„Mögen Sie einen Tee?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, griff er nach der bereit stehenden Tasse und schenkte ein.
„Ich habe nicht viel Zeit, wir stecken gerade mitten im neuen Versuchsaufbau.“ Sie warf einen zögernden Blick auf die Wanduhr. „Also gut.“ Mit einem Seufzer ließ sie sich auf den Laborstuhl fallen, verschränkte die Hände im Nacken und schloss die Augen. Doktor Fröhlich betrachtete sie mit versonnenem Lächeln. Ihr flachsblonder Zopf lag wie ein Tau auf dem weißen Kittel und verdeckte das Schild an ihrer Brust, das sie als Dr. Beate Unselm auswies. Noch nie hatte er sie mit offenem Haar gesehen. Seine Augen wurden feucht und er räusperte sich entschlossen. „Milch, Zucker, Zitrone?“
Zucker bitte.“ Ihre meergrünen Augen blinzelten. „Zwei Stücke.“
Sie richtete sich auf. „Danke, umrühren kann ich selbst.“
Seine Hand zitterte ein wenig, als er ihr die Tasse reichte, doch sie schien es nicht zu bemerken. Ohne seine wissenschaftliche Reputation würde sie ihn überhaupt nicht bemerken.
Sie blies über den Tee. „Weshalb wollten Sie mich sprechen?“
Doktor Fröhlich antwortete nicht gleich. Ächzend stemmte er seine einhundertfünfzig Kilo aus dem Sessel, humpelte zum Fenster und sah in die herein brechende Dämmerung hinaus.
„Sie kennen meine Arbeiten?“ Es war mehr eine Feststellung, schließlich war das vom ihm vor dreißig Jahren entwickelte Multiple-Welten-Theorem eine der Grundlagen ihrer Versuche, in die parallelen Realitäten vorzudringen.
„Natürlich.“
„Ich habe mich geirrt.“ Die Lampen auf dem Institutsparkplatz flammten auf und tauchten die wenigen Fahrzeuge zwischen den verbliebenen Schneeresten in natriumgelbes Licht. Er wandte sich um.
Am liebsten würde er die ungläubigen Grübchen aus ihrem Gesicht küssen.
„Aber die Berechnungen...“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung und lehnte sich gegen die Fensterbank. „Masturbative Formeln, die sich lediglich selbst bestätigen. Haben Sie noch?“
Sie nickte, in ihrem Gesicht kämpfte der Unglauben mit dem Respekt vor dem Mitbegründer ihres Forschungszweiges.
„Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen.“ Er winkte sie zu sich. „Ach bitte, bringen Sie mir meinen Tee mit?“
Die Anmut, mit der sie nachschenkte, ließ den Wunsch, sie in seine Arme zu schließen, beinahe übermächtig werden. In jeder Hand eine Tasse balancierend, kam sie herüber. Doktor Fröhlich lächelte dankbar und nahm seine entgegen.
„Aber es ist doch ein vollkommen schlüssiges Theoriegebäude. Das Zeitflussdelta, seine Unumkehrbarkeit... Der Temporalstaugenerator steht kurz vor dem Durchbruch...“
Der Eifer ließ ihre Augen blitzen. Ihre Nähe erzeugte einen beinahe körperlichen Schmerz und er wandte sich ab.
„Nein,“ sagte er und blies über die dampfende Oberfläche, „es wird keinen Durchbruch geben.“
„Nur noch eine Frage der erforderlichen Energie!“
Er reagierte nicht auf ihren Einwurf und fuhr ungerührt fort. „Manchmal helfen ein Blick aus dem Fenster und eine gute Tasse Tee, die Wahrheit zu erkennen.“ Er nahm einen vorsichtigen Schluck und beugte sich zur Scheibe vor. „Selbst bei Narren kurz vor der Emeritierung.“
Das Glas beschlug unter seinem Atem, dann schmolz der Fleck in der aufsteigenden Warmluft des Heizkörpers, bis er wieder völlig verschwunden war. „Das ist unsere Realität.“
Eine steile Falte hatte sich auf Doktor Unselms Stirn gebildet, er fand, sie stand ihr nicht.
