Rasputin

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Herr H.

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Für viele war der Mensch ein Scharlatan,
ein Sohn der Finsternis, erotoman,
mit Augen, die wie scharfe Messer stachen,
und Lippen, die in dunklen Rätseln sprachen,
ein Raubein und Barbar, ja, ein Verhängnis
für Russland, schuld an Kriegsnot und Bedrängnis,
ein Trunkenbold, ein Wirrkopf und Phantast
und darum ganz zu Recht zutiefst verhasst.

Für andre war er ein von Gott Gesandter,
ein Starez, ein den Engeln Anverwandter,
ein Mann mit großen, wunderbaren Gaben,
wie sie nur Heil’ge und Erwählte haben,
ein Mystiker, ein Meister im Gebet,
ein Wunderheiler, Seher und Prophet,
integer, selbstlos, hundertfach bewährt,
und darum ganz zu Recht so hoch verehrt.

Wer war er wirklich? Dieser oder jener?
Ein Januskopf vielleicht, ein Schizophrener,
ein aus gespalt’nem Reiche Zugereister,
ein Herr der guten wie der bösen Geister?
Wer war er? Immer wieder diese Frage,
die nicht verstummt ist bis in unsre Tage,
die nach wie vor so manches Herz bewegt
und die Gemüter scheidet und erregt.

Ich hüte mich, ein Urteil abzugeben.
Wir kennen uns ja selber kaum im Leben.
Wie sollte ich befinden über ihn,
den Mythos, das Geheimnis Rasputin?
Vermutlich lag in ihm nur potenziert,
was jeder Mensch auch bei sich selber spürt:
dass in den Seelen wie seit ew’gen Zeiten
Gott und der Teufel miteinander streiten.

Ist jemand Charismatiker wie er,
dann hat er’s, wie ich meine, doppelt schwer.
Er ringt mit Zauberkräften und Dämonen,
die stets in ihm, dem Ruhelosen, wohnen.
Oft weiß er selber nicht, wie ihm geschieht,
was ihn nach oben oder unten zieht.
Und grausig ist mitunter auch sein Ende.
So wird er – wider Willen – zur Legende.
 



 
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