Sophie Scholl (1921-1943)

Herr H.

Mitglied
I

Sie war ein Kind im Alter von elf Jahren,
als Hitler Kanzler wurde hier im Reich,
zutiefst empfänglich und noch unerfahren
und darin vielen andern Kindern gleich.

Begeistert war sie von den so zentralen
und ständig propagierten Idealen
der Heimatliebe und der Einigkeit
und voller Hoffnung auf die neue Zeit.

Die Eltern warnten sie, jedoch vergebens.
Mit allem Eifer ihres jungen Lebens
gab sie sich ganz dem Führerstaate hin.

Sie schien exakt aus jenem Holz geschnitzt,
das eine Diktatur so gern benützt.
Bald wurde sie Jungmädel-Führerin.


II

Der Rausch hielt bei ihr nicht sehr lange vor.
Statt Offenheit und Weite nahm sie Enge
und Fesseln wahr und sehr rigide Zwänge,
so dass sie jede Illusion verlor.

Mit Abscheu blickte sie auf die Gewalt,
den Terror und die Willkür auf den Straßen.
Sie sah, wie Flammen Synagogen fraßen
und Judenhass in vielerlei Gestalt.

Das Unrecht ließ sie Tag und Nacht nicht ruhn.
Sie dachte sich, sie müsse etwas tun –
ein Zeichen setzen, das dagegen sprach.

War nicht ihr Bruder schon im Widerstand?
Vielleicht, dass er für sie Verwendung fand ...
Er zögerte zunächst. Dann gab er nach.


III

Per Flugblatt und in Tausenden von Briefen,
die als Kopien quer durch Deutschland liefen,
drang in das Volk der laute Ruf, es sei
die Zeit nun reif zum Sturz der Tyrannei.

Die Blätter appellierten ans Gewissen
und mahnten zur Erhebung gegen die,
die mittels ihrer Kriegsmaschinerie
Europa in den tiefsten Abgrund rissen.

Was in den Autos lag und Fernsprechzellen,
schlug bald im Lande regelrechte Wellen.
Die „Weiße Rose“ wurde zur Gefahr

für die Regierung, die entschlossen war,
den Widerstand mit aller Macht zu brechen
und sich an dem Verräterkreis zu rächen.


IV

Sophie, die junge Frau, schien unverdächtig
und eignete sich aus dem Grunde prächtig
für einen ganz bestimmten, heiklen Zweck:
Bahnreisen mit dem Flugblatt im Gepäck.

Dazu gehörte Mut. Den hatte sie.
Auch fing sie an, von Freunden Geld zu borgen
und das Papier zum Drucken zu besorgen.
Denn als Studentin der Philosophie

hielt sie sich an ein Wort von Maritain,
das sie begleitete wie ein Refrain,
selbst in der Haft noch und in tiefem Schmerz:

Man braucht im Leben einen harten Geist,
der einen wachsam lenkt und unterweist.
Nur der ist nötig - und ein weiches Herz.


V

Die Häscher schnappten sie im Februar
mit ihrem Bruder. Es war beiden klar,
dass das bedrängte und zugleich verrohte
Regime den