Siddhartas Erwachen

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Herr H.

Mitglied
Er hatte viel an Schmerz und Not gesehen,
seit er den reichen Fürstenhof verlassen,
und wusste durch das Leiden in den Gassen:
Der Mensch kann seinem Schicksal nicht entgehen.

Er suchte einen Sinn in dem Geschehen
der Krankheit und des Sterbens zu erfassen.
Anstatt das Leben, wie es ist, zu hassen,
war er bemüht, es tiefer zu verstehen.

Er unterzog sich härtester Kasteiung
und ging bei vielen Meistern in die Lehre
und fand doch weder Wahrheit noch Befreiung,

bis er in einer Vollmondnacht erkannte,
dass blinde Gier der Grund des Übels wäre
und ihre Überwindung es verbannte.
 

Herr H.

Mitglied
Er hatte viel an Schmerz und Not gesehen,
seit er den reichen Fürstenhof verlassen,
und wusste durch das Leiden in den Gassen:
Der Mensch kann seinem Schicksal nicht entgehen.

Er suchte einen Sinn in dem Geschehen
der Krankheit und des Sterbens zu erfassen.
Anstatt das Leben, wie es ist, zu hassen,
war er bemüht, es tiefer zu verstehen.

Er unterzog sich härtester Kasteiung
und ging bei vielen Meistern in die Lehre
und fand doch weder Wahrheit noch Befreiung,

bis er in einer Vollmondnacht erkannte,
dass blinde Gier der Grund des Leidens wäre
und ihre Überwindung es verbannte.
 

Thylda

Mitglied
Herr H

Willkommen in der Lupe. Schön, daß Du zu uns gefunden hast. Mit diesem Gedicht ist Dir ein beeindruckender Einstand gelungen. Es gibt hier ein paar Sonettliebhaber, die über Dein Werk hocherfreut sein werden :)

Liebe Grüße
Thylda
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Auch von mir Herzlich Willkommen.

Zum Inhalt:
Es ist ein Blitz der Erkenntnis auf der Suche, einer Erkenntnis, der sich viele verweigern wollen, nicht aber Siddharta.
 
B

Beba

Gast
Ein sehr interessantes Thema mit wenigen Worten sehr präzise dargestellt. Hut ab.

LG
Beba
 

Walther

Mitglied
hm, nicht schlecht,

lb. herr h.,

aber das
dass blinde Gier der Grund des Leidens wäre
geht nicht auf, da grammatisch falsch. richtig wäre (und ist)
dass blinde Gier der Grund des Leidens ist
aber dann ist die architektur überm jordan. hinweis: allenfalls "sei" wäre noch hinnehmbar. aber "wäre" meint in der beschriebenen konstellation "nicht ist", weil konjunktivische vergangenheit.

herzlich willkommen hier von mir!

lg w.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
"Wäre" und "sei" werden in dieser Form oftmals synonym verwendet, obwohl "wäre" oft auch als hypothetische Aussage verwendet wird. Dann wird aber die Bedingung angegeben, oder sie muss zumindest im Kontext ersichtlich sein. Heute wird Konjunktiv 1 oft durch Konjunktiv 2 ersetzt. Ganz sicher bin ich aber nicht, ob es wegen der gewählten hohen Stilebene falsch ist, dann in der Art, in der Walther es beschrieben hat.


... dass blinde Gier der Grund des Leidens wäre, wenn es keinen anderen Grund gäbe.

Hier sagt es aus, dass es es nicht ist.

Ich selbst lese nicht heraus "wäre" = "nicht ist" - weil der Kontext nicht dazu passt.
 

Walther

Mitglied
lb bernd,

hier reden wir über die indirekte rede, das ist der unterschied zum normalen konjunktiv ii, der konjunktivischen Vergangenheit. hier ist das "wäre" in wahrheit ein "war", und daher ist das, was dort steht, von der grammatik her falsch, auch wenn klar ist, was der autor gesagt haben will. die gier IST das problem, das wollte er sagen, nicht WAR das problem.

er hat es aber nicht gesagt, und das allein ist hier das thema.

lg w.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hier http://www.deutschonline.de/Deutsch/Grammatik/IndirRede.htm
bei "deutschonline" habe ich noch andere Bedeutungen gefunden. Danach äußert man mit Konjunktiv II Zweifel, dass es stimmt.

Man sagt aber nicht, dass es nicht stimme.

Dass es eine Vergangenheit oder die relative Vergangenheit darstellen könne, habe ich im vorliegenden Text nicht bemerkt. Im Zweifel empfehle ich aber dann doch Überarbeitung, da drei Leute hier drei Meinungen haben ... Das ist dann immer problematisch.


PS: Ich beharre nicht auf meiner Meinung. Sie kann falsch sein, da Grammatikformen der täglichen Umgangssprache und literarische sich unterscheiden können.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Walther, ich habe einen schönen Artikel zum Konjunktiv im Zwiebelfisch entdeckt: http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-der-traurige-konjunktiv-a-329309.html

Jetzt dreht sich mir völlig der Kopf.

