Mayrah II

Biny

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Dies ist die Fortsetzung von "Mayrah". Ich bin gespannt, wie sie ankommt...

Sie öffnete die Augen und musste sofort blinzeln.
Das helle Sonnenlicht blendete sie und Mayrah legte schützend die Hand vor die Augen. Sie fühlte sich benommen und kraftlos, so als wäre sie soeben aus einem sehr langen Schlaf aufgewacht. Ihr Kopf schmerzte und fühlte sich leer an, als hätte sie einen Schlag abbekommen.
Langsam begann sie ihre Umgebung wahrzunehmen und spürte unter sich etwas Weiches. Das musste der Waldboden sein auf dem sie lag. Mayrah überlegte, was passiert war —war sie gestürzt? Als ihre Augen sich allmählich wieder ans Tageslicht gewöhnt hatten, sah sie sich um, doch die Bäume waren verschwunden. Sie lag überhaupt nicht auf dem Waldboden, sondern inmitten eines großen Feldes oder einer Wiese, genau konnte sie das nicht sagen.
Es war, als hätte hier nie ein Wald existiert, um sie herum sah sie nur Gras soweit das Auge reichte. Verwundert rieb sie sich die Stirn und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Was war geschehen? Nach und nach erinnerte sie sich: Wie sie an diesem Morgen erwacht war, das Gespräch am Frühstückstisch, dann der Spaziergang...soweit alles in Ordnung, doch wie kam sie dann hierher?
Irgendwas war mit Spike gewesen, sie hatte ihn verloren, er war in den Wald gelaufen...nein, das konnte nicht sein — hier war weit und breit kein einziger Baum zu sehen.
Sie atmete tief durch und versuchte sich mit geschlossenen Augen zu erinnern. Da waren Bäume gewesen, dessen war sie sich ganz sicher. Mayrah konnte sich daran erinnern wie sie zwischen ihnen nach Spike gesucht hatte...Spike! Wo war er?
„Spike?“, sagte sie.
Ihre Stimme klang noch ziemlich benommen, doch da spürte sie bereits eine feuchte Nase auf ihrem Gesicht.
„Spike, da bist du ja“, sagte sie.
Froh, nicht allein zu sein, streichelte sie seinen Kopf, doch sie hatte immer noch keinen blassen Schimmer, wo sie war. Diese Gegend war ihr völlig unbekannt und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie hergekommen war. Sie richtete sich langsam auf und sofort begann es in ihrem Kopf wieder zu pochen. Au, dachte sie, während sie die Umgebung nach irgend etwas Bekanntem, irgend einer Erinnerung absuchte.
Da sah sie ihn.
Er saß ein paar Meter entfernt auf einem großen Stein. Es war ein Mann, der sie seltsam anlächelte und sie schon die ganze Zeit über beobachtet hatte. Ihr fielen zuerst seine blitzenden stahlblauen Augen auf, zwei schmale Schlitze die sie aufmerksam musterten. Er musste schon weit über dreißig sein, denn als er lächelte, bildeten sich um seine Augen und Mundwinkel zahlreiche kleine Fältchen, die ihn sofort gutmütig und freundlich erscheinen ließen.
Als nächstes bemerkte sie seine doch sehr merkwürdige Kleidung, denn er trug einen langen grünen Umhang, einen großen schwarzen Hut und Stiefel, die ihm bis an die Knie reichten. Sie kniff noch einmal die Augen zusammen, um sicher zu gehen, dass sie nicht träumte.
„Gut, dass du endlich da bist Mayrah!“, sagte er.
Sie zuckte zusammen, er war wirklich echt. Er hatte gesprochen und nicht nur das: Er kannte sie! Mayrah riß die Augen auf und brachte zuerst kein Wort heraus. Woher zum Henker kannte dieser Kerl ihren Namen?
Schließlich versuchte sie sich zusammenzureißen, doch sie brachte nur ein heißeres Krächzen hervor: „Was....Wer?“
Er lächelte wieder und nickte verständnisvoll.
