Sonett I: Im Rausch
Der Tag ergießt sich wie aus prallen Fässern,
randvoll gefüllt mit feinstem Schall und Rausch.
Er hebt bald an zu kühnstem Wort und Plausch:
Der Pegel macht die Köpfe weich verwässern.
Erst klingen Gläser und der Tonfall hält
was er verspricht, er reißt sich rot am Riemen
und wählt Gedanken, wie sie sich geziemen.
Nur durch die Blume spricht der Schaum von Welt.
Dann noch ein Glas. Der Tag ist hell und trocken.
Erinnerungen werden matt und schmaler.
Die nächste Runde ist, sich zu begießen.
Das Loch im Kopf wird bunter und finaler,
als losgerissne Träume schnalzend locken,
die ruppig aufgepflockt jetzt satt zerfließen.
Sonett II: Krieg
Die ruppig aufgepflockt jetzt satt zerfließen
sind Helden, die vom Hagelschrot getroffen.
Und als sie sprenkelnd sich aufs Land ergießen,
da stöhnen sie und torkeln wie besoffen.
Der Krieg zerfährt die Siedlung. Wäscheleinen
verhängen bunt und schmückend schmale Gassen.
Drei Jungen werfen lebensmüd‘ mit Steinen
nach Sturmsoldaten, die die Väter fassen.
Dann erst mal still. Von fern vereinzelt Schreie
und Schüsse, die durch Häuserschluchten gellen.
Es krümmt sich in der Luft der Duft vom Bleie.
Und Mütter ihre Kinder fest umschließen,
als neue Stiefelwellen vorwärts prellen
und prasselnd auf die regen Straßen schießen.
Sonett III: Die Kinder
Und prasselnd auf die regen Straßen schießen
aus manchen Häusern kichernd Kinderscharen.
Auf Wiesen ists wo Phantasien sprießen,
die Mädchen haben Blumen in den Haaren.
Drei Jungen kugeln sich den Hang hinab,
sie zieht es runter zum verwaisten Fluss.
Dort fitscheln sie und lachen sich was schlapp,
als einer fromm erzählt vom ersten Kuss.
Da! Tief im Dickicht steckt ein altes Floß!
(von grünem Pilz umhüllt, der lüstern schwillt)
Sie ziehn es raus unds reicht ein kurzer Stoß,
als einer dieser Burschen, der mit kessern
Pupillen als die andern, freudig brüllt:
„Auf auf, zu neuen tragenden Gewässern!“
Sonett IV: Der alte Fischer
„Auf auf, zu neuen tragenden Gewässern!“,
so sprichts der alte Fischer in den Wind.
„Der Teich liegt brach, dass keine Karpfen sind,
die aufzuschlitzen wärn mit feinen Messern.
Auf auf, zum Fluss, wo frische Aale ziehn.“
Am Ufer legt sich kühl ein banges Wehen
um weißes Haar: Dort ist ein Floß zu sehen,
auf welchem steif und leer drei Jungen knien.
Das schnelle Flussbett trägt sie fort und schweigt.
Der Alte wirft die Rute weit und gut.
Der Wind wird stärker, zerrt am Federhut,
der zirkulierend in den Himmel steigt,
als Haselnüsse auf dem Boden platzen:
Erst fegt es Laub und Kies, dann größre Batzen.
Sonett V: Tornado
Erst fegt es Laub und Kies, dann größre Batzen.
Am Himmel hängt ein trächt‘ger Wolkenbauch,
aus dessem Nabel ragt der Wetterschlauch,
der saugt und wirbelt Stühle, Dächer, Katzen
und übern Acker dreht er Pirouetten.
Ein Bauer ruft nach seinem Töchterlein
und findet sie mit eingeklemmtem Bein,
als Nachbarn sich in einen Bunker retten.
Dann ziehts das Ungetüm wie an der Schnur
zur Straße hin, es tobt und wütet, nur -
es kennt kein Gut, kein Böse, kennt kein Ziel.
Was kommen mag, was weiche und was bleibe,
das sei der sel‘gen Willkür Lust und Spiel.
