Meine Stadt ist meine Heimat

Heidrun

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Meine Stadt ist meine Heimat

Seit 1996 wohne ich im schönen Bayernland. Hier lebt es sich sehr angenehm und ich bin sehr zufrieden mit meinem Umfeld.
Aber meine Stadt ist nun mal meine Heimat. Und vor etwa zwei Jahren bin ich dort hin gefahren um Bilder zu machen.
Diese wollte ich für einen Kalender verwenden, um sie zwölf Monate im Jahr bei mir zu haben.

Ich verbrachte ein Wochenende in der Stadt, in der ich viele Jahre meines Lebens, meine Kindheit und Jugend verbracht hatte.
Dort habe ich laufen und sprechen gelernt , habe auf der Schulbank gesessen, war erstmalig verliebt, habe meinen Beruf gelernt, geheiratet, zwei Kinder geboren und zuletzt auch die Trennung von meinem Mann überstanden
Hier war ich achtunddreißig Jahre zu Hause.

Es war eines der noch warmen und sonnigen Herbstwochenenden im Oktober.
Nachdem ich es mir in meinem Quartier etwas gemütlich gemacht hatte, begab ich mich auf meinen Erkundungsgang.

Das Hotel „Fürstenhof" in dem ich wohnte nannte sich früher „Kurhotel". Dort gab es das exklusivste und teuerste Essen am Ort. Am Sonntag zog es seit Generationen die Jugend an, denn es war am Nachmittag Tanztee.
Sein äußeres Erscheinungsbild hatte sich bis auf einen neuen Farbanstrich nicht geändert, nur leider seine Ausstrahlung. Es gab die Tanzveranstaltungen nicht mehr und auch das Kino welches Anziehungspunkt vieler Sonntagnachmittage meiner Kindheit und Jugend war, wurde nicht mehr betrieben.
Ich machte mein erstes Photo und dachte an Küsse im Dunkeln vor der Kinoleinwand.

Mein Weg führte mich dann zum „Kleinen Schloß" ein barockes Gebäude mit einem wunderschön angelegten Terrassenpark.
Hier hatte sich viel verändert, nur der braunschweigische Löwe stand wie schon immer unbeweglich auf seinem Platz an der Rückseite des Gebäudes.
Irgendwie hatte ich den Eindruck, er würde gelangweilt in die Runde schauen.
Ich erinnerte mich an die vielen Spaziergänge als Kind mit den Eltern und Geschwistern und die besondere Attraktion, wenn uns der Vater auf den Rücken des Löwen half. Dort oben zu sitzen machte stolz.
Auch meine beiden Töchter saßen oft auf ihm.
Nun stand dort eine Schild: "Dies ist ein Kulturdenkmal, bitte nicht draufsteigen"
Ich glaubte zu wissen, warum sich der Löwe langweilte und photographierte ihn.
Mir fiel nun auch auf, dass alles hübsch sauber und gepflegt war, aber nur wenig Menschen hier spazieren gingen und vor allem keine Kinder.

Nun stieg ich den Berg zum „Großen Schloß" hinauf.
Die Allee, welche dorthin führt, ist mit Maronenbäumen begrenzt.
Auch hier hatte ich viele Stunden meiner Kindheit im Herbst verbracht, wenn die leckeren Früchte, wir nannten sie Esskastanien, von den Bäumen fielen.
Das hatte sich zum Glück nicht verändert. Auch jetzt sah ich Kinder, die wie wir es schon getan hatten, Knüppel in die Bäume warfen, um schneller an die Beute zu kommen.
Es ging vorbei am Schloßteich. Die alten Weiden bewegte leise der Wind. Da der Teich teilweise sehr mit Bäumen und Gebüsch verwachsen war, mutete es hier immer etwas gespenstisch an.
Wenn wir früher mit den Eltern hier vorbeikamen, erzählte meine Mutter immer die Geschichte von der Hexe, die hier im alten Wasserhaus wohnte. Meine Schwestern versuchten immer ihren Mut zu beweisen und riefen in die Luftschächte hinein: "Hallo alte Hexe!" und liefen dann doch immer davon. Aus Angst, sie könnte entgegen ihrer Gewohnheit auch mal am Tag herauskommen, habe ich da meistens nicht mitgemacht.

