Showdown
Michaela blickte auf. Da also war er: Groß und schön und voller Erwartung. Michaela wußte nicht, was er erwartete, und sie wußte nicht, was sie ihm anbieten sollte. Sie konnte ihm die neue Theorie vortragen und sich damit auf der sichern Seite bewegen. Sie konnte ihm aber auch ihre Seele öffnen…
Alles fing damit an, daß Michaela nach Fagoon kam, um ihre Dissertation zu beenden. Irgend jemand hatte ihr gesagt, daß man in der Gegenwart des Nebels reinere Gedanke hätte, sich kühnere Ideen einstellten, Lösungen schneller offenbar wurden. Und tatsächlich war es so. Michaela hatte sich rasch angewöhnt, nachts für zwei bis vier Stunden ins Arboretum zu gehen, sich auf eine Bank zu setzen und durch die Glaskuppel hinauf in den Nebel zu schauen. Sie löste ihre Gedanken von der Leine des Alltags und ließ sie dort hinauf treiben, sich umtun und kräftigen und fand am nächsten Morgen immer wieder neuen Stoff für ihre Arbeit darin vor.
[ 3]Eines Morgens aber wachte sie nicht wieder auf. Sie fühlte sich den beginnenden Tag wahrnehmen, doch sie konnte ihn nicht sehen, nicht die künstlichen Vogelstimmen hören, nicht den Duft des frischen Kaffees riechen. All das war da, sie spürte es, aber es war anders. Schließlich begriff Michaela, daß sie nur Gedanken hatte, keine Sinne mehr. Sie dachte, ein Lächeln sei im Hintergrund, und es war im Hintergrund, schob sich nach vorn und dachte: „Willkommen“.
[ 3]„Wo willkommen?“ fragten Michaelas Gedanken.
[ 3]„In mir“, antwortete das Lächeln und zerfloß zu einem weichen Nebel.
[ 3]„Warum?“ dachte Michaela und der weiche Nebel erwiderte in ihrem Hirn: „Weil du voller neuer Ideen bist. Sie gefallen mir. Ich möchte gern mehr und mehr und mehr davon.“
[ 3]„Wie denn?“
[ 3]„Denke sie einfach! Frage nicht!“
[ 3]„Aber wozu? Ich meine…“
[ 3]„Ich weiß, was du meinst. Es ist mir Vergnügen. Wenn ihr in meiner Nähe lebt, lebe ich von eurer Energie. Wenn ihr denkt, denke ich mit euren Worten. Doch wenn ihr Neues schöpft, empfinde ich Vergnügen. Dein Schöpfen ist besonders stark.“
[ 3]Und wieder dachte Michaela sich den Nebel lächeln. Es war ein wunderbarer Gedanke. Er rieselte wie viele kleine Gekicher durch ihren Körper, blühte mohngleich auf, flammte abendrot auf einem Seespiegel, zog die Realität zu den Sternen hinauf und weiter in die Unendlichkeit…
[ 3]Ein Stich brach ein. Michaela fuhr auf. „Was soll das??!!“
[ 3]Jemand atmete erleichtert auf: Ein Mann, Jo kannte das Gesicht, es war das des Chefarztes der Station, was aber machte der in ihrem Quartier, war sie denn in ihrem Quartier? nein, aber wieso denn nicht…
[ 3]„Schön, daß Sie wieder bei uns sind“, sagte der Arzt.
[ 3]„Wo war ich?“ hörte Michaela ihre krächzende Stimme.
[ 3]„Einen Augenblick“, bat der Mannund drehte sich zu einer Frau um, vermutlich eine Schwester, denn er ließ sich von ihr etwas geben. Er sagte dabei: „Sie lagen im Koma, Michaela. Wahrscheinlich haben Sie zu oft in den Nebel gesehen.“
[ 3]Sie fühlte sich ertappt, ohne zu wissen, wobei. „Wie meinen Sie das?“
[ 3]„Nun“, erwiderte der Arzt und drehte sich wieder um, reichte Michaela einen Becher. „Trinken Sie das, es kräftigt Sie.“
[ 3]Michaela gehorchte.