Ein Kinderwagen klatscht auf eine Scheibe.
Sonett VI: Die Straße
Ein Kinderwagen klatscht auf eine Scheibe
des Taxis, auf dem Weg ins Hospital.
Die volle Bremsung äußert sich fatal.
Der Frau im Rücksitz drückts im Unterleibe.
Ein Reifenquietschen, starrende Passanten,
und - einundzwanzig, einundzwanzig - KRACH!
Ein andres Auto schlittert auf dem Dach,
dass Funken sprühn und rast in den Hydranten.
Auf einer Parkbank liegt mit eignem Ton
ein Knabe, eingenickt, mit Jazz im Ohr.
Er phantasiert vom unerreichten Weibe.
In einer Häuserwand ist Endstation
der Klassenfahrt, es bricht ein Wasserrohr:
Wie Messbehälter füllt sich eine Bleibe.
Sonett VII: Der letzte Brief
Wie Messbehälter füllt sich eine Bleibe.
Ein Mädchen sitzt am Tisch, die Füße feucht,
als Wasser sprengend aus dem Rohr entfleucht:
„Dies ist ein letzter Brief, den ich dir schreibe.
So vieles zwischen uns blieb ungesagt.
Auch diese Worte werden jäh verschmieren:
Wenn ich dich hätt‘, ich könnte dich verlieren.
Ich liebe dich, doch hab‘ uns nie gewagt.“
Der Wasserspiegel steigt im Hintergrund,
wie unsichtbares Gas durchs Zimmer schleicht.
Sie liegt nur da, der Körper aufgeweicht,
und atmet kaltes Nass in ihren Mund.
Dann der Reflex: ein letztes Scheibenkratzen,
als Fenster und Laternengläser platzen.
Sonett VIII: Ein gleißend Ding
Als Fenster und Laternengläser platzen,
verstummt der lohnde monotone Ton:
Die Kirche dröhnt und drängt zur Religion,
am Eingang winken supernette Fratzen.
Die Menschen kommen scharenweis‘ herbei,
weil finstertiefe Einsichten vernichten.
Der Pfarrer weiß Geschichten zu berichten,
die trösten uns. Der Glaube macht uns frei
für Selbstverleugnung und für Heuchelei.
Dort am Altar, da sitzt was, zuckt und blitzt,
geladen ist’s und sichtlich überhitzt,
ein gleißend Ding, pulsierend und derlei
ein Konterfei und ausgesprochnes Sein:
Der Strom - er frisst nun alles in sich rein.
Sonett IX: Die Kirche unter Strom
Der Strom: Er frisst nun alles in sich rein
und feuert durch den Saal Elektrobälle,
die surrend ziehn wie kleine Engelein,
geboren aus der Wahrheit Spannungsquelle.
Die Menschen rennen wirr umher und schrein:
Ein kurzer Schlag verkokelt auf der Stelle
und flimmert grienend wie ein heil’ger Schein,
auf dass er Körper innerlich erhelle.
Der Pfarrer sieht, die Messe ist gelesen,
denn Sterben ist, wenn nichts geschrieben steht.
Für echte Sühne ist es jetzt zu spät;
der Beichtstuhl flackert auf und ist gewesen.
Der Strom: Er bringt die Hallen neu in Schuss,
entartet, was entankert werden muss.
Sonett X: Das Mädchen
Entartet, was entankert werden muss,
nicht schon das kleine Mädchen zum Verlieben?
So zuckersüß, geschmückt, so GROß geschrieben -
so zum Entzücken schmeckt ihr Killerkuss,
wenn sie umschlingend scharfe Krallen senkt,
die kratzend auf dem Rücken Linien ziehen,
jedoch als klare Zeichen erst erglühen,
wenn die Madam sich letztlich neu verschenkt.
Dann brennen sie wie eingefleischte Wunden
und machen einen Mann zum Bettelkind.
Vergessen dauert Jahre, Wochen, Stunden.
Und irgendwann, da fühlt sichs an wie: Schluss.
