Lokis Bestrafung

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Dorian

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Manchmal erlaubt sich das Schicksal einen Scherz.
Und selbst Götter sind Seinen Launen untertan, dachte Thor bitter. Er stand am Rande der Walhalla und blickte über das neu erstandene Asgard. Es hatte viel von seinem alten Glanz eingebüßt. Seit die Menschen nicht mehr an die alten Götter glaubten, war vieles was früher golden glänzte nur noch stumpf und grau. Balders Heim, früher das hehrste aller Häuser, entbehrte jeglicher Hoheit, und auch Thor selbst fühlte mit jedem Tag seine Kraft schwinden.
Andererseits brauchte er diese Kraft auch nicht mehr, es gab nicht viel zu tun.
Früher hatte er oft Regen gebracht, um den die Menschen beteten, war zwischen Blitz und Donner vom Himmel gefahren und über die weiten Felder gebraust. Auch an der einen oder anderen Schlacht hatte er teilgenommen, die Walküren mit ihm, sein Vater über ihm.
Heute war alles anders.
Ein Schluck Met konnte jetzt nicht schaden, um die Kälte aus den Gliedern zu vertreiben,und den Trübsinn aus den Gedanken. Er ging zu dem Fass hinüber und schenkte sich ein Horn voll.
Seltsam, dachte er. So viel Macht haben wir eingebüßt, aber dieses Metfass wird niemals leer. Ich würde gerne glauben, dass seine göttliche Herkunft es immer voll sein lässt, aber ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass dieses dumme Fass mächtiger ist, als alle Asen zusammen.
Gedankenvoll setzte er das Trinkhorn an und leerte es auf einen Zug.
Loki betrat die Halle mit einem Buch unter dem Arm, als Thor sein Horn erneut füllte.
„Heil, Brudersohn“, grüßte er spöttisch.
„Ich bin nicht dein Neffe, Muspelheimer“, fuhr Thor ihn an. „Könnte ich die Zeit zurückdrehen, ich würde dafür sorgen, dass Odin niemals Blutsbrüderschaft mit dir schließt.“
„Oh, aber das musste er. Wie hätte er sonst die Eisriesen im Zaum halten können? Er tat es zu euer aller Wohl... und du solltest ihm dankbar sein.“
„Dankbar? Pah! Odins Bruderschluß mit dir war die Sünde, die uns die Götterdämmerung brachte. Und nun sieh uns an! Was hat sie uns genutzt, deine ständige Zankerei? Gestürzt hat sie uns! Den Schädel hätte ich dir einschlagen sollen, da mein Blick dich das erste Mal erfasste.“
Loki grinste spöttisch und ließ sich auf Odins Thron nieder.
„Die Sache mit den Wolfsdarmfesseln und der Giftschlange war auch nicht sehr nett von euch“, antwortete er.
Gungnir, Odins Speer, stand hinter dem Thron und wartete darauf, dass jemand ihn benutzte. Jemand, dachte Loki, der ihn auch zu benutzen wusste. Er legte das mitgebrachte Buch auf seine Knie und schlug es auf. Es trug den Titel „Nordische Götter- und Heldensagen“. Was für ein unglaublicher Schwachsinn.
„Thor“, sagte Loki, „was würdest du sagen, wenn ich sage, ich könnte uns zu altem Glanz zurückverhelfen? Das ich einen Weg wüsste, den neuen Gott zu stürzen und unseren alten Platz einzunehmen?“
„Ich würde sagen, Heimdalls Hieb, welcher dich darniederstreckte, hat dich am Kopf erwischt“, brummte Thor und schenkte sein Horn zum inzwischen vierten Mal voll. „Der neue Gott ist tief verwurzelt in den Herzen der Menschen. Auch die anderen neuen Götter. Wir müssten warten, bis auch sie nur noch ein Schatten ihrer selbst sind. Wer weiß, ob wir dann überhaupt noch existieren.“
„Sei nicht so pessimistisch, alter Freund! Wenn wir genug Zorn aufbringen, können wir alles tun. Weißt du noch, dieser ‚Heilige’, der deine Eiche fällen ließ? Wie hat er dich verhöhnt und verspottet mit seinen Schmähreden. Erzürnt dich das kein bisschen?“
„Was mich erzürnt bist du, eitler Gott des Feuers. Freund nennst du mich, doch übel sinnst du mir. Über eintausend Jahre ist es her, dass jener hohe Baum fiel. Ich mag mich nicht mehr grämen, längst habe ich mich mit unsrem bittren Schicksal abgefunden. Wie einst die Wanen, müssen nun auch wir dem Vergessen anheimfallen.“