[ 3]Der Arzt setzte sich zu ihr auf die Bettkante, nahm ihre Hände. Michaela konnte nun das Namensschild an seinem Kittel lesen, Dr. Pohlt, und wußte plötzlich, daß sie in einem Krankenzimmer war. Dr. Pohlt senkte seinen Blick in den Michaelas und sagte: „Was Sie erlebt haben, nennen wir das Nebel-Syndrom. Was die wenigsten wissen: Der Nebel pulsiert unterschwellig. Dadurch entsteht eine hypnotische Wirkung, und wenn man anfällig für so etwas ist, gerät man leicht in eine Art Rauschzustand. Man glaubt, in den Nebel eingetaucht zu sein, und direkten Zugang zu allen Erkenntnissen zu haben. Auch zu den noch nicht gemachten.“
[ 3]Bei mir war es aber anders, wollte Michaela sagen, schwieg dann jedoch. Sie fühlte den Nachhall roten Loderns in sich, so unausweichlich, daß die bloße Erwähnung sie in diese Flammen zurückgestürzt hätte. Es machte ihr Angst. Und war doch zugleich ein so unendlich lockender Gedanke…
[ 3]„Nun“, rettete Dr. Pohlt Michaela vor dem Fallen. „Sie sollten wieder ok sein. Am besten, Sie gehen in Ihr Quartier, legen sich hin und ruhen sich noch ein Weilchen aus. Vor allem aber meiden Sie in den nächsten ein, zwei Wochen das Arboretum.“
[ 3]Und Michaela mied das Arboretum. Einen Tag lang. Einen zweiten. Einen dritten sogar. In der vierten Nacht schlich sie sich hinein, nur um einen winzigen Blick auf den Nebel zu werfen. Er war so groß und so weich und so schön wie immer. Michaela setzte sich. Der Nebel über ihr begann zu pulsieren, eine Funke huschte durch das Weich und Michaela dachte den Nebel lächeln. Sie lächelte ebenfalls.
[ 3]„Willkommen zurück“, dachte der Nebel in ihr. „Hast du eine neue Theorie mitgebracht?“
[ 3]Michaela schüttelte den Kopf.
[ 3]Ein Wundern glitt himmelblau durch den Nebel. „Aber ich bin vergnügt“, tropften seine Gedanken in Michaelas Körper. Dann ein gelbes Kichern: „Du hast neue Bilder mitgebracht. Gedanken-Farben, das ist schön. Noch nie hat mir jemand neue Wortbilder gebracht. Das ist noch vergnüglicher als neue Theorien. Wie schöpfst du die Wortbilder?“
[ 3]„Ich weiß nicht“, dachte Michaela. „Sie entstehen in meiner Seele.“
[ 3]Eine Flamme schoß auf: „Kannst du mir diese Seele geben?“
[ 3]Fall nicht in die Glut, Michaela! „Dann würde ich sterben.“
[ 3]Türkisne Wellen Unschlüssigkeit zogen Kreise. „Was heißt das?“
[ 3]„Ich würde aufhören zu denken“, die bordeauxfarbne Antwort.
[ 3]Lindgrüne Hoffnung: „Aber du würdest weiter Wortbilder malen?“
[ 3]Michaela lag schwerelos auf blutrotem Wasser. „Ich weiß nicht, Nebel. Vielleicht.“
[ 3]„Deine Seele oder deine Gedanken“, sinnierte er wächsern. „Deine Seele bringt mir mehr Vergnügen. Deine Gedanken bringen mir mehr Stärke.“
[ 3]„Was von beidem hättest du gern?“
[ 3]Die Farben trübten sich. „Ich weiß nicht, Michaela, ich weiß nicht…“
Michaela blickte auf. Da also war er: Groß und schön und voller Erwartung. Sie hatte ihm versprochen, wiederzukommen. Und noch in diesem Moment wußte sie nicht, was sie ihmgeben würde. Sie hatte da diese neue Theorie über die Entstehung von Salonen. Die würde ihm gefallen.