„Ist schon gut. Du mußt erst wieder zu dir finden. Ruh dich noch ein paar Minuten aus.“ Was bitte?
„Ich will mich nicht ausruhen, ich will...ich...“, stammelte sie.
Mayrah war völlig durcheinander, doch eins begriff sie gerade noch: Das letzte, was sie jetzt tun würde, war sich zurücklehnen und ausruhen. Sie befand sich an einem Ort, den sie nicht kannte, mit einem seltsamen Mann, den sie noch nie gesehen hatte und hatte keine Ahnung, was sie hier überhaupt zu schaffen hatte.
„Es ist alles in Ordnung, Mayrah. Mach dir keine Gedanken, ich kann dir alles erklären. Beruhige dich erst mal.“
Was wollte dieser Typ von ihr? Was gab es denn zu erklären, und wo war sie?
„Wo bin ich?“, sagte sie zu sich selbst, „was mache ich hier? Ich war doch im Wald...mit Spike.“
Bei der Erwähnung seines Namens meldete sich Spike zurück. Er tobte um ihre Beine herum und lief dann plötzlich hinüber zu dem fremden Mann im Umhang, der ihm freundlich den Rücken tätschelte.
„Spike, komm sofort zurück!“, rief sie.
Mayrahs Verwirrung schlug allmählich in Mißtrauen und Argwohn um.
„Wer sind sie? Nehmen sie die Finger von meinem Hund“, krächzte sie. Abwehrend hob der Mann seine Hände.
„Hey, hey, ich tue ihm ja nichts. Ich verstehe, dass du verwirrt bist. Ich bin Phil.“
„Mayrah“, antwortete sie automatisch und ärgerte sich im nächsten Moment über sich selbst.
„Ich weiß“, sagte er. „Sie wissen überhaupt nichts. Sie...sie können doch gar nicht..Spike! Komm jetzt, wir gehen!“
Ihre Kräfte waren größtenteils zurückgekehrt, sie stand auf und entfernte sich langsam von dem Mann, der immer noch seelenruhig dasaß und sie ansah.
„Mayrah, bitte laß es mich erklären. Du mußt mir vertrauen.“
„Ich muss gar nichts! Spike!“ Warum bewegte sich dieser dumme Hund nicht? „Ich werde den Teufel tun, und ihnen vertrauen! Das einzige was ich muss, ist jetzt sofort nach Hause zu gehen. Spike!“ Sie schrie fast.
Spike sah sie mit großen schwarzen Augen fragend an, als verstünde er die Welt nicht mehr. Das war nicht zum Aushalten.
„Ich gehe jetzt, Spike. Mach von mir aus was du willst.“
Mayrah drehte sich um und begann loszulaufen, obwohl sie keine Ahnung hatte, welche Richtung die richtige war.
„Mayrah, so sei doch vernünftig“, rief der Mann ihr nach. „Bitte komm zurück und rede mit mir.“
Mayrah ging weiter ohne anzuhalten. Sie wollte nur noch weg von diesem Ort.
„Mayrah! Du wirst alleine nicht nach Hause finden.“
Sie verdrängte die Stimme, versuchte sie zu ignorieren aber sie verlangsamte ihren Schritt. „Glaub es mir Mayrah. Es tut mir leid, aber du kannst im Moment nicht nach Hause. Nicht, bevor du ein paar Dinge weißt..“
Sie blieb stehen. Er hatte recht. Sie wußte nicht, wohin sie gehen sollte, doch sie würde lieber stundenlang nach dem Weg suchen, als sich mit diesem Typ einzulassen. Wenn er sie doch nicht immer mit ihrem Namen ansprechen würde..
„Bitte, komm zurück“, redete er beruhigend auf sie ein.
Sie gab sich einen Ruck und drehte sich um.
„Ok. Ich werde mit ihnen reden. Aber nur, wenn sie mir ein paar Fragen beantworten.“ „Ich werde tun, was ich kann“, antwortete er und es klang aufrichtig.
