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Noch ohne Titel
„Ein bisschen ist es so wie beim ersten Mal“, sagt Merle und lehnt sich zurück ins Gras. Ihre massigen, wirren Haare umranden jetzt das Gesicht wie die Strahlen einer handgemalten Blumensonne. „Am Anfang ist es halt scheiße, aber dann gewöhnst du dich dran und irgendwann gehört es eben dazu, genauso wie die ganze andere Scheiße.“
Julia guckt von den Haaren runter zu Merles Achselhöhlen, wo sich fettige Fusseln von weißgrauer Haut abheben, zu den ausgefransten Enden ihrer Shorts. Dort lugt der Saum altem Taschentuch ähnlicher Innentaschen hervor wie ein Pflaster. Sie guckt einer Ameise hinterher, die an Merles dünn bestrumpfter Wade entlang zur Kniekehle läuft, ohne dass es jemanden stören würde. Die Stadt ist seit Minuten still. Es scheint, als wollte auch sie nur noch Merle zuhören. Merles munterer Stimme, die aus ihr heraus summt wie Luft aus einem regulierbaren Deckenventilator. Sie redet so viel, dass es Julia, die immer aufmerksam ist, schwer wird, ihr weiter zuzuhören. Nach den letzten Tagen Einsamkeit setzt sich der Zuspruch wie Kopfschmerz in ihrer Stirn fest. Sie wendet sich ab und dem platten Gras zu, das unter ihnen erstickt, weil die vielen Menschen es beinahe lückenlos geflutet haben. Die Sonne hat sie hervorgelockt. Ihre sorglose Fröhlichkeit scheint Julia fremd, wie ein Moment geschuldetes Lächeln, das im Gesicht eines Anderen noch fremder wirken würde.
„Die, die mit dem Scheiß nicht klarkommen, meinen es sowieso nicht ernst“, sagt Merle und ist wie das Gras, richtet sich wieder auf, streckt die Beine und knallt vorne hektisch die Sohlen ihrer Chucks gegeneinander, dass es aussieht, als hätte sie keine Arme und wolle jemandem Beifall klatschen. Auf ihren runden Deltamuskeln wirkt die Haut dunkler mit noch dunkleren, kleinen und großen Kratern, einige in der Mitte noch rot und frisch, andere in der Unterhaut wie ein Schmutzfleck unter gläserner Oberfläche. Julia fährt flüchtig über die rauen Knötchen auf ihrem linken Pulloverärmel. Merle zerreibt einen Grashalm zwischen den Sohlen.
„Und bei dir, Linda?“, fragt sie, guckt dabei in den Himmel über ihnen, ein fast wolkenloses Blau und eine Sonne, in die man nicht gucken kann. Also senkt Merle das Kinn wieder zum Ausschnitt ihres weit geleierten T-Shirts,„Du redest nicht viel, was?“, und dreht den Kopf und saugt unbekümmert mit weichen Lippen den Rest aus der Bierflasche, die sie zusammen mit zwei 0,3er Fanta aus dem Spätverkauf gestohlen hat, in dem Julia gestanden und ein Toastbrot in den Händen gewogen hatte. Nur, um eine weiche Stelle zu finden, nur, um sich über die Zeit zu retten.
Eine lärmende Truppe Schulkinder hatte den asiatischen Besitzer hinter dem Tresen um ein Viertel des dort aufgestellten Gummizeugs erleichtert. Sie waren nicht nennenswert älter als Julia gewesen und doch hatte sie einen unüberwindbaren Abstand zu ihnen bemerkt. Anders als der, der sich schon vorher zwischen sie und das Leben geschoben hatte, anders als der, den das Fräulein Parschek heraufbeschwor, wie es in den Umkleiden vor Julia gestanden und so beängstigend wachsam geschaut hatte.
Dieses Mal keine Menstruation - eine Lüge, die bei Julia noch größer wirkt, denn da will bis heute nichts kommen. Kein Fleisch auf die Hüfte, kein Ansatz von Brüsten, vielleicht ein undeutlicher Flaum Schambehaarung, wenn Julia einmal richtig hingesehen hätte - keine Kopfschmerzen, keine Zerrung. Nur die Frau Parschek mit ihren schmal gekniffenen Augen und einem Satz auf den glitzernden Lippen, der Julia ein kurzes und schneidendes Gefühl der Angst schenkt, das sie in diesem Moment nicht einordnen kann, weil es ihr schwer geworden ist, etwas zu fühlen.
Es hätte nichts ausgemacht, dass Claudia Karma das neue Fräulein für verantwortungslos hielt, weil es auf dem Grillfest einen schwarzen BH unter der transparenten Bluse getragen hatte. Julia hat der Frau Parschek ihren vollständigen Namen sagen sollen und hat nichts herausbekommen.
„Hallo? Noch anwesend?“ Eine nachlässig geballte Faust schlägt gegen Julias Schulter und wirkt wie eine Stimmgabel. Alles in ihr fängt zu summen an, überraschend, dann schmerzlich und dann voller klebriger Hingabe.
„Ich muss langsam los, hab noch eine Verabredung“, sagt Merle mit ihrer summenden Stimme, und wie sie den Rucksack schultert, glaubt Julia, etwas darin vergessen zu haben.
