Pseudo-Leben

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chrissieanne

Mitglied
ich finde pseudo leben absolut treffend.oder vielleicht ein leben in klammern.

ein mensch, der seinen selbstwert durch den angeblichen kontakt mit irgendwelchen promis holt, künstlern natürlich und sich dann, diesen versprecher fand ich am besten im text, dermaßen outet nämlich dass sie null ahnung und interesse für literatur und kunstgeschichte hat. ein stulles promiluder halt. es geht nur um bussi bussi und es ist so traurig. so traurig wie sie am schluss ist. oder sowieso ist.
einsam und allein und in der hoffnung, mit solchen geschichten endlich mal jemand zu sein.
obwohl sie, läße sie das sein, viel mehr wäre. nämlich sie selbst. und die freundin ihrer freundin die versucht ihr zuzuhören. die person in den geschichten zu finden, die sie liebt, die sorgen rauszuhören um die es geht.
warum fahren nur alle leute so auf diese promis ab.
(ich sprech mich davon nicht frei)ich kenn dieses phänomen (den angeblichen persönlichen kontakt mit berühmten menschen) durch den häufigen kontakt mit psychotikern. die sind dann aber schon noch anders drauf. weniger bussi bussi. da gehts dann eher um die selbstzerstörung und kunst.
schöner text.
lg
chrissieanne
 

arle

Mitglied
Auf den Punkt, liebe Chrissieanne!

Ich danke dir sehr fürs Lesen und Kapieren.

Ganz liebe Grüße

Silvia
 

mitis

Mitglied
gut geschildert ist diese sprache, diese gewisse art des aufgeregten berichtens, mit dem promi-geile leute sich selbst in szene setzen. da höre ich einiges aus eigener erfahrung...

was ich allerdings nicht mag an dem text, ist, dass sich die protagonistin so offensichtlich über die promi-geile agentur-besitzerin stellt, z.b. indem sie ihre klugheit (sprich: sprach- und literaturkenntnisse) aufblitzen läßt. das wirkt überheblich. so als hätte es die protagonistin nötig, ihre "wahren werte" hervorzustreichen (zumindest, damit es die leserInnen kapieren)

"Ach... Ich war grade zwei Wochen in Polen und...". Polen! [blue]Sie sondert einen Satz ab[/blue], der so klingt, als könne er polnisch sein. [blue]Das kann ich nicht beurteilen. Ihr Französisch kann ich beurteilen. Und ihr Englisch auch. [/blue] (absolut entbehrlich) Dieser Karl Tucholsky sei ja auch Pole gewesen. "Nicht ganz. Außerdem heißt er...". [blue]Ob ich von dem schon gehört habe? Habe ich; das erste Mal mit fünfzehn.[/blue](absolut entbehrlich auch der hinweis auf das alter)
und der letzte satz "sieht plötzlich traurig aus" deutet sich in keiner weise vorher an. da wäre zuvor wohl ein winzigkleiner bruch in der charakterisierung der agentur-besitzerin hilfreich gewesen. also vielleicht die eben zitierte passage "verkleinern" und dafür eine kleine ahnung von traurigkeit in die augen der agentur-besitzerin zaubern...

abgesehen von diesen einschränkungen: wunderbar geschrieben, man kann gut mitleben, und wer will, kann sich am "feindbild" ergötzen. das macht manchmal spaß. wir sind ja nicht alle immer nur engel.

lg mitis
 

Pola Lilith

Mitglied
Hallo Arle,

eine sehr gute Charakterbeschreibung - und wirklich in einem mitreißenden Tempo geschrieben. Daß Du Namen genannt hast, macht die Sache noch interessanter. Dies ist in diesem Text m.E. auch gerechtfertigt, da es hier keine Affekthascherei ist. (oder wenn, dann sehr, sehr gut integriert)

Der letzte Satz ist für mich noch etwas zu schwach in Relation zum starken, vorhergegangenem Text - auch wenn er sich und logisch auf den Harlekin bezieht.

Dies würde ich Dir auch als Titel empfehlen: Harlekin.
Oder "Harlekin auf Durchreise" oder ähnliches.

Das Pseudo-Leben ist kein guter Titel, dies meine ganz persönliche Meinung.

Gruß, Pola
 

Justina

Mitglied
Hi Arle,

ich habe schon beim ersten Lesen an einen Bekannten denken müssen, der eine solches Pseudo-Leben aufgrund seiner Sucht führt. Gerade heute habe ich noch einmal bemerken müssen, wie sehr sein Leben aus Lug und Trug, aus Abwiegeln und Ausreden besteht. Und wie treffend Deine Geschichte ist!

Da dieser Mann der Protégé einiger einflussreicher Leute ist, konnte er sich bislang noch über Wasser halten. Doch ich denke, diese Menschen werden ihm in nächster Zeit wegen diverser Vorkommnisse auch den Rücken kehren. Schade, ein sehr netter, sehr sensibler Mensch mit hervorragenden Fähigkeiten...