„Also schön, wer sie sind sie?“
„Du kannst ruhig „du“ zu mir sagen. Ich sagte ja bereits, ich bin Phil und ich bin dein Freund. Mehr kann ich dir im Augenblick nicht sagen.“
„Wo bin ich? Ich kenne diese Gegend nicht.“
„Wie solltest du? Du bist weit entfernt von deinem Zuhause und doch bist du ihm gewissermaßen sehr nahe.
Verdammt noch mal, wieso redete der nur in Rätseln? Sie wollte Antworten, mit denen sie etwas anfangen konnte.
„Woher kennst du meinen Namen?“
Er überlegte kurz bevor er antwortete.
„Ich kenne dich schon eine sehr lange Zeit. Um genau zu sein, seit siebzehn Jahren, also seit dem Tag deiner Geburt. Mir ist klar, dass du keine Ahnung hast, wer ich bin, aber ich will dir alles erklären. Vorerst muss ich dich aber bitten, mich zu begleiten.“
Ihn begleiten?
„Wohin?“, brachte sie hervor.
„In die Hauptstadt. Ich werde dir auf dem Weg erzählen, wo du nun bist.“
Alles in Mayrah sträubte sich dagegen mit einem völlig Fremden mitzugehen, aber andererseits hatte sie keine Wahl. Wo sollte sie alleine hingehen? Außerdem, vielleicht konnte er ihr ja wirklich etwas genaueres erzählen.
„Gut!“, nickte sie.
Der Mann namens Phil erhob sich. „Gehen wir.“, sagte er.
 

Biny

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Fortsetzung, falls sie jemand lesen mag:)

Er begann den grasbewachsenen Hügel vor ihnen hinaufzusteigen. Mayrah folgte ihm widerwillig, während Spike neben ihnen hertrottete und ab und zu ein Stück vorauslief. Als er den höchsten Punkt des Hügels erreicht hatte, verschwand er aus ihrem Blickfeld und sie konnten ihn nur noch von weitem bellen hören.
Bald sah Mayrah den Grund für seine Aufregung. Als sie mit Phil oben anlangte, entdeckte sie auf der anderen Seite des Hügels eine kleine Gruppe, die offensichtlich auf sie wartete.
Auf den zweiten Blick erkannte Mayrah, dass es nur ein einziger Mensch war, der jedoch drei Pferde am Zügel hielt und Phil und ihr zuwinkte. Als sie näher kamen entpuppte sich die Person als junger Mann, der sie neugierig ansah.
„Ist sie das?“, fragte er Phil, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
„Ja, das ist Mayrah. Stell ihr bitte keine Fragen, sie weiß noch nichts“, sagte Phil.
„Ok, Geht Klar!“, sagte der Junge, hörte aber nicht auf sie weiter anzustarren.
Er hatte den selben altertümlichen Aufzug wie Phil, auch er trug lange Stiefel, braune Reiterhosen und den selben grünen Umhang. Mayrah wurde es unter seinen Blicken unbehaglich zumute und sie drehte sich hastig zu Phil um.
„Also, gehen wir jetzt?“, fragte sie. Phil lächelte.
„Immer mit der Ruhe“, sagte er, „und vor allem: Immer schön nach der Reihe. Erst mal gehen wir nicht, wir werden reiten, und zweitens...“
„Reiten?“, entfuhr es Mayrah, „Moment mal, das geht nicht.“
Sie war noch nie im Leben geritten, wenn man die paar Mal auf dem Pferd ihrer Cousine zu sitzen abzog, die aber wirklich nicht als Reiten zählten.
„Wieso nicht?“, fragte Phil.
„Ich...Ich kann nicht“, sagte sie.
„Dann wirst du es lernen, es ist gar nicht schwer.“
„Nein!“, japste sie, „völlig unmöglich. Ich kann einfach nicht.“
„Du hast doch nicht etwa Angst?“
„Nein.“
„Dann laß es doch auf einen Versuch ankommen. Shila beißt nicht“, ermunterte er sie.
Voller Zweifel ließ Mayrah sich von Phil auf das einzige weiße Pferd helfen und stellte im nächsten Moment fest, dass es gar nicht so schlimm war, wie sie befürchtet hatte. Die Stute tänzelte nicht so unruhig herum wie Thunder, der Hengst ihrer Cousine, sondern stand ruhig da und schnaubte freundlich, als wollte sie sagen: Hey Mayrah, keine Angst, wir schaffen das schon.