Dann rührt es alles, was wir warn und sind
und reißt es mit sich fort aus einem Guss.
Sonett XI: Im Rollstuhl
Und reißt es mit sich fort. Aus einem Guss
erklingen aus der Ferne erste Lieder
und Rehe springen, Frösche quaken wieder:
Ein Farbenspiel im schönen Überfluss
versetzt die blühnde Siedlung in Ekstase,
als in der warmen Luft Libellen stehn
und Mühlenräder ihre Kreise drehn;
die Mittagssonne rührt und stupst die Nase.
Und hier, im Park zerstreute Hunde hecheln,
da schiebt ein Zivi einen alten Kranken,
der kanns nicht mehr, doch würde gerne schrein.
Die Mundwinkel gelähmt zum ew’gen Lächeln.
Doch wenigstens auf Bildern, in Gedanken
zerschmettert er die Siedlung querfeldein.
Sonett XII: Der Bergkoloss
Zerschmettert er die Siedlung querfeldein,
da flüchten sich die Städter wie Stampeden
ins Haus, verriegeln Tür und Fensterläden,
denn draußen geht der Bergkoloss aus Stein.
Und seine Riesenschritte stampfen, beben
wie auf der Richterskala Stärke acht.
Wer langsam ist, den triffts wie eine Nacht,
zerknirscht und bleibt an rauer Sohle kleben.
Ein LKW zerbirst, als er ihn drückt.
Er wählt sein Opfer wie von ungefähr.
Es schwirren Helikopter um ihn her,
die er wie Hummeln aus dem Himmel pflückt -
der Wüterich, der sich nicht selbst genügt,
bis abendlich das Flussbett stille liegt.
Sonett XIII: Die Angst im Park
Bis abendlich das Flussbett stille liegt,
bleibt er zuhaus und denkt an Augenblicke,
an nacktes Fleisch, an Steine, blut’ge Stricke,
bis tiefe Nacht sein Zaudern jäh besiegt.
Die Stunde ist jetzt reif wie frischer Schinken.
Der Park ist still und zärtlich rauscht der Baum.
Die Katze faucht. Und Schreie hört man kaum,
die röchelnd im Laternenlicht versinken.
Und Grillen wetzen ihre steifen Glieder,
als er die Beute durch die Büsche schleift
und endlich warme Hüften weich umschmiegt.
Zu Füßen liegt die Wirklichkeit danieder,
bis morgendlich der Fluss die Wiesen streift
und aufgedunsne Leiber kost und wiegt.
Sonett XIV: Ein neuer Tag
Und aufgedunsne Leiber kost und wiegt
der Marder, dem sie wie Gefährten sind,
die Mausetoten. Übers Flussbett fliegt
der Geier, als ein neuer Tag beginnt.
Die Wiese liegt noch still und neblig grau.
Ein leichtes Nieseln rührt jetzt Land und Feld,
durch leere Straßen weht ein Lüftchen lau.
Die Siedlung dehnt sich unterm Himmelszelt.
Dann schreiten erste Städter über Schwellen:
Das Leben klackt im Gleichschritt ihrer Uhren,
sie folgen fügsam eingelaufnen Spuren.
Beruhigungspillen schlagen keine Wellen:
Wir werden zu Vermeidern und Vergessern.
Der Tag ergießt sich wie aus prallen Fässern.
Meistersonett: Die Siedlung am Fluss
Der Tag ergießt sich wie aus prallen Fässern,
die ruppig aufgepflockt jetzt satt zerfließen
und prasselnd auf die regen Straßen schießen:
Auf auf, zu neuen tragenden Gewässern.
Erst fegt es Laub und Kies, dann größre Batzen.
Ein Kinderwagen klatscht auf eine Scheibe.
Wie Messbehälter füllt sich eine Bleibe,
als Fenster und Laternengläser platzen.
Der Strom: Er frisst nun alles in sich rein,
entartet, was entankert werden muss,
und reißt es mit sich fort - aus einem Guss
zerschmettert er die Siedlung querfeldein,
bis abendlich das Flussbett stille liegt
und aufgedunsne Leiber kost und wiegt.