Insbesondere wegen dieser persönlichen Erfahrung gefällt mir Deine Geschichte sehr gut. Ganz abgesehen von den sprachlichen und erzählerischen Fertigkeiten, die Du hier zeigst
 

arle

Mitglied
Liebe Pola,

vielen Dank für die lobenden Worte; so was macht Mut, das "ganz normale" Leben da draußen weiter zu beobachten.

Nun lassen wir den Titel halt mal so stehen. Wäre ja ein aufwendigeres Procedere, wie Meister Gareth schon so richtig bemerkt hat. (c;

Wünsche einen schönen Tag

Silvia
 

arle

Mitglied
Auch dir, Justina,

ganz lieben Dank.

Da sowohl du als auch Chrissieanne (und mit Sicherheit noch eine Menge anderer Leute) dieses Phänomen aus eigener Anschauung kennen, wäre ein längerer Gedankenaustausch wohl sehr interessant.

Für heute erst mal liebe, noch ein wenig müde Grüße

Silvia
 

arle

Mitglied
"Die letzte Nacht war einfach un-be-schreib-lich!". Ich wappne mich für eine längere Abhandlung über anatomische Einzelheiten und Verknüpfungen, wie ich sie nicht einmal von meinem Liebsten wissen möchte. Diesmal war es der schönste Mann der Stadt. Hat sich aufgeführt wie ein Verrückter, hat praktisch auf der Fußmatte gekniet und um Einlass gewinselt. Genau wie der Udo damals. Ich weiß, ich sollte jetzt sagen: "Udo? Welcher Udo? Du meinst doch nicht etwa d e n Udo?". Daraufhin würde sie mir die Geschichte erzählen, wie sie jahrelang mit dem Panik-Orchester als Chorsängerin auf Tour war, und dass der Udo praktisch auf ihrer Fußmatte... Ich starre in meine Tasse, sie sieht mich erwartungsvoll an. Ein lahmes "ach" entringt sich mir, gefolgt von einem etwas engagierteren "toll".

Sie kommt gerade aus Berlin zurück. Ich weiß. "Wie war's?" - "Einfach un-be-schreib-lich!". Also so was verrücktes wie diese Berliner. Haben sie angebetet. Alle. Sie weiß gar nicht, wen von den Kerlen sie als ersten anrufen soll. Die Gesprächsführung nimmt heute nicht ganz den von ihr gewünschten Verlauf; also wechselt sie die Strategie: "Und was gibt 's bei dir Neues?" - "Ach... Ich war grade zwei Wochen in Polen und...". Polen! Sie sondert einen Satz ab, der so klingt, als könne er polnisch sein. Das kann ich nicht beurteilen. Ihr Französisch kann ich beurteilen. Und ihr Englisch auch. Dieser Karl Tucholsky sei ja auch Pole gewesen. "Nicht ganz. Außerdem heißt er...". Ob ich von dem schon gehört habe? Habe ich; aber er heißt...

Jedenfalls: Wenn ich wieder ein Engagement brauche, soll ich mich an sie wenden. Sie hat doch diese Agentur gegründet und wird mich aufnehmen. Und dann komme ich endlich mal so groß raus, wie ich das verdiene. Die Kneipe, die sie aufgetan hat, ist einfach un-be-schreib-lich süß, mit einem wunderschönen kleinen Hinterzimmer; zwanzig Leute kriegt man da locker rein. Bisschen aufräumen muss man halt und den Krach von draußen einfach ignorieren. Aber fünfzig Euro Gage sind ja nun nicht gerade ein Pappenstiel, oder? - Ich freu mich drauf.

Dieser Moderator hat sich mal wieder gemeldet und will sich unbedingt mit ihr treffen. Aber wann soll sie das denn tun? Sie arbeitet ja praktisch sechsundzwanzig Stunden am Tag durch. "Verstehe, in deiner Agentur" - "Genau!". Und das wächst ihr alles derart über den Kopf, dass sie am Abend einfach mal was trinken muss, zur Entspannung. Aber nie mehr als ein, zwei Gläschen. Wenn der Stress gar zu groß wird, auch mal ein, zwei Fläschchen.

Und dann setzt sie sich hin und schreibt die ganze Nacht. An Genscher, der damals so hingerissen war von ihr, an die Witwe von Hanns-Dieter Hüsch, mit dem sie so eng befreundet war, und reimt ihre Gedichte, die demnächst veröffentlicht werden, und das Programm mit Liedern von Karl Tucholsky muss überarbeitet werden, und der Udo wird sich schon fragen, was denn mit ihr los sei, und unser gemeinsames Stück ist nächste Woche fertig, da soll ich mir gar keine Sorgen machen, und das Bild, das sie mir zum Geburtstag schenken wird, malt sich auch nicht von selbst, der weinende Harlekin, der so gut zu dir passt, mein Mäuschen...

Ich muss los, habe noch einen Termin. "Dann wünsche ich dir toi toi toi", sagt sie und sieht plötzlich sehr traurig aus.
 



 
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