„Alles Ok?“, fragte Phil.
„Alles Roger“, sagte sie, „dann mal los.“
Phil und sein Begleiter schwangen sich auf ihre Pferde und ritten los. Mayrahs Stute Shila folgte ihnen sofort und sie bekam gerade noch rechtzeitig den Zügel zu fassen. Als sie auf gleicher Höhe wie Phil war sagte sie:
„Ehm, könnten wir, wenn es geht, erst mal nicht ganz so schnell reiten?“
„Natürlich“, antwortete er, „übrigens, das ist Alan.“
Er deutete auf den Jungen zu seiner linken Seite, der Mayrah angrinste und so etwas wie eine Verbeugung andeutete. Mayrah wußte nicht, was sie erwidern sollte, also sagte sie:
„Sehr erfreut, ich bin Mayrah.“
Sie begann, ihn sich genauer zu betrachten und fand, dass er sehr hübsch war. Er hatte dunkle Haare, die ihm fast bis auf die Schultern reichten und ein, für ihre Begriffe, sehr schön geschnittenes Gesicht. Am faszinierendsten fand sie seine tiefbraunen Augen, die bis in ihr Innerstes zu blicken schienen.
Verlegen wandte sie den Blick ab, und hoffte, nicht rot angelaufen zu sein.
„Nun Mayrah“, sagte Phil in diesem Augenblick, „es ist an der Zeit, dass du erfährst, was mit dir passiert ist. Ich möchte, dass du mir genau zuhörst und vor allem, nicht gleich ausflippst. Du wirst manches nicht auf Anhieb glauben können, doch ich versichere dir, es ist die Wahrheit, was ich dir erzähle.“
Tu nicht so geheimnisvoll, dachte Mayrah, aber sie sagte nichts.
Phil dachte eine kleine Weile nach, dann begann er langsam zu erzählen.
„Nun...lass es mich so erklären: Du bist nicht mehr in deiner Welt, nicht mehr in deiner Zeit, deiner...wie soll ich es nennen...deiner Dimension. Alles was du um dich herum kennst, ist dein Bild, dein Verständnis von der Welt, doch die wirkliche Welt umfaßt viel mehr, hat viel mehr Schichten als du glaubst oder als es dir jemals bekannt sein wird.
Die Wahrheit ist: Es gibt deine Welt und meine Welt.
Diese Welt, in der du dich nun befindest, meine Welt, gehört nicht zu deiner, sie existiert sozusagen parallel und doch ist sie eng mit deiner Welt verbunden. Sie gehören zusammen, sind Teil eines Ganzen.
Nur wenige Bewohner der jeweiligen Welten wissen um die Existenz der anderen und sie werden sich hüten, ihr Wissen preiszugeben, sollte nicht ein wirklich wichtiger Grund sie dazu zwingen. Viele Dinge sind hier völlig anders als in deiner, dir bekannten Welt, doch ist sie im Wesentlichen genau dieselbe.“
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Mayrah still zugehört, nun konnte sie aber nicht mehr an sich halten.
„Was meinst du damit: Nicht mehr in meiner Welt? Klar bin ich das, ich meine, ich bin doch noch hier!?“, fragte sie.
„Nein. Genau das will ich dir damit sagen. Du bist eben nicht mehr bei dir zu Hause. Hier ist alles anders, hier funktioniert alles anders. Der erste Unterschied liegt schon allein in der Zeit. Wir leben zwar in der selben Zeit wie ihr, doch die Dinge die es bei euch gibt, gibt es hier nicht.“
„Was für Dinge?“, fragte sie zögernd.
„Technik. Strom. Diese unheimlich gefährlichen Blechmaschinen...na wie heißen sie gleich wieder..Autos.“
„Moment mal, du willst mir also tatsächlich erzählen, ich wäre hier..“, sie musste unwillkürlich lachen, „du willst mir echt weis machen, ich wäre in...in einer anderen Welt? In einer...Märchenwelt sozusagen? Also weißt du, das ist echt lustig.“
Verwirrt starrte Phil sie an.