Gelernt habe ich, dass wäre=sei in indirekter Rede offenbar umgangssprachlich ist, aber standardsprachlich falsch ...
Es ist ein interessantes Thema, ich hatte schon früher immer mal wieder im Duden nachgesehen. Im Moment habe ich ihn icht hier.
 

Herr H.

Mitglied
Er hatte viel an Schmerz und Not gesehen,
seit er den reichen Fürstenhof verlassen,
und wusste durch das Leiden in den Gassen:
Der Mensch kann seinem Schicksal nicht entgehen.

Er suchte einen Sinn in dem Geschehen
der Krankheit und des Sterbens zu erfassen.
Anstatt das Leben, wie es ist, zu hassen,
war er bemüht, es tiefer zu verstehen.

Er unterzog sich härtester Kasteiung
und ging bei vielen Meistern in die Lehre
und fand doch weder Wahrheit noch Befreiung,

bis er erkannte, dass allein die Bindung
ans trügerische Ich das Leid beschere
und Frieden schenke ihre Überwindung.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe jetzt einen neuen Artikel im Forum "Theoretisches" zum Konjunktiv angelegt: http://www.leselupe.de/lw/titel-Indirekte-Rede-Indikativ-und-Konjunktiv-109532.htm

Ich habe im Duden nachgesehen.
Nach der Grundregel wird Konjunktiv 1 verwendet.
Regional wird oft der Konjunktiv 1 durch Konjunktiv 2 ersetzt.
(Es gibt auch andere Gründe, zum Beispiel "Konjunktiv 1 ist nicht eindeutig", das ist aber hier nicht der Fall. Auch wenn Konjunktiv 1 "geziert" wirkt, gibt der Duden als Möglichkeit den Konjunktiv 2 an. Das ist aber hier ebenfalls nicht der Fall. "Sei" kling nicht geziert.) Wenn dann der Konjunktiv 2 ebenfalls nicht eindeutig ist, wird auf eine Form mit "würde" ausgewichen.

In unserem Fall habe ich also eine regional sehr weit verbreitete Form als "normal" angenommen. Es ist Alltagssprache, wenn man "wäre" verwendet. Letztlich scheint es doch eine Frage des Stils zu sein.
Dass der Konjunktiv 2 in indirekter Rede Vergangenheit anzeigt, habe ich nicht gefunden und auch nie so verwendet.
---

Für den "Normalfall" hat Walther also recht: die Form mit "sei" sei besser.
 

Herr H.

Mitglied
Er hatte viel an Schmerz und Not gesehen,
seit er den reichen Fürstenhof verlassen,
und wusste durch das Leiden in den Gassen:
Der Mensch kann seinem Schicksal nicht entgehen.

Er suchte einen Sinn in dem Geschehen
der Krankheit und des Sterbens zu erfassen.
Anstatt das Leben, wie es ist, zu hassen,
war er bemüht, es tiefer zu verstehen.

Er unterzog sich härtester Kasteiung
und ging bei vielen Meistern in die Lehre
und fand doch weder Wahrheit noch Befreiung,

bis er erkannte, dass nur starres Haften
am eig'nen Ich dem Menschen Leid beschere:
Wer loslässt, kann ein jedes Los verkraften.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
PS: Unabhängig von der Diskussion um "wäre" erscheint mir die neue Version deutlich besser.
 

Herr H.

Mitglied
Er hatte viel an Schmerz und Not gesehen,
seit er den reichen Fürstenhof verlassen,
und wusste durch das Leiden in den Gassen:
Der Mensch kann seinem Lose nicht entgehen.

Er suchte einen Sinn in dem Geschehen
der Krankheit und des Sterbens zu erfassen.
Anstatt das Leben, wie es ist, zu hassen,
war er bemüht, es tiefer zu verstehen.

Er unterzog sich härtester Kasteiung
und ging bei vielen Meistern in die Lehre
und fand doch weder Wahrheit noch Befreiung,

bis er erkannte, dass nur starres Haften
am eig'nen Ich dem Menschen Leid beschere:
Wer loslässt, kann sein Schicksal leicht verkraften.
 

Herr H.

Mitglied
Es war eine schwere Geburt, aber jetzt bin ich eigentlich ganz zufrieden mit dem Ergebnis. Besten Dank für die Kommentare und Anregungen.
 

Label

Mitglied
Hallo Herr H

mir gefällt die ursprüngliche Version keinesfalls schlechter.
Das Deutlichmachen der Gier als ein Grundübel hat immer noch, eher noch mehr, aktuelle Bezüge.
Mir gefällt alles an diesem Gedicht, es zu lesen war mir ein besonderer Genuss.
Auch von mir ein herzliches Willkommen hier, ich freue mich schon auf Weiteres.

Walther, ich glaube, dass du mit der Aussage
aber "wäre" meint in der beschriebenen konstellation "nicht ist", weil konjunktivische vergangenheit
Schwarzweißmalerei betreibst. In der Aussage steckt: es könnte so gewesen sein. Es gibt den Konjunktiv 2 nicht nur in indirekter Rede ODER im Irrealis, er wird auch verwendet bei höflichen,vorsichtigen Anfragen, oder auch vorsichtigen Aussagen. Das ist nicht gleichbedeutend mit "hat nicht stattgefunden".

Liebe Grüße
Label
 



 
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