Kurz darauf stand ich vor dem Schloß auf welches Prinz Ernst August von Braunschweig, genannt der „Prügelprinz", seinen Rückführungsanspruch erhoben hat
Dieses Schloss ist Wahrzeichen meiner Stadt und war Wohnsitz der herzoglichen Familie Ernst August von Braunschweig und Lüneburg von 1914 und bis 1945.
Sie verließen das Schloss mit den Britischen Besatzern als die Sowjets die Stadt übernahmen.
Mit fast dem ganzen Inventar siedelten sie auf die Marienburg bei Hildesheim um.
Das alte Gemäuer stand nicht lange leer.
In ihm befand sich nach dem Krieg zunächst ein Erholungsheim, später eine Fachschule für Binnenhandel.
Hier hinter diesen Mauern waren zirka zweihundert junge Leute aus der ganzen DDR untergebracht.
Die Wende kam und diese Art von Ausbildung gab es nicht mehr.
Außerdem hatte ja der Herzog seinen Anspruch erhoben und wiederbekommen wollte er natürlich ein unbewohntes Schloss.
Um diesen Eigentumsanspruch wird übrigens heute noch gestritten.
Hier nagte nun der Zahn der alten und der neuen Zeit. Nicht nur die Farbe, sondern auch der Putz begannen abzubröckeln.
Trotzdem fand ich mein Heimatschloss schön genug um es zu photographieren.

Ich stieg hinab vom Berg.
Ein Versuch in die unter dem Schloss gelegene Bartholomäuskirche zu gehen misslang. Ich hätte mir dazu erst einen Schlüssel holen müssen.
Weiter führte mich der Weg hinab bis auf den Marktplatz.
Das Rathaus strahlte im neuen Glanz. Die Sandsteinfassade war abgestrahlt und das Dach saniert, Fenster und Türen restauriert.
Es war neu, hatte aber seinen altertümlichen Charakter nicht verloren.
In diesem Rathaus hatte ich vor über zwanzig Jahren geheiratet. Es kommt mir vor als wäre es in meinem vorherigen Leben gewesen.
Ich hatte das Gefühl hier erinnerte mich nicht viel, machte aber mein Photo, denn ein Rathaus ist ein wichtiges Gebäude einer Stadt.

Nun war die Altstadt mein Ziel mit den vielen kleinen Gassen und Fachwerkhäusern.
Hier war ich gern in meiner Kindheit und am liebsten in der Abenddämmerung.
Wenn die ersten Fenster beleuchtet waren und es doch überall so finster wirkte, ließ es sich hier wunderbar träumen von alter Zeit.
Meine Gedanken schmückten dann diese Straßen mit Menschen aus längst vergangenen Zeiten aus.
Ich sah Kinder im Rinnstein spielen, Väter mit Handkarren das Feuerholz nach Hause fahren, ich sah auch Gaukler und Diebe die in den Torbögen verschwanden.
In der Altstadt habe ich viele Photos gemacht. Wenn auch hier die Fassaden verändert waren, hatte sie nichts von ihrem alten Zauber verloren.
Ich setzte mich in ein kleines Kaffee und ließ meine Gedanken schweifen.
Diese Stadt, meine Heimat, machte mir trotz aller Veränderungen das Herz warm.

Gestärkt von der Pause lief ich in kurzer Zeit bis zum alten Gymnasium am Park. Hier verbrachte ich die letzten vier Schuljahre.
Natürlich gab es das Flair eines gefüllten Pausenhofes nicht, denn es war ja Wochenende, aber der majestätische Sandsteinbau mit seiner großen Jahreszahl in römischen Zahlen wirkte auf mich vertraulich.
Ich setzte mich auf eine Bank und ließ Revue passieren an was ich mich erinnern wollte.
In diesen Mauern habe ich viel gelernt für das Leben nicht nur Theorie sondern auch die zwischenmenschlichen Dinge. Es gab Freundschaften und echte kleine Feindschaften, Gefühle eben in einem sehr breiten Spektrum.
Hier wurde erstmals meine Leidenschaft für Literatur und Theater geweckt. Ich hatte eine Deutschlehrerin, die auch außerhalb des Unterrichts mit mir über Literatur sprach. Ich nahm an Rezitatorenwettstreiten teil , spielte im Arbeitertheater Märchen und las erstmals auch Weltliteratur. Bücher von „Hugo" und „Zola" habe ich regelrecht verschlungen.
Der Tag neigte sich auf Nachmittag und ich wusste, wenn ich noch einen wichtigen Platz meiner Stadt aufsuchen wollte, war nun das Photo vom Gymnasium fällig.

