Peppinos Sorgen

Bessarion

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Kleine Schneeflöckchen fielen langsam vom Himmel und verwandelten die Berge um Bozen in eine Winterlandschaft. Es war schon lange dunkel und majestätisch erhob sich die Silhouette der Schlossruine Missiano am Horizont. Unten im Tal glitzerte das Lichtermeer der Stadt und gegenüber aus der Gaststätte hörte man Musik und eine ausgelassene Gesellschaft.
Peppino Pfaffstaller stand am Fenster und nahm von dieser Idylle nichts wahr. Tief deprimiert sann er darüber nach, warum zwischen Männern und Frauen so viele Missverständnisse auftreten.

Eine starke Liebe verband ihn mit seiner Frau Francesca schon seit fast 20 Jahren Ehe und doch gab es immer mal wieder Streit. Insbesondere dann, wenn er mal wieder kreativ wurde. Als junger Mann hatte er mal gemalt. Damit aber das Haus nicht nach Terpentin riechen sollte, er aber gerne Ölfarben verwendete, ging er jeden Mittwochabend mit Freunden in einen Hinterraum einer Kneipe, wo er seinem Hobby frönte. Aber Francesca wünschte sich von ihm, dass er doch liebe zu Hause bei ihr auf dem Sofa sitzen sollte, und so hörte er auf zu malen.
Er besorgte sich topographische Karten von ganz Südtirol und plante tolle Wanderungen. Seine Söhne waren inzwischen so groß, dass sie mitwanderten und auch seine Frau blieb nicht zu Hause. Aber je mehr sie gewandert waren, desto weiter weg wollte Peppino. Wege, die er schon mal gegangen war, übten keinen Reiz mehr auf ihn aus. Er wollte kreativ Wanderungen austüfteln. Nur machte das seine Familie nicht mit. Und so gab er es auch auf, Francesca und die Jungen zum Wandern zu animieren.
Nun fehlte ihm irgendetwas, bis eine Kollegin ihm eine Geschichte zeigte, die sie selbst geschrieben hatte. Ja, Geschichten Schreiben- das war bestimmt etwas ganz interessantes. Er probierte es und siehe da – es machte ihm Spaß. Aber bald maulte Francesca, wenn er zu lange vor dem Computer saß, anstatt im Haushalt zu helfen. Es war zwar nie so, dass er sie mit der Hausarbeit alleine ließ (er wischte regelmäßig die Wohnung und auch Einkaufen und Essen Kochen waren seine Ressorts), aber er konnte es schon verstehen, dass sie ihn am Tag lieber um sich haben wollte, als am Computer. So verschob er es auf die Nachtstunden. So zwischen abends um 11 und nachts um 2 hatte er auch mehr Ruhe und soviel Schlaf brauchte er nicht. Aber auch das gefiel Francesca nicht. Irgendwann war sie mal aufgewacht und hatte ihn gegen Viertel nach 2 vor dem Computer sitzen sehen und einer der Söhne, der längst schlafen sollte, war auch bei ihm gewesen. Francesca hatte ihn der Blödheit bezichtigt, weil er noch wach war und mit seinem Sohn schwatzte, anstatt zu schlafen und auch den Sohn zum Schlafen zu animieren.

