Morituri te salutant

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Isola

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Morituri te salutant

Im gestreckten Galopp fegte sie auf ihrem schweißbedecktem Rappen über die, im Dunkel liegenden, Felder. Energisch trieb sie das Pferd zur Eile an, rammte ihm unsanft die Sporen ihrer Stiefel in die Flanken und duckte sich hinter die wehende Mähne.

Noch vor wenigen Stunden, kurz vor Sonnenuntergang, war Elizabetha glücklich über den Wochenmarkt in Reghin geschlendert und hatte ihre Einkäufe gemacht.
Doch in dieser Gegend der Welt sollte man besser nicht nach Sonnenuntergang draußen sein. Denn als die Sonne schon blutrot am Horizont gestanden hatte, machten die Händler ihre Buden und Stände dicht, flüchteten geradezu vom Marktplatz und plötzlich hatte sie einsam da gestanden.
Ihren großen Rappen Charon am Zügel neben sich und die Einkäufe in den Satteltaschen, hatte sie versucht, in irgendeiner Gaststätte unterzukommen, aber niemand war dazu bereit gewesen und überall wurde sie schroff abgewiesen.
Grübelnd war sie durch die Straßen gegangen und auf einmal vor einem kleinen Laden stehen geblieben. Ein hölzernes, verwittertes Schild prangte den Laden als „Stube für Bedürftige“ an und das hatte sich gut angehört. Vielleicht würde man sie ja da aufnehmen, hatte Elizabetha gedacht.

„Hallo?“, rief sie, nachdem sie Charon vor der Tür angebunden und diese aufgestoßen hatte.
„Ist da jemand?“ Neugierig lugte sie zu einem, hinter einem Vorhang gelegenen, Raum, aus dem leises Gemurmel drang. Der Raum, in dem sie stand, war dunkel, überall lagen Bücher und seltsames Zeug lagerte in hohen Regalen.
Gerade als sie ein dickes Buch, das auf einem Stuhl lag, aufschlagen wollte, hörte sie Schritte auf dem Holzfußboden und mit einem Male stand eine alte Frau neben ihr.
„Guten Tag, mein Kind, wie kann ich dir helfen?“
„Ja“, flüsterte Elizabetha und betrachtete die Frau erschrocken.
Sie war sehr alt, wirkte fast schon zerbrechlich und hatte schneeweißes Haar, das sie im Nacken zu einem Knoten trug.
„Ich suche eine Unterkunft für eine Nacht, ich komme aus einem kleinen Dorf, das ein paar Stunden von hier entfernt liegt. Wenn mich niemand aufnimmt, muss ich die ganze Nacht lang durchreiten.“
„Bei allen Heiligen, nein, mein Kind, das ist zu gefährlich! Wissen sie denn nicht, dass in den Wäldern Kreaturen lauern, die nur darauf warten, dass ein hübsches Mädchen wie sie vorbei kommen und sie es sich nehmen können, ganz wie sie wollen? Dies ist zu gefährlich.“
„Kann ich denn nicht hier bleiben, gute Frau? Ich bitte sie, ich weiß sonst nicht, wo ich hin sollte. Mein Pferd ist erschöpft und ich ebenfalls. Ich flehe sie inständigst an!“
Die Frau ging hinter den großen Tresen, nahm eine silberne Kiste hervor und stellte sie zwischen sich und Elizabetha, die gespannt den Bewegungen der Frau zusah.
„Das kann ich leider nicht verantworten, das kann niemand hier im Dorf. Man darf keinen Fremden bei sich aufnehmen, sonst würde man bestraft. Es tut mir leid, aber ich kann ihnen auf andere Weise einen gewissen Schutz bieten.“
Sie öffnete geheimniskrämerisch die Kiste und legte nacheinander ein Kreuz, zwei spitze Holzpflöcke aus Silber und ein Fläschchen mit einer Flüssigkeit heraus.
„Was ist das? Was hat das zu bedeuten?“ Elizabetha sah angewidert auf die Sachen nieder und verzog das Gesicht.
„Das wird sie schützen gegen die Untoten, die dort draußen in den Wäldern umhergehen und sich an den Lebenden laben. In dem Fläschchen ist Weihwasser und wenn sie mir acht Goldstücke geben, kann ich ihnen diese Sachen überlassen.“
Die Frau sah Elizabetha auffordernd an.
„Gute Frau! Das meinen sie doch nicht ernst! Untote! Beim Herr Gott selbst, solch eine Blasphemie habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört! Wissen sie, ich gehe. Ich werde jetzt heimwärts reiten und unterwegs einfach Rast machen, wenn in diesem Dorf hier niemand mehr so normal im Kopf ist, dass er hinter jedem Fremden ein Ungeheuer sieht.“

Entschlossen marschierte Elizabetha zur Türe, die Alte in ihrem Schlepptau. Sie jammerte unentwegt, bat sie, doch vernünftig zu sein und auf den Rat einer alten Frau zu hören, doch Elizabetha stieg schon auf Charon, sortierte die Zügel in ihren Händen und grüßte höflich, während sie im Trab davon ritt. Die Sonne war gerade untergegangen und die kleine Stadt wirkte wie ausgestorben.

