Seemannsgarn
Es war einmal ein Wichtel namens Ole Olaf Oskar Otto Olbrichzy, der lebte in einer kleinen Hafenstadt. Da er entfernt mit den Wassermännern in Elbe und Donau verwandt war, hatte es ihn zum Wasser hingezogen.
Im Sommer war es in dieser Hafenstadt auch recht nett, aber der Winter konnte mitunter sehr kalt sein. Manchmal war der kleine Hafen völlig zugefroren und die Schiffe konnten nicht auslaufen. Dann erzählten sich die Einwohner lange, fantasievolle Geschichten.
Ole hörte gerne zu, wenn solche Geschichten erzählt wurden. Aber er wusste nie genau, was einfach nur Geschichten sind oder was davon echt wahr ist.
Zum Beispiel saß er einmal bei der Fischerfamilie Olesen auf dem Kamin und hörte, wie die Großmutter das Märchen vom Teufel mit den drei goldenen Haaren erzählte. Danach gab es ein Gespräch, worüber er lange nachdenken musste. Als die Großmutter das Märchen zu Ende erzählt hatte, fragte die jüngste Enkelin: „Wachsen denn dem Teufel die Haare wieder nach?“
Da nahm der Großvater die Pfeife aus dem Mund und brummte: „Der Teufel hat gar keine goldenen Haare. Er hat nur blonde, weil er ja mal ein Engel war, und weiße, weil er ja schon so alt ist. Also auf seinem Kopf mischen sich blonde und weiße Haare wie bei der Heideschulzen Anna aus dem Nachbarort“.
Alles kicherte verhalten. Die Heideschulzen Anna war eine alte Frau, die aber noch nicht völlig ergraut war. Obwohl sie die Siebzig weit überschritten hatte, prangten auf ihrem Haupt noch immer einige blonde Strähnen.
Dann polterte die Großmutter: „Das ist ja ganz was Neues. Wann hast du denn den Teufel das letzte Mal gesehen, dass du das alles so genau weißt?“
„Ach, dazu muss man doch den Teufel nicht gesehen haben. Das ergibt die Logik. Wenn du nur einmal logisch denken würdest, wäre dir das auch klar“, schmunzelte der Alte.
„Hm, Logik, alles klar. Logik nützt aber nur im Zusammenhang mit Wissen. Der Teufel lebt in der Hölle, oder?“
„Hm“.
„In der Hölle ist es rußig, oder?“
„Hm“.
„Da wird der Teufel auch rußig, stimmt s?“
„Hm“.
„Also hat er schwarze Haare. Und weil der Teufel wasserscheu ist, hat er sich auch all die Zeit nicht gewaschen, der dreckige Dreckskerl, der. Da ist von blond und weiß nichts mehr zu sehen! Außerdem glaube ich, dass er vom Herrgott schwarze Haare bekommen hat, damit er farblich besser in seine Umgebung passt“.
Der Opa legte die Stirn in Falten und dachte nach, was er darauf wohl Gescheites antworten könnte.
Der Vater neckte: „Na, Opa, da saß die Logik mal wieder in deiner Pfeife, was?“
Die Großmutter aber nahm ihre Nadelarbeit – ein warmes Kopftuch für die Schwiegertochter sollte es werden - wieder in die Hand und begann zu singen: „Bald nun ist Weihnachtszeit . . .“
Alle stimmten in das Lied mit ein, sogar der Opa.
Im Kamin knackten die brennenden Holzscheite und ließen die dick verschneite Welt draußen vergessen. Am Fenster glitzerten die Eisblumen in der untergehenden Sonne wie Diamanten und Rubine. Ole lächelte versonnen. Wenn es auch dieses Schauspiel immer wieder gab, es war doch wunderschön.
Der Abend war noch jung und Ole hoffte, dass er noch eine Geschichte zu hören bekommen würde. Diese Hoffnung wurde zum Teil erfüllt. Der Vater sprach nämlich: „Wisst ihr, was mir neulich einer erzählt hat? Er hätte einen Nachbarn . . .“
„Den hat ja fast jeder“, warf der Opa ein.
„Ja, aber der Nachbar hatte einen Schleierschwanz . . .“
Der Großvater prustete: „Dieter, halt an dich, so was gibbet doch gar nicht!“
„Doch, Papa, Schleierschwänze sind Zierfische. Gibbet in de Zoohandlung und man tut se in ein Aquarium“.
„Schön, mein Sohn“.
„Ja, schön sehen sie aus. Aber dieser Schleierschwanz, der antwortete seinem Besitzer. Früher hatte er ja mal einen Papagei, aber der ist ihm weggeflogen. Da hatte er sich eben diesen bunten Fisch gekauft, weil man aus einem Aquarium voll Wasser eben nicht so leicht entfliegen kann“.
„Kluger Mann“.
„Ja, aber es kommt noch besser. Der Hansiken, so hieß der Schleierschwanz, plapperte nicht einfach so drauf los wie n Papagei, sondern man konnte sich mit ihm richtig unterhalten. Er beantwortete fast jede Frage!“
„Sehr beeindruckend. Sag mal, mein Sohn, wie sieht denn so n Schleierschwanz aus?“
„Na, der hat glitzernde Schuppen, is etwa zehn Zentimeter lang und fünf Zentimeter dick und hat einen langen Schwanz, der wie ein Schleier runterhängt. Daher ja auch der Name“.
„Aha. Dann weiß ich, wo er den herhat“.
„Ach ja? Woher hat er den denn?“
„Von meinem alten Kumpel Kalle. Der hat ein Aquarium voller Fische, die genau so aussehen und jeden Tanz können. Sowie sie Musik hören, tanzen sie drauf los. Hab ich selber gesehen, als ich bei ihm war“.
„Das sah bestimmt ganz toll aus“.
„Das will ich meinen! Die Schwänze wedelten auf und nieder und hin und her, so schnell konnte man kaum kucken, du!“
„Und die Schuppen funkelten und blitzten in allen Farben“.
Der Großvater wendete sich seinem Sohn zu und fragte mit gespieltem Erstaunen: „Ach, hast du meinen alten Kumpel auch besucht?“
„Nee, aber ich kann mir das gut vorstellen“.
Die Mutter verkniff sich das Lachen und bat die Familie in die Küche zum Abendbrot. Sie dachte schmunzelnd: Was ist schon ein Winterabend ohne handfestes Seemannsgarn?
Die Kinder huschten den Erwachsenen voran in die Küche und setzten sich an den gedeckten Tisch.
Ole aber kletterte vorsichtig vom Kamin herunter und wollte sich in ein anderes Haus begeben.
Es war einmal ein Wichtel namens Ole Olaf Oskar Otto Olbrichzy, der lebte in einer kleinen Hafenstadt. Da er entfernt mit den Wassermännern in Elbe und Donau verwandt war, hatte es ihn zum Wasser hingezogen.
Im Sommer war es in dieser Hafenstadt auch recht nett, aber der Winter konnte mitunter sehr kalt sein. Manchmal war der kleine Hafen völlig zugefroren und die Schiffe konnten nicht auslaufen. Dann erzählten sich die Einwohner lange, fantasievolle Geschichten.
Ole hörte gerne zu, wenn solche Geschichten erzählt wurden. Aber er wusste nie genau, was einfach nur Geschichten sind oder was davon echt wahr ist.
Zum Beispiel saß er einmal bei der Fischerfamilie Olesen auf dem Kamin und hörte, wie die Großmutter das Märchen vom Teufel mit den drei goldenen Haaren erzählte. Danach gab es ein Gespräch, worüber er lange nachdenken musste. Als die Großmutter das Märchen zu Ende erzählt hatte, fragte die jüngste Enkelin: „Wachsen denn dem Teufel die Haare wieder nach?“
Da nahm der Großvater die Pfeife aus dem Mund und brummte: „Der Teufel hat gar keine goldenen Haare. Er hat nur blonde, weil er ja mal ein Engel war, und weiße, weil er ja schon so alt ist. Also auf seinem Kopf mischen sich blonde und weiße Haare wie bei der Heideschulzen Anna aus dem Nachbarort“.
Alles kicherte verhalten. Die Heideschulzen Anna war eine alte Frau, die aber noch nicht völlig ergraut war. Obwohl sie die Siebzig weit überschritten hatte, prangten auf ihrem Haupt noch immer einige blonde Strähnen.
Dann polterte die Großmutter: „Das ist ja ganz was Neues. Wann hast du denn den Teufel das letzte Mal gesehen, dass du das alles so genau weißt?“
„Ach, dazu muss man doch den Teufel nicht gesehen haben. Das ergibt die Logik. Wenn du nur einmal logisch denken würdest, wäre dir das auch klar“, schmunzelte der Alte.
„Hm, Logik, alles klar. Logik nützt aber nur im Zusammenhang mit Wissen. Der Teufel lebt in der Hölle, oder?“
„Hm“.
„In der Hölle ist es rußig, oder?“
„Hm“.
„Da wird der Teufel auch rußig, stimmt s?“
„Hm“.
„Also hat er schwarze Haare. Und weil der Teufel wasserscheu ist, hat er sich auch all die Zeit nicht gewaschen, der dreckige Dreckskerl, der. Da ist von blond und weiß nichts mehr zu sehen! Außerdem glaube ich, dass er vom Herrgott schwarze Haare bekommen hat, damit er farblich besser in seine Umgebung passt“.
Der Opa legte die Stirn in Falten und dachte nach, was er darauf wohl Gescheites antworten könnte.
Der Vater neckte: „Na, Opa, da saß die Logik mal wieder in deiner Pfeife, was?“
Die Großmutter aber nahm ihre Nadelarbeit – ein warmes Kopftuch für die Schwiegertochter sollte es werden - wieder in die Hand und begann zu singen: „Bald nun ist Weihnachtszeit . . .“
Alle stimmten in das Lied mit ein, sogar der Opa.
Im Kamin knackten die brennenden Holzscheite und ließen die dick verschneite Welt draußen vergessen. Am Fenster glitzerten die Eisblumen in der untergehenden Sonne wie Diamanten und Rubine. Ole lächelte versonnen. Wenn es auch dieses Schauspiel immer wieder gab, es war doch wunderschön.
Der Abend war noch jung und Ole hoffte, dass er noch eine Geschichte zu hören bekommen würde. Diese Hoffnung wurde zum Teil erfüllt. Der Vater sprach nämlich: „Wisst ihr, was mir neulich einer erzählt hat? Er hätte einen Nachbarn . . .“
„Den hat ja fast jeder“, warf der Opa ein.
„Ja, aber der Nachbar hatte einen Schleierschwanz . . .“
Der Großvater prustete: „Dieter, halt an dich, so was gibbet doch gar nicht!“
„Doch, Papa, Schleierschwänze sind Zierfische. Gibbet in de Zoohandlung und man tut se in ein Aquarium“.
„Schön, mein Sohn“.
„Ja, schön sehen sie aus. Aber dieser Schleierschwanz, der antwortete seinem Besitzer. Früher hatte er ja mal einen Papagei, aber der ist ihm weggeflogen. Da hatte er sich eben diesen bunten Fisch gekauft, weil man aus einem Aquarium voll Wasser eben nicht so leicht entfliegen kann“.
„Kluger Mann“.
„Ja, aber es kommt noch besser. Der Hansiken, so hieß der Schleierschwanz, plapperte nicht einfach so drauf los wie n Papagei, sondern man konnte sich mit ihm richtig unterhalten. Er beantwortete fast jede Frage!“
„Sehr beeindruckend. Sag mal, mein Sohn, wie sieht denn so n Schleierschwanz aus?“
„Na, der hat glitzernde Schuppen, is etwa zehn Zentimeter lang und fünf Zentimeter dick und hat einen langen Schwanz, der wie ein Schleier runterhängt. Daher ja auch der Name“.
„Aha. Dann weiß ich, wo er den herhat“.
„Ach ja? Woher hat er den denn?“
„Von meinem alten Kumpel Kalle. Der hat ein Aquarium voller Fische, die genau so aussehen und jeden Tanz können. Sowie sie Musik hören, tanzen sie drauf los. Hab ich selber gesehen, als ich bei ihm war“.
„Das sah bestimmt ganz toll aus“.
„Das will ich meinen! Die Schwänze wedelten auf und nieder und hin und her, so schnell konnte man kaum kucken, du!“
„Und die Schuppen funkelten und blitzten in allen Farben“.
Der Großvater wendete sich seinem Sohn zu und fragte mit gespieltem Erstaunen: „Ach, hast du meinen alten Kumpel auch besucht?“
„Nee, aber ich kann mir das gut vorstellen“.
Die Mutter verkniff sich das Lachen und bat die Familie in die Küche zum Abendbrot. Sie dachte schmunzelnd: Was ist schon ein Winterabend ohne handfestes Seemannsgarn?
Die Kinder huschten den Erwachsenen voran in die Küche und setzten sich an den gedeckten Tisch.
Ole aber kletterte vorsichtig vom Kamin herunter und wollte sich in ein anderes Haus begeben.