Ruhestörung im Märchenland 5

Antaris

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Im Drachenparadies

Die Warnung meiner Großmutter hätte ich ernster nehmen sollen. Tropische Gewitter brechen sehr plötzlich und sehr heftig los. Ehe ich mich versah, geriet ich dann sogar in einen schweren Sturm. Mit meiner ganzen Kraft kämpfte ich gegen die Gewalt der grimmigen Winde, und wurde doch mitgerissen wie totes Laub. Als sich die tiefen Wolken unter mir für einen Augenblick öffneten, erschrak ich sehr, denn ich sah nichts als wild schäumendes Wasser! Sogleich umschlossen mich die finsteren Gefährten des Sturmwindes wieder, aber ich wusste, ich befand mich nun über dem offenen Meer.

Nun versuchte ich, meine Kräften so sparsam wie möglich einzusetzen, was angesichts des um mich tobenden übermächtigen Sturms kaum mehr als ein guter Vorsatz bleiben musste. Ich durfte nicht abstürzen. Drachen sind selten gute Schwimmer, und in unruhiger See sind sie so gut wie verloren. Drachen sind keine Enten. Sie können nicht einfach aus dem Wasser auffliegen. Ich darf nicht abstürzen, dachte ich die ganze Zeit. Das Grau wurde heller und es wurde dunkler, und ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs war, aber es kam sogar einer normalerweise so langlebigen Kreatur wie mir wie eine kleine Ewigkeit vor.

Schließlich versagten meine schmerzenden Flügel ihren Dienst und ich stürzte ins Meer. Die Wellen schlugen über meinem Kopf zusammen, das salzige Wasser brannte in der alten Wunde an meinem Schweif, in meinen Augen und Nüstern. Nein, ich will nicht eretrinken, schien alles in mir zu schreien, und meine Extremitäten stemmten sich so fest gegen das drohende Schicksal, dass in dem Wasser Balken für mich zu wachsen schienen. So kam es, dass mein Kopf auf wundersame Weise genau um einen Atemzug zu nehmen über die Wasseroberfläche geriet, ehe eine gewaltige Welle über mich hinweg rollte.

Die wirbelnden Fluten zogen mich in die Tiefe, aber auf wundersame Weise erreichten meine Füße wieder und wieder die geheimnisvollen Balken im Wasser. So gelangte ich immer wieder an die Wasseroberfläche aber ich schluckte mindestens so viel Wasser wie ich Atem schöpfen konnte. Schließlich hatte ich gar das Gefühl, im Meer stehen zu können, aber möglicherweise spielten mir meine bis auf das Äußerste erschöpften Sinne einen Streich, denn kurz darauf ließen sie mich völlig im Stich.

Als ich erwachte, war der ganze Spuk verschwunden. Die Sonne schien so freundlich, als hätte es nie einen Sturm gegeben, und das Meer plätscherte friedlich wie ein Bächlein einige Schritte entfernt von mir. Ich lag im trockenen Sand, und betrachtete das üppig wuchernde Grün des Waldes gegenüber dem Meer. Das musste das Drahenparadies sein, war mein erster Gedanke, jener Ort, an dem alle guten Drachen für die Ewigkeit zusammen kommen.

Ja, dieser Platz war wunderschön, aber mit diesem Paradies war offensichtlich etwas faul. Warum schmerzte jede Faser meines Körpers? Ein schier unerträgliches Stechen fuhr durch meinen Leib als ich versuchte, aufzustehen, und auch sonst schien etwas mit mir nicht in Ordnung zu sein. Ich fröstelte nicht gerade, aber ich vermisste die wohlige Wärme in mir, und ich erschrak, als ich mir dessen bewußt wurde. Ich zog die Luft durch meine Nüstern, bis in mein tiefstes Inneres, atmete aus, und nichts geschah! Ich wiederholte die Prozedur zwei oder drei Mal. Auch meine Atmungsorgane brannten vor Schmerzen, sonst geschah wieder nichts. Ich versuchte zu husten, und nur vereinzelte kümmerliche Funken stieben vor meine Nase. Kein Rauch, keine gewohnte Stichflamme loderte auf, aber immerhin war mein inneres Feuer nicht völlig erloschen. Ich musste zuviel Wasser geschluckt haben.

Desillusioniert ließ ich meine Blicke über das Meer schweifen. Keine Zauberbalken, sondern der Meeresgrund, welcher in Ufernähe gnädigerweise meist recht flach verläuft, hatte mein Leben gerettet. Dies mochte ein netter Ort sein, das Drachenparadies war er definitiv nicht. Bis zum Abend lag ich im Sand, dann rappelte ich mich auf und schaute mir den Wald genauer an.