Nachdem Elizabetha Reghin hinter sich gelassen hatte, galoppierte sie entspannt über Feldwege in Richtung ihres Heimatdorfes. Es wurde immer dunkler und irgendwann kam sie in bewaldetes Gebiet. Nun ließ es sich nicht mehr vermeiden, durch die Dunkelheit zu reiten.
Ganz plötzlich hörte sie ein lautes Knurren am Rand des Weges und eine riesenhafte Gestalt sprang aus dem Gebüsch hervor. Elizabetha wurde von ihrem Pferd gerissen und zu Boden geschleudert. Charon wieherte ängstlich auf, schrie schon fast, als das Monster so plötzlich wie es aufgetaucht war, auch wieder verschwand.
Zitternd stand sie auf, nahm den Rappen am Zügel und versuchte, ihn zu beruhigen.
Als ihr jedoch bewusst wurde, was da gerade geschehen war, stieg sie hastig wieder auf und gab Charon grob die Sporen. In ihr schrie es nach Flucht, sie musste so schnell wie möglich hier weg und nach Hause, wo sie geschützt sein würde.

Nun ritt sie über die Felder der ansässigen Bauern, auf denen Getreide angebaut wurde.
Sie wurde ruhiger; der gleichmäßige Galopp des Pferdes wiegte sie auf und ab und die kalte Abendluft trieb ihr das Blut in die Wangen. In ein paar Stunden wäre sie schon daheim, da sie Charon zu großer Eile antrieb und keine Rast machen würde.

Es lauerte am Wegrand und beobachtete sie mit funkelnden, glutroten Augen, die sich nichts entgehen ließen. In dieser Nacht würde es sich wieder etwas holen und niemand würde es daran hindern. Absolut niemand, nicht einmal der Teufel selbst.
Elizabetha hatte Charon nun gezügelt und er schritt langsam an den Feldern vorbei. Sie wollte ihm etwas Ruhe gönnen, wenn sie schon nicht Rast machen konnten.
Als er plötzlich unruhig wurde und anfing, leicht hin und her zutänzeln. Erschrocken weitete er die Nüstern, der Schweiß brach ihm aus und er schnaubte nervös.
„Charon, was ist denn?“, fragte Elizabetha beunruhigt, denn, wenn sie eines gelernt hatte in all den Jahren, in denen Charon schon Teil ihrer Familie war, dann war es, dass man sich ganz und gar auf die Instinkte eines Pferdes verlassen konnte.
Und in dem Moment sah sie es. Ein Augenpaar blitzte aus dem Gebüsch am Wegrand hervor und sie ahnte, dass das Wesen von vorhin sie verfolgt hatte. Leise schnalzte sie mit der Zunge, presste ihre Waden an die Flanken Charons und er preschte los.
Die Landschaft flog an ihnen vorbei und die Mähne des Pferdes schlug Elizabetha ins Gesicht; Kälte breitete sich in ihrem gesamten Körper aus und sie schloss die Augen.
Charon kannte den Weg nach Hause, er würde ihn auf alle Fälle finden; ein Pferd findet immer nach Hause, ganz gleich, was geschieht.

Es rannte hinter ihnen her, auf allen Vieren und mit gierend heraushängender Zunge; es bleckte die Zähne und freute sich schon auf sein Festmahl.
Drei Kilometer vor Elizabethas Heimatdorf, als das Pferd müde wurde und nicht mehr so schnell galoppierte, setzte es zum Sprung an und schlug seine Pranken mit voller Wucht in die Kruppe des Pferdes und riss es zu Boden.

Elizabetha wurde wieder vom Pferd geschleudert, doch dieses Mal stürzte auch Charon zu Boden und Elizabetha hörte, wie er unter Schmerzen schrie.
Erschrocken rollte sie sich zur Seite, rappelte sich auf und begann hysterisch zu schreien. Das Monster hatte sich über Charon gebeugt und riss ihm die Kehle auf. Blut strömte aus der Wunde und Charon wieherte erstickt. Jetzt, im Mondschein, konnte Elizabetha das Ungeheuer sehen, das ihr nachgejagt war.
Es sah aus wie ein Mensch, war jedoch ungewöhnlich stark behaart und es hatte riesige Klauen, mit denen es Charon gerade zu Boden drückte.