Das alles grämte Peppino. Aber wenn er genau nachdachte, so hatte Francesca ihm nie irgendeine Szene gemacht. Sie hatte ihre Meinung gesagt und es ihn merken lassen, wenn ihr etwas nicht gefiel. Aber nie hatte sie ihn aufgefordert, irgendetwas nicht mehr zu tun. Es war sein eigener Wille gewesen, seine Hobbys sein zu lassen. Er hatte ihr aus Liebe diese Gefallen getan. Das letzte nicht, denn das Schreiben machte ihm zu viel Spaß. Er überlegte, woran es liegen könnte, dass Francesca alles das nicht mochte, was ihm Freude machte. Ihm fiel auf, dass seine Freunde fast alle weiblich waren. Vielleicht war Francesca eifersüchtig? Sie hatte doch gar keinen Grund. Er konnte nun eben mit Männern nichts anfangen. Die unterhielten sich doch nur über Autos, Fußball, wie man Häuser baut und alle solche Sachen, die ihn überhaupt nicht interessierten. Mit welchem Mann konnte er denn über Literatur, Musik oder Kochen reden? Ihm fiel keiner ein.
Überhaupt: das Verhalten seine Geschlechtsgenossen ärgerte ihn manchmal ganz schön. Und der Film, den er mit Francesca am Tag zuvor gesehen hatte, der hatte wohl das Fass zum überlaufen gebracht. So ein erfolgreicher Geschäftsmann, immer schnieke und ständig im Nadelstreifenanzug, hatte mal mit der und mal mit einer anderen ein Verhältnis. Kaum kennen gelernt, schon sah man ihn mit der jeweiligen im Bett. Gab es denn so etwas wirklich? Wenn ja, so verdarben ihm solche Männer doch die Normen. Er war fürchterlich erregt darüber, dass man so etwas zeigte, aber für Francesca war es offensichtlich normal. Peppino wollte mit ihr reden, aber sie wollte den Film genießen. Schließlich war das doch „so ein schöner Mann“...

Er hatte die letzte Nacht dann ganz schlecht geschlafen und am nächsten Morgen war ihm das Brötchen aus der Hand gerutscht und hatte beim Herunterfallen die Kaffeetasse getroffen. Auf den bösen Blick seiner Frau hin hatte er nur gesagt:
„War halt Pech. Wir sind doch Menschen und keine Götter. Und Menschen machen Fehler.“
Aber Francesca hatte nur verträumt geantwortet:
„Aber ich wünsche mir eben manchmal einen Gott, den man anhimmeln kann. Einen, an den man sich anlehnen kann, in dessen Armen man sich sicher fühlt.“

Das war einfach zu viel für ihn. Er liebte Francesca und wollte ihr alle Wünsche erfüllen. Aber ein Gott zu sein, dazu fühlte er sich nicht in der Lage. Drum stand er eben jetzt am Fenster und grübelte vergeblich, wie er aus dieser Misère herauskommen könnte. Er wusste, er musste mit ihr reden. Doch würde Francesca ihn begreifen? Es war schon öfter, bei kleinen Sachen vorgekommen, dass sie ihn gehörig missverstanden hatte. Wie sollte es bei solchen wichtigen Dingen anders sein? Sie dachte einfach anders.

Zum Beispiel hatten sie sich über Geschmack unterhalten. Francescas Behauptung, einen guten Geschmack könne jeder haben, da man das ja lernen könne, hatte ihn stutzig gemacht.
„Ich glaube, da hast du den Punkt getroffen, der alles erklärt,“ hatte er geantwortet, „während wir Männer Geschmack haben, lernt ihr ihn.“
Francesca war sofort aufgebraust.
„Was? Euch Männern ist der Geschmack angeboren? Dass ich nicht lache! Männer haben zum größten Teil keinen Geschmack!“ hatte sie gesagt und damit war ihre Meinung für dieses Gespräch feststehend gewesen. Für sie hatte er behauptet, Männer hätten einen angeborenen Geschmack und Frauen nicht. Für Francesca war das keine Diskussion, sondern eine Provokation gewesen, was Peppino gesagt hatte. Für Francesca war es ein Angriff auf ihre weibliche Ehre gewesen, die es abzuwehren galt.
Und so waren alle seine Bemühungen gescheitert, ihr anhand des Geschmacks zu beweisen, dass die männliche und die weibliche Psyche unterschiedlich sind. Er wollte auf keinen Fall eine der beiden Arten des Denkens als besser darstellen. Vielmehr wollte Peppino ihr an diesem kleinen Beispiel zu Bewusstsein bringen, dass er als Mann andere Bedürfnisse und ein anderes Denken als sie hatte und sie dann bitten, auch auf seine Psyche Rücksicht zu nehmen.
Er fand es so schade, dass so viele Frauen ihren Geschmack an anderen Frauen, an Zeitschriften und an Filmen orientieren. Für Peppino war die Dinge schön, die ihn ansprachen. Also, zum Beispiel lange Haare, die Francesca noch hatte, als er sie kennenlernte. Oder ein kräftiges Hinterteil, was Francesca auf jeden Fall aufzuweisen hatte. So orientierte er also seinen Geschmack an seinem eigenen Empfinden. Francesca aber konnte stundenlang vor ihrem Spiegel stehen und klagen, dass sie sich nicht schön fand. Denn sie hatte g e l e r n t , dass dem guten Geschmack entsprechend schmale Hüften schöner waren, als ihre. Ihr gelernter Geschmack sagte ihr, dass kürzere Haarfrisuren im Moment moderner waren und sie trug deshalb kurze Haare. Er wusste, dass sie für dieses Gefühl nichts konnte und er wollte auch nicht, dass sie sich nur um ihm zu gefallen, kleidete und frisierte, wie er wollte und sich dann nicht wohl fühlte. Er wollte nur seine Position erläutern, damit sie die eventuell bei späteren Entscheidungen berücksichtigen sollte. Er wollte Frieden und Harmonie stiften und erntete Aggressionen.

