Nachts in Sodo

Sammis

Mitglied
Nachts in Sodo

Wenn du stirbst, sagt man, zieht dein ganzes Leben wie ein Film vor deinen Augen vorbei. Ich bin hier gerade am Verrecken, aber Film läuft keiner.
Dabei habe ich mein gesamtes Leben als Film empfunden. Und sollte es tatsächlich einmal verfilmt werden, würde es vollkommen genügen, begänne man damit vor rund sechs Wochen.
Meine Kindheit war so toll oder beschissen wie die tausender anderer. Der Vater ein Arsch, die Mutter ganz okay, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Lange Zeit war ich dann der Arsch, darüber hinaus lässt sich mein Leben mit einem einzigen Wort beschreiben: Unbedeutend.
Mein Name ist Brenner. Ich bin Polizist und vor sechs Wochen feierte ich meinen fünfzigsten Geburtstag. Und feiern heißt bei mir feiern. Saufen, noch mehr saufen und abschließend gewaltig Scheiße bauen. Das kommt bei mir häufig vor, fast immer mit unerfreulichen Folgen. Und die dürften jetzt ganz besonders unfreundlich ausfallen, denn diesmal habe ich es selbst für meine Verhältnisse gewaltig übertrieben. Genau hier steigen wir ein. Hier beginnt mein Film.

Rascher Abriß der Situation:
Dreisekundenszene: Ich an der Bar.
Drei Sekunden: Ich mit einer angetrunkenen Frau an der Bar.
Drei Sekunden: Ich mit der selben Frau in lustiger Fahrt im Streifenwagen, samt Blaulicht und Sirene.
Dreisekundenszene (relaltime): Ich mit der Frau im Bett.

Dann der Morgen danach.
Scheiße! Ich habe die Frau des Bürgermeisters gebumst. Die Erkenntnis ereilt mich nicht etwa zu Hause oder sonst wo weit weg, das komplette Ausmaß meines Dilemma wird mir im Bett direkt neben ihr klar. Und das nicht etwa weil ich sie erkannt hätte, nein, weil ihr Ehegatte, der Bürgermeister in seinem Schlafzimmer an der Tür steht und mich ungläubig anglotzt. Scheiße!

Nächste Szene: Ich mit gewaltigem Kater und düsterer Vorahnung im Büro meines Vorgesetzten. Er schreit mich nicht an, scheint nicht einmal richtig sauer zu sein, und das gefällt mir ganz und gar nicht. Mir wäre es lieber, er würde mich ordentlich zur Sau machen, womit die Sache dann vom Tisch wäre. Nur fürchte ich, so wird das diesmal nicht laufen.
Vor etlichen Jahren habe ich mir seinetwegen eine Kugel eingefangen. Da waren wir noch gleichgestellt, beide frisch von der Akademie. Während es mit seiner Karriere stetig Bergauf ging, bewegte ich mich bestenfalls auf der Stelle. Ohne ihn hätten mich meine Trinkerei und die wiederkehrenden Eskapaden längst den Job gekostet. Bis heute glaubt er, mir etwas schuldig zu sein. Für mich war es reiner Zufall und meine Verletzung damals nicht einmal lebensbedrohlich. Wäre die Sache andersherum gelaufen, hätte ich ihm vermutlich ein Bier spendiert und mich nicht weiter darum geschert.
Wie auch immer, seine Schuld scheint jetzt wohl beglichen. Er blickt mir direkt in die Augen und verkündet, dass er nichts mehr für mich tun kann. Der Bürgermeister will meinen Kopf, daran lässt sich nichts ändern. „Dafür gehts du nach Sodo“, sagt er mit fester Stimme.
„Klar doch“, antworte ich flapsig und versuche sogar zu lächeln.
Er aber lächelt nicht. „Das ist mein Ernst“, sagt er, „du verlierst deinen Job, samt Altersbezügen oder du gehst nach Sodo. Hier in dieser Stadt ist jedenfalls kein Platz mehr für dich.“
„Ach jetzt hör doch auf-“, setze ich an aber er fährt mir rüde übers Maul.
„Nein!“, sagt er und dann noch lauter, „du musst gehen!“
„Und wohin soll ich verdammt noch mal gehen?“, frage ich ärgerlich. „Nach Sodo“, antwortet er, „eine andere Möglichkeit gibt es nicht.
„Was soll das heißen?“, frage ich verwirrt. Du gehst nach Sodo, war ein unter Kollegen häufig verwendeter Spruch. So wie fahr zur Hölle oder bleib wo der Pfeffer wächst. Hast du als Polizist Scheiße gebaut, bekommst du von Kollegen den Spruch gedrückt: Dafür gehst du nach Sodo. Ein fiktiver Ort so elend und beschissen, dass keiner jemals dort hin versetzt werden will.
„Es heißt, was es heißt“, sagt er.
„Willst du damit etwa sagen, dass es das beschissene Sodo wirklich gibt?“, frage ich und plötzlich wird mir richtig mulmig.
„Worauf du einen lassen kannst! Wenn du nicht hier und jetzt deine Dienstwaffe und Marke abgeben möchtest, fährst du nach Hause und packst deine verdammten Koffer!“


- to be continued -
 



 
Oben Unten