Willi Corsten
Mitglied
Räuber Ruprecht
von Willi Corsten
Hoch oben im Bergwald lebte ein Räuber mit Namen Ruprecht. Er lauerte den reisenden Händlern auf, die über den Pass hinunter ins Tal wollten und gerbte ihnen gehörig das Fell, wenn ihm die Beute zu gering erschien.
An einem frostklaren Wintertag saß Ruprecht in seiner Hütte und rauchte eine Pfeife. Plötzlich hörte er ein Wiehern. Der Räuber trat ans Fenster und sah ein Schlittengespann, das rasch näher kam. Darauf saß ein Mann, der eine Zipfelmütze trug, einen roten Mantel und pelzbesetzte Stiefel. Mit begierig funkelnden Augen lief Ruprecht zur Tür und rief: „Willkommen, guter Herr, sei mein Gast. Der Weg ins nächste Dorf ist beschwerlich und weit, den schaffst du heute nicht mehr.“
Der Fremde stieg vom Schlitten, schüttelte Ruprecht freundlich die Hand und sagte: „Ich heiße Nikolaus. Wenn du gestattest, bleib ich über Nacht. Mein Pferdchen ist müde und braucht dringend eine Ruhepause.“
„Kannst es in den Schuppen stellen, und den Schlitten noch dazu. Außer mir ist niemand da, der die Sachen stehlen könnte.“
Nach dem Abendbrot saßen die Männer am Kamin und wärmten sich am Feuer. Ruprecht stocherte in der Glut, legte Holzscheite nach und fragte: „Wo bist du zu Hause?“
„Im Himmelreich“, antwortete der Nikolaus. „Ich bringe Spielsachen und Geschenke zu den Kindern der Erde.“
„Himmelreich“, fragte Ruprecht erstaunt, „wo liegt denn dieses Land? Ich kenne Österreich, Frankreich auch, aber in Himmelreich war ich nie.“
Der Nikolaus lächelte geheimnisvoll. „Bald lernst du das Land kennen. Wirst vorher jedoch auf die Probe gestellt, aber wenn du das Herz auf dem rechten Fleck hast, wandelt sich danach dein ganzes Leben.“
In der Nacht schlich Ruprecht in den Schuppen und blickte zu dem Pferdchen hinüber, das mit hängendem Kopf an der Futterkrippe stand und fest zu schlafen schien. Er nahm eines der Päckchen vom Schlitten, löste die Schleife und betrachtete die wunderschöne Spieldose, die in das Geschenkpapier gewickelt war. Da hörte er eine leise Stimme sagen:
Räuber Ruprecht, sei gescheit
verspiel' nicht die Gelegenheit.
Stück für Stück ist abgezählt
für brave Kinder ausgewählt.
Erschrocken sah Ruprecht das Pferdchen an, versteckte die Spieldose unter seinem Hemd, füllte Tannenzapfen in das Päckchen und legte es zurück zu den anderen Sachen. Dann legte er sich schlafen und murmelte: „Morgen begleite ich das Gespann und entführe die Stute‚ denn ein sprechendes Pferdchen ist gewiss mehr wert, als all das dumme Spielzeug, das der Zipfelmützenmann durch die Gegend karrt.“
Am nächsten Tag spannte der Nikolaus den Schlitten an und bat den Räuber zu sich auf den Kutschbock. Auf dem Weg ins Tal achtete er aber sorgsam darauf, dass Ruprecht seinen Plan nicht ausführen konnte.
Meile um Meile trabte das Pferdchen durch Felder und Wiesen und erreichte am Abend das Dorf. Der Nikolaus kramte die Wunschzettel hervor, nahm ein Päckchen vom Schlitten und eilte mit Ruprecht ins erste Haus. Dort wartete ein fünfjähriges Mädchen auf die Bescherung. Die Kleine freute sich riesig über das Paket, weinte jedoch bitterlich, als sie nur Tannenzapfen darin fand. Dicke Tränen kullerten über ihr feines Gesicht.
Ruprecht wurde ganz seltsam zumute. Er senkte zerknircht den Kopf und sagte: „Ich habe Unheil angerichtet, will den Schaden aber wieder gut machen.“ Dann holte er verschämt die Spieldose unter seinem Hemd hervor und gab sie dem kleinen Mädchen.
Auf der Fahrt ins nächste Dorf meinte der Nikolaus: „Du bist ein rauer Gesell, aber tief im Herzen ein guter Mensch. Ich suche einen zuverlässigen Mann, der mir auf der Erde helfen soll. Vielleicht kennst du jemanden, der geeignet ist für die verantwortungsvolle Aufgabe.“
Ruprecht strich verlegen über seinen Bart. Er hätte gerne für den Nikolaus gearbeitet, schämte sich aber, den gütigen Herrn danach zu fragen. Da hörte er eine leise Stimme sagen:
Das wilde Räuberleben ist Vergangenheit
Knecht Ruprecht heißt du nun für alle Zeit.
Durch viele Länder wirst du fahren
berichten, ob die Kinder artig waren.
Und als im folgenden Jahr der erste Schnee fiel und bald darauf ein Schlittengespann durch den Bergwald fuhr, stand Ruprecht vor seiner Hütte und rief: „Tritt ein, Freund Nikolaus, hab dich schon erwartet. Dein Pferdchen braucht eine Ruhepause und für morgen bin ich bereit.“
„Hast Recht“, antwortete der Nikolaus und zwinkerte dem Pferdchen lustig zu, „denn der Weg ist weit, den wir gemeinsam vor uns haben.“
von Willi Corsten
Hoch oben im Bergwald lebte ein Räuber mit Namen Ruprecht. Er lauerte den reisenden Händlern auf, die über den Pass hinunter ins Tal wollten und gerbte ihnen gehörig das Fell, wenn ihm die Beute zu gering erschien.