Auf einmal schoss Elizabetha ein Gedanke durch den Kopf.
Lauf, lauf weg, so schnell wie du nur kannst und versuch, diesem Monster zu entgehen.
Sie begann zu rennen; so schnell war sie noch nie gerannt. Ihre Beine waren schwer vom vielen Reiten und es schien ihr, als käme sie einfach nicht vorwärts. Doch ihr Wille trieb sie weiter, ein kleiner Funke Hoffnung war noch da.
Während sie den Feldweg entlang rannte, stiegen ihr Tränen in die Augen, ein Schluchzen stieg in ihr auf und sie legte sich die Hand auf den Mund, um es zu unterdrücken.
Ihr Herz raste; ihr Atmen wurde immer schwerer und sie rannte nun langsamer. Sie konnte einfach nicht mehr, sie war zu erschöpft, um weiterzukämpfen.

Es hatte genug genommen. Jetzt würde es nach der geflohenen Frau suchen. Suchend hielt es die Nase hoch und nahm ihre Witterung auf. Sie war noch nicht weit gekommen und sie würde zu erschöpft sein, um noch weiter zu laufen.

Ihre Beine gaben nach und es überraschte sie plötzlich nicht mehr, als das Monster auf einmal über ihr stand. Sie lag am Boden und weinte; Tränen der Angst, der Verzweiflung und der Wut. Sie war wütend, dass dieses Monster ihr Charon genommen hatte; sie war wütend, dass sie überhaupt in eine solche Situation gekommen war, weil niemand in Reghin sie aufnehmen hatte wollen.

Es beugte sich hinab, biss ihr in den Hals und begann zu trinken. Elizabetha stöhnte, während es sich immer mehr nahm und sie immer schwächer wurde.
Doch mit einem Mal ließ es von ihr ab. Es würde sie nicht ganz nehmen, nein, es wollte sie leiden sehen.

Die Morgendämmerung zog am Horizont auf, als Elizabetha wieder zu Bewusstsein kam.
Im ersten Moment wusste sie nicht mehr, was geschehen war und als es ihr wieder einfiel, musste sie sich übergeben.
Ihr war schwarz vor Augen und sie torkelte hin und her, versuchte, ihr Gleichgewicht wieder zu finden und als es besser ging, begann sie zu laufen.
Der Sonne entgegen, in Richtung Heimat.
Sie hatte Schmerzen, doch beim Laufen spürte sie nichts mehr. Nach zwei Kilometern war sie vollkommen erschöpft, aber auch dies machte ihr nichts mehr aus, sie musste einfach nach Hause, wo sie sich würde ausruhen und erholen können. Dann wäre sie auch in Sicherheit und niemand könnte ihr je wieder etwas tun.
Vor dem Tor ins Dorf machte sie langsam, schlurfte nur noch und zog die Füße angestrengt über den Boden. Sie stöhnte unter Schmerzen, als sie sich nun ihren Weg zu dem Haus ihrer Familie bahnte. Es war Sonntagmorgen und die Sonne ging gerade auf, als Elizabetha ihrem Vater vor der Haustür tot in die Arme fiel.




© V.L. , 2003
 

Charlene

Mitglied
Hi Isola!

Mir hat deine Geschichte gut gefallen, allerdings finde ich, dass du den Anfang etwas ungeschickt aufgebaut hast. Du schilderst, wie Elizabetha auf ihrem Pferd durch die Gegend prescht und schiebst dann diese Rückblende ein. Mich jedenfalls hat das ein bisschen gestört und ich hätte es besser gefunden, wenn du den ersten Absatz weggelassen hättest und chronologisch vorgegangen wärst.
Außerdem ist mir aufgefallen, dass du beim Gespräch von Elizabetha mit der alten Frau durchwegs "Sie" und "Ihre" (bei einer Anrede) klein geschrieben hast.
Etwas gekünstelt und unglaubwürdig fand ich folgende Sätze bei ihrer zweiten Begegnung mit dem Monster:
Auf einmal schoss Elizabetha ein Gedanke durch den Kopf. Lauf, lauf weg, so schnell wie du nur kannst und versuch, diesem Monster zu entgehen.
Denkt sie wirklich so umständlich, wenn sie doch ganz offensichtlich in Lebensgefahr ist?
Und warum lässt das Monster von ihr dann ab? Um sie leiden zu sehen? Schön und gut, nur Elizabetha wird doch dann ohmnächtig und als sie wieder aufwacht ist ihr Angreifer auch schon weg. Wann sieht er sie also leiden?
Ansonsten aber fand ich deine Geschichte, wie oben schon gesagt, recht gut und gefallen hat sie mir auch ^.^

Ach ja, was bedeutet der Titel? Hat das irgendwas mit Tod und grüßen zu tun?

Ciao,
Charlene
 

Isola

Mitglied
Hi Charlene!

Danke für deine Kritik. Sie war sehr konstruktiv - danke dafür. Manche Leute kritisieren ja meistens nur und bringen keine Argumente blablabla. Du wirst das kennen.

Zu dem Titel: Hast du nie Asterix-Comics gelesen? *g*
"Morituri te salutant" haben die Gladiatoren vor dem Kampf zum jeweiligen Imperator gesagt und es bedeutet:
"Die Todgeweihten grüßen dich".

Isola.
 



 
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