Genau, wie er Aggressionen erntete, wenn sie wieder mal einen ihrer Fremdgehfilme anschaute. Es ärgerte ihn fürchterlich, dass sie immer so abfällig sagte, Männer wären „schwanzgesteuert“. Natürlich erleben Männer den Sex anders als Frauen. Und sie spürte vielleicht, wie es ihn schmerzte, wenn sie ihn zurückwies, weil ihr wieder mal „nicht danach war“. Und weil Angriff die beste Verteidigung ist, sagte sie dann häufig:
„Soll ich etwa nur stillhalten, damit du deinen Spaß hast und ich habe nichts davon?“ Das konnte er dann reinen Gewissens mit „nein“ beantworten. Aber er vermisste zur Kompensation die Verführung durch sie, w e n n ihr mal danach war.

Und nun dieser Abend. Er hatte keinerlei Anstalten gemacht, in's Bett zu gehen, weil er noch schreiben wollte und sie kündigte ihm demonstrativ ihr Zubettgehen an. Peppino fand es richtig, dass sie alleine schlafen ging. Er meinte:
„Ich bleib aber noch auf.“ Auf ihre Frage hin, was er denn noch vorhätte, zu machen, reagierte er völlig überzogen:
„Musst du denn immer bis in's letzte wissen, was ich mache? Du willst immer über alles die Kontrolle haben. Damit um Gottes Willen auch niemand aus der Familie etwas macht, was dir sinnlos erscheint. Damit du der Familie stets solchen „Blödsinn“ ausreden kannst und uns auf den „rechten Weg“ bringst. Nur soviel: Mir wird schon etwas einfallen, was ich mache.“
Daraufhin hatte Francesca nichts zu erwidern gewusst, hatte nur kurz einen Gute-Nacht-Gruß gemurmelt und war zu Bett gegangen. Nun hatte er auch nichts mehr schreiben wollen. Erschrocken über sich selber war ihm aufgefallen, dass sich da schon lange etwas in ihm angestaut hatte und nun wohl ans Tageslicht gekommen war. Er hatte, wie wir wissen, den ganzen Abend am Fenster gestanden und gegrübelt.

Nun stand sein Entschluss fest. Er musste etwas Abstand zwischen sich und seine Frau bringen. Sie hatte sich zu sehr an ihn und seine Liebe gewöhnt. Ein Angebot seiner Firma, nach Deutschland zu gehen und das Unternehmen dort zu vertreten, hatte er damals abgetan. Aber nun schien es ihm die beste Lösung. Wenn sie sich nur selten sahen, vielleicht würde Francesca merken, dass sie ihn brauchte und vielleicht würde sie es ihm wieder zeigen. Das Problem, dass zwischen Männern und Frauen Missverständnisse auftreten, konnte er nicht Lösen. Aber seine Unzufriedenheit konnte er bekämpfen. Nun ging auch er in's Bett wusste, dass er am nächsten Morgen zu seinem Chef gehen würde. In wunderschönen Bildern begann er sich das Familienleben in zwei ... drei Jahren auszumalen und schlief dabei ein.
 