„Das ist überhaupt nicht lustig. Und eine Märchenwelt ist es schon gar nicht. Mir ist klar, dass du mir nicht glaubst, aber ich habe dich nicht aus Spaß gerufen.“
„Du — mich gerufen? Wie denn das?“
„Ich habe dich gerufen, erinnerst du dich nicht? Im Traum habe ich dich gerufen, immer wieder und wieder. Ich hatte es schon fast aufgegeben, bis dein Geist endlich völlig frei war und ich den Baum als Tor benutzen konnte.“
Mayrah starrte ihn mit großen Augen an.
„Du weißt von meinen Alpträumen?“, flüsterte sie.
„Alpträume? Davon ist mir nichts bekannt, ich weiß nur, dass ich dich gerufen habe. Das ist die einzige Verbindung die ich mit dir aufnehmen konnte.“
„Verbindung?“ Mayrah schüttelte verwirrt den Kopf. „Das war überhaupt keine Verbindung, das waren die schlimmsten Träume, die ich je hatte. Verdammt nochmal, ich hatte echt Angst. Aber ich wüsste nicht was dich das angeht!“, fügte sie hinzu.
„Es tut mir leid, das wollte ich nicht. Ich hatte jedoch keine andere Möglichkeit um dich herzubringen. Selbst den Übergang zu wagen, wäre im Moment zu riskant gewesen.“
„Jetzt hör mal genau zu: Ich habe nicht die geringste Ahnung von was du überhaupt sprichst. Ich bin nicht in irgendeiner komischen anderen Welt. Du willst mich auf den Arm nehmen, das ist es. Ich glaube dir jedenfalls kein Wort.“
„Mayrah, es ist wahr“, meldete sich Alan zu Wort, „warte, bis wir in der Stadt sind, dann wirst du uns glauben.“
„Ihr...ihr seid beide total verrückt“, japste Mayrah entsetzt. Das konnte nie im Leben stimmen. Nein, dachte sie, das ist völlig unmöglich.
„Mayrah...“, versuchte es Alan noch einmal.
„Was ihr da erzählt gibt es nicht“, sagte sie ruhig, „ich glaube es nicht, weil es nicht stimmt und damit Schluß.“
Phil und Alan gaben es auf.
„Du wirst es schon noch begreifen, wenn wir erst mal im Palast sind, ob es dir gefällt oder nicht“, sagte Phil.
Die nächste Zeit sprach keiner von ihnen ein Wort. Mayrah war inzwischen froh, nicht laufen zu müssen, denn die Strecke zog sich doch ziemlich in die Länge. Stumm ritten sie nebeneinander her, während jeder von ihnen seinen eigenen Gedanken nachging.
Mayrah versuchte, das Gehörte so gut es ging zu verdrängen. Es war einfach zu unglaublich, also wollte sie keinen weiteren Gedanken mehr daran verschwenden. Nein, sie würde den beiden Idioten schon nicht auf den Leim gehen, so dumm war sie nicht. Nach einer Weile, ergriff Phil wieder das Wort.
„Wir sind jetzt bald da“, sagte er. Alan nickte.
„Der Palast wird dich umhauen“, sagte er zu Mayrah gebeugt.
„Palast?“, fragte sie sich mit hochgezogenen Augenbrauen, da war sie aber mal gespannt was die sich einfallen ließen, um sie hinters Licht zu führen.
Sie ritten jetzt auf ein kleines Wäldchen zu und der Weg begann leicht aber stetig anzusteigen. Spike war wie immer der erste, der vorauslief und mit lautem Bellen eine Neuigkeit verkündete. Das Gestrüpp lichtete sich und Mayrah stockte der Atem.
Der Anblick haute sie im wahrsten Sinne des Wortes fast vom Pferd, doch sofort spürte sie die Hand Phils beruhigend auf ihrer Schulter.
„Glaubst du mir jetzt?“, fragte er leise.
