edward varelans III.
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Die ersten zwei Dinge, die mir auffielen, als ich nach Deutschland kam, waren, dass man hier all unseren Filmen saudämliche Unter- oder Synchrontitel gibt (“Die unglaubliche Reise in einem total verrückten Flugzeug” heisst bei uns einfach airplane) und dass der Drummer von Wolfgang Petry ein fake ist. Diese Erfahrungen habe ich an meinem ersten Abend in einem Düsseldorfer Hotel gemacht. Ach ja, man ist auch nicht begeistert, wenn man hier in einem Hotel den Fernseher eintritt. Bei uns auch nicht.
Nun bin ich wieder hier. Unten hupt ein olivgrüner Lincoln und ich hänge mich halb zwischen die Jalousien und denke nach über Clay. Da fällt mir Joseph Haydn ein, der Wiener Grossmeister der sinfonischen Disziplin. Der 75jährige Greis ist voller Angst im Mai des Jahres 1809 verschieden, als die Truppen Napoleons in Wien einrückten. Welcher Schrecken muss den hochbetagten Greis befallen haben, der im Leben und in der Musik nichts als Sicherheit suchte und fand?
1761 war das goldene Jahr für Joseph Haydn. Er war damals 29 Jahre alt, hatte sich bereits als Hausdiener bei reichen Fatzkes durchgeschlagen und schliesslich bei den Fürsten Esterházy Anstellung bei Hofe gefunden. Er war dort weniger Künstler als vielmehr Jobber. Umso erstaunlicher kommt es uns vor, dass der Meister mindestens 104 Sinfonien verfasst hat, von denen keine einzige der anderen gleicht. Kaum einer der europäischen Meister hat damit so viel Facettenreichtum bewiesen, kaum ein Vertreter der deutschen Klassik hat auf so abwechslungsreiche Art und Weise die Menschen seiner und unserer Zeit ergötzt.
Jedenfalls fand Haydn hier die Sicherheit, die er für sein Arbeiten so brauchte, die ihm die nötige Beschwingtheit verlieh. “Le Matin” - die Sinfonie No. 5, weist diese charakteristische Nonchalance auf und bezaubert den Hörer nicht nur mit klaren klanglichen Strukturen; erstmals finden sich hier auch Soloepisoden für die Blasinstrumente, auffallende Neuheit in der Szene.
Und so schliesst sich der frühe Zyklus; Le Matin - Le Midi - Le Soir; zu einem schönen Kreis zusammen. Das ist etwas Erhabenes und so stelle ich das Bier wieder weg und wende mich einem Fiano d’Avellino zu. Gestreifte Schatten, zerschnitten von den Blechlamellen der Jalousien, fallen in mein Gesicht, ich schwenke den Zinnbecher und höre meine Mutter am Telefon weinen. Ich gehe durch die Wohnung, so weit die Schnur reicht. Die No. 22 “Der Philosoph”, ist ein vergleichsweise handfestes Werk. Voller humoresker Nuancen, voller frecher Anspielungen!
Hatte Haydn vor allem seine ersten Sätze anfangs aus dem melodischen Material mehrerer Themen aufgebaut - in der ersten Sinfonie waren es deren fünf! -, so zeigt sich seit dem Ende der sechziger Jahre bei ihm ein starkes Streben nach Konzentration und Vereinfachung. Er versteht es mehr und mehr, mit ganz einfachen Melodien ein ganzes sinfonisches Thema zu erstellen. Kapriziös seine variantenreiche Instrumentierung! Die No. 31 weiss er mit einer Menge Hörner als Jagdsinfonie dar zu stellen.
Eine junge Blondine mit fast nackten Brüsten quält sich aus dem Lincoln und ich denke, dass der Fiano eine gute Figur macht. Der dunkle Winter von 1772 muss ein dumpfes Licht auf das Schaffen des Meisters geworfen haben. Denn der “Trauersinfonie” No. 44 folgt in diesem Jahr die “Abschiedssinfonie” (No. 45). Sie sind wie goldener Herbstwein, gegen das Kaminfeuer gehalten, ruhiger als die früher entstandene und recht kratzige “La Passione”, Opfer der Werkzählung.