„Ich begreife nicht...“
Er hob seine Tasse und deutete auf die zarte Dampffahne, die sich heraus kräuselte und im Nichts verschwand. „Möglichkeiten. Flüchtig und kaum wahrnehmbar.“
Er klopfte an das Fenster. „Unser Bewusstsein.“
Schlürfend trank er ein wenig und blies seinen Atem erneut an das Fenster. „Hier kondensieren sie zur Wirklichkeit.“
Schweigend beobachtete er seine verblassende Atemspur. „Eine Weile erinnern wir uns daran,“ setzte er schließlich leise hinzu. Er beobachtete von der Seite, wie Mitleid und Empörung in ihrem Gesicht miteinander rangen.
„Wollen Sie behaupten, die jahrzehntelange Arbeit der besten Köpfe auf unserem Planeten sei nichts als ein Irrtum? Nur weil Sie in Ihren Teedunst gesehen haben? Doktor Fröhlich, zwei Etagen unter uns bauen wir gerade die Anlage, die diesen ‚Irrtum’ beweisen wird!“ Die Empörung hatte gesiegt. Wie eine germanische Göttin stand sie vor ihm, so schön in ihrem Zorn und so unerreichbar.
„Sie erwarten doch nicht ernsthaft von mir, dass ich Ihnen da folge.“ Sie rammte die Hände in die Kitteltaschen und stapfte Richtung Tür.
„Sie wollen Beweise? Warten Sie!“
Sie blieb an der Tür stehen, noch immer die Fäuste in den Taschen vergraben und schüttelte den Kopf, wie in stiller Verzweiflung über so viel sturen Unverstand. Langsam drehte sie sich um. Das Mitleid mit dem verwirrten Alten hat gesiegt, dachte er voller Selbstironie.
„Was wollen Sie beweisen? Doktor Fröhlich, bitte ersparen Sie uns beiden die Peinlichkeit. Wollen wir dieses Gespräch nicht ganz einfach vergessen?“
Sie meinte es gut mit ihm, mehr konnte er nicht erwarten. Er nahm einen Schluck und schloss die Augen. „Schade,“ murmelte er, als die Bürotür hinter ihr ins Schloss fiel. Müde hauchte er das Fenster an. „Sie war eine exzellente Wissenschaftlerin. Hätte sie mich nicht lieben können?“
Dann wischte er sie mit seinem Ärmel fort.
„Ich habe nicht viel Zeit, wir stecken gerade mitten im neuen Versuchsaufbau.“ Sie warf einen zögernden Blick auf die Wanduhr. „Also gut.“ Mit einem Seufzer ließ sie sich auf den Laborstuhl fallen, verschränkte die Hände im Nacken und schloss die Augen. Doktor Fröhlich betrachtete sie mit versonnenem Lächeln. Ihr flachsblonder Zopf lag wie ein Tau auf dem weißen Kittel und verdeckte das Schild an ihrer Brust, das sie als Dr. Beate Unselm auswies. Noch nie hatte er sie mit offenem Haar gesehen. Seine Augen wurden feucht und er räusperte sich entschlossen. „Milch, Zucker, Zitrone?“
Zucker bitte.“ Ihre meergrünen Augen blinzelten. „Zwei Stücke.“
Sie richtete sich auf. „Danke, umrühren kann ich selbst.“
Seine Hand zitterte ein wenig, als er ihr die Tasse reichte, doch sie schien es nicht zu bemerken. Ohne seine wissenschaftliche Reputation würde sie ihn überhaupt nicht bemerken.
Sie blies über den Tee. „Weshalb wollten Sie mich sprechen?“
Doktor Fröhlich antwortete nicht gleich. Ächzend stemmte er seine einhundertfünfzig Kilo aus dem Sessel, humpelte zum Fenster und sah in die herein brechende Dämmerung hinaus.
„Sie kennen meine Arbeiten?“ Es war mehr eine Feststellung, schließlich war das vom ihm vor dreißig Jahren entwickelte Multiple-Welten-Theorem eine der Grundlagen ihrer Versuche, in die parallelen Realitäten vorzudringen.
„Natürlich.“
„Ich habe mich geirrt.“ Die Lampen auf dem Institutsparkplatz flammten auf und tauchten die wenigen Fahrzeuge zwischen den verbliebenen Schneeresten in natriumgelbes Licht. Er wandte sich um.
Am liebsten würde er die ungläubigen Grübchen aus ihrem Gesicht küssen.
