Püttmans ehrliche Grabreden 4. Folge

Tod auffem Hochsitz

Bei meiner Berta war vonne Aktion „Doppelpack“ noch nix durchgesickert. Ich überlegte, ob ich ihr dat Drama überhaupt beichten sollte. Man kennt ja die Weiber bei so wat.
Bin mit nem schlechtem Gewissen eine Woche um sie rumscharwenzelt und hab um den heißen Brei rumgeredet: „Berta, du hass überhaupt noch nicht gefragt, wie et denn bei die Beerdigung von dat Lissi so war.“
„Willi, wie soll et schon gewesen sein, ich denke, wie immer, sonst hättesse mir doch wat erzählt, oder?“
Hätt ich doch bloß mein Maul gehalten!
Wat meinen Se wohl, wat meine Frau mir allet an den Kopp geschmissen hat? Die tobte und heulte zugleich:
„Du? Du biss ein Idiot! Und wat für einer! Du biss keinen Deut besser als die Bahnhofspenner, nein, als Anstifter zu dem Verbrechen bisse noch viel schlimmer, du biss n Kriminellen. Zeig dich selbst an, dann krisse eventuell mildernde Umstände und n paar Jahre weniger Knast.“ Dann kam aber dat Schlimmste:
„Mit so einem bin ich verheiratet und hab von dem Kerl auch noch zwei Blagen.“ Dat saß!
Gut, son bissken Recht hatte se ja, aber musste se mir dat so gemein an den Kopp knallen? Ich hab se auskeifen lassen und nach ner guten Stunde kleinlaut gefragt, wie sie denn die Situation geschaukelt hätte.
Junge, da kam dat Berta aber ins Schwitzen. „Jedenfalls so nich, Wilhelm!“
„Wie denn?“, bohrte ich weiter.
Bedröppeltet Schweigen.
„Berta, jetz siehsse ma, in wat für ne fiese Lage ich da schuldlos reingeschlittert bin. Dat war nur n Unfall mit Todesfolge, mehr nich! Der arme Teufel hat ne Wunschbeerdigung gekriegt, schön zusammen mit seiner Liebsten. Mein gutet Herz hat meine Gedanken geführt. Jawoll, der Plan kam aus meiner tiefsten Seele. Übrigens, ich war beim Einschaufeln überhaupt nich anwesend, hab nix gesehen und hab für den Hännes auch kein Honorar verlangt.“
Berta hielt sich duckes, sie grummelte nur: „Bete, dat die Suffköppe dichthalten.“
„Berta, dat kommt so schnell nich wieder vor, ich versprech dir dat. Komm, gib Papa Küsschen.“ Berta hat mir wat gepfiffen! Dat Küsschen hab ich erst drei Wochen später kassiert. Wissen Se warum?
Wir kriegten Telefon. Ich hatte dat mit dem Anschluss ganz stiekum bei der Post eingefädelt.
Ich war dat stinkeleid, wegen son Ferngespräch extra inne Kneipe latschen zu müssen. So Gespräche wurden dann meistens sehr lang und teuer, weil man da immer Bekannte traf. Außerdem dachte ich auch als weitblickender Grabredner, als Unternehmer gewissermaßen, der brauchte son modernet Kommuni ... also, son Telefon, und wenn et nur zum Strunzen im Korridor rumstand.
Als Berta dat herrliche schwatte Drehscheibentelefon im Flürken entdeckte, fiel sie mir um den Hals, küsste mich ungewöhnlich intensiv, also viel länger als sonst, sogar mit geschlossenen Augen.
Ich wollte die Situation gerade ausnutzen, da schellte et draußen.
Ich zuckte zusammen. Mir ging der Arsch auf Grundeis. Die Bullen? Kamen die schon mit nem Haftbefehl wegen die verdammte Doppelbeerdigung?
Nee, warn se nich.
Ne kurante Dame, so Mitte vierzig, stand mit nem grünen, knöchellangen Lodenmantel im Türrahmen. Sie trug ne dunkle Sonnenbrille. Ihr grüner Lodenhut war mit ner langen Feder bestückt, der die Frau noch größer erschienen ließ. Sie grüßte ganz eigenartig:
„Waidmannsheil, Herr Püttmann, mein Name ist Patrizia-Eleonore Dachs, geborene Grimbart, darf ich eintreten?“
Ich dachte: Die Alte hat nen Knall, Waidmannsheil, wo bin ich denn hier?
Ich sachte für die Olle: „Glück auf, treten Se in unsere bescheidene Bude. Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“
„Ja, bitte, gerne, Herr Püttmann“, hauchte sie.
Ihre grünen Augen passten gut zu den roten Haaren, die schön breit über ihre Schulter lagen.
Mann, die war ja auch unter dem Mantel total ansehnlich. In der engen Trachtenbluse wurden ihre Ottos mächtig nach oben gehievt, wie bei der Pompadour. Ihr süßet Parfum kroch sofort in meinen Riecher rein, und meine Augen klebten an ihren vollen Lippen und knallroten Fingernägeln.
Sie trug so komische Zahnklunker anne Finger und hatte obendrein noch ne Kette mit die gleichen Zähne am Hals hängen.
„Frau Dachs, wat sind dat für Beißer, die Sie aufe Brust tragen?“, wollte ich wissen und fummelte ihr dabei son bissken anne Bluse rum.
„Grandeln sind das, Herr Püttmann, die hat mein Hubertus alle selbst geschossen und zu Schmuck verarbeiten lassen.“
„Frau Dachs, wieso kann man auf Zähne schießen? Dat hab ich ja noch nie gehört, gibt’s da auch Schonzeiten für die Grandel-Zähne?“