„Ein bisschen ist es so wie beim ersten Mal“, sagt Merle und lehnt sich zurück ins Gras. Ihre massigen, wirren Haare umranden jetzt das Gesicht wie die Strahlen einer handgemalten Blumensonne. „Am Anfang ist es halt scheiße, aber dann gewöhnst du dich dran und irgendwann gehört es eben dazu, genauso wie die ganze andere Scheiße.“
Julia guckt von den Haaren runter zu Merles Achselhöhlen, wo sich fettige Fusseln von weißgrauer Haut abheben, zu den ausgefransten Enden ihrer Shorts. Dort lugt der Saum altem Taschentuch ähnlicher Innentaschen hervor wie ein Pflaster. Sie guckt einer Ameise hinterher, die an Merles dünn bestrumpfter Wade entlang zur Kniekehle läuft, ohne dass es jemanden stören würde. Die Stadt ist seit Minuten still. Es scheint, als wollte auch sie nur noch Merle zuhören. Merles munterer Stimme, die aus ihr heraus summt wie Luft aus einem regulierbaren Deckenventilator. Sie redet so viel, dass es Julia, die immer aufmerksam ist, schwer wird, ihr weiter zuzuhören. Nach den letzten Tagen Einsamkeit setzt sich der Zuspruch wie Kopfschmerz in ihrer Stirn fest. Sie wendet sich ab und dem platten Gras zu, das unter ihnen erstickt, weil die vielen Menschen es beinahe lückenlos geflutet haben. Die Sonne hat sie hervorgelockt. Ihre sorglose Fröhlichkeit scheint Julia fremd, wie ein Moment geschuldetes Lächeln, das im Gesicht eines Anderen noch fremder wirken würde.
„Die, die mit dem Scheiß nicht klarkommen, meinen es sowieso nicht ernst“, sagt Merle und ist wie das Gras, richtet sich wieder auf, streckt die Beine und knallt vorne hektisch die Sohlen ihrer Chucks gegeneinander, dass es aussieht, als hätte sie keine Arme und wolle jemandem Beifall klatschen. Auf ihren runden Deltamuskeln wirkt die Haut dunkler mit noch dunkleren, kleinen und großen Kratern, einige in der Mitte noch rot und frisch, andere in der Unterhaut wie ein Schmutzfleck unter gläserner Oberfläche. Julia fährt flüchtig über die rauen Knötchen auf ihrem linken Pulloverärmel. Merle zerreibt einen Grashalm zwischen den Sohlen.
„Und bei dir, Linda?“, fragt sie, guckt dabei in den Himmel über ihnen, ein fast wolkenloses Blau und eine Sonne, in die man nicht gucken kann. Also senkt Merle das Kinn wieder zum Ausschnitt ihres weit geleierten T-Shirts,„Du redest nicht viel, was?“, und dreht den Kopf und saugt unbekümmert mit weichen Lippen den Rest aus der Bierflasche, die sie zusammen mit zwei 0,3er Fanta aus dem Spätverkauf gestohlen hat, in dem Julia gestanden und ein Toastbrot in den Händen gewogen hatte. Nur, um eine weiche Stelle zu finden, nur, um sich über die Zeit zu retten.
Eine lärmende Truppe Schulkinder hatte den asiatischen Besitzer hinter dem Tresen um ein Viertel des dort aufgestellten Gummizeugs erleichtert. Sie waren nicht nennenswert älter als Julia gewesen und doch hatte sie einen unüberwindbaren Abstand zu ihnen bemerkt. Anders als der, der sich schon vorher zwischen sie und das Leben geschoben hatte, anders als der, den das Fräulein Parschek heraufbeschwor, wie es in den Umkleiden vor Julia gestanden und so beängstigend wachsam geschaut hatte.
Dieses Mal keine Menstruation - eine Lüge, die bei Julia noch größer wirkt, denn da will bis heute nichts kommen. Kein Fleisch auf die Hüfte, kein Ansatz von Brüsten, vielleicht ein undeutlicher Flaum Schambehaarung, wenn Julia einmal richtig hingesehen hätte - keine Kopfschmerzen, keine Zerrung. Nur die Frau Parschek mit ihren schmal gekniffenen Augen und einem Satz auf den glitzernden Lippen, der Julia ein kurzes und schneidendes Gefühl der Angst schenkt, das sie in diesem Moment nicht einordnen kann, weil es ihr schwer geworden ist, etwas zu fühlen.
Es hätte nichts ausgemacht, dass Claudia Karma das neue Fräulein für verantwortungslos hielt, weil es auf dem Grillfest einen schwarzen BH unter der transparenten Bluse getragen hatte. Julia hat der Frau Parschek ihren vollständigen Namen sagen sollen und hat nichts herausbekommen.
„Hallo? Noch anwesend?“ Eine nachlässig geballte Faust schlägt gegen Julias Schulter und wirkt wie eine Stimmgabel. Alles in ihr fängt zu summen an, überraschend, dann schmerzlich und dann voller klebriger Hingabe.
„Ich muss langsam los, hab noch eine Verabredung“, sagt Merle mit ihrer summenden Stimme, und wie sie den Rucksack schultert, glaubt Julia, etwas darin vergessen zu haben.