Schweigen

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ridding

Mitglied
Schweigen

Nachdem sie sich vorgestellt hatten, rührte jeder in seinem Kaffee und schwieg.
„Es ist wichtig, auch mal ein Schweigen auszuhalten“, sagte er.
„Ja“, sagte sie. „Wie eine Blutung.“
„Oder wie eine Hinrichtung“, erwiderte er.
Damit war das Eis gebrochen, aber kühl blieb es trotzdem.
Nach weiteren langen Phasen des Schweigens verabschiedeten sie sich schließlich.
„Es wäre schön, wenn wir uns wiedersehen könnten“, sagte er noch. Zu seinem Erstaunen willigte sie ein. Sie verabredeten sich für die nächste Woche.
Sie kamen sich niemals wirklich näher, aber sie trafen sich immer wieder, einmal in der Woche, am gleichen Tag, zur gleichen Zeit, am gleichen Ort.
Sie hatte einmal erwähnt, dass sie von ihrem Chef getriezt wurde.
„Ich könnte ihn umbringen“, hatte sie gesagt.
„Tun Sie es doch“, rutschte es ihm heraus, bevor beide wieder schwiegen.
„Ich habe es getan“, sagte sie bei ihrem nächsten Treffen. Er sah zum ersten Mal in ihre Augen und erblickte dort so etwas wie ein fröhliches Funkeln.
„Schildern Sie mir, wie es war“, sagte er.
Sie schlug die Augen nieder, als hätte er ihr einen ungehörigen, aber nicht unerwünschten Antrag gemacht.
„Der Brieföffner“, flüsterte sie. „Der Brieföffner. Es sah aus wie Harakiri, zumal ich vorher das Konto abgeräumt hatte und der Verdacht auf ihn fallen musste.“
Er nickte anerkennend. „Er hätte Sie nicht so triezen sollen“, sagte er und griff nach ihrem Arm, zog seine Hand aber gleich wieder zurück.
„Nein“, erwiderte sie. „Das hätte er nicht tun sollen. Aber ohne Ihre Ermutigung hätte ich es nicht geschafft.“
Sie schwiegen. Dann stand sie auf, zog ihren Mantel an und ging. Er blieb noch eine Weile sitzen.
 
V

vanhengel

Gast
schön, an einigen wenigen stellen hättest du die sprache selber noch etwas morbider machen können...
aber dennoch. ein schöner kurzfilm.

gruss vanhengel
 
B

bluefin

Gast
die idee, dass man auch ohne große worte kommunizieren könnte, ist nicht schlecht, aber auch nicht gerade neu; eine ganze menge geschichten und anekdoten basieren auf dieser technik.

leider wird in deinem text nicht geschwiegen, sondern ziemlich viel geredet:
Nachdem sie sich vorgestellt hatten, rührte jeder in seinem Kaffee und schwieg.
„Es ist wichtig, auch mal ein Schweigen auszuhalten“, sagte er.
„Ja“, sagte sie. „Wie eine Blutung.“
„Oder wie eine Hinrichtung“, erwiderte er.
damit hast du die ganze idee schon ruiniert: hier macht jemand exemplarisch aus seinem herzen keine mördergrube, sondern plappert alles aus - thema verfehlt.

tipp: denk dir die story neu aus und mach alles nur an den blicken, dem rühren in den tassen, den gesten und der kleidung fest. den schaudaun besorgt dann die polizei, die einen der beiden verhaftet und den anderen aufklärt. dann funzt's.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

ridding

Mitglied
Hallo Vanhengel, hallo Bluefin,
vielen Dank für eure Reaktionen.
Zu Bluefin: Allein die Tatsache, dass, wie du auch bemerkt hast, das was die beiden reden, sehr im Mittelpunkt steht, zeigt, dass es mir nicht darum ging, eine Kommunikation zu beschreiben, die ihre Botschaften vorwiegend durch Schweigen transportiert, sondern eine, in der viel geschwiegen wird - vor allem aus Hilflosigkeit. In den wenigen gesprochenen Sätzen sollte aber so viel komprimiert sein, dass der "Film", von dem Vanhengel spricht (und den ich mir auch vorgestellt hatte), ganz zwangsläufig zu laufen beginnt, weil durch wenige Worte viel Vorstellung ausgelöst wird
Von daher aus meiner Sicht nicht "Thema verfehlt", sondern eher "falsche Überschrift".