Der “Schulmeister” (No. 55) bringt wieder etwas Entspannung in eine Phase von Haydns Schaffen, die von kreativer Überfülle aber auch von gewisser Übersättigung und Auszehrung zugleich geprägt war. Ich trinke. Ein tiefer Zug.
Der “Schulmeister” wackelt und gackert wieder so beschwingt daher, Haydn greift zunehmend zu Experimenten mit wechselnder Lautstärke. Er hat seinen Spass daran, bei Aufführungen die Zuschauer aus dem wohlverdienten Schlaf zu reissen (Oh nein, mehr als nur Anekdote)! Im übrigen bin ich der Meinung, dass man die Schläfer im Konzertsaal mit konsequenter Schärfe an Ort und Stelle enthaupten sollte, sinniere ich und lege nun auf. Genug Geseier!
1785 geht Haydn nach Paris. Es entsteht eine Reihe von Sinfonien, die “Pariser”. Bei der Werkzählung gibts hier schon wieder Probleme; Mandyczewski hat da 1907 wohl etwas durcheinander gebracht. Bei allem Respekt.
Das “Huhn” (No. 83, 1785) sind erste Anzeichen einer altersbedingten Verschmitzheit, sie macht den alten Haydn liebenswert und typisch. Aber er ist auch unruhig geworden, hört euch nur das federnde Menuett an! rufe ich beschwingt, und Babette schliesst die Wohnungstür auf. Von vorn, aus gleicher Höhe, sehen ihre Brüste ganz wohlverpackt aus. Ich küsse sie und sage, dass die No. 93 den Auftakt zu den 12 berühmten “Londoner Sinfonien” bildet, was sie mit Befremden aufnimmt. Dazu war sie nicht gekommen. Sie kennt nur “die mit dem Paukenschlag” (No. 94). Ich weiss. Ich habe ein Portrait von Haydn, ein Gemälde aus dem Alter, es zeigt den Siebzigjährigen. Das Haar sitzt ordentlich, gepudert, feiner Kragen. Glasige Augen, gelitten und zerlacht. Ich zeige Babette etwas zu Clay und dann gehen wir zu Bett. Es läuft die No. 7 - “Le Soir”.
Nun bin ich wieder hier. Unten hupt ein olivgrüner Lincoln und ich hänge mich halb zwischen die Jalousien und denke nach über Clay. Da fällt mir Joseph Haydn ein, der Wiener Grossmeister der sinfonischen Disziplin. Der 75jährige Greis ist voller Angst im Mai des Jahres 1809 verschieden, als die Truppen Napoleons in Wien einrückten. Welcher Schrecken muss den hochbetagten Greis befallen haben, der im Leben und in der Musik nichts als Sicherheit suchte und fand?
1761 war das goldene Jahr für Joseph Haydn. Er war damals 29 Jahre alt, hatte sich bereits als Hausdiener bei reichen Fatzkes durchgeschlagen und schliesslich bei den Fürsten Esterházy Anstellung bei Hofe gefunden. Er war dort weniger Künstler als vielmehr Jobber. Umso erstaunlicher kommt es uns vor, dass der Meister mindestens 104 Sinfonien verfasst hat, von denen keine einzige der anderen gleicht. Kaum einer der europäischen Meister hat damit so viel Facettenreichtum bewiesen, kaum ein Vertreter der deutschen Klassik hat auf so abwechslungsreiche Art und Weise die Menschen seiner und unserer Zeit ergötzt.
Jedenfalls fand Haydn hier die Sicherheit, die er für sein Arbeiten so brauchte, die ihm die nötige Beschwingtheit verlieh. “Le Matin” - die Sinfonie No. 5, weist diese charakteristische Nonchalance auf und bezaubert den Hörer nicht nur mit klaren klanglichen Strukturen; erstmals finden sich hier auch Soloepisoden für die Blasinstrumente, auffallende Neuheit in der Szene.