Ich tat es und stieg dann wieder auf einen Berg, den Eichenberg.
Dort war ich meinem Zu Hause sehr nah. Hier haben wir, meine Geschwister und die anderen Kinder aus unserer Straße gespielt nach der Schule und an den Samstagen bis es dunkel wurde.
Ob Sommer oder Winter, der Eichenberg hatte das ganze Jahr etwas für uns zu bieten. Wir bauten Baum und Buschbuden und Zelte aus alten Decken die mit Wäscheleinen und Klammern befestigt waren. Wir spielten an der Quelle oder lagen nur faul im Gras und erzählten uns Geschichten. Im Herbst sammelten wir Hagebutten, Eicheln und Kastanien und brachten sie zur Sammelstelle um das Taschengeld ein wenig aufzubessern.
Wir haben dort sogar mal eine Zirkusveranstaltung für unsere Eltern und Nachbarn organisiert, nur Tiere waren rar, dafür gab es aber viele Akrobaten und Clowns.
Wenn der erste Schnee fiel, konnten wir es kaum erwarten mit dem Schlitten auf den Eichenberg zu gehen.
Man konnte von hier oben um achtzehn Uhr die Glocken von der Bartholomäuskirche hören. Das bedeutete für uns Kinder, es war Zeit nach Hause zu gehen.
Ich schaute auf die Uhr, noch war Zeit bis dahin, und an diesem Punkt überkam mich dann doch die Rührung. In einer Stunde würden sie wieder zu hören sein.
Ein paar Tränen liefen mir über die Wangen. Von hier oben konnte man sehr gut auf die Stadt herabschauen, die für mich mein zu Hause war und von der ich nun so weit weg wohnte.
„Nur nicht zu sentimental werden! " dachte ich mir und machte von oben einige Photos.

Wie vielen Menschen geht das so! Sie haben ihr zu Hause verloren, und es bleibt doch immer ihre Heimat. Über Jahrzehnte gab es eine Mauer zwischen den zwei deutschen Staaten und man konnte nicht überall hin. Viele haben ihre Heimat erst nach über vierzig Jahren wiedergesehen.
Ich konnte immer herfahren und hatte auch noch Freunde und Bekannte hier.
Wenn auch durch die Wende viele Menschen, so wie auch ich, beruflicher Weise wegziehen mussten, so haben sie immer die Möglichkeit zu Besuch zu kommen in ihre Heimat.

Am nächsten Tag nutzte ich meine Zeit für Besuche und als ich am Sonntag zurück nach Bayern fuhr, hatte ich nicht nur die Kamera voller Photos sondern auch mein Herz voller Freude über diese etwas veränderte aber noch immer meine Stadt.
Äußerlichkeiten waren nicht so wichtig, denn ich konnte sie fühlen, sehen, hören und riechen.

Der Kalender wurde sehr schön und voller Stolz zeigte ich ihn meinen Kindern.
Ich werde ihn aufbewahren für meine Enkel und ihnen dann viel dazu erzählen können.
Und vielleicht fahre ich bald wieder in meine Heimat um die da lebenden Menschen zu photographieren, denn eine Stadt lebt nur durch ihre Bewohner.



"Das Universum ist erfüllt von grenzenloser Kreaktivität.
Ich ziehe sie an wie ein Magnet.
Mein Geist und meine Träume öffnen sich ihr.
Sie fließt in mich wie ein Strom klaren Wassers"
 

Lois

Mitglied
eine erinnerte Jugend prosaisch erzählt. warum nicht.

"Gefühle eben in einem sehr breiten Spektrum." Ich glaub das brauchst Du nicht erläutern.

Gruss Lois
 



 
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