Gruße, Riddind
 
V

vanhengel

Gast
bluefin,

ab und zu solltest du vielleicht mal etwas länger schweigen, bevor du deine kritik loslässt.
du hast den sinn diesmal wohl nicht verstanden.

der text ist ein kleines drehbuch, ausserdem darf er sich ins paradoxon schreiben... die ein oder andere sentenz muss noch kürzer gehalten und noch mehr ausgespart werden...
aber ansonsten gelungen basta

gruss vanhengel
 
B

bluefin

Gast
hallo @ridding,

natürlich kann man auch sagen, dass die überschrift falsch war. das hab ich, als ich noch in die schule ging, auch mal probiert. leider wurde die note dadurch nicht besser; der deutschlehrer hielt's für majestätsbeledigung.

reden ist silber, schweigen ist gold; beides auf einmal klimpert im kasten. gute kurzprosa ist was ganz anderes als ein drehbuch: nicht regieanweisung, sondern schlüssel zur fantasie.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
V

vanhengel

Gast
wie willst du du! bestimmen können, was gute kurzprosa ist...
ich kann mich eines leichten lachens nicht erwehren...

gruss vanhengel
 

ridding

Mitglied
Hallo bluefin,
an dir scheint wirklich ein Lehrer verloren gegangen zu sein: Verdammt dazu, alles immer besser wissen zu müssen und dem Notenstift stetsgezückt.

Gruß, ridding
 
B

bluefin

Gast
ich hab dich nicht benotet, @ridding. nur wohlmeinend kritisert.

wenn du den unterschied zwischen deinem drehbücherl und *schweigen* kennen lernen willst, dann google ein bisschen unter "ingmar bergmann".

und noch ein tipp: kritikerbeschimpfung zahlt sich nie aus. bleib lieber cool wie ein walfisch.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

ridding

Mitglied
Hallo bluefin.
mir ging es nicht um Kritikerbeschimpfung, die ist wirklich albern, sondern darum, dass du tatsächlich der Ansicht zu sein scheinst, eine verbindliche Definition für Kurzprosa festklopfen zu können.
Zu dem "Drehbuch": Diesen Begriff habe ich nicht in die Diskussion eingebracht. Wenn mein Text überhaupt ein "Drehbuch" sein soll, dann eines für das "Kopfkino", und das ist erzählende Prosa, wozu ich meinen Text eindeutig zähle, in gewisser Weise immer, denn sie erzeugt in der Vorstellung einen visuellen Handlungsablauf.

Schönen Gruß an die Isar, ridding
 
B

bluefin

Gast
"kopfkino", lieber @ridding, kann im publikum nur dann entstehen, wenn du ihm den spielraum dazu lässt: zeigen, nicht erklären. das ist wie der unterschied zwischen erotik und pornografie; die erotik ensteht im hirn, die pornografie nur auf der leinwand.

bei dir ziehen sich die beiden puppen schon in der ersten sekunde splitterfasernackt aus, mir ihren schlauen sprüchen über das schweigen. und deswegen ist's keines mehr.

nochmal in aller freundschaft: an einer kritik wächst man nicht dadurch, dass man den kritiker möglichst klein zu machen versucht.

die definitionen, was alles "gute" texte ausmacht, stammen nicht von mir, sondern haben sich über die jahrhunderte als allgemeinverbindliche herausgestellt. wir alle sind ihnen unterworfen, so wie den buchstaben und der syntax - über geradeso wie unter wasser.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

ridding

Mitglied
mein lieber bluefin,
das halte ich aber nun aber doch für eine sehr gewagte Behauptung, dass sich meine Personen schon in der ersten Sekunde splitterfasernackt ausziehen.
Zum anderen versuche ich dich nicht als Kritiker klein zu machen, sondern meinen Text gegen eine für mein Gefühl unzulässige Verrasterung zu verteidigen.
Schon deine erste Bemerkung „die idee, dass man auch ohne große worte kommunizieren könnte, ist nicht schlecht“ unterstellt dem Text ein Ambition, die der Titel vielleicht nahe legt, die er aber primär gar nicht verfolgt.
Auch deine Analyse der beiden Personen „hier macht jemand exemplarisch aus seinem herzen keine mördergrube, sondern plappert alles aus“ geht an den Personen vorbei. Was plappern sie denn aus über sich außer unterdrückten Aggressionen, denen für sich genommen ja noch keine allzu große Aussagekraft zukommt.
Die Frage ist doch nicht, ob der Text den von di postulierten Kriterien (die sich ja in dieser Form keineswegs seit Jahrhunderten entwickelt und sozusagen „ewige Gültigkeit“ haben, sondern sowohl relativ modern als auch in einem hohen Grade subjektiv sind) entspricht, sondern ob er als Geschichte im Kopf des Lesers funktioniert und im besten Falle darin noch ein paar Momente nachhallt. Das wiederum will und kann ich gar nicht beurteilen. Zumindest geht deine Beurteilung für mein Empfinden ziemlich an dieser Frage vorbei.

Wir hören sicher noch öfter voneinander, ridding
 



 
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