[ 3]Aber Michaela hatte auch Sehnsucht, Sehnsucht nach den unausweichlichen Farben. Wenn sie ihr Ich für diese Farben öffnete, was konnte passieren? Sie konnte ins Koma fallen und nie wieder erwachen. Sie konnte ins Koma fallen und enttäuscht wiedererwachen. Oder er hatte beschlossen, ihre Seele nicht zu berühren und sie würde sich in der Kälte des nebligen Weiß verlieren. Wußte er, daß sie ihm ihre Seele anzubieten bereit war? Wenn nicht: Wie reagierte er, wenn sie es tat? Und was eigentlich erwartete er dann von ihr? Jetzt, wo sie vor ihm stand…
[ 3]Michaela schloß die Augen, spürte die azurne Weichheit seiner Erwartung in sich. Ihre Seele oder ihre Gedanken? Und sie begann: „Es gibt da diese Teilchen, die Salonen…“
Michaela blickte auf. Da also war er: Groß und schön und voller Erwartung. Michaela wußte nicht, was er erwartete, und sie wußte nicht, was sie ihm anbieten sollte. Sie konnte ihm die neue Theorie vortragen und sich damit auf der sichern Seite bewegen. Sie konnte ihm aber auch ihre Seele öffnen…
Alles fing damit an, daß Michaela nach Fagoon kam, um ihre Dissertation zu beenden. Irgend jemand hatte ihr gesagt, daß man in der Gegenwart des Nebels reinere Gedanke hätte, sich kühnere Ideen einstellten, Lösungen schneller offenbar wurden. Und tatsächlich war es so. Michaela hatte sich rasch angewöhnt, nachts für zwei bis vier Stunden ins Arboretum zu gehen, sich auf eine Bank zu setzen und durch die Glaskuppel hinauf in den Nebel zu schauen. Sie löste ihre Gedanken von der Leine des Alltags und ließ sie dort hinauf treiben, sich umtun und kräftigen und fand am nächsten Morgen immer wieder neuen Stoff für ihre Arbeit darin vor.
[ 3]Eines Morgens aber wachte sie nicht wieder auf. Sie fühlte sich den beginnenden Tag wahrnehmen, doch sie konnte ihn nicht sehen, nicht die künstlichen Vogelstimmen hören, nicht den Duft des frischen Kaffees riechen. All das war da, sie spürte es, aber es war anders. Schließlich begriff Michaela, daß sie nur Gedanken hatte, keine Sinne mehr. Sie dachte, ein Lächeln sei im Hintergrund, und es war im Hintergrund, schob sich nach vorn und dachte: „Willkommen“.
[ 3]„Wo willkommen?“ fragten Michaelas Gedanken.
[ 3]„In mir“, antwortete das Lächeln und zerfloß zu einem weichen Nebel.
[ 3]„Warum?“ dachte Michaela und der weiche Nebel erwiderte in ihrem Hirn: „Weil du voller neuer Ideen bist. Sie gefallen mir. Ich möchte gern mehr und mehr und mehr davon.“
[ 3]„Wie denn?“
[ 3]„Denke sie einfach! Frage nicht!“
[ 3]„Aber wozu? Ich meine…“
[ 3]„Ich weiß, was du meinst. Es ist mir Vergnügen. Wenn ihr in meiner Nähe lebt, lebe ich von eurer Energie. Wenn ihr denkt, denke ich mit euren Worten. Doch wenn ihr Neues schöpft, empfinde ich Vergnügen. Dein Schöpfen ist besonders stark.“
[ 3]Und wieder dachte Michaela sich den Nebel lächeln. Es war ein wunderbarer Gedanke. Er rieselte wie viele kleine Gekicher durch ihren Körper, blühte mohngleich auf, flammte abendrot auf einem Seespiegel, zog die Realität zu den Sternen hinauf und weiter in die Unendlichkeit…
[ 3]Ein Stich brach ein. Michaela fuhr auf. „Was soll das??!!“
[ 3]Jemand atmete erleichtert auf: Ein Mann, Jo kannte das Gesicht, es war das des Chefarztes der Station, was aber machte der in ihrem Quartier, war sie denn in ihrem Quartier? nein, aber wieso denn nicht…
[ 3]„Schön, daß Sie wieder bei uns sind“, sagte der Arzt.
[ 3]„Wo war ich?“ hörte Michaela ihre krächzende Stimme.
[ 3]„Einen Augenblick“, bat der Mannund drehte sich zu einer Frau um, vermutlich eine Schwester, denn er ließ sich von ihr etwas geben. Er sagte dabei: „Sie lagen im Koma, Michaela. Wahrscheinlich haben Sie zu oft in den Nebel gesehen.“
[ 3]Sie fühlte sich ertappt, ohne zu wissen, wobei. „Wie meinen Sie das?“
[ 3]„Nun“, erwiderte der Arzt und drehte sich wieder um, reichte Michaela einen Becher. „Trinken Sie das, es kräftigt Sie.“
[ 3]Michaela gehorchte.
