Arno Abendschön
Mitglied
In einem Stück von Botho Strauß bleibt eine Frau – Lotte mit Namen – im Wartezimmer eines Arztes bis zum Ende der Sprechstunde sitzen. Sie wartet nicht auf eine Untersuchung. Als sie nach ihren Wünschen gefragt wird, kommt es heraus: Sie hat keine (zumindest keine jetzt realisierbaren), sie sitzt „nur so“ da. Ihre Anwesenheit dort ist also sinnfrei – das lobe ich mir. Umstellt von Zwängen, dauernd aufgefordert zu sinnvollen Handlungen, wird das Individuum erst autonom durch die Weigerung, vernünftig-zweckmäßig zu agieren.
Lotte darf dort nicht sitzen bleiben. Was könnte sie stattdessen tun? Phantasieren wir ein wenig.
Sie könnte zum Beispiel im Telefonbuch irgendeine Seite aufschlagen. Dann tippt sie mit dem Finger auf einen beliebigen Namen und wählt die Nummer. Der Angerufene meldet sich: „Hallo! Gruber …“ – Lotte: „Guten Tag.“ – Gruber: „Was wünschen Sie, womit kann ich dienen?“ – Lotte: „Mit nichts.“ – Gruber: „Ja, weshalb … Sie müssen mir schon sagen … Oder sind Sie jetzt falsch verbunden?“ – Lotte: „Nein, hab nur so angerufen.“ Gruber beendet das Gespräch abrupt. Er braucht Tage, um sich von diesem Erlebnis zu erholen.
Lotte wird unternehmungslustig. Sie kauft sich in der Stadt in einem Fachgeschäft einen billigen, doch schön glänzenden Koffer und geht mit ihm ins Warenhaus X. Dort fährt sie, den leeren Koffer mit sich führend, vom Erdgeschoss alle Rolltreppen hinauf bis unters Dach. Dann zurück ins Parterre. Und wieder hinauf. Und zurück. Eine Stunde lang. Zwei Stunden. Verkäuferinnen werden aufmerksam. Diskret erscheint der Hausdetektiv, bittet sie in ein Séparée. Er schaut misstrauisch in den Koffer, lässt sich den Kassenbon aus dem Fachgeschäft zeigen. Lotte ist ihm unheimlich. Sie bekommt Hausverbot.
Unsere Lotte schließt den Koffer in einem Gepäckschließfach ein, um ihn nie wieder abzuholen. Den Schlüssel wirft sie in die Mütze eines Bettlers, der losbellt: „He, was soll’n das?!“
Dann sitzt Lotte in der Eisenbahn. Es ist ein schwach besetzter Regionalzug, in dem gerade die Fahrkarten kontrolliert werden. Als die Zugbegleiterin (vulgo Schaffnerin) sich ihr nähert, steht Lotte auf und zieht sich langsam von ihr zurück. Dabei wirft sie ängstliche Blicke auf die Bahnangestellte, der das nicht entgeht. Mit der Zeit arbeiten beide sich bis ans Zugende vor. Der Schaffnerin kommt ein bestimmter, nahe liegender Verdacht. Entschlossen stellt sie sich Lotte in den Weg, als diese im WC verschwinden will. Lotte hat natürlich eine Fahrkarte und darf ins WC. Die Zugbegleiterin schüttelt den Kopf, wobei ihr „So `n Theater!“ über die Lippen kommt.
Lotte verlässt das WC, unnötig zu sagen: unverrichteter Dinge. Die Schaffnerin macht jetzt eine Durchsage an die Reisenden und säuselt gerade ins Mikrophon: „ … nicht Ihr Handgepäck“ – als Lotte schon hinter ihr steht und sie unter dem rechten Arm kitzelt. Ein Aufschrei: „Huch!“ und im ganzen Zug Gelächter. Nun kommt bald die Bundespolizei. Aber sie können Lotte nichts. Es ist kein gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr gewesen.
Endstation. Lotte verschwindet einfach zwischen den Häusern. Ob sie noch einmal auftaucht? Hat einer sie seitdem gesehen?
Lotte darf dort nicht sitzen bleiben. Was könnte sie stattdessen tun? Phantasieren wir ein wenig.
Sie könnte zum Beispiel im Telefonbuch irgendeine Seite aufschlagen. Dann tippt sie mit dem Finger auf einen beliebigen Namen und wählt die Nummer. Der Angerufene meldet sich: „Hallo! Gruber …“ – Lotte: „Guten Tag.“ – Gruber: „Was wünschen Sie, womit kann ich dienen?“ – Lotte: „Mit nichts.“ – Gruber: „Ja, weshalb … Sie müssen mir schon sagen … Oder sind Sie jetzt falsch verbunden?“ – Lotte: „Nein, hab nur so angerufen.“ Gruber beendet das Gespräch abrupt. Er braucht Tage, um sich von diesem Erlebnis zu erholen.
Lotte wird unternehmungslustig. Sie kauft sich in der Stadt in einem Fachgeschäft einen billigen, doch schön glänzenden Koffer und geht mit ihm ins Warenhaus X. Dort fährt sie, den leeren Koffer mit sich führend, vom Erdgeschoss alle Rolltreppen hinauf bis unters Dach. Dann zurück ins Parterre. Und wieder hinauf. Und zurück. Eine Stunde lang. Zwei Stunden. Verkäuferinnen werden aufmerksam. Diskret erscheint der Hausdetektiv, bittet sie in ein Séparée. Er schaut misstrauisch in den Koffer, lässt sich den Kassenbon aus dem Fachgeschäft zeigen. Lotte ist ihm unheimlich. Sie bekommt Hausverbot.
Unsere Lotte schließt den Koffer in einem Gepäckschließfach ein, um ihn nie wieder abzuholen. Den Schlüssel wirft sie in die Mütze eines Bettlers, der losbellt: „He, was soll’n das?!“
Dann sitzt Lotte in der Eisenbahn. Es ist ein schwach besetzter Regionalzug, in dem gerade die Fahrkarten kontrolliert werden. Als die Zugbegleiterin (vulgo Schaffnerin) sich ihr nähert, steht Lotte auf und zieht sich langsam von ihr zurück. Dabei wirft sie ängstliche Blicke auf die Bahnangestellte, der das nicht entgeht. Mit der Zeit arbeiten beide sich bis ans Zugende vor. Der Schaffnerin kommt ein bestimmter, nahe liegender Verdacht. Entschlossen stellt sie sich Lotte in den Weg, als diese im WC verschwinden will. Lotte hat natürlich eine Fahrkarte und darf ins WC. Die Zugbegleiterin schüttelt den Kopf, wobei ihr „So `n Theater!“ über die Lippen kommt.
Lotte verlässt das WC, unnötig zu sagen: unverrichteter Dinge. Die Schaffnerin macht jetzt eine Durchsage an die Reisenden und säuselt gerade ins Mikrophon: „ … nicht Ihr Handgepäck“ – als Lotte schon hinter ihr steht und sie unter dem rechten Arm kitzelt. Ein Aufschrei: „Huch!“ und im ganzen Zug Gelächter. Nun kommt bald die Bundespolizei. Aber sie können Lotte nichts. Es ist kein gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr gewesen.
Endstation. Lotte verschwindet einfach zwischen den Häusern. Ob sie noch einmal auftaucht? Hat einer sie seitdem gesehen?