nächtlicher Angriff (ein Auszug)

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Heinz

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Antonija fuhr völlig überrascht von Grieks warnendem Schrei hoch. Sie hatte tief geschlafen, und ihr fehlte die Geistesgegenwart, rechtzeitig zu reagieren. Ein Speer fand sein Ziel. Die scharfe Waffe biss sich schneidend in ihr Fleisch und schlitzte ihre rechte Wade auf. Mit einem Aufschrei zog sie ihr Bein zurück und griff mit den Händen nach der Wunde. Warmes Blut rann zwischen ihren Fingern hindurch und sickerte in die Erde.
Der Schmerz schoss wie eine siedend heiße Welle durch ihren Körper, und etwas in ihr brach heraus. Unbändige, rasende Wut fegte mit einem fauchenden Schrei alle Gelassenheit hinweg, drängte den menschlichen Verstand in den Hintergrund. Die Kräfte einer Urgewalt überwältigten den denkenden Menschen in ihr. Etwas hungriges, boshaftes kroch aus dunklen Tiefen über den Horizont ihres Bewusstseins. Ein brodelndes Feuer, das sich schmerzhaft und unaufhaltsam seinen Weg bahnte. Ein archaisches Wesen, das keine Kompromisse einging. Das nichts wollte als leben, und das bereit war, dafür jeden Preis zu zahlen, selbst alles zu geben oder anderen alles zu nehmen.
Dem Schock der Überwältigung folgte für Antonija die klare, unzweifelhafte und erschreckende Erkenntnis, dass nichts Anderes als ihr verborgenes, dunkles Selbst aus ihrer Seele hervorgestiegen war. Es war das Feuer, das die Götter am Anfang der Zeit ihrer Schöpfung eingehaucht hatten, - der Wille zu leben.
Schemen von Wesen stiegen kurz aus der Flamme hervor. Der Geist einer hungrigen Bestie, die sie in einem anderen Leben vielleicht einmal selbst gewesen war. Und das irre Antlitz eines wahnsinnigen, dreifach gehörten Dämons. Es gab keine Trennung mehr, keine Grenzen zwischen den verschiedenen Leben. Hinter der Fassade ihrer menschlichen Existenz wurde alles eins.
Die Welt um sie herum veränderte sich, so wie sich ihr Bewusstsein und ihre Wahrnehmung veränderte. Die Welt um sie herum war weit mehr, als sie bisher hatte erkennen können.
Die Dunkelheit schwand und wich einem grauen, aber klar erkennbaren Bild. In dem Maße wie die Dinge an Farbe verloren, gewannen sie an Deutlichkeit und Detail. Fast erdrückend war die Vielfalt an Gerüchen, mit denen die Luft erfüllt war, die in einer sanften, feuchten und kühlen Brise über ihre Haut strich. Kristallklar und fast zu laut, hallten die Geräusche der Umgebung in ihren Ohren. Instinktiv filterte ihr Bewusstsein die unwichtigen, so dass jede Bewegung der Angreifer am Rand der Lichtung so deutlich zu hören war, als stände sie neben ihnen.
Es war Antonijas Wille, aber die Kraft und die Eleganz der Bestie und die rachsüchtige Bosheit des Dämons, die ihren Körper wie von einer Feder hochschnellen ließen. Einem weiteren Speer ausweichend, den sie deutlich in der Dunkelheit ausmachen konnte, sprang sie mit einer Flugrolle vorwärts und hob im Fallen einen am Boden liegenden Speer. Jede Einzelheit erkennend, stürmte sie vor, an der verblüfften Amazone vorbei, und schleuderte die aufgenommene Waffe mit furchtbarer Wucht auf die An-greifer. Mit der gleichen Bewegung zog sie den nächsten Speer aus dem Boden und stürmte bereits wieder vor, als ihr erster Speer sein Ziel fand und ein gellender Schrei aus der Dunkelheit erscholl.

*

Entgeistert schaute Liyannah der an ihr vorbei jagenden Antonija nach. Mitgerissen von diesem überraschenden Kampfgeist sprang auch sie auf und stürmte, mit einem jubelnden Kampfschrei die Göttin lobend, hinter der Prinzessin her, auf die in der Nacht verborgenen Gegner zu. Ein gurgelndes Röcheln quälte sich aus der Dunkelheit als die Amazone Antonija erreichte. Ohne ihren Speer, auf allen Vieren lauernd auf dem Boden hockend, starrte diese nach vorn.
Panisches Getrampel war aus dem Wald zu hören, und als Ranis und Mirnos an den beiden vorbeistürmten, waren die Angreifer längst auf der Flucht.
„Wie hast du denn das gemacht?“ fragte Liyannah verwundert, die neben Antonija stehengeblieben war.
Antonijas Kopf zuckte zur Seite und blickte sie an. Erschrocken wich Liyannah zurück, als sie die Augen sah. Die Iris brannte leuchtend gelb, und die Pupillen verengten sich zu aufrecht stehenden Linsen. Wahnsinn und Bosheit flackerten darin.
„Was ist denn mit dir los?“ fragte sie entsetzt. Die Amazone wich weiter zurück und hielt ihre Waffe bereit.
Der Mund der Prinzessin öffnete sich zu einer Antwort. Doch nur ein leises Fauchen kroch daraus hervor. Dann wandte sich Antonija von ihr ab, schloss die Augen und senkte den Kopf. So verharrte sie geraume Zeit. Das ungewohnte Gefühl von Angst stieg in Liyannah hoch. Hier waren dunkle Mächte am Werk.
 



 
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