Aceta

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"Warum nehmen wir diesen Weg, Papa?" fragte ihn mein kleiner Sohn einmal.
"Weil es mein Weg ist!" gab er zur Antwort.
Ich habe diese Konversation damals gehört und habe lange darüber nachgedacht, ohne sie vielleicht ganz zu verstehen.
"Warum ist es dein Weg?" fragte der Junge nach.
"Jeder Weg, den ich gehe, wird mein Weg!"

Als ich heute diese Geschichte gelesen habe, file mir diese Begebenheit wieder ein. Ich glaube, Du hast es sehr treffend beschrieben ...

Traurig macht mich der Schluß Deiner Geschichte. Aus vielfältiger Erfahrung weiß ich, daß ein solcher Versuch in den allermeisten Fällen scheitert. Francesca kommt eh nicht besonders vorteilhaft weg in Deiner Geschichte - sie allein zu lassen wird sie als Rechtfertigung für ein Verhältnis nutzen - Du legst es geradezu nahe.
Der Versuch, miteinander ein Leben zu gestalten, muß auch miteinader stattfinden. Neben den Gemeinsamkeiten müssen beide nach 20 Jahren aneinander akzeptieren, auch legitime eigene Bedürfnisse zu haben, Malen, Wandern, Schreiben, Träumen: das schafft eine innere Ausgeglichenheit, die einander die Kraft gibt, miteinander weiter zu leben.
In völliger Trennung geht das Miteinander verloren ... es wird eine "innere Kündigung" des gemeinsamen Lebens vollzogen - der zu entgehen nur dann eine Chance bleibt, wenn das gemeinsame Leben schwerpunktmäßig erhalten bleibt!
Sorry ...
damit mache ich wohl ausgerechnet die Schlußfolgerung Deiner Geschichte fragwürdig?

Für mich ist heute wichtig, daß es eben Wege gibt, die in einer Partnerschaft gemeinsam gegangen werden müssen - damit es "unser Weg" wird: ein Lebensweg ...
*lächel*

Aceta
 

Bessarion

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Also Aecta,

dass du die Schlussfolgerung meiner Geschichte in Frage stellst, ist eigentlich der Sinn der Geschichte. Peppinos Lösung i s t keine Lösung. Keine, die dieser Beziehung gerecht wird. Und i c h gehe auch diesen Weg nicht. Da Francesca nun nicht gerade der schriftstellerisch angehauchte Typ ist, ist es aber nötig, dass "Peppino" mal von einer Schriftstellerin eine Gegendarstellung verpasst bekommt. Dann ist es vielleicht möglich für Peppino, daraus das zu erfahren, was er wissen will, um den g ü n s t i g s t e n Weg für beide zu finden; ein Weg der beiden gerecht wird.
Diese Zeilen nun als Ergänzung zu deinem Beitrag und vor allem vielen Dank für ihn. Auf genau derartiges habe ich gehofft. Und wenn du nun noch die Geschichte aus Francescas Sicht schreibst...
...wäre ich dir unendlich dankbar.
 

Aceta

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kein reizvolles Angebot ...

Hi Bessarion,

in dieser Frau kann ich mich nicht wiederfinden - das ist schlicht und ergreifend mein Problem, wenn Du mich bittest, deren Part und Gedankengänge darzustellen!
Ich bin keine gluckende Matrone - sorry!
Wenn Du jemanden suchst, deren Part zu schreiben - dann mache diesen Part irgendwo interessant!
Diese Frau würde ich bekehren wollen - nicht darstellen!
*lächel*

Aceta
 



 
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