Interpretation
Untersuchen wir dieses amüsante, humorvolle Gedicht erst einmal hinsichtlich seiner Form und Struktur. Es besteht aus acht Strophen zu je zwei Versen, die jeweils paarweise gereimt sind. Das Metrum ist unregelmäßig und wird nicht eindeutig festgelegt, dennoch entpuppt sich beispielsweise Strophe vier als klassischer vierhebiger Jambus, dem sogenannten Knittel, was sich mit der Einprägsamkeit und Einfachheit dieses vielleicht auch volkstümlichen Gedichtes vereinbaren lässt. Der Titel „STABILITÄT“ kündet übrigens allein durch die Großbuchstaben von großer Kohärenz und Festigkeit. Dieser auf den ersten Blick freilich einfache Stil erweist sich als glücklich und daher funktional für den saloppen Charakter des, ich getraue es mir zu formulieren, satirischen Gedichtes, das zwei, aus wirtschaftlicher Sicht, zueinander konträre Themen behandelt, die hier auf höchst vergnügliche Weise zusammengewebt sind und mit einer, sagen wir mal, leidlich perfekten Pointe ihren Abschluss finden. Zum einen startet das Gedicht mit der Einführung der neuen Währung, nämlich des Euro, und spiegelt die starke Euphorie, die mit diesem neuen Jahrhundertereignis verknüpft ist. „Hurra“ ist dafür die richtig ausgewählte Exklamation, wobei das vorgeschaltete Adjektiv „brav“ einen faden Geschmack erhält, insofern es auf ein gesteuertes Muss verweist, welches unsere Einstellung zum Währungswandel auf Erfolg bestimmt. Dann heißt es ja auch in einer Absolutheit:
„Eine Währung hart und stark
Viel besser als die alte Mark“
und lässt kein Zweifel am künftigen Erfolg der neuen Währung.
Was nun folgt ist ein noch aktuellerer Bezug auf den gerade noch abgewendeten „blauen Brief“ aus Brüssel, der uns diese vorher zelebrierte und erfolgsversprechende Europhie gründlich vermasselt. Ja geradezu unerhört scheint eine einem Bankrott gleichkommenden Mahnung für das einstige Wirtschaftsvorbild der Welt zu sein. Was natürlich auffällig an der ganzen Sache war, war die Bemühungen der Politik, dieses offenkundige zur falschen Zeit kommende Ungemach zu verharmlosen und im Gedicht findet dieser nicht unübliche Prozess sein Pendant im Diminutiv „Brieflein.“ Bravo Herr Kirstein!
In Strophe sechs bündeln sich nun die zwei zuvor behandelte Themen, indem ausgesagt wird, was ja schon jeder weiß: wir werden unser neues liebstes Kind doch nicht von einem erhobenen Zeigefinger einschüchtern lassen. Natürlich ist das nun jetzt nicht wirtschaftlich korrekt oder gar logisch. Denn selbst ökonomische Depressionen oder Rezessionen bewirken nicht immer negative Wirkung auf die Währung. Das ist eine wirtschaftliche Binsenweisheit. Und selbst ein Rüffel von der EU, der er ja im Endeffekt keiner war, hat gar wenig Einfluss auf den Euro und seiner Wertung. Was jedoch hier zu Tage tritt ist die politische Unkorrektheit, ist da wieder der klischeebehaftete Seitenhieb auf die Politik und ihre Unzulänglichkeiten.
Diese hochbezahlten Politiker mal wieder mit ihren leeren Versprechungen!
Und vielleicht schließt das Gedicht auch mit einer solchen Versprechung ab, allerdings mit ungewissem Ausgang:
„Keine Sorge um die Mark, die ihr so verehrt
In Kürze ist der Euro ebenso viel wert.“
Zugegeben: eine einfältige, etwas simple Pointe des Gedichtes, aber warum sollte es, das Gedicht insgesamt, nicht einfältiger und unzulänglicher sein als das Politische schlechthin, welches es parodiert?