Obdachlos

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Wolf-Wolle

Mitglied
Obdachlos


Geh’ nicht vorbei, wer du auch bist,
komm’, schau’ mich an, sag’ was du siehst.
Bin ein Clochard, hab’ keinen Sou,
doch braucht’ ich dringend neue Schuh’.
Auch meine Kleider sind verschlissen,
den Mantel hat ein Hund zerrissen,
der letzte Woche an mir hing,
g’rad als ich ein paar Fische fing.
Der Pächter meint’, es wär’ sein Teich,
und selber sei er auch nicht reich.
So ging das gute Stück in Fetzen,
zum Glück konnt er mich nicht verletzen.
Wenn ich nicht bald was neues find’,
erfriert mein Leib im kalten Wind.


Geh’ nicht vorbei, wer du auch bist,
komm’, schau’ mich an, sag’ was du siehst.
Bin nur ein Tramp, hab’ keinen Cent,
und noch dazu nicht viel gepennt.
Der Sheriff jagt mich aus der Stadt
und alle, die so fett und satt,
sie klatschen Beifall, finden’s gut,
wodurch mein letztes bisschen Mut,
dahinschmilzt in der Sommersonne,
denn als er wegnahm meine Tonne,
verlor ich nicht nur einen Ort,
an dem ich schlief, nein, ich war dort
schon wie zu Hause, es war mein.
Wo werde ich wohl morgen sein?


Geh’ nicht vorbei, wer du auch bist,
komm’, schau’ mich an, sag’ was du siehst.
Seit langem leb’ ich auf der Straße,
schief ist mein Mund, mir läuft die Nase,
hab’ in der Tasche keinen Pfennig.
Du nennst mich Penner, oh, das kenn’ ich.
Ich bin doch faul und arbeitsscheu
und nur dem Alkohol noch treu,
an meinem Elend selber Schuld,
der Staat hat viel zu viel Geduld,
mit solchen Typen, so wie mich.
Wie’s dazu kam, das fragst du nich‘.
Wen int’ressiert schon mein Befinden,
nur eins willst du, ich soll verschwinden.


Bin obdachlos und hab’ kein Geld,
doch nicht nur das ist’s, was mir fehlt.
Ich werd’ gestoßen und getreten,
hab’ nicht mal einen Platz zum Beten.
Ich schlafe hart auf kalter Erde
und wünscht’, dass es doch besser werde.
Ich hab’ kein Heim, kein eigen Dach,
lieg’ stundenlang des nachts nur wach,
aus Angst, dass mir was weggenommen,
was ich zuvor vom Müll bekommen.
Kein Weib, kein Kind und keine Liebe,
was nützt’s, wenn ich am Leben bliebe?
Bin doch schon jetzt so gut wie tot
und kämpf’ um jedes Stückchen Brot.
Verfilzt mein Haar, verlaust die Sachen,
die Zähne will mir Keiner machen.
Ich seh’ grad aus wie ein Gespenst,
das du nicht mehr beim Namen nennst
und hab es selbst schon lang vergessen,
wie ich als Mensch am Tisch gesessen.
 

Duisburger

Mitglied
Hallo WW,

handwerklich gibt es nichts zu meckern.
Saubere Reimen, gute Metrik, flüssig zu lesen.

Inhaltlich kann ich dem Werk wenig abgewinnen. Altbekanntes in neuem Gewand.
Urteil aus Sicht des Clochards,
Urteil aus Sicht des Passanten.
Punkt.

Ene wirkliche, tiefgehende lyrische Auseinandersetzung mit dem Thema findet nicht statt. Das Werk scheint angesichts der Aneinanderreihung der Ansichten künstlich in die Länge gezogen.
Ich erwartete schon nach der zweiten Strophe nichts neues, nichts weiterführendes. Ich behielt recht.

Hier wäre weniger mehr gewesen, hätte das Thema kürzer und lyrischer auf den Punkt gebracht werden können.

lg
Uwe
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Wolf-Wolle,

dies ist ein Monolog, der aber nicht von einer Person gehalten wird, sondern von 3 Personen, denen in verschiedenen Städten auf der Erde dasselbe Schicksal zuteil geworden ist.
Es ist auch nicht nur ein Monolog, sondern alle drei sprechen dieselbe Bitte aus, nämlich dass sie endlich einmal jemand anschauen sollte. Wie berechtigt ist das!
Die Wiederholung dieser ersten zwei Zeilen in den ersten Strophen bringen eigentlich schon die ganze Aussage.
Und ich denke, der Text wäre wirkungsvoller, wenn Du den langen letzten Teil ganz wegließest.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Wolf-Wolle

Mitglied
Hi Uwe,

Hm, vielleicht hast du sogar recht mit der Länge.
Mir gefällt es dennoch so, weil es auch emotional
die leute anspricht. Vielleicht etwas kitschig, nun ja.
Ich hab noch ein gedicht zu dem Thema, "Die Pennerkarriere".
Muss ich allerdings noch etwas überarbeiten ehe es hier eingestellt werden kann.

