Schlesische Weihnachtskarpfen

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Nova

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Schlesische Weihnachtskarpfen

Aldorf hustete verlegen, als er mir am Abend dieses 22. Dezember die Lampe gebracht hat. Ich ließ ihn husten und wartete, bis er von selbst mit der Sprache herausrückt.
“Ich möchte was sagen, wenn es dem Doktor nicht peinlich wäre.”
“Nein, es ist mir nicht peinlich, Aldorf. Also, was ist los?”
“Ja, so leicht ist es nicht herauszubekommen, aber übermorgen ist Heiliger Abend.”
“Dagegen habe ich nichts einzuwenden.”
“Ja, es ist Sitte bei uns, das man beschenkt wird.”
“Aha!”
Worauf zielte der Alte hinaus?
“Wenn mir nun der Doktor versprechen, nicht zu verraten, so würde ich Ihnen einen kleinen Wink geben.”
“Ich werde reinen Mund halten! Also winken Sie ruhig drauf los!”
Da sah er mich pfiffig an.
“Sie werden beschenkt.”
“Ich? Nicht möglich, Aldorf! Von wem denn?”
“Von Herrn Waldorfer und von Helene und Oberförster, und von Fräulein weiß ich nicht genau.”
Ich war verblüfft.
“Ja”, fuhr er fort, “wenn Sie mit leeren Händen da stehen und nichts zu Schenken haben. Das würde Ihnen peinlich. In der Stadt waren Sie nicht, und ein Paket kommt auch nicht.”
“Aldorf, Sie sind ein Staatskerl! Ein Prachtkerl sind Sie! So ist es, es wäre nicht bloß peinlich, es wäre scheußlich für mich. Wir städtische Jungesellen denken gar nicht an sowas. Sie haben mich vor einer abscheulichen Verlegenheit bewahrt. Ich danke Ihnen herzlich, Sie famoser Mann.”
“Bitte ergebenst! Die Tanne mit dem blauen Bändchen ist unten im Wohnzimmer.”

Das war lange her, das ich an den stillen Bergwald glaubte, in dem das gute Christkindlein mit seinen tausend Engeln die Weihnachtsbäume schmückt. Es war süßer Glaube. Aber auch jetzt packte mich das stille Christfestzauber, als ich im Wohnzimmer die Tanne schmücken sah.
Das Konfekt war an kleinen, roten Fäden zum Anbinden bereit, Helena und der Student entwickeln eine eifrige Tätigkeit, das für Maria und mich wenig zu tun blieb.
Das ist ein Zauber! Jede Nichtigkeit hat eine große Bedeutung, was sonst ohne wert erscheint, ist jetzt eine Freude im Herzen.
Ein mühselig unterdrücktes, heißes Aufjubeln. Man entfernt sich ein bißchen, man schmollt ein bißchen, nur um sich immer wiederzufinden.
Die Augen leuchten, die Wangen glühen, das rote Blut jagt durch den jungen Leib, die Seele drängt nach außen.
Nicht wie ein Sonnentag liegt das Leben vor dem Auge, nein, wie eine einzige Minute der Wonne.
Als ich die so sah, wußte ich, das ich aus dem echten Becher der Liebe, noch nicht getrunken hatte.
Und die Frage tauchte auf, ob mir der goldene Trunk nicht für immer versagt bleibt.

Am anderen Morgen fuhr uns der Oberförster nach der Stad, unterwegs sagte er.
“Ich möchte Sie mal im Vertrauen auf was aufmerksam machen. Sie werden morgen abend beschenkt! Von Waldorfer, Helene und Aldorf! Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit kommen lassen!”
Ich mußte lachen.
“Dankeschön, Herr Oberförster”, sagte ich. “Aber ich war schon von Aldorf vorbereitet.”
“Von Aldorf? Ist das ein Quatschkopp! Das ärgert mich! Ich wollte Ihnen Dienst erweisen.”
“So gut wie geschehen, Herr Oberförster.”
Wenn ich als Großstädter in kleine Stadt kam, fiel mir immer die Stille, die Leere, die ganze Kleinlichkeit auf. Heute fühlte ich, das ich in städtisches Leben kam. Aufmerksam betrachtete ich die Schaufenster, an denen wir langsam vorbeifuhren.
“Wollen wir zuerst eine Tasse Kaffee trinken, Herr Doktor? Hier ist unser Café.”
“Ja, es ist mir angenehm!”
Das “Café” bestand aus einem Konditorladen und einem “Lesezimmer”, in welchem nur ein einziger rechteckiger Tisch stand.
Aus dem “Lesezirkel” waren über zehn Journale und einige Witzblätter. Die erheiterten mich so, das mir beinahe wie einem naiven Landbewohner die Frage aufgetaucht wäre, “wo nur die Leute das immer alles hernehmen?”
“Sie, hier steht Name und Bild von Ihnen gedruckt.”
“Wo?” fragte ich mit Eifer.
“Nun hier! Sind Sie etwa damit gemeint?”
“Zeigen Sie hier!”
Es war eine vollendete Rezension über meine Bücher, und ich gebe zu, das ich das selige Gefühl noch einmal empfand.
Der Oberförster las die Rezension mit mir durch und schaute mich mit einem köstlichen Gemisch von Überraschung, Verwunderung und Respekt an.
“Das hätte ich nicht gedacht von Ihnen!” sagte er. “Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut!”
“Nicht wahr?” fragte ich belustigend. “Bin ich doller Mann?”
“Doller Mann nicht, aber es ist eine dolle Sache, so ganz öffentlich aufgeschrieben werden. Vielleicht ist das ein Schwindel. Geben Sie her, ich werde mir das Ding in mein Notizbuch aufschreiben. Das muß ich Edelmann zeigen, der Alte wird nicht glauben, das sie so ein kluger Kauz sind. Ist mir selber ganz rätselhaft.”
Ich ließ den Grünrock schreiben, und lachte mich aus.
Eine Weile habe ich noch gelesen und schlenderte dann nach dem Marktplatz, um meiner Einkäufe zu besorgen.

Der heilige Abend war gekommen. Mit frohem Herzen war ich am Morgen erwacht. Das mußte ein guter Tag werden.
Beim Frühstück lag Festfreude auf allen Gesichtern. Es war, als wohnten lauter Kinder im Hause, und das Chriskindlein guckte zu allen Fenstern herein.
Am Vormittag schneite es zwei Stunden lang, und als die sonne kam, lag die ganze Flur vor uns in strahlenden Festschmuck.

Nachmittags war eine Bescherung für arme Kinder in der Schule.
Ein Weihnachtsbaum war geschmückt, ein Podium aufgeschlagen, und es wurde ein kleines Weihnachtsspiel aufgeführt.
Helena war daran beteiligt, sie erzählte die kleineren, die Geschichte von der Geburt das Heilendes.
Es waren viele Leute da, wir saßen in der ersten Reihe, links von mir der Oberförster, rechts der Student. Der Student hatte sicher alle großen Opern gesehen, aber er war nie so ergriffen gewesen wie heute, als seine Helena mit leiser, schlichter Stimme sang:
“Und als sie kamen zur Stadt vom Feld,
Da lag das Kindlein, das Heil der Welt,
Von Gott geschickt.”
Der Oberförster feierte seine größten Gefühlsorgien, als die Kinder ein Schlittenlied sangen.
Nach der Feier und der Bescherung fand eine Versteigerung des Christbaumes statt.
Der Oberförster hatte es von vornherein auf den Baum abgesehen und kam in die Wolle, als der Student und ich uns kräftig bemühten, ihm die Beute ab zu jagen. Dabei warteten wir immer bis knapp vor dem Zuschlagen. Schließlich verpaßte es der Student, der sich nach Helena umsah, und Oberförster behielt den Baum.
Nun er stellte sich vor die strahlende Schuljugend und hielt folgende Rede:
“Liebe Kinder! Es ist heiliger Abend. Da ist der Herr Jesus geboren. Der Herr Lehrer hat euch das schon mitgeteilt und auch, das der Christbaum eigentlich an den Baum im Paradies und an den Kreuzesbaum erinnern soll. Na, ja, das ist alles richtig und sehr hübsch, aber der Christbaum soll uns noch an was anderes erinnern. Nämlich an was? Ja, wo ist der Baum her? Aus dem Wald, der Bürgermeister hat ihn gestiftet und stiftet außerdem noch tausend Euro pro Weihnachtsfest. Da sollt ihr dankbar sein und im Wald keinen Schaden machen, verstanden? Keine Äste abbrechen, keine Blumen mit den Wurzeln ausreißen, keine Vögel ausnehmen, kein Wild scheu machen und in keine Schonung laufen! So, das wollte ich euch hier beim Christbaum zur Feier des heiligen Weihnachtfestes sagen, und nun räubert den Baum!”
Aber Hallo! Nun ging es los. Vom Podium sprangen die Kinder, und alle umringen den Oberförster. Jedes Kind wollte ihm einmal die Hand geben.

Zum Abendessen gab es Zuhause den üblichen schlesischen Weihnachtskarpfen.
Dann ging ich noch einmal hinauf ins mein Zimmer. Ich trat ans Fenster und schaute ins Tal hinunter. Und da blitzten in einem ganz einsamen Haus auf der Berglehne die ersten Christbaumlichter auf.
Rührung überkam mich, als mußte ich jetzt die zwei kleinen, süßen Kinderhände küssen, die so viel Licht und Freude in die Welt gebracht haben. Deren Segen durch Jahrhunderte gegangen ist, auch bis an jene stille Hütte des Waldes.
Ganz still stand ich und schaute immer hinab ins Tal. Hier flammte es auf, dort, und dort, überall, und der freundliche Schein drang durch das Dunkel zu mir herauf.
Da hörte ich über mir ganz leise Helenas weiche Stimme:
“Ein Kindlein ward geboren,
Ein Kindlein lieb und hold,
Des ihr von ganzem Herzen
Euch alle freuen sollt.”
Auch sie stand am offenen Fenster und schaute hinab.

Es klopfte. Aldorf trat ein.
“Herr Doktor, Sie sollen herunterkommen.”
“Was ist los, Aldorf?”
Er schüttelte bloß den Kopf und ging mir voran.
Dan bat er, die Herrschaften möchten etwas Warmes anziehen und in den Hof kommen, er hätte eine kleine Überraschung.
Ich folgte mit den anderen der Einladung.
Im Hof bot sich uns ein hübsches Bild.
Auf dem niederen, halb zerfallenen Turm wuchs eine kleine Fichte. Aldorf war auf den Turm gestiegen und hatte den Baum mit Lichtern geschmückt. Es war windstill und stockfinster, und nun sah es aus, als schwebe leuchtender Christbaum hoch in der Luft. Ein Bild wie eine überirdische Erscheinung.
Das Reich der Liebe, in dem die Wunderhaine stehen und die Insel der Seligen schwimmen auf blauen Meeren.
Das Reich der Liebe, in dem die trostlosesten Wüsten der Verzweiflung und die Klippen des Todes aufrecht stehen.
Geblendet von einer neuen Sonne, berauscht von einer neuen Lust, durchschüttelt von neuer Qual, so trieb mich wonnig - unselige Lebensenergie. Zur selben Stunde schwebte draußen der Weihnachtsfriede über der Menschenerde.
 



 
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