Sein und Schein
Endlich zu Hause. Ich werfe meine Aktentasche in die Ecke und schäle mich mühsam aus dem engen Kostüm, das wie Zuckerguss an meinem Körper klebt. Meine Güte, was für eine Hitze! Durch das Küchenfenster beobachte ich voll Mitleid, wie vier schweißgebadete Möbelpacker ein gewaltiges rotes Plüschsofa zum Nachbarhaus schleifen. Ich schaue auf das Thermometer: vierunddreißig Grad im Schatten. So heiß war es das letzte Mal am dreizehnten August letzten Jahres. Das weiß ich so genau, weil ich diesen Tag nicht so schnell vergessen werde.
Alles fing damit an, dass die Fürstenbergs, ein Ehepaar mittleren Alters, zu Beginn des Sommers das Nachbarhaus kauften. Ich traf Frau Fürstenberg nach ihrem Einzug nur hin und wieder beim Friseur, wo sie sich mindestens einmal in der Woche die Haare machen ließ und dem üblichen Vorstadttratsch lauschte; ansonsten hatten wir keinen Kontakt. Das ist auch kein Wunder, denn zwischen ihrem Lebensstil und dem Meinen lagen Welten. Mein Freund und ich arbeiteten beide und mussten trotzdem an allen Ecken und Enden sparen, um das Haus halten zu können. Frau Fürstenberg und ihr Mann dagegen verbrachten die meiste Zeit in ihrem großen Garten und schwammen scheinbar nur so im Geld, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen. Gleich nach ihrem Einzug hatten sie alle Beete umgraben und Rollrasen verlegen lassen, der aussah, als werde er täglich mit der Nagelschere geschnitten. Nur entlang der Grundstücksgrenze ließen sie hohe Büsche pflanzen, sodass wir zwar noch durch die Äste lugen konnten, aber keinen freien Blick mehr auf ihr Grundstück hatten. Vielleicht wollten sie sich aber auch nur den Anblick unseres kleinen verwilderten Gartens ersparen, für dessen Pflege wir einfach keine Zeit fanden. Jeden Tag, wenn ich aus dem Büro nach Hause kam, lagen die Fürstenbergs bereits unbeweglich in ihren hölzernen Liegestühlen, die exakt in der Mitte des Rasens standen und deren Lehnen sich beinahe berührten. Daneben stand ein Beistelltischchen, auf dem sich Zeitungen stapelten und Getränke standen. Ja, ich gebe es zu – ich war neidisch. Neidisch auf ihr Geld, auf die Freizeit, die sie hatten und neidisch auf die Harmonie, die zwischen den beiden zu herrschen schien.
Selbst äußerlich demonstrierten sie ihre Zusammengehörigkeit, indem sie die gleichen weiten Gewänder, Hüte und Sonnenbrillen trugen, um sich vor der Sonne zu schützen.
Die Missgunst nagte so sehr an mir, dass ich den Fürstenbergs von Herzen die Pest, oder zumindest die Einbrecher an den Hals wünschte, die in letzter Zeit am helllichten Tag unsere Gegend unsicher machten. Aber selbst davor schienen unsere glücklichen Nachbarn gefeit, obwohl sie offensichtlich zu den Wohlhabendsten des Viertels zählten.
Dann kam der Nachmittag des dreizehnten August. Es war außergewöhnlich heiß an diesem Tag – so wie heute. Ich war gerade nach Hause gekommen, warf Schuhe und Aktentasche in die Ecke und ging in den Garten. Ich schnupperte. Irgendwie roch es angebrannt. Schnüffelnd ging ich umher, bis ich bemerkte, dass der Gestank von den Fürstenbergs herüberzog. Ich spähte durch die Zweige eines Busches. Tatsächlich! Die Zeitungen auf dem Beistelltisch brannten lichterloh. Scheinbar hatte die leere Glasflasche auf dem Tisch in der Hitze wie ein Brennglas gewirkt und das trockene Papier entzündet. Die Fürstenbergs lagen in ihren Liegestühlen und rührten sich nicht; offensichtlich schliefen sie wie die Murmeltiere. Ich rief, schrie und gestikulierte. Nichts geschah.
„Das ist alles deine Schuld – du hast ihnen das Unglück an den Hals gewünscht!“ ging es mir durch den Kopf.
Voller Gewissensbisse rannte ich hinüber zum Nachbarhaus, klingelte Sturm, und hämmerte mit den Fäusten an die Tür. Keine Reaktion. Die alte Frau Müller von gegenüber öffnete ihre Haustür und sah neugierig herüber.
„Bei den Fürstenbergs brennt es“ schrie ich atemlos hinüber und hetzte zurück ins Haus.
Frau Müller wollte sich das wohl nicht entgehen lassen und humpelte so schnell sie konnte mir nach. Wieder im Garten sah ich, dass ein Teil der brennenden Zeitungen inzwischen auf den Boden gefallen war und Frau Fürstenbergs Liegestuhl entflammt hatte. Ich konnte es nicht glauben, die beiden schliefen immer noch. Ich hastete zum Telefon und rief die Feuerwehr an. Plötzlich hörte ich einen schrillen Aufschrei und rannte zurück in den Garten. Die Augen weit aufgerissen und die Hände krampfhaft gefaltet, stand dort die alte Frau Müller und starrte entgeistert nach oben.
„Jesus, Maria und Joseph. Die Fürstenbergs steigen in den Himmel auf. Was müssen das für gute Menschen gewesen sein!“, flüsterte sie ehrfürchtig und bekreuzigte sich.
Tatsächlich zischten das Paar raketengleich nach oben, wobei sie immer mehr an Umfang verloren. Mit offenem Mund sah ich ihnen nach. Plötzlich bremsten die Beiden ab und trudelten langsam wieder Richtung Erde. Frau Müller schnappte nach Luft, dann wurde sie ohnmächtig. Ich ließ mich völlig verdattert neben ihr ins Gras fallen. Zum Glück traf in diesem Augenblick die Feuerwehr samt Krankenwagen ein, sodass die arme Frau Müller gleich versorgt werden konnte. Der Brand konnte binnen kurzer Zeit gelöscht werden, ohne dass jemand ernsthaft zu Schaden gekommen war. Es stellte sich nämlich heraus, dass nicht die Fürstenbergs, sondern zwei verkleidete Gummipuppen festgebunden in den Liegestühlen gelegen hatten. Als das Feuer von unten Löcher in den Kunststoff gebrannt hatte, hoben die Doppelgänger ab wie Heißluftballons. Die Polizei wurde durch diesen Vorfall misstrauisch und konnte die Fürstenbergs schließlich als bundesweit gesuchtes Gangsterpärchen identifizieren, das schon seit Jahren sein Unwesen trieb und die Gummipuppen als Alibi benutzte.
Nachdenklich wende ich meine Aufmerksamkeit wieder den Möbelpackern zu, die gerade einen schwarz-glänzenden Flügel in das Haus nebenan tragen.
„Ob der Klang hält, was die Optik verspricht, wird sich noch zeigen“, denke ich laut, und setze mich neidlos an mein altes verschrammtes Klavier.
Endlich zu Hause. Ich werfe meine Aktentasche in die Ecke und schäle mich mühsam aus dem engen Kostüm, das wie Zuckerguss an meinem Körper klebt. Meine Güte, was für eine Hitze! Durch das Küchenfenster beobachte ich voll Mitleid, wie vier schweißgebadete Möbelpacker ein gewaltiges rotes Plüschsofa zum Nachbarhaus schleifen. Ich schaue auf das Thermometer: vierunddreißig Grad im Schatten. So heiß war es das letzte Mal am dreizehnten August letzten Jahres. Das weiß ich so genau, weil ich diesen Tag nicht so schnell vergessen werde.
Alles fing damit an, dass die Fürstenbergs, ein Ehepaar mittleren Alters, zu Beginn des Sommers das Nachbarhaus kauften. Ich traf Frau Fürstenberg nach ihrem Einzug nur hin und wieder beim Friseur, wo sie sich mindestens einmal in der Woche die Haare machen ließ und dem üblichen Vorstadttratsch lauschte; ansonsten hatten wir keinen Kontakt. Das ist auch kein Wunder, denn zwischen ihrem Lebensstil und dem Meinen lagen Welten. Mein Freund und ich arbeiteten beide und mussten trotzdem an allen Ecken und Enden sparen, um das Haus halten zu können. Frau Fürstenberg und ihr Mann dagegen verbrachten die meiste Zeit in ihrem großen Garten und schwammen scheinbar nur so im Geld, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen. Gleich nach ihrem Einzug hatten sie alle Beete umgraben und Rollrasen verlegen lassen, der aussah, als werde er täglich mit der Nagelschere geschnitten. Nur entlang der Grundstücksgrenze ließen sie hohe Büsche pflanzen, sodass wir zwar noch durch die Äste lugen konnten, aber keinen freien Blick mehr auf ihr Grundstück hatten. Vielleicht wollten sie sich aber auch nur den Anblick unseres kleinen verwilderten Gartens ersparen, für dessen Pflege wir einfach keine Zeit fanden. Jeden Tag, wenn ich aus dem Büro nach Hause kam, lagen die Fürstenbergs bereits unbeweglich in ihren hölzernen Liegestühlen, die exakt in der Mitte des Rasens standen und deren Lehnen sich beinahe berührten. Daneben stand ein Beistelltischchen, auf dem sich Zeitungen stapelten und Getränke standen. Ja, ich gebe es zu – ich war neidisch. Neidisch auf ihr Geld, auf die Freizeit, die sie hatten und neidisch auf die Harmonie, die zwischen den beiden zu herrschen schien.
Selbst äußerlich demonstrierten sie ihre Zusammengehörigkeit, indem sie die gleichen weiten Gewänder, Hüte und Sonnenbrillen trugen, um sich vor der Sonne zu schützen.
Die Missgunst nagte so sehr an mir, dass ich den Fürstenbergs von Herzen die Pest, oder zumindest die Einbrecher an den Hals wünschte, die in letzter Zeit am helllichten Tag unsere Gegend unsicher machten. Aber selbst davor schienen unsere glücklichen Nachbarn gefeit, obwohl sie offensichtlich zu den Wohlhabendsten des Viertels zählten.
Dann kam der Nachmittag des dreizehnten August. Es war außergewöhnlich heiß an diesem Tag – so wie heute. Ich war gerade nach Hause gekommen, warf Schuhe und Aktentasche in die Ecke und ging in den Garten. Ich schnupperte. Irgendwie roch es angebrannt. Schnüffelnd ging ich umher, bis ich bemerkte, dass der Gestank von den Fürstenbergs herüberzog. Ich spähte durch die Zweige eines Busches. Tatsächlich! Die Zeitungen auf dem Beistelltisch brannten lichterloh. Scheinbar hatte die leere Glasflasche auf dem Tisch in der Hitze wie ein Brennglas gewirkt und das trockene Papier entzündet. Die Fürstenbergs lagen in ihren Liegestühlen und rührten sich nicht; offensichtlich schliefen sie wie die Murmeltiere. Ich rief, schrie und gestikulierte. Nichts geschah.
„Das ist alles deine Schuld – du hast ihnen das Unglück an den Hals gewünscht!“ ging es mir durch den Kopf.
Voller Gewissensbisse rannte ich hinüber zum Nachbarhaus, klingelte Sturm, und hämmerte mit den Fäusten an die Tür. Keine Reaktion. Die alte Frau Müller von gegenüber öffnete ihre Haustür und sah neugierig herüber.
„Bei den Fürstenbergs brennt es“ schrie ich atemlos hinüber und hetzte zurück ins Haus.
Frau Müller wollte sich das wohl nicht entgehen lassen und humpelte so schnell sie konnte mir nach. Wieder im Garten sah ich, dass ein Teil der brennenden Zeitungen inzwischen auf den Boden gefallen war und Frau Fürstenbergs Liegestuhl entflammt hatte. Ich konnte es nicht glauben, die beiden schliefen immer noch. Ich hastete zum Telefon und rief die Feuerwehr an. Plötzlich hörte ich einen schrillen Aufschrei und rannte zurück in den Garten. Die Augen weit aufgerissen und die Hände krampfhaft gefaltet, stand dort die alte Frau Müller und starrte entgeistert nach oben.
„Jesus, Maria und Joseph. Die Fürstenbergs steigen in den Himmel auf. Was müssen das für gute Menschen gewesen sein!“, flüsterte sie ehrfürchtig und bekreuzigte sich.
Tatsächlich zischten das Paar raketengleich nach oben, wobei sie immer mehr an Umfang verloren. Mit offenem Mund sah ich ihnen nach. Plötzlich bremsten die Beiden ab und trudelten langsam wieder Richtung Erde. Frau Müller schnappte nach Luft, dann wurde sie ohnmächtig. Ich ließ mich völlig verdattert neben ihr ins Gras fallen. Zum Glück traf in diesem Augenblick die Feuerwehr samt Krankenwagen ein, sodass die arme Frau Müller gleich versorgt werden konnte. Der Brand konnte binnen kurzer Zeit gelöscht werden, ohne dass jemand ernsthaft zu Schaden gekommen war. Es stellte sich nämlich heraus, dass nicht die Fürstenbergs, sondern zwei verkleidete Gummipuppen festgebunden in den Liegestühlen gelegen hatten. Als das Feuer von unten Löcher in den Kunststoff gebrannt hatte, hoben die Doppelgänger ab wie Heißluftballons. Die Polizei wurde durch diesen Vorfall misstrauisch und konnte die Fürstenbergs schließlich als bundesweit gesuchtes Gangsterpärchen identifizieren, das schon seit Jahren sein Unwesen trieb und die Gummipuppen als Alibi benutzte.
Nachdenklich wende ich meine Aufmerksamkeit wieder den Möbelpackern zu, die gerade einen schwarz-glänzenden Flügel in das Haus nebenan tragen.
„Ob der Klang hält, was die Optik verspricht, wird sich noch zeigen“, denke ich laut, und setze mich neidlos an mein altes verschrammtes Klavier.