Der Tag ergießt sich wie aus prallen Fässern,
randvoll gefüllt mit feinstem Schall und Rausch.
Er hebt bald an zu kühnstem Wort und Plausch:
Der Pegel macht die Köpfe weich verwässern.
Erst klingen Gläser und der Tonfall hält
was er verspricht, er reißt sich rot am Riemen
und wählt Gedanken, wie sie sich geziemen.
Nur durch die Blume spricht der Schaum von Welt.
Dann noch ein Glas. Der Tag ist hell und trocken.
Erinnerungen werden matt und schmaler.
Die nächste Runde ist, sich zu begießen.
Das Loch im Kopf wird bunter und finaler,
als losgerissne Träume schnalzend locken,
die ruppig aufgepflockt jetzt satt zerfließen.
Sonett II: Krieg
Die ruppig aufgepflockt jetzt satt zerfließen
sind Helden, die vom Hagelschrot getroffen.
Und als sie sprenkelnd sich aufs Land ergießen,
da stöhnen sie und torkeln wie besoffen.
Der Krieg zerfährt die Siedlung. Wäscheleinen
verhängen bunt und schmückend schmale Gassen.
Drei Jungen werfen lebensmüd‘ mit Steinen
nach Sturmsoldaten, die die Väter fassen.
Dann erst mal still. Von fern vereinzelt Schreie
und Schüsse, die durch Häuserschluchten gellen.
Es krümmt sich in der Luft der Duft vom Bleie.
Und Mütter ihre Kinder fest umschließen,
als neue Stiefelwellen vorwärts prellen
und prasselnd auf die regen Straßen schießen.
Sonett III: Die Kinder
Und prasselnd auf die regen Straßen schießen
aus manchen Häusern kichernd Kinderscharen.
Auf Wiesen ists wo Phantasien sprießen,
die Mädchen haben Blumen in den Haaren.
Drei Jungen kugeln sich den Hang hinab,
sie zieht es runter zum verwaisten Fluss.
Dort fitscheln sie und lachen sich was schlapp,
als einer fromm erzählt vom ersten Kuss.
Da! Tief im Dickicht steckt ein altes Floß!
(von grünem Pilz umhüllt, der lüstern schwillt)
Sie ziehn es raus unds reicht ein kurzer Stoß,
als einer dieser Burschen, der mit kessern
Pupillen als die andern, freudig brüllt:
„Auf auf, zu neuen tragenden Gewässern!“
Sonett IV: Der alte Fischer
„Auf auf, zu neuen tragenden Gewässern!“,
so sprichts der alte Fischer in den Wind.
„Der Teich liegt brach, dass keine Karpfen sind,
die aufzuschlitzen wärn mit feinen Messern.
Auf auf, zum Fluss, wo frische Aale ziehn.“
Am Ufer legt sich kühl ein banges Wehen
um weißes Haar: Dort ist ein Floß zu sehen,
auf welchem steif und leer drei Jungen knien.
Das schnelle Flussbett trägt sie fort und schweigt.
Der Alte wirft die Rute weit und gut.
Der Wind wird stärker, zerrt am Federhut,
der zirkulierend in den Himmel steigt,
als Haselnüsse auf dem Boden platzen:
Erst fegt es Laub und Kies, dann größre Batzen.
Sonett V: Tornado
Erst fegt es Laub und Kies, dann größre Batzen.
Am Himmel hängt ein trächt‘ger Wolkenbauch,
aus dessem Nabel ragt der Wetterschlauch,
der saugt und wirbelt Stühle, Dächer, Katzen
und übern Acker dreht er Pirouetten.
Ein Bauer ruft nach seinem Töchterlein
und findet sie mit eingeklemmtem Bein,
als Nachbarn sich in einen Bunker retten.
Dann ziehts das Ungetüm wie an der Schnur
zur Straße hin, es tobt und wütet, nur -
es kennt kein Gut, kein Böse, kennt kein Ziel.
Was kommen mag, was weiche und was bleibe,
das sei der sel‘gen Willkür Lust und Spiel.