Liebe Grüße

wolf
 
M

mirami

Gast
Hallo Wolf-Wolle,

mich spricht dein Gedicht sehr an. Es klingt in meinem Ohr wie eine sanfte schwermütige Weise aus alter Zeit. Gekonnt zeichnest du ein romantisch-melancholisches Kolorit im Stil eines Vagabundenliedes. Die benutzten Klischees finde ich in dieser Art Dichtung ausgesprochen passend eingesetzt. Sie schaffen eine bezaubernde Atmosphäre und es gelingt dir, sie über die Länge des Textes, von Strophe zu Strohe aufrecht zu erhalten ohne langweilig zu werden. Klasse rübergebracht, mein Kompliment! Ich finde dein Werk nicht zu lang, im Gegenteil, keine Zeile dürfte fehlen.

LG
mirami
 

Wolf-Wolle

Mitglied
Danke an alle, die dies Gedicht gelesen haben.
Alle haben recht, auf eine gewisse Art und Weise.
Ich habe mich entschlossen, das Gedicht mit den letzten beiden Versen als eine Einheit, also als ein neues Gedicht in meine Sammlung aufzunehmen, mit dem Jahr 2004. Daneben behalte ich die lange Fassung, die schon ein paar Jahre alt ist, weil dieses Gedicht zu jenen gehört, bei dem ich noch immer beim Lesen einen Kloß im Hals verspüre, sorry.

Liebe grüße Wolf
 

Mirko Kussin

Foren-Redakteur
hallo wolf,
ich schließe mich düsis meinung an. der text ist handwerklich ganz ok, aber was er da vermittelt spricht mich so gar nicht an. auf der einen seite ist es mir viel zu sehr der erhobene zeigefinger, mit dem dein text winkt und auf der anderen seite, ist es so ein verklärt romantisches klischee, das du mit deinem text aufbaust.
beides ist mir zu weit weg von der wirklichkeit. das hat so den beigeschmack einer (pädagogisch richtigen, weil aufrüttelnden) schulaufführung in einer waldorfschule.
sorry, das klingt jetzt ziemlich hart, aber du schreibst über etwas von dem du eigentlich keine ahnung hast. und das merkt man dem text an. er ist nicht ehrlich, er ist nicht echt.
mein tip wäre den kopf leerzuräumen und mal mit offenen augen durch die stadt zu gehen. setz dich ein paar stunden an die orte, wo man solche menschen findet (bahnhof, parks, junkieszene, straßenstrich) und beobachte einfach mal. schreib dir alles auf, was du siehst, die körpersprache der leute, was sie machen, unterhalte dich mit nem penner, hör ihm zu...
ein wirklich guter schreiber hier in der lupe hat eine sehr kluge signatur, die es auf den punkt bringt: "schreib über das was du kennst." und darum geht es in der literatur...
grüssli
mirko
 
Hallo wolf,

mein erster Eindruck ist: Dies klingt recht perfekt. Aber es entsteht ein eigenartiger Zwiespalt zwischen Form und Inhalt. Die Prosodie wirkt recht lakonisch und hat vielleicht sogar eine leichte Haerte, die durch die Monotonie der Reimpaare und die starken Kadenzen der Versenden ensteht. Dieser rhythmisch etwas "plakative" Stil wuerde vielleicht eher zu einer Satire passen, und zunaechst habe ich das auch fast wie eine Satire empfunden, aber der Inhalt ist dann doch eher sentimental.

Dieser Zwiespalt hat natuerlich auch seinen Reiz...

LG,
RP
 

Wolf-Wolle

Mitglied
mirko und rolf

Hallo an alle.

An diesem Beitrag ist ganz klar zu sehen, wie unterschiedlich doch die Meinungen zu einem Gedicht sein können.
Sicher ist es stellenweise etwas platt, klischeehaft und rührseelig.
Das war aber auch beabsichtigt.
Und - richtig vorgetragen, verfehlt es seine Wirkung nicht.
Natürlich hast du recht Mirko, ich kenne Gott sei Dank die Obdachlosigkeit nicht
und schreibe somit über etwas, wovon ich keine Ahnung habe.
Ich kenne weder Krieg, noch Rauschgift, weder Verkehrsunfälle noch kann ich fliegen -
soll ich mir deshalb verkneifen, darüber zu schreiben?
Da unsere Romatiker und Klassiker ja anerkanntermaßen gute Gedichte geschrieben haben,
muss also Goethe mit dem Teufel im Bund gewesen sein, Schiller war ein Wegelagerer, Rilke konnte die Gedanken von Raubtieren lesen, Hebbel hat einen Knaben ermordet und so weiter.
Wenn man deiner Theorie folgte, gäbe es keine Geschichten über Drachen, Elfen, Riesen und Feen und die guten Krimiautoren wären jene, die vorm Schreiben erst einmal ein paar Leute umgebracht haben, damit sie sich in die Lage eines Mördes hineinversetzen können, damit sie wissen, worüber sie schreiben.
Das wichtigste Werkzeug des Schriftstellers und des Poeten ist die Fantasie.
Die sollten wir ihm ruhig lassen.

Wolf
 



 
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