Und so schliesst sich der frühe Zyklus; Le Matin - Le Midi - Le Soir; zu einem schönen Kreis zusammen. Das ist etwas Erhabenes und so stelle ich das Bier wieder weg und wende mich einem Fiano d’Avellino zu. Gestreifte Schatten, zerschnitten von den Blechlamellen der Jalousien, fallen in mein Gesicht, ich schwenke den Zinnbecher und höre meine Mutter am Telefon weinen. Ich gehe durch die Wohnung, so weit die Schnur reicht. Die No. 22 “Der Philosoph”, ist ein vergleichsweise handfestes Werk. Voller humoresker Nuancen, voller frecher Anspielungen!
Hatte Haydn vor allem seine ersten Sätze anfangs aus dem melodischen Material mehrerer Themen aufgebaut - in der ersten Sinfonie waren es deren fünf! -, so zeigt sich seit dem Ende der sechziger Jahre bei ihm ein starkes Streben nach Konzentration und Vereinfachung. Er versteht es mehr und mehr, mit ganz einfachen Melodien ein ganzes sinfonisches Thema zu erstellen. Kapriziös seine variantenreiche Instrumentierung! Die No. 31 weiss er mit einer Menge Hörner als Jagdsinfonie dar zu stellen.
Eine junge Blondine mit fast nackten Brüsten quält sich aus dem Lincoln und ich denke, dass der Fiano eine gute Figur macht. Der dunkle Winter von 1772 muss ein dumpfes Licht auf das Schaffen des Meisters geworfen haben. Denn der “Trauersinfonie” No. 44 folgt in diesem Jahr die “Abschiedssinfonie” (No. 45). Sie sind wie goldener Herbstwein, gegen das Kaminfeuer gehalten, ruhiger als die früher entstandene und recht kratzige “La Passione”, Opfer der Werkzählung.
Der “Schulmeister” (No. 55) bringt wieder etwas Entspannung in eine Phase von Haydns Schaffen, die von kreativer Überfülle aber auch von gewisser Übersättigung und Auszehrung zugleich geprägt war. Ich trinke. Ein tiefer Zug.
Der “Schulmeister” wackelt und gackert wieder so beschwingt daher, Haydn greift zunehmend zu Experimenten mit wechselnder Lautstärke. Er hat seinen Spass daran, bei Aufführungen die Zuschauer aus dem wohlverdienten Schlaf zu reissen (Oh nein, mehr als nur Anekdote)! Im übrigen bin ich der Meinung, dass man die Schläfer im Konzertsaal mit konsequenter Schärfe an Ort und Stelle enthaupten sollte, sinniere ich und lege nun auf. Genug Geseier!
1785 geht Haydn nach Paris. Es entsteht eine Reihe von Sinfonien, die “Pariser”. Bei der Werkzählung gibts hier schon wieder Probleme; Mandyczewski hat da 1907 wohl etwas durcheinander gebracht. Bei allem Respekt.
Das “Huhn” (No. 83, 1785) sind erste Anzeichen einer altersbedingten Verschmitzheit, sie macht den alten Haydn liebenswert und typisch. Aber er ist auch unruhig geworden, hört euch nur das federnde Menuett an! rufe ich beschwingt, und Babette schliesst die Wohnungstür auf. Von vorn, aus gleicher Höhe, sehen ihre Brüste ganz wohlverpackt aus. Ich küsse sie und sage, dass die No. 93 den Auftakt zu den 12 berühmten “Londoner Sinfonien” bildet, was sie mit Befremden aufnimmt. Dazu war sie nicht gekommen. Sie kennt nur “die mit dem Paukenschlag” (No. 94). Ich weiss. Ich habe ein Portrait von Haydn, ein Gemälde aus dem Alter, es zeigt den Siebzigjährigen. Das Haar sitzt ordentlich, gepudert, feiner Kragen. Glasige Augen, gelitten und zerlacht. Ich zeige Babette etwas zu Clay und dann gehen wir zu Bett. Es läuft die No. 7 - “Le Soir”.