Das saftige Laub tat mir gut. In den ersten Nächten fraß ich mich nur satt, dann ging ich auf Entdeckungsreise. Größere Tiere konnte ich aus der Luft nicht entdecken in dem Wald, auch keine Menschen oder gar magische Kreaturen, aber das musste kein Nachteil sein, so lange mein inneres Feuer auf Sparflamme brannte.

Der Wald schien kein Ende zu nehmen, und wenn ich nicht zurück zum Meer flog, war es schwierig, geeignete Ruheplätze für den Tag zu finden. Lichtungen waren rar, nach Höhlen schaute ich mich gar nicht erst um, ehe ich das Bergland erreichte. Dort gefiel es mir besser, und ich setzte mich gleich vor die nächstbeste Stadt in Erwartung einer freundlichen Begrüßung.

Zunächst wirkten die Bewohner der Stadt alles andere als freundlich. Geradezu grimmig musterten mich wild bemalte Gesichter, federgeschmückte Häupter beratschlagten sich aufgeregt über ihre weitere Vorgehensweise. Diese Wilden werden doch hoffentlich keine Drachen töten, schoss mir durch den Kopf. Sie waren so anders als die netten Dunkelhäutigen, die mich mit gebratenen Rhinozerössern und Tanzeinlagen verwöhnt hatten, aber ich wollte mein Glück versuchen.

„Gibt es hier... das eine oder andere Pferd“, begann ich, „ein Tier mit vier Beinen... etwa so groß und ausgesprochen schmackhaft...“

„Pferd?“ wiederholte einer der Leute völlig befremdet. Seiner prächtig geschmückten Kleidung nach musste er ein Adeliger, Oberpriester oder hochrangiger Medizinmann sein.

„Ja...Pferd!“ Ich lächelte und zeigte auf meinen Bauch. „Lecker, lecker, und sehr gesund“ sagte ich, schleckte demonstrativ mit meiner Zunge um mein Maul und blies ein wenig Rauch durch meine Nüstern. Mehr gab mein inneres Feuer noch nicht her, aber die Leute erschraken und warfen sich auf den Boden. Dieses Verhalten wertete ich als günstiges Vorzeichen.

„Pferd“, wiederholte der prächtig Gekleidete noch einmal, dann sprang er auf, stürzte auf einen im Hintergrund wartenden beleibten Mann zu und entfachte eine hitzige Diskussion. Dieser war offensichtlich eine Art von König,. Niemand war auffälliger geschmückt und gekleidet als er.

„Nix Pferd – Jungfrau“, entschied der König schließlich.

Was sollte ich bloß mit einer Jungfrau anfangen? Darüber würde ich mir später Gedanken machen. Zunächst versuchte ich, die Leute dazu zu bringen, mir den Weg zur nächsten Höhle zu zeigen, aber auch das funktionierte nicht recht. Der Oberpriester wies mir einen Platz auf einem Bergrücken zu. Von dort hatte ich einen guten Ausblick auf die Stadt und eine etwas abseits gelegene mächtige Steinpyramiede, aber es war reichlich zugig dort oben.

Die Leute taten ihr Bestes, um Abhilfe zu schaffen. Sie errichteten für eine Art von Hundehütte um meinen Schlafplatz auf dem Berg, nur eine provisorische Behausung, wie der Oberpriester mir bedeutete, und sie fütterten mich mit seltenen Blumen und Obst. Das sättigte kaum, aber ich wertete dies als eine nette Geste. Dann bekam ich einen Namen, und nun wurde mir schlagartig klar, dass sie mich als Gottheit verehrten! Was war das für ein grandioses Gefühl, nachts als Gott Quetzkaklotl durch die Bergtäler zu segeln! Zumindest in der ersten Zeit konnte ich gar nicht genug davon bekommen.

Je näher die Sommersonnenwende rückte, desto klarer wurde mir, was es mit der versprochenen Jungfrau auf sich hatte. Warum sollte ich keine Jungfrauen fressen wenn sie mir geradezu aufgedrängt werden! Wenn die so eine Portion wie die Königin abgeben sollte, würde es sich lohnen. Als der Tag gekommen war, weckte mich der Oberpriester vormittags und zeigte auf die Steinpyramide. Zu meiner Überraschung hatte sich schon ungefähr die Hälfte der Stadtbevölkerung um meine Hütte versammelt, die andere Hälfte wartete vor der Steinpyramide. Dorthin schritt auch ich als Mittelpunkt einer feierlichen Prozession, und der Oberpriester wies mich an, auf der einen Seite der Pyramide zu warten, während auf der anderen Seite irgendwelche heiligen Zeremonien vorbereitet wurden. Bestimmt sollte gleich danach die eine oder andere Jungfrau serviert werden. Wenn die Jungfrauen vom selben Kaliber waren wie die Königin dann würde sich der Tag für mich richtig lohnen! Besser konnte das Leben im Drachenparadies auch nicht sein.