In dem weiten Tal vor ihr lag eine Stadt, die überwältigender war, als alles was sie kannte. Umgeben von einer hohen Steinmauer sah sie Tausende von roten Ziegeldächern, spitze Türmchen und Plätze. Die Stadt erstreckte sich bis zum Fuße des herrlichsten Palastes, den sie sich vorstellen konnte.
Inmitten der Häuser erhob er sich majestätisch und ehrfurchtgebietend in die Höhe. Mit wehenden Fahnen von seinen unzählbaren großen und kleinen Türmen, stand er da, in all seiner Pracht und wurde von der untergehenden Sonne in orangefarbenes Licht getaucht.
„Ich glaub, ich spinne“, brachte Mayrah hervor.
„Ja, es ist immer wieder wundervoll die Stadt von hier oben zu sehen, doch beim ersten Mal ist es am schönsten“, sagte Alan träumerisch.
„Genug gestaunt, wir müssen uns beeilen“, sagte Phil trocken, ihn schien es nicht sonderlich zu beeindrucken.
Er lenkte sein Pferd auf den steilen Pfad, der sich ins Tal hinab schlängelte
„Es gibt noch einen anderen Weg in die Stadt, die Hauptstraße, doch mit dem hier sind wir um einiges schneller.“
Alan und Mayrah folgten ihm, doch sie konnte ihren Blick nicht von dem zauberhaften Anblick abwenden, so fasziniert war sie. Bald merkte sie, wie die beiden Männer sie grinsend beobachteten.
„Na, überzeugt?“, schmunzelte Phil.
„Ja...wow..ich glaub das einfach nicht“, stammelte sie.
Das konnte einfach keine Einbildung mehr sein. Sie war wirklich in einer anderen Welt gelandet. Fassungslos hielt Mayrah die Zügel umklammert und war froh, dass Shila den beiden anderen ganz von selbst folgte, denn sie selbst konnte für eine Weile nicht mehr klar denken.
Ein einziger Gedanke lies sie für den Rest des Weges nicht mehr los: Es ist wahr! Es war tatsächlich so, wie Phil es gesagt hatte.
„Du hattest recht“, sagte sie, immer noch ganz benommen von dem Schock.
„Natürlich hatte ich recht. Ich habe immer recht“, entgegnete Phil überzeugt.
Bevor Alan laut seinen Protest kundtun konnte, waren sie an einem großen Tor angelangt. Mayrah fand dieses schon riesig und malte sich aus, wie eindrucksvoll dann erst das Haupttor aussehen musste. Phil rief jemandem etwas zu, doch Wachen waren weit und breit nicht zu sehen. Erst als Mayrah den Kopf hob, sah sie schemenhafte Gestalten auf den Türmen zu beiden Seiten des Eingangs.
Fast lautlos wurde das schwere Eisentor hinaufgezogen und bevor sie wußte wie ihr geschah, befand sich Mayrah inmitten der lärmenden staubigen Straßen, auf dem Weg zum Palast.
Phil führte sie an. „Bleib dicht bei mir, Mayrah!“, raunte er ihr zu, „dies ist nicht unbedingt der ungefährlichste Teil der Stadt.“
So sahen die Straßen auch wirklich nicht aus. Heruntergekommene Baracken, vor denen zerlumpte Gestalten saßen, die die drei unverhohlen anstarrten, schummrige Wirtshäuser, aus denen höhnisches Gelächter drang und zwielichtige Händler an jeder Ecke.
Einmal riß Phil sie im letzten Moment zur Seite, als ein leerer Bierkrug aus dem zerbrochenen Fenster einer Spelunke, direkt an ihnen vorbeizischte. Unbehaglich wand sich Mayrah alle paar Minuten um, da sie das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Aus einer dunklen Seitenstraße kam ihnen mit einem Mal ein schmieriger Reiter mit fettigen Haaren und vernarbtem Gesicht entgegen. Als er an ihnen vorbei ritt, beugte er sich deutlich in Mayrahs Richtung und schenkte ihr ein zahnloses Grinsen.