Ein Kinderwagen klatscht auf eine Scheibe.
Sonett VI: Die Straße
Ein Kinderwagen klatscht auf eine Scheibe
des Taxis, auf dem Weg ins Hospital.
Die volle Bremsung äußert sich fatal.
Der Frau im Rücksitz drückts im Unterleibe.
Ein Reifenquietschen, starrende Passanten,
und - einundzwanzig, einundzwanzig - KRACH!
Ein andres Auto schlittert auf dem Dach,
dass Funken sprühn und rast in den Hydranten.
Auf einer Parkbank liegt mit eignem Ton
ein Knabe, eingenickt, mit Jazz im Ohr.
Er phantasiert vom unerreichten Weibe.
In einer Häuserwand ist Endstation
der Klassenfahrt, es bricht ein Wasserrohr:
Wie Messbehälter füllt sich eine Bleibe.
Sonett VII: Der letzte Brief
Wie Messbehälter füllt sich eine Bleibe.
Ein Mädchen sitzt am Tisch, die Füße feucht,
als Wasser sprengend aus dem Rohr entfleucht:
„Dies ist ein letzter Brief, den ich dir schreibe.
So vieles zwischen uns blieb ungesagt.
Auch diese Worte werden jäh verschmieren:
Wenn ich dich hätt‘, ich könnte dich verlieren.
Ich liebe dich, doch hab‘ uns nie gewagt.“
Der Wasserspiegel steigt im Hintergrund,
wie unsichtbares Gas durchs Zimmer schleicht.
Sie liegt nur da, der Körper aufgeweicht,
und atmet kaltes Nass in ihren Mund.
Dann der Reflex: ein letztes Scheibenkratzen,
als Fenster und Laternengläser platzen.
Sonett VIII: Ein gleißend Ding
Als Fenster und Laternengläser platzen,
verstummt der lohnde monotone Ton:
Die Kirche dröhnt und drängt zur Religion,
am Eingang winken supernette Fratzen.
Die Menschen kommen scharenweis‘ herbei,
weil finstertiefe Einsichten vernichten.
Der Pfarrer weiß Geschichten zu berichten,
die trösten uns. Der Glaube macht uns frei
für Selbstverleugnung und für Heuchelei.
Dort am Altar, da sitzt was, zuckt und blitzt,
geladen ist’s und sichtlich überhitzt,
ein gleißend Ding, pulsierend und derlei
ein Konterfei und ausgesprochnes Sein:
Der Strom - er frisst nun alles in sich rein.
Sonett IX: Die Kirche unter Strom
Der Strom: Er frisst nun alles in sich rein
und feuert durch den Saal Elektrobälle,
die surrend ziehn wie kleine Engelein,
geboren aus der Wahrheit Spannungsquelle.
Die Menschen rennen wirr umher und schrein:
Ein kurzer Schlag verkokelt auf der Stelle
und flimmert grienend wie ein heil’ger Schein,
auf dass er Körper innerlich erhelle.
Der Pfarrer sieht, die Messe ist gelesen,
denn Sterben ist, wenn nichts geschrieben steht.
Für echte Sühne ist es jetzt zu spät;
der Beichtstuhl flackert auf und ist gewesen.
Der Strom: Er bringt die Hallen neu in Schuss,
entartet, was entankert werden muss.
Sonett X: Das Mädchen
Entartet, was entankert werden muss,
nicht schon das kleine Mädchen zum Verlieben?
So zuckersüß, geschmückt, so GROß geschrieben -
so zum Entzücken schmeckt ihr Killerkuss,
wenn sie umschlingend scharfe Krallen senkt,
die kratzend auf dem Rücken Linien ziehen,
jedoch als klare Zeichen erst erglühen,
wenn die Madam sich letztlich neu verschenkt.
Dann brennen sie wie eingefleischte Wunden
und machen einen Mann zum Bettelkind.
Vergessen dauert Jahre, Wochen, Stunden.
Und irgendwann, da fühlt sichs an wie: Schluss.
Dann rührt es alles, was wir warn und sind
und reißt es mit sich fort aus einem Guss.
Sonett XI: Im Rollstuhl
Und reißt es mit sich fort. Aus einem Guss
erklingen aus der Ferne erste Lieder
und Rehe springen, Frösche quaken wieder:
Ein Farbenspiel im schönen Überfluss
versetzt die blühnde Siedlung in Ekstase,
als in der warmen Luft Libellen stehn
und Mühlenräder ihre Kreise drehn;
die Mittagssonne rührt und stupst die Nase.
Und hier, im Park zerstreute Hunde hecheln,
da schiebt ein Zivi einen alten Kranken,
der kanns nicht mehr, doch würde gerne schrein.
Die Mundwinkel gelähmt zum ew’gen Lächeln.
Doch wenigstens auf Bildern, in Gedanken
zerschmettert er die Siedlung querfeldein.
Sonett XII: Der Bergkoloss
Zerschmettert er die Siedlung querfeldein,
da flüchten sich die Städter wie Stampeden
ins Haus, verriegeln Tür und Fensterläden,
denn draußen geht der Bergkoloss aus Stein.
Und seine Riesenschritte stampfen, beben
wie auf der Richterskala Stärke acht.
Wer langsam ist, den triffts wie eine Nacht,
zerknirscht und bleibt an rauer Sohle kleben.
Ein LKW zerbirst, als er ihn drückt.
Er wählt sein Opfer wie von ungefähr.
Es schwirren Helikopter um ihn her,
die er wie Hummeln aus dem Himmel pflückt -
der Wüterich, der sich nicht selbst genügt,
bis abendlich das Flussbett stille liegt.
Sonett XIII: Die Angst im Park
Bis abendlich das Flussbett stille liegt,
bleibt er zuhaus und denkt an Augenblicke,
an nacktes Fleisch, an Steine, blut’ge Stricke,
bis tiefe Nacht sein Zaudern jäh besiegt.
Die Stunde ist jetzt reif wie frischer Schinken.
Der Park ist still und zärtlich rauscht der Baum.
Die Katze faucht. Und Schreie hört man kaum,
die röchelnd im Laternenlicht versinken.
Und Grillen wetzen ihre steifen Glieder,
als er die Beute durch die Büsche schleift
und endlich warme Hüften weich umschmiegt.
Zu Füßen liegt die Wirklichkeit danieder,
bis morgendlich der Fluss die Wiesen streift
und aufgedunsne Leiber kost und wiegt.
Sonett XIV: Ein neuer Tag
Und aufgedunsne Leiber kost und wiegt
der Marder, dem sie wie Gefährten sind,
die Mausetoten. Übers Flussbett fliegt
der Geier, als ein neuer Tag beginnt.
Die Wiese liegt noch still und neblig grau.
Ein leichtes Nieseln rührt jetzt Land und Feld,
durch leere Straßen weht ein Lüftchen lau.
Die Siedlung dehnt sich unterm Himmelszelt.
Dann schreiten erste Städter über Schwellen:
Das Leben klackt im Gleichschritt ihrer Uhren,
sie folgen fügsam eingelaufnen Spuren.
Beruhigungspillen schlagen keine Wellen:
Wir werden zu Vermeidern und Vergessern.
Der Tag ergießt sich wie aus prallen Fässern.
Meistersonett: Die Siedlung am Fluss
Der Tag ergießt sich wie aus prallen Fässern,
die ruppig aufgepflockt jetzt satt zerfließen
und prasselnd auf die regen Straßen schießen:
Auf auf, zu neuen tragenden Gewässern.
Erst fegt es Laub und Kies, dann größre Batzen.
Ein Kinderwagen klatscht auf eine Scheibe.
Wie Messbehälter füllt sich eine Bleibe,
als Fenster und Laternengläser platzen.
Der Strom: Er frisst nun alles in sich rein,
entartet, was entankert werden muss,
und reißt es mit sich fort - aus einem Guss
zerschmettert er die Siedlung querfeldein,
bis abendlich das Flussbett stille liegt
und aufgedunsne Leiber kost und wiegt.