freifrau von löwe
Mitglied
Margos Bilder
Als ich das Zürcher Bahnhofsrestaurant betrat, waren alle Tische voll. Ich sah sie abseits, in einer Nische, eine ältere Dame mit weißem Haar, und steuerte auf sie zu.
"Darf ich mich setzen?"
"Natürlich. Bitte sehr"
Sie zog den Aschenbecher ein wenig weiter zu sich und ließ mich Platz nehmen. Ich bestellte Pfefferminztee und zündete mir eine Zigarette an.
"Wohin sind Sie unterwegs?" fragte sie.
Ich lächelte.
"Nirgendwohin. Ich bin zum fotografieren hier. Mit meinen Schülern."
"Oh, na dann", schmunzelte sie und schob sich einen Zigarillo auf die Zigarettenspitze.
"Was fotografieren sie denn?"
Ich erzählte es ihr. Sie trank ihren Kaffee mit Rum. Mein Tee dampfte mich an und ich staunte über meine Redseligkeit. Ich mochte sie auf Anhieb.
"Übrigens", sagte sie ein paar Zigarillos später, "Ich heiße Margo."
Sie reichte mir ihre faltige Altfrauenhand über den Tisch.
Ich legte meine sanft in die kühle Zerbrechlichkeit "Anna".
"Ich habe immer kalte Hände, wissen sie? Seit den Wechseljahren schon. Und glauben sie mir, das ist schon eine Weile her."
Wir lachten. Ich verbrannte mir die Zunge am Tee und fluchte leise.
"Sagen sie, darf ich sie fotografieren?"
Ihre Augen blitzten. Sie waren noch immer jung.
"Fotografieren sie nur, wenn sie wollen. Ich denke, sie werden alles sehen, was noch sehenswert ist.", schmunzelte sie.
"Erzählen sie mir etwas", bat ich sie. "dann ist es leichter."
Sie lächelte wieder, nahm den nächsten Zigarillo aus dem Silberetui und begann.
"Als ich jung war, das war so um 1937, kurz vorm Krieg, da verliebte ich mich in Juliétte.“ Ich machte das erste Foto.
"Frauen zu lieben war damals nicht ganz so einfach wie heute, wissen sie? Und ich war ein wirklicher Heißsporn und sehr charmant.
Ich lebte damals in Berlin. Juliétte kam aus der Provence. Ihr Vater hatte ein Weingut dort. Ihre Schwester studierte in Berlin Medizin und ging jedes Wochenende, wie alle Lesben, die damals was auf sich hielten, in Carlitos Tanzbar und brachte sie mit.
Als ich ihr begegnete, war ich gerade neunzehn. Sie war damals schon über fünfunddreißig und eine gestandene Dame."
Sie sah abwesend in ihren Kaffee. Ich fotografierte.
"Sie war so schön. Leider fand das nicht nur ich. Und so bewachte ich eifersüchtig alles, was um sie herum geschah. Ich wollte sie haben, so dringend, wie ich atmen musste. Eigentlich machte ich mir nicht viel Hoffnung. Selbst als ich dreißig war, hielt man mich meiner Zierlichkeit wegen noch für minderjährig. Mit neunzehn sah ich aus wie ein Kind.
Aber ich brannte und mit meiner Leidenschaft übertraf ich sie alle. Ich raffte meinen ganzen Mut zusammen und bat sie um einen Tanz. Es spielten die Lecuona Cuban Boys. Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich meine Linke um ihre Hüften schlang. In meiner Rechten hielt ich ihre Hand und ihr Busen berührte mich da, wo meiner hätte sein sollen."
Sie kicherte. Ich fotografierte.
"Sie hatte grüne Augen und ich amüsierte sie. Natürlich kam ich kam aus dem Takt und trat ihr auf die Zehen. Mir war übel vor Aufregung und in meiner Not war es mir unmöglich, über mich selbst zu lachen. Also schlug ich die Augen nieder und starrte ihr aufs Dekolté.
Sie fragte: "Wie ist dein Name?"
"Margo" sagte ich schüchtern und betete, dass ich nichts mehr sagen musste.
"Also Margo", sagte sie immer noch lächelnd, "Was willst du von mir?"
"Dich." schoss es aus mir heraus und als ich merkte, dass es jetzt um alles ging oder nichts, noch mal: "Ich will dich."
Da wurde sie ganz ernst und antwortete:
"Kleine Margo, wünsche dir das nicht. Du weißt nicht, was du sagst."
"Doch", beharrte ich "Ich weiß, was ich sage. Nichts, was du sagst, ändert etwas daran". Ihre Ernsthaftigkeit verlieh mir Mut und die Traurigkeit, mit der sie sprach, ließ mir Flügel wachsen.
Wir standen auf der Tanzfläche. Die anderen guckten schon.
"Komm", sagte sie und nahm meine Hand.
Ich folgte ihr nach draußen.
Da sah sie mich noch einmal so merkwürdig an und fragte leise "Willst du mich immer noch?"
Meine Antwort können Sie sich sicher denken. Natürlich wollte ich.
Wir liefen durch die Nacht, als ob wir die einzigen Menschen wären in dieser Stadt. Was sage ich! Auf diesem Planeten!
Vor einem Mietshaus kramte sie ihre Hausschlüssel aus der Tasche. Jetzt war sie nervös und ich war die Ruhe selber und sah ihr zu. Dann verschwand sie vor mir im Dunkel des Treppenhauses.
"Es gibt keinen Strom. Pass auf."
Es roch muffig von den Wänden und ich brauchte kein Licht, um zu wissen, wie schäbig der Anblick gewesen wäre. Ihre Hand tastete nach meiner und umklammerte sie. Ich konnte ihre Angst spüren. Die ausgetretenen Stiegen knarzten und ich konnte sie atmen hören.
Sie wohnte in einem winzigen Appartement im ersten Stock. Auch hier gab es kein Licht.
Im Dunkeln konnte ich ihr Gesicht dicht vor meinem fühlen. Ich küsste sie und sie küsste mich. Sehr hungrig küsste sie mich, als hätte sie lange darauf gewartet. Damals wollte ich mir einbilden, sie hätte tatsächlich mich damit gemeint."
Der Ober brachte uns noch einen Kaffee mit Rum für sie und Tee für mich.
Sie kippte den Rum in die Tasse und rührte um. Ihr Gesicht leuchtete.
"Wissen sie, es ist erstaunlich. Ich glaube, ich konnte mich damals so tief in diese Nacht fallenlassen, weil ich einfach ein sehr einsamer Mensch war. Heute glaube ich, sie war noch viel einsamer als ich. Drei Tage später kam sie bei einem Unfall ums Leben. Ich erfuhr es erst zwei Jahre später, als ich schon längst eine andere liebte."
Sie rührte den Zucker daneben. Ich hatte zwei Filme verbraucht und musste los.
Mit dem Versprechen, ihr Abzüge davon zu senden und ihrer Adresse in meinem Notizbuch verließ ich das Restaurant und den Bahnhof.
Zwei Wochen später bekam ich einen Anruf von einer unbekannten Dame. Ob sie die Bilder behalten dürfe, fragte sie. Noch nie hätte jemand Frau Levinski so gut porträtiert.
"Frau Levinski?“
"Na Margot Levinski. Sie haben sie doch fotografiert. Sie ist vorgestern gestorben."