„Aber die Berechnungen...“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung und lehnte sich gegen die Fensterbank. „Masturbative Formeln, die sich lediglich selbst bestätigen. Haben Sie noch?“
Sie nickte, in ihrem Gesicht kämpfte der Unglauben mit dem Respekt vor dem Mitbegründer ihres Forschungszweiges.
„Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen.“ Er winkte sie zu sich. „Ach bitte, bringen Sie mir meinen Tee mit?“
Die Anmut, mit der sie nachschenkte, ließ den Wunsch, sie in seine Arme zu schließen, beinahe übermächtig werden. In jeder Hand eine Tasse balancierend, kam sie herüber. Doktor Fröhlich lächelte dankbar und nahm seine entgegen.
„Aber es ist doch ein vollkommen schlüssiges Theoriegebäude. Das Zeitflussdelta, seine Unumkehrbarkeit... Der Temporalstaugenerator steht kurz vor dem Durchbruch...“
Der Eifer ließ ihre Augen blitzen. Ihre Nähe erzeugte einen beinahe körperlichen Schmerz und er wandte sich ab.
„Nein,“ sagte er und blies über die dampfende Oberfläche, „es wird keinen Durchbruch geben.“
„Nur noch eine Frage der erforderlichen Energie!“
Er reagierte nicht auf ihren Einwurf und fuhr ungerührt fort. „Manchmal helfen ein Blick aus dem Fenster und eine gute Tasse Tee, die Wahrheit zu erkennen.“ Er nahm einen vorsichtigen Schluck und beugte sich zur Scheibe vor. „Selbst bei Narren kurz vor der Emeritierung.“
Das Glas beschlug unter seinem Atem, dann schmolz der Fleck in der aufsteigenden Warmluft des Heizkörpers, bis er wieder völlig verschwunden war. „Das ist unsere Realität.“
Eine steile Falte hatte sich auf Doktor Unselms Stirn gebildet, er fand, sie stand ihr nicht.
„Ich begreife nicht...“
Er hob seine Tasse und deutete auf die zarte Dampffahne, die sich heraus kräuselte und im Nichts verschwand. „Möglichkeiten. Flüchtig und kaum wahrnehmbar.“
Er klopfte an das Fenster. „Unser Bewusstsein.“
Schlürfend trank er ein wenig und blies seinen Atem erneut an das Fenster. „Hier kondensieren sie zur Wirklichkeit.“
Schweigend beobachtete er seine verblassende Atemspur. „Eine Weile erinnern wir uns daran,“ setzte er schließlich leise hinzu. Er beobachtete von der Seite, wie Mitleid und Empörung in ihrem Gesicht miteinander rangen.
„Wollen Sie behaupten, die jahrzehntelange Arbeit der besten Köpfe auf unserem Planeten sei nichts als ein Irrtum? Nur weil Sie in Ihren Teedunst gesehen haben? Doktor Fröhlich, zwei Etagen unter uns bauen wir gerade die Anlage, die diesen ‚Irrtum’ beweisen wird!“ Die Empörung hatte gesiegt. Wie eine germanische Göttin stand sie vor ihm, so schön in ihrem Zorn und so unerreichbar.
„Sie erwarten doch nicht ernsthaft von mir, dass ich Ihnen da folge.“ Sie rammte die Hände in die Kitteltaschen und stapfte Richtung Tür.
„Sie wollen Beweise? Warten Sie!“
Sie blieb an der Tür stehen, noch immer die Fäuste in den Taschen vergraben und schüttelte den Kopf, wie in stiller Verzweiflung über so viel sturen Unverstand. Langsam drehte sie sich um. Das Mitleid mit dem verwirrten Alten hat gesiegt, dachte er voller Selbstironie.
„Was wollen Sie beweisen? Doktor Fröhlich, bitte ersparen Sie uns beiden die Peinlichkeit. Wollen wir dieses Gespräch nicht ganz einfach vergessen?“
Sie meinte es gut mit ihm, mehr konnte er nicht erwarten. Er nahm einen Schluck und schloss die Augen. „Schade,“ murmelte er, als die Bürotür hinter ihr ins Schloss fiel. Müde hauchte er das Fenster an. „Sie war eine exzellente Wissenschaftlerin. Hätte sie mich nicht lieben können?“
Dann wischte er sie mit seinem Ärmel fort.