Nachschub für Alexandria
Eine verteufelt unangenehme Lage ist das!
Seit Monaten ist kein Krümel Nachschub mehr nach Ägypten durchgekommen. Die letzten Meldungen aus unserem Stützpunkt in Alexandria waren katastrophal. Ein Hilferuf nach dem anderen. Wenn nicht bald etwas Entscheidendes geschieht, können wir unsere Position dort unten keine vier Wochen mehr halten. Nicht auszudenken, welche Konsequenzen das für die globale Situation hätte.
Und es war vorhersehbar! Wie mit Flammenzeichen stand es an der Wand geschrieben. Aber die Herren hatten natürlich keine Lust es zu lesen. Die glattpolierten Herrchen vom Stab, mit ihren lilienweißen Händen und den messerscharfen Bügelfalten.
Jetzt - jetzt, wo kaum noch was zu retten ist, landet der Kram natürlich wieder bei mir. Plötzlich fällt ihnen ein, wo hier die Erfahrung und der Überblick sitzen. Wenn das alles hier vorbei ist, werden einige Leute ein paar sehr unangenehme Fragen zu beantworten haben.
Na gut, schaun wir mal, wie wir uns am besten aus dem Schlamassel stehlen können. Der Nachschub steht ja eigentlich bereit; da liegt also nicht das Problem. Nur nach Ägypten muss er, und zwar pronto.
Mit dem Schiff durchs Mittelmeer? Hm, keine gute Idee. Gibraltar ist um diese Jahreszeit kaum passierbar. Jedenfalls nicht für Transportschiffe. Viel zu unsicheres Wetter. Und ob wir ungeschoren an Malta vorbeikommen ist noch eine andere Frage.
Um's Kap der guten Hoffnung und durch 's rote Meer? Das ist zwar ein Riesenumweg aber ... zwecklos. In Dubai sitzen seit letztem Jahr chinesische Agenten. Da kommt keiner vorbei, ohne dass Peking nicht sofort Bescheid weiß. Und wenn es die Chinesen wissen, dann wissen es auch die Koreaner. Nein, nein, das geht nicht.
Und durch die Luft? Sieht kaum besser aus. Zwischen hier und Alexandria liegen ein gutes Dutzend Hoheitsgebiete, die wir durchqueren müssten. Das führt unweigerlich zu Verwicklungen. Und dann landet der Fall ganz oben. Das muss ja auch nicht sein. Außerdem haben wir ohnehin nicht genügend Frachtraum. Das hieße dann, mindestens zweimal zu fliegen ... undenkbar.
Verflixt, dieses Mal sieht es wirklich beschissen aus. Aber nicht nervös werden. Niemand kennt die weltweiten Schleichpfade so gut wie ich. Wär doch gelacht, wenn wir nicht irgendwo ein Schlupfloch fänden.
Wie wäre es denn mit dem guten alten Landweg? Die Zeit würde zwar knapp werden, aber dafür gäbe es keine Komplikationen. Mit LKW-Kolonnen durch den Balkan. Dann Flutsch! - mit der Fähre über den Bosporus und die Levante hinunter, wie die alten Kreuzfahrer. Mit den Türken waren wir schon immer gut dran und von Syrien bis Sinai sind die alle so mit sich selbst beschäftigt, dass man uns kaum bemerken wird. Man müsste der Kolonne nur genügend Bakshish mitgeben ... und Reservekanister, falls unterwegs kein Treibstoff zu bekommen ist.
Hmm, wahrhaftig, ich glaube das könnte funktionieren. Mit ein bisschen Glück und Gottvertrau ... was ist denn das für ein Getrampel draußen auf dem Flur? Will da etwa jemand zu mir? Tatsächlich, die Tür geht auf - und nicht mal angeklopft hat er. Na, der kann sich gratulier ...
"Kemmetmüller! Was ist mit den Frachtpapieren für Alexandria? Wird das heute noch was?"
"Sind in Arbeit, Chef!"
(c) 2004 Achim Hildebrand