Liebe Nosie,
meine Eindrücke zu diesem November-Blues sind, passend zum November, recht gemischt.
Lyrische Versuche, Novemberstimmungen einzufangen, sind zahlreich und als Leser freut man sich besonders über neue An- und Einsichten, wie sie hier im letzten Vers aufleuchten.
Ebenso positiv fällt mir die inhaltliche Gliederung auf, die der Sonettform mehr als gerecht wird. In den Quartetten wird die veränderte Gegenwart beschreiben, der sich das Lyrische Ich anzupassen versucht, im 1. Terzett erfolgt ein Rückblick und im 2. der Ausblick. Damit wirkt das Gedicht rund und in sich abgeschlossen.
Weniger gut sind einzelne Verse geraten:
"Wie Wald und Moos und Du im Sommer rochen"
Hier stört mich nicht allein die Zeitform, (es müsste Perfekt sein,) auch das Lyrische Du, das nur einmalig auftaucht und mit Wald und Moos in eine Reihe gestellt wird, scheint mir unpassend.
"Der Himmel hängt jetzt tief und wie gebrochen"
Etwas unglücklich formuliert, weil hier der Eindruck ensteht, der Himmel hinge wie ein gebrochener Flügel herab. Dabei wäre ein "gebrochener Himmel", dem es an Tiefe und Ausstrahlung mangelt, ein passendes Bild.
"Versuch, den Tagen Wärme abzupressen
Indem ich mir die Zeit vertreib mit Kochen"
Gemeint ist zwar "ich versuche", die stenografische Kurzform wechselt zum Tagebuchstil und enführt zugleich zum Substantiv "Versuch", auch schwächt der zweifache Grund (Wärme abzupressen und die Zeit zu vertreiben) die Aussage.
"sonnenblaue Stunden"
Ich kenne die "blauen Stunden", als die Zeit kurz nach dem Sonnenuntergang, wenn der Himmel im tiefsten Blau erstrahlt, und ich kenne "Sonnenstunden", in denen das Licht der Sonne direkt bis zu uns durchdringt. Während blaue Stunden uns in eine Zone zwischen Traum und Wirklichkeit entführen, vermitteln Sonnenstunden die heitere Gewissheit des lichten Tages. Kurzum: Aus "sonnenblau" werd ich nicht schlau.
"Die Tage sind schon vor dem Morgen alt"
Eine sehr gute, treffende Beobachtung, allerdings durch die Formulierung "vor dem" wieder etwas entschärft, weil jedes Heute immer "schon vor dem Morgen" alt wird. "Die Tage sind bereits am Morgen alt" würde dieses Problem umgehen.
Bei den Reimen gefiel mir "angebrochen-rochen-gebrochen-Kochen" nicht besonders. Auch "Abendessen-vergessen-gefressen-abzupressen" begeistern mich nicht.
Auch wenn die Ferne von Sommer, Sonne und Natur zu den altbekannten Klageliedern des Novembers zählt, stecken doch einige Reize in diesem Sonett, die weitere Arbeit lohnenswert erscheinen lassen.
Viele Grüße
JB