Traurig leerte Thor sein Horn ein weiteres Mal, nur um es wieder aufzufüllen. Loki beobachtete ihn, wie er das Horn leerte und wieder füllte, ein ums andere Mal, und schüttelte den Kopf.
„Hör dir doch nur mal selber zu“, rief Loki. „Du hörst dich an, wie ein Waschweib. ‚ Buhu, die Menschen haben mir in den Arsch getreten und ich muss jetzt im Selbstmitleid ertrinken, buhu.’ Wie ein Waschweib, das zu viele schlechte Opern gesehen hat hörst du dich an! Es wird Zeit, mit den alten Gepflogenheiten zu brechen. Wenn wir wollen, dass die Menschen uns wieder anbeten, dann müssen wir etwas dafür tun! Moderner werden, aufgeschlossener! Früher hättest du doch jedem den Schädel eingeschlagen, der bezweifelte, dass es dich gibt. Das muss anders werden. Wir müssen den Menschen etwas versprechen, eine Heilslösung bieten. Damals sprangen sie darauf an, als die Priester aus dem Süden kamen, wir müssen es genauso machen.“
„Moderner? Aufgeschlossener?“, konterte Thor. „Wofür ist ein Gott denn gut, wenn nicht zum herrschen? Du weißt, ich liebte die Menschen, wie nur Prometheus es tat, und doch verlange ich Gehorsam! Mein Wille ist es, meine Gunst, die in höchste Höhen sie tragen können, oder zertreten, wie ich einst zertrat den Kopf der Midgardschlange.“
Loki zuckte bei dem Seitenhieb unwillkürlich zusammen. Nicht, das er die Midgardschlange, eine seiner Töchter, besonders geliebt hätte, das nicht. Aber sie war ein wichtiger Bestandteil seiner Strategie im Kampf um Asgard gewesen. Fenriswolf hatte Odin und die Sonne verschlungen und die Midgardschlange sollte Thor vernichten und dann Midgard völlig umschlingen und erdrücken. Aber Thor war ein mächtigerer Kämpfer als Odin es war, und er tötete die Schlange und fand durch ihren giftigen Atem selbst den Tod. Es war das erste und einzige Mal, dass Loki den Bauerntölpel unterschätzt hatte. Er selbst war gerade dabei gewesen den Brückenwächter Heimdall abzumurksen, war durch Thors Sieg abgelenkt worden und hatte dadurch selbst den Tod gefunden.
„Schon deine Sprache ist überholt“, antwortete Loki, statt sich auf einen Streit einzulassen. Es war witzlos mit dem Dummbeutel zu streiten; er merkte es nämlich nicht, wenn er verloren hatte. Loki schlug das Buch auf seinen Knien an einer beliebigen Stelle auf.
„Hör dir folgendes an“, forderte er Thor auf und begann vorzulesen. „ ‚Als Wittich Sibichs Flucht sah, wollte er das Schicksal des Tages wenden.Kühn drang er gegen Diethers Heerhaufen heran, in dem Nudung, Rüdigers Mage, das Banner führte. Den schlug er zu Boden. Als Ortwin das sah, sprach er zu seinem Bruder und Helferich:“ Seht, welchen Schaden der grimme Wittich unseren Mannen tut. Sind wir nicht junge Recken? Auf denn, lasst uns ihn anrennen!“ Mit heldenhaftem Mute ritt Ortwin auf Wittich ein. Der rief ihm entgegen:“ Du junger Hunnenkönig, was kümmert dich italisch Land? Reite wieder heim, sonst wirst du...“ ’ Ich meine, was soll der Unsinn? Wittich tötet die Söhne Etzels, Dietrich tötet Wittich, am Schluß sind alle tot.“
„Ein Schlachtentod, wie er einem Recken gebührt“, brummte Thor, scheinbar zufrieden. Doch auch in ihm regten sich leise Zweifel.
„Die Menschen wollen nicht mehr sterben für irgendwelche hehren Ziele“, tat Loki Thors Bemerkung ab. „ Sie wollen leben, und zwar so gut es nur geht. Wenn dabei jemand zu Schaden kommt, wen störts. Sieh mich an, ich habe bereits begonnen, mich ihnen anzupassen. Das hörst du schon an meiner Rede, ich meine an meiner Sprache. Es fällt mir schwer, oh ja, aber ich bin willig zu lernen und auch fähig. Ihr schwerfälligen alten Götter werdet sterben, wenn ihr euch nicht anpasst.“
Thor war vielleicht nicht der klügste oder weiseste Gott, aber er nannte ein gesundes Maß an Intuition sein eigen. Und er erkannte, dass Loki Angst hatte.
„Ich werde zu den Menschen gehen“, fuhr Loki fort. „ Ich werde sie bekehren, an mich zu glauben. Und während ich zu neuen Höhen klettere, werdet ihr langsam in euren eigenen Körpern verwesen. Aber um der alten Zeiten willen biete ich dir an mit mir zu kommen, Thor. Zusammen könnten wir ein neues Pantheon sein.“
Thor war der Meinung, dass Lokis Plan scheitern würde, nicht weil es Loki an List gefehlt hätte, oder weil die Menschen so klug waren, ihn durchschauen zu können, sondern weil die Zeit der Götter vorbei war. Die Menschen würden keine neuen Götter mehr annehmen, auch wenn es eigentlich alte Götter waren, und die Götter, die sie jetzt hatten, würden in vergleichsweise rasantem Tempo verschwinden. Die himmlischen Wesen hatten ihre Chance gehabt, nun war ihre Ära vorüber.
„Lange habe ich mich mit anderen beraten“, sagte Thor schließlich nach langem Schweigen. „Nicht nur mit Balder und Hönir, auch mit Serapis und Teutates, mit Cernunnos und Isis, mit Apollon, Mananaan mac Lir, Hermes und Cullan. Selbst mit den Geistern des Westens und den Götzen aus Babel sprachen wir. Und alle kamen wir vor langer Zeit zu der Auffassung, dass es das Beste wäre, zu verharren wo wir sind, zu gedenken der Zeiten, die da waren und zu harren der Dinge, die da kommen werden. Die Menschen brauchen uns nicht mehr, aber wir brauchen auch sie nicht mehr. Solange wir so bleiben, wie wir sind, sind wir zufrieden.“
Und plötzlich schien der sonst so kraftvolle Donnergott erschöpft, gebeugt,... alt. Er drehte sich um und ließ seinen Blick über Asgard schweifen.
„Der Donner gehorcht noch immer meinem Wort, der Blitz meinem Willen“, er blickte auf seine Rechte, „und der Hammer meinem Arm. Wir bleiben hier, wo wir hingehören, wo unsere Heimstatt ist. Dir steht es frei zu gehen, aber wisse, dass auch du willkommen bist bei uns zu leben, Gott der Lügen... Oheim.“
„Das könnt ihr nicht tun! Ihr könnt nicht enfach aufgeben“, fuhr Loki auf. Er sprang vom Thron, warf das Buch zu Boden und riß Odins Speer an sich.
„Dies ist das Zeichen des Walvaters Macht“, rief er, Gungnir schwingend. Er riß ihn hoch und ließ ihn herniedersausen und der Schaft des Speeres zerbrach an Lokis Knie. Lange stand er so, in jeder Hand einen Splitter Gungnirs und ließ den Kopf hängen.
„So schwach sind wir also schon geworden“, murmelte er schließlich. „So sei es denn! Ich gehe zu erobern, was mein ist.“
Und Loki fuhr nach Midgard und er scharte viele Anhänger um sich. Aber sie konnten ihm keine Macht verleihen, denn sie glaubten nicht an ihn, nicht wirklich.
Und schließlich erkannte Loki auch, warum dem so war. Die Menschen hatten schon einen wie ihn, einen, der ihm um ein vielfaches überlegen war, in jederlei Hinsicht. Sie hatten ihn sich selbst erschaffen und die Zahl seiner Namen war Legion. Die einen nannten ihn Terrorismus, die anderen Holocaust, wieder andere (obwohl das nicht sehr viele waren) UNO.
Loki musste einsehen, dass auch seine Zeit vorüber war und er kehrte nach Asgard zurück
Brock und Sindri, die beiden Zwerge, die einst Mjölnir, Thors Hammer, schufen, hatten Gungnir inzwischen neu geschmiedet und er stand wie eh und je hinter Odins Thron. Doch Loki wusste, dass Odins Macht ,und damit die aller alten Götter, nie wieder zu neuem Glanz erstrahlen konnte. Loki war machtlos und er fristete sein Dasein unter den Asen und wurde nie wieder seines Lebens froh. Das war die Strafe für all seine Untaten.

Und das ist, wenn schon nichts anderes, zumindest ein tröstlicher Gedanke.
 

Cora Horn

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Yo, ein sehr interessanter Text mit unerwartetem Ausgang (das mit der UNO find ich lustig). Aber als kleine Anmerkung: Ich glaube, es heißt Walhall und nicht Walhalla.
 

Dorian

Mitglied
Hallo Cora!

Naja, es gibt beide Bezeichnungen, genauso wie Sigurd und Sigfried nur zwei Namen für ein und dieselbe Person sind. Das eine enstammt der älteren nordischen Version, das andere ist die altdeutsche Überlieferung.
Walhalla = nordisch
Walhall = altdeutsch

LG

Dorian
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
sehr

nett, daß du dich der alten götter annimmst. die müssen ja wirklich ganz furchtbare langeweile haben inzwischen. du schreibst gut, laß noch sowas folgen! ganz lieb grüßt
 



 
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