Ich setzte mich also neben die Steinpyramide, sperrte mein Maul auf und wartete. Lange, sehr lange geschah überhaupt nichts, aber ich beherrschte meinen Wunsch, mich kurz zu strecken und auf die andere Seite zu linsen. Bestimmt mussten die Jungfrauen zuerst noch gegart werden. Das dauerte! Endlich spürte ich ein Kribbeln auf meiner Zunge, und die Worte des Oberpriesters klangen nun so ähnlich wie ,guten Appetit‘. Ich schloss mein Maul, und wenn die Jungfrau nicht in diesem Moment heftig zu strampeln angefangen hätte, hätte ich überhaupt nichts gespürt. Ich spuckte die Jungfrau wieder aus. Sie war tatsächlich kaum größer als der Sohn des Teppichtaxifliegers, und sie schrie und fluchte ganz ungestüm.

Nun richtete ich mich auf und blickte auf die Menschenmenge auf der anderen Seite der Pyramide. „Nachschlag“, forderte ich von dem entsetzt dreinblickenden Oberpriester, „aber flott, und bitte gut durchgegart! Ich bin doch kein Barbar!“

Zwar bezweifelte ich, dass der Oberprister mich richtig verstanden hatte, aber ich nahm wieder meinen Platz ein und wartete. Neben mir heulte meine Jungfrau immernoch zum Steinerweichen. Die nächste Jungfrau war noch kleiner als die erste. „Sagt mal, wollt ihr mich vergackeiern?“ schnaubte ich meine gefiederten Freunde auf der anderen Seite an. „Wer soll den von sowas satt werden!“ Dann zeigte ich auf den Oberpriester. „Das alles war deine Idee“, fauchte ich, „und wenn du meinst, sie funktioniert, dann bist du jetzt an der Reihe!“

Um jegliche Missverständnisse auszuschließen deutete ich dann auf mein Maul. Der Oberpriester hatte mich verstanden. „Nein, nein... das ist nicht Sinn der Sache“, stammelte er mit kreidebleichem Gesicht und taumelte rückwärts, gefährlich nahe an die steilen Treppenstufen heran. Dicke Schweißperlen rannen von der königlichen Stirn, aber auch er rührte sich nicht. Dabei hatte ich ihn seit meiner Ankunft immer wieder als unerschrockenen Herrscher und gegenüber seinem Volk häufig grausam kennen gelernt. Die Königin fiel in Ohnmacht, und das gewöhnliche Volk warf sich mit dem Gesicht zu Boden.

„Na, was ist nun?“ Erneut deutete ich auf den Oberpriester. Ich war entschlossen, ihn notfalls so wie war herunter zu schlingen, so wütend war ich! Sie rückten den Oberpriester nicht heraus. Seit wann müssen sich Götter selbst bedienen? „Ihr könnt euch von mir aus einen anderen Gott suchen“, knurrte ich und ging zurück zu meinem Schlafplatz. Die beiden Jungfrauen liefen mir nach. Ein hölzerner Tempel für einen Drachen ist ohnehin ein schlechter Witz, dachte ich , spätestens wenn mein inneres Feuer richtig in Gang kommt wird so eine Hütte schnell unbewohnbar. Dies sollte das letzte Schläfchen sein, welches ich auf diesem merkwürdigen Platz hielt.
 

Charima

Mitglied
Hallo, Antaris!

Auch diese Drachengeschichte ist wieder witzig und peppig! Ich habe es sehr genossen, alle zu lesen. Zu der vierten wollte ich noch sagen, daß ich die Ansicht vertrete, daß es nicht funktionieren kann, sich dazu zu zwingen, einen Text umzuändern, weil er dann (zumindest bei mir) immer schlechter wird. Aber ich bin mir sicher, daß Du die Wende noch packen wirst, wenn die Zeit dafür gekommen ist!

Liebe Grüße, :)

Charima
 

Arathas

Mitglied
schön und gut :)

Tach Antaris,

Das neueste Drachenmärchen gefällt mir besser als der vierte Teil! :)

Es ist peppig, hat viele nette Einfälle und auch ein paar Wortwiederholungen, die du noch ausmerzen solltest... *g*

Ansonsten wäre ich dir sehr verbunden, wenn du dir ein wenig Zeit nehmen könntest, um meine neueste Kurzgeschichte "Zur Hölle" zu bewerten.

Wenn du in den Thread reingehst, solltest du gleich mal auf der zweiten Seite nachgucken, da habe ich nämlich die neueste Version mit einem Link gepostet. Also nicht aus Versehen die alte bewerten :)

bye, Arathas
 



 
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