Angewidert wandte Mayrah sich ab, der Mann roch, als hätte er mehrere Wochen kein Tropfen Wasser mehr zu Gesicht bekommen. Der Mann kicherte und berührte sie kurz an der Wange, worauf Mayrah ein spitzer Schrei entglitt. Sie sah, wie Alan unter seinen Umhang griff, doch im selben Moment wurde er von Phil festgehalten.
„Nicht, Alan. Wir wollen kein Aufsehen erregen.“
Alan starrte dem hämisch lachenden Reiter grimmig hinterher, beherrschte sich aber bei Phils Worten. Still ritten sie weiter, bis die Gegend langsam freundlicher wurde. Die Straßen begannen breiter und ebener zu werden und die Menschen auf ihnen sahen jetzt ziemlich normal aus. Wenn man altertümliche Kleidung wie Spitzhauben, Lederstiefel und weite Umhänge als normal erachten konnte.
Staunend erhaschte Mayrah Blicke auf Frauen mit Körben, Männer mit kleinen Kindern auf den Schultern und alte Menschen, die gebückt vor sich hintrotteten. Alle schienen entweder in die gleiche Richtung zu wollen, oder sie kamen ihnen von dort entgegen. Mehr als einmal musste Mayrah plötzlich ausweichen, um nicht mit einem vollbeladenen Pferdekarren zusammenzustoßen. Nach einer Weile kamen sie an einen großen runden Platz, zu dem es all die Menschen an diesem Tag zog.
„Heute ist Markt“, sagte Phil und zu Alan gewandt fügte er hinzu: „Wir haben leider keine Zeit länger hier zu bleiben, das weißt du.“
Alan, der gerade im Begriff war vom Pferd zu springen, und an einen der zahlreichen Stände zu laufen, seufzte enttäuscht.
„Komm schon Phil, ein bißchen Zeit können wir doch erübrigen — “
„Tut mir leid.“ erwiderte Phil, „es geht heute leider nicht. Prinz Isac wartet auf uns.“
„Ja, ja, schon gut. Beeilen wir uns“, sagte Alan und ritt voran, quer über den Platz, auf dem sich Stände und Buden dicht an dicht drängten.
Sie bahnten sich den Weg durch die Menge und gelangten schließlich auf die breite Hauptstraße, die vom Marktplatz aus direkt zum Tor des Palastes führte. Von weitem erblickte Mayrah die beiden Wachposten, die mit langen Speeren in der Hand geradeaus starrten und auch dann mit keiner Wimper zuckten, als Phil vom Pferd stieg und direkt auf sie zuging.
„Was redet er mit ihnen?“, fragte sie Alan, der nur mit den Schultern zuckte.
„Ich weiß es nicht. Es bewirkt jedenfalls immer, dass man uns passieren läßt.“
Und wirklich, im nächsten Moment setzte sich einer der Wärter in Bewegung und zog an einem langen Hebel aus Eisen, der neben dem Eingang aus der Wand ragte. Gleich darauf öffnete sich das vergitterte Tor und alle drei traten ein. Sie befanden sich in einem Vorhof, vor ihnen erhob sich eine breite Treppe, die zum eigentlichen Haupteingang führte.
Der Anblick des königlichen Palastes, überwältigte Mayrah ein zweites Mal, jetzt wo sie alles aus nächster Nähe sehen konnte.
„Mayrah?“, fragte Phil.
Er stand vor Shila und sah erwartungsvoll zu ihr hinauf. Sie hob ein Bein und ließ sich von Shilas Rücken hinuntergleiten. Zwei Jungen in Stallkleidung sprangen herbei, nahmen ihr die Zügel ab und führten die Pferde mit sich fort. Phil bedeutete ihr, ihm zu folgen.
 

Biny

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hey flammarion, freut mich, dass es dir gefällt...fortsetzung gibt es schon aber ich muss mal schaun ob ich dafür nicht einen neuen Beitrag mache..
Bis bald
Biny
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

mach mal neu. ist dann vielleicht leichter zu finden als über die suchfunktion. ganz lieb grüßt
 



 
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