An einem frostklaren Wintertag saß Ruprecht in seiner Hütte und rauchte eine Pfeife. Plötzlich hörte er ein Wiehern. Der Räuber trat ans Fenster und sah ein Schlittengespann, das rasch näher kam. Darauf saß ein Mann, der eine Zipfelmütze trug, einen roten Mantel und pelzbesetzte Stiefel. Mit begierig funkelnden Augen lief Ruprecht zur Tür und rief: „Willkommen, guter Herr, sei mein Gast. Der Weg ins nächste Dorf ist beschwerlich und weit, den schaffst du heute nicht mehr.“
Der Fremde stieg vom Schlitten, schüttelte Ruprecht freundlich die Hand und sagte: „Ich heiße Nikolaus. Wenn du gestattest, bleib ich über Nacht. Mein Pferdchen ist müde und braucht dringend eine Ruhepause.“
„Kannst es in den Schuppen stellen, und den Schlitten noch dazu. Außer mir ist niemand da, der die Sachen stehlen könnte.“
Nach dem Abendbrot saßen die Männer am Kamin und wärmten sich am Feuer. Ruprecht stocherte in der Glut, legte Holzscheite nach und fragte: „Wo bist du zu Hause?“
„Im Himmelreich“, antwortete der Nikolaus. „Ich bringe Spielsachen und Geschenke zu den Kindern der Erde.“
„Himmelreich“, fragte Ruprecht erstaunt, „wo liegt denn dieses Land? Ich kenne Österreich, Frankreich auch, aber in Himmelreich war ich nie.“
Der Nikolaus lächelte geheimnisvoll. „Bald lernst du das Land kennen. Wirst vorher jedoch auf die Probe gestellt, aber wenn du das Herz auf dem rechten Fleck hast, wandelt sich danach dein ganzes Leben.“
In der Nacht schlich Ruprecht in den Schuppen und blickte zu dem Pferdchen hinüber, das mit hängendem Kopf an der Futterkrippe stand und fest zu schlafen schien. Er nahm eines der Päckchen vom Schlitten, löste die Schleife und betrachtete die wunderschöne Spieldose, die in das Geschenkpapier gewickelt war. Da hörte er eine leise Stimme sagen:
Räuber Ruprecht, sei gescheit
verspiel' nicht die Gelegenheit.
Stück für Stück ist abgezählt
für brave Kinder ausgewählt.
Erschrocken sah Ruprecht das Pferdchen an, versteckte die Spieldose unter seinem Hemd, füllte Tannenzapfen in das Päckchen und legte es zurück zu den anderen Sachen. Dann legte er sich schlafen und murmelte: „Morgen begleite ich das Gespann und entführe die Stute‚ denn ein sprechendes Pferdchen ist gewiss mehr wert, als all das dumme Spielzeug, das der Zipfelmützenmann durch die Gegend karrt.“
Am nächsten Tag spannte der Nikolaus den Schlitten an und bat den Räuber zu sich auf den Kutschbock. Auf dem Weg ins Tal achtete er aber sorgsam darauf, dass Ruprecht seinen Plan nicht ausführen konnte.
Meile um Meile trabte das Pferdchen durch Felder und Wiesen und erreichte am Abend das Dorf. Der Nikolaus kramte die Wunschzettel hervor, nahm ein Päckchen vom Schlitten und eilte mit Ruprecht ins erste Haus. Dort wartete ein fünfjähriges Mädchen auf die Bescherung. Die Kleine freute sich riesig über das Paket, weinte jedoch bitterlich, als sie nur Tannenzapfen darin fand. Dicke Tränen kullerten über ihr feines Gesicht.
Ruprecht wurde ganz seltsam zumute. Er senkte zerknircht den Kopf und sagte: „Ich habe Unheil angerichtet, will den Schaden aber wieder gut machen.“ Dann holte er verschämt die Spieldose unter seinem Hemd hervor und gab sie dem kleinen Mädchen.
Auf der Fahrt ins nächste Dorf meinte der Nikolaus: „Du bist ein rauer Gesell, aber tief im Herzen ein guter Mensch. Ich suche einen zuverlässigen Mann, der mir auf der Erde helfen soll. Vielleicht kennst du jemanden, der geeignet ist für die verantwortungsvolle Aufgabe.“
Ruprecht strich verlegen über seinen Bart. Er hätte gerne für den Nikolaus gearbeitet, schämte sich aber, den gütigen Herrn danach zu fragen. Da hörte er eine leise Stimme sagen:
Das wilde Räuberleben ist Vergangenheit
Knecht Ruprecht heißt du nun für alle Zeit.
Durch viele Länder wirst du fahren
berichten, ob die Kinder artig waren.
Und als im folgenden Jahr der erste Schnee fiel und bald darauf ein Schlittengespann durch den Bergwald fuhr, stand Ruprecht vor seiner Hütte und rief: „Tritt ein, Freund Nikolaus, hab dich schon erwartet. Dein Pferdchen braucht eine Ruhepause und für morgen bin ich bereit.“
„Hast Recht“, antwortete der Nikolaus und zwinkerte dem Pferdchen lustig zu, „denn der Weg ist weit, den wir gemeinsam vor uns haben.“