde. Ich befinde mich eher im Rückzug aus der LL. (Wenn man das so nennen kann, nachdem ich so lange still war.) Die Atmospäre ist nicht mehr, wie sie mal war. Außerdem glaube ich, hier unterzugehen. Es braucht vermutlich einen anderen Weg, um sich weiterzuentwickeln.

@Ron: Zweimal "schön" so dicht bei einander, ist tatsächlich unschön. :D Nein, ernsthaft, ich korrigiere das. "Wegen dem" war eigentlich eher beabsichtigt, auch wenn es nicht gut klingt. Es klingt natürlicher, und der Engel lebt unter Menschen. Das diese Engel hier nicht völlig abgehoben sind von irdischen Dingen, erkennt man ja durch die ganze Geschichte hindurch. Ob die Geschichte weiter ausgebaut wird, weiß allein die Zukunft.

Danke nochmal euch beiden. Eure Analyse hat mir gefallen und mir geschmeichelt. :)

Liebe Grüße,
Dede
 



 
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