Hätt ich doch nur nich so dösig gefragt! Die Frau laberte ne Viertelstunde über die Zähne beim Rotwild. Endlich war ich wieder dran:
„Sagen Se ma, Frau Dachs, wat darf ich mit Ihnen anstellen? Meine ..., wat kann ich Gutet für Sie tun?“
Blattschuss! Die Frau fing an zu flennen. Mit einem Schlag ahnte ich, wat die wollte.
Berta stürzte mit Lockenwicklern und Küchenschürze aus dem Schlafzimmer und nahm die Frau in den Arm.
Ich reichte ihr nen alten Abtrockner zum Tränentunken und fragte scheinheilig: „Wird schon nich so schlimm sein, oder hat vielleicht jemand dat Zeitliche gesegnet?“
Die Heulerei ging jetz erst ma richtig los.
„Bertaaa!“, rief ich, „hol Block und Bleistift!“
Ich drängte: „Kann ich jetz endlich ma erfahren, wat Sache iss?“
Berta funkte mir inne Parade: „Lass doch die arme Frau erst ma son bissken ihre Trauer bewältigen, hasse gar kein Mitgefühl?“
Ich kloppte ungeduldig mit die Finger auffem Küchentisch rum und peilte gereizt auffe Uhr. Nach dreimaligem Schnäuzen machte Frau Dachs endlich den Mund auf:
„Ich komme aus Wanne-Eickel. Dort vernahm ich von Ihren vortrefflichen Grabreden. Mein Mann ...“ Ich unterbrach den Redeschwall –„iss tot“, ergänzte ich den Satz.
„Nein“, widersprach die Tante, „er ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen.“
Jetz wurd et mir aber zu bunt.
„Gute Frau Dachs, sind wie hier bei die Sioux-Indianer in Dakota oder in Herne bei Willi Püttmann?“
Sie ließ sich nicht beirren: „Bitte, Herr Püttmann, verstehen Sie das richtig, mein Mann und ich sind leidenschaftliche Jäger. Die Jagd ist uns heilig, und die Jägersprache ist Hauptbestandteil unserer Konversation.“
„Frau Dachs, woran iss denn ihr Hubertus inne ewigen Jagdgründe gewandert?“
„Eingegangen heißt es, Herr Püttmann“, in die ewigen Jagdgründe eingegangen,“ verbesserte mich die Jagdtante.
„Mein Mann fuhr auf die Jagd. Als er nach zwei Tagen immer noch kein Laut gab, meldete ich ihn als vermisst. Mann fand ihn erschossen auf dem Hochsitz. Stellen Sie sich vor, mein guter Hubertus kam durch einen tragischen Unfall ums Leben.“
Sie schluchzte: „Wir sind keine Kirchenmitglieder.“
„Ja, ja, dat kenn ich“, unterbrach ich sie, „jetz kommt kein Kirchenmann an dat Grab, der Püttmann muss ran, herzlichet Beileid! Berta, spitz die Ohren, schreib allet schön auf, und Sie, Frau Dachs, erzählen ma wat von Ihrem verendeten Hubertus.“
Berta hatte inzwischen n Köppchen Kaffee gekocht, et konnte losgehen.
Die Frau begann bei Adam und Eva und belobhudelte ihren Mann in den höchsten Tönen.
Alle gemeinsamen Jagdreisen und Jagderlebnisse erzählte sie haarklein in dieser bescheuerten Jägersprache. Drei Stunden haute sie uns dat ganze Jagdgedöns um die Löffel, ääh ..., um die Ohren. Wir hätten nach diesem Vortrag problemlos die Jägerprüfung bestanden. Sie verlangte, dat die Jägersprache in die Trauerrede eingebunden werden müsse. Viele Jäger wären anwesend, auch eine Bläsergruppe aus dem Hegering Herne-Baukau. Die würden dat letzte Halali oder Halligalli, oder so wat Ähnlichet blasen, ich hab dat komische Wort nich richtig verstanden.
Sie übergab mir ne dicke Schwarte. „Teutsches Jagdbrauchtum – Jägersprache 1864“, ich möge mich darin kundig machen.
„Wissen Se wat, Frau Dachs? Ich hab die Schnauze voll, wat soll ich denn noch allet bis übermorgen einstudieren? Haben Se noch mehr so bescheuerte Wünsche auf Lager?“ Berta erschrak über meinen Wutausbruch.
Frau Dachs schob, ohne zu antworten, zwei Blaue, in Worten: „Zweihundert Deutsche Mark“, über den Tisch.
Ich hielt meinen Rand, stammelte verwirrt: „W-waidmannsdank, gnädigste Frau Grimbart von Dachs, ich werde Sie nich vergrämen ..., ich meine, enttäuschen.“
„Herr Püttmann, ich heiße ‚Dachs’, wenn ich bitten darf.“
Berta zitterten beim Anblick vonne Moneten die Hände. Wo, wann, wie lange und ob son kleinet Gebetchen drin wär, allet wurde genau besprochen.
Ich fragte beim Abschied: „Frau Dachs, von wem haben Se denn meine Adresse?“ Sie wollte erst nicht so recht mit der Sprache raus. Dann flüsterte sie mir zu: „Von Herrn Oberbürgermeister Ratlos höchst persönlich. Man kennt Sie bereits auch in Wanne-Eickel, mein lieber Herr Püttmann“, dabei schaute sie mir tief inne Pupillen.

Ich war bestrebt, ne prima Rede zu halten, Stümperei konnte ich mir bei dieser Kundschaft nicht erlauben.

Autor
Wolfgang Bessel
http://www.bessel-autor.info
 



 
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