Schreie

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Cynthia

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Schreie
Nassgeschwitzt wache ich auf. Wieder dieser Traum...
Ein Unbekannter dringt in mein Haus ein. Starr vor Schreck versuche ich zu schreien, bekomme jedoch keinen Ton heraus.
"Immer wieder träume ich diesen Unsinn! Der Krimi gestern? Nein, so gruselig war er auch nicht und... ich bin doch kein Kind mehr!"
Ganz allmählich gelingt es mir, mich wieder zu entspannen. Ich schließe die Augen.

Ein dreijähriges Mädchen steht mit seiner Mutter im Treppenhaus. Die Mutter unterhält sich mit der Nachbarin während die Kleine immer wieder ungeduldig am Arm der Mutter zupft. Endlich... die Mutter verabschiedet sich und sie gehen die Treppe hinauf zur Wohnung.
„Mami, wir haben ja die Tür offen stehen lassen!“
Die Mutter läuft hastig in die Wohnung. Sie eilt nach und nach in alle Zimmer, schaut hinter die Türen, in die Kleiderschränke und unter die Betten.
„ Hoffentlich hat sich niemand hereingeschlichen und irgendwo versteckt!“
Mit weit aufgerissenen Augen beobachtet das Kind die Mutter.
Als die Kleine an diesem Abend in ihrem Bett liegt, denkt sie, es hätte sich unter ihrem Bett ein Fremder versteckt. Sie zieht ihre Bettdecke über den Kopf.
„Bloß nicht einschlafen!“
Irgendwann nimmt sie allen Mut zusammen und läuft schnell durch den finsteren Korridor ins Elternschlafzimmer. Mutter schaltet das Licht an. Gemeinsam schauen sie unter das Bett. „Schau, da ist nichts!“
Das Kind bittet die Mutter die Kinderzimmertür offen und das Licht um Flur brennen zu lassen.
Von diesem Tag an schläft es nur noch bei geöffneter Tür...

Zwei Jahre später.
Die Familie zieht in eine neue Wohnung. Neugierig schaut die Fünfjährige zu, wie die riesigen Umzugkartons in den Möbelwagen geladen werden.
„In welchem sich wohl der Unbekannte versteckt hat?“
Auch in der neuen Wohnung wir ihr Schlaf immer wieder von der Angst vor dem Fremden unter dem Bett gestört.

Ich sehe das Kind furchtsam zitternd in seinem Bett sitzen. Ich nehme auf der Bettkante Platz und umarme die Kleine.
„Weißt du was? Von nun an brauchst du keine Angst mehr zu haben, ich bleibe bei dir.“
„... und wenn der Fremde kommt?“
„Dann schreien wir so laut wir können um Hilfe. Da läuft er sicherlich weg.“
Das Mädchen lächelt mich an.
In derselben Nacht hören wir Schritte, die sich langsam nähern. Die Tür beginnt sich einen kleinen Spalt zu öffnen. Ich nehme allen Mut zusammen und schreie so laut ich kann. Ein kraftvolles, erlösendes Schreien...

„Was ist denn mit dir los? Du schreist ja das ganze Haus zusammen!“
Vor mir steht mein Mann. Das Schreien hat ihn aufgeweckt.
„Bist du krank?“
„Ich glaube, ich war es...“
Ein Gefühl der Befreiung lässt mich in den Schlaf hinübergleiten.
 

pol shebbel

Mitglied
Man kommt sofort in die Geschichte rein - die Angst vor dem Fremden ist ja etwa, was fast jedes Kind mal empfindet! Dass sich aus der einen Szene am Anfang nachher dann offenbar eine Art richtige Neurose entwickelt, die sich erst viele Jahre später durch den Ehemann löst (so wirkt es jedenfalls auf mich), scheint mir nicht so glaubhaft. (Die Szene am Schluss ist natürlich sympathisch - mir gefiel übrigens die Originalversion, wo nicht der "Mann", sondern persönlich "Peter" auftritt, fast besser.)
Was ich ziemlich witzig fand, ist der Gedanke des Kindes beim Umzug, in welchem der grossen Umzugskartons sich wohl der Unbekannte versteckt hält - ein origineller Kindergedankengang!
Insgesamt wirkt die Geschichte auf mich aber doch etwas, hmm, banal...
 

Cynthia

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Hallo Pol,
...ganz so wie du es verstanden hast ist es nicht. Die Neurose löst sich durch die Erzählerin selbst. Sie ist es, welche sich als Kind in der Angst sieht. Sie ist es die das Kind tröstet (ihr"inneres Kind") und sie ist es, die den Weg aus der Neurose heraus findet... durch das erlösende Schreien.
 



 
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