[ 3]Der Arzt setzte sich zu ihr auf die Bettkante, nahm ihre Hände. Michaela konnte nun das Namensschild an seinem Kittel lesen, Dr. Pohlt, und wußte plötzlich, daß sie in einem Krankenzimmer war. Dr. Pohlt senkte seinen Blick in den Michaelas und sagte: „Was Sie erlebt haben, nennen wir das Nebel-Syndrom. Was die wenigsten wissen: Der Nebel pulsiert unterschwellig. Dadurch entsteht eine hypnotische Wirkung, und wenn man anfällig für so etwas ist, gerät man leicht in eine Art Rauschzustand. Man glaubt, in den Nebel eingetaucht zu sein, und direkten Zugang zu allen Erkenntnissen zu haben. Auch zu den noch nicht gemachten.“
[ 3]Bei mir war es aber anders, wollte Michaela sagen, schwieg dann jedoch. Sie fühlte den Nachhall roten Loderns in sich, so unausweichlich, daß die bloße Erwähnung sie in diese Flammen zurückgestürzt hätte. Es machte ihr Angst. Und war doch zugleich ein so unendlich lockender Gedanke…
[ 3]„Nun“, rettete Dr. Pohlt Michaela vor dem Fallen. „Sie sollten wieder ok sein. Am besten, Sie gehen in Ihr Quartier, legen sich hin und ruhen sich noch ein Weilchen aus. Vor allem aber meiden Sie in den nächsten ein, zwei Wochen das Arboretum.“
[ 3]Und Michaela mied das Arboretum. Einen Tag lang. Einen zweiten. Einen dritten sogar. In der vierten Nacht schlich sie sich hinein, nur um einen winzigen Blick auf den Nebel zu werfen. Er war so groß und so weich und so schön wie immer. Michaela setzte sich. Der Nebel über ihr begann zu pulsieren, eine Funke huschte durch das Weich und Michaela dachte den Nebel lächeln. Sie lächelte ebenfalls.
[ 3]„Willkommen zurück“, dachte der Nebel in ihr. „Hast du eine neue Theorie mitgebracht?“
[ 3]Michaela schüttelte den Kopf.
[ 3]Ein Wundern glitt himmelblau durch den Nebel. „Aber ich bin vergnügt“, tropften seine Gedanken in Michaelas Körper. Dann ein gelbes Kichern: „Du hast neue Bilder mitgebracht. Gedanken-Farben, das ist schön. Noch nie hat mir jemand neue Wortbilder gebracht. Das ist noch vergnüglicher als neue Theorien. Wie schöpfst du die Wortbilder?“
[ 3]„Ich weiß nicht“, dachte Michaela. „Sie entstehen in meiner Seele.“
[ 3]Eine Flamme schoß auf: „Kannst du mir diese Seele geben?“
[ 3]Fall nicht in die Glut, Michaela! „Dann würde ich sterben.“
[ 3]Türkisne Wellen Unschlüssigkeit zogen Kreise. „Was heißt das?“
[ 3]„Ich würde aufhören zu denken“, die bordeauxfarbne Antwort.
[ 3]Lindgrüne Hoffnung: „Aber du würdest weiter Wortbilder malen?“
[ 3]Michaela lag schwerelos auf blutrotem Wasser. „Ich weiß nicht, Nebel. Vielleicht.“
[ 3]„Deine Seele oder deine Gedanken“, sinnierte er wächsern. „Deine Seele bringt mir mehr Vergnügen. Deine Gedanken bringen mir mehr Stärke.“
[ 3]„Was von beidem hättest du gern?“
[ 3]Die Farben trübten sich. „Ich weiß nicht, Michaela, ich weiß nicht…“
Michaela blickte auf. Da also war er: Groß und schön und voller Erwartung. Sie hatte ihm versprochen, wiederzukommen. Und noch in diesem Moment wußte sie nicht, was sie ihmgeben würde. Sie hatte da diese neue Theorie über die Entstehung von Salonen. Die würde ihm gefallen.
[ 3]Aber Michaela hatte auch Sehnsucht, Sehnsucht nach den unausweichlichen Farben. Wenn sie ihr Ich für diese Farben öffnete, was konnte passieren? Sie konnte ins Koma fallen und nie wieder erwachen. Sie konnte ins Koma fallen und enttäuscht wiedererwachen. Oder er hatte beschlossen, ihre Seele nicht zu berühren und sie würde sich in der Kälte des nebligen Weiß verlieren. Wußte er, daß sie ihm ihre Seele anzubieten bereit war? Wenn nicht: Wie reagierte er, wenn sie es tat? Und was eigentlich erwartete er dann von ihr? Jetzt, wo sie vor ihm stand…
[ 3]Michaela schloß die Augen, spürte die azurne Weichheit seiner Erwartung in sich. Ihre Seele oder ihre Gedanken? Und sie begann: „Es gibt da diese Teilchen, die Salonen…“