Schreibaufgabe Rechtschreibung

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Ruedemann

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Rechtschreiben und Recht haben
„Verdammt und zugenäht, wäre ich doch nur bei meinen Gerichtsreportagen geblieben! Welcher Teufel hat mich geritten, in der Weiterbildungseinrichtung für Arbeitslose Seminare für die neue deutsche Rechtschreibung zu halten?“
Tagelang hatte Frau Buch die Regeln geordnet, zusammengestellt, Beispiele gesucht, in Tabellen erfasst. Die Lehrgangsteilnehmer sollten aus ihrem Unterricht anwendungsfähiges Wissen mitnehmen.
Nun sitzen ihr in dieser „Klasse“ erfahrene Menschen gegenüber. Leute mit Diplomen aller möglichen Fachrichtungen, sogar ein Doktor befindet sich darunter. Die Leute sind verbittert, manche aggressiv. Viele sind seit Jahren arbeitslos, die meisten ohne Hoffnung auf neue Arbeit. Einige weit über 50.
Klassensprecher Grubert hatte ihr schon bei der Vorstellung unverblümt gesagt: „Was wir brauchen ist nicht Haarspalterei über „ss“ oder „ß“ und uns ist es egal ob wir ein „Quäntchen“ oder ein „Quentchen“ mehr Lebensqualität erfahren. Tunfisch können wir uns schon lange nicht mehr leisten, ob er nun mit oder ohne th geschrieben wird.“
Was sollte sie dem entgegensetzen? Natürlich könnte sie argumentieren, mit der Beherrschung der neuen Schreibweise könne man dokumentieren, dass man mit der Zeit geht, sich weiterbildet. Dass die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt dadurch kaum steigen, hatte sie an eigenen Leib erlebt. Seit sie als Deutschlehrerin entlassen wurde, konnte sie sich nur mit allerlei Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Dieser hier war einer davon.
Mit irgendwelchen Autoritätsdingen durfte sie hier nicht aufwarten. Jede Andeutung von Kommissionsentscheid, Regierungsbeschluss, Verordnung oder gar Gesetzesänderung hätte die frustrierten Männer auf die Palme gebracht. Sie musste versuchen, über das Gefühl den Verstand zu erreichen.
„Meine Herren, die Sprache ist wie das Leben, sie verändert sich ständig.“
„Da können Sie recht haben, Frau Buch, mein Leben wird immer schlechter. Und die, die diese Vergewaltigung der deutschen Sprache zu verantworten haben, sind meine Schlächter. Daran hat sich nichts geändert.“

Wie gut sie diese Menschen verstehen konnte und dennoch muss sie ihren Job machen; dafür wird sie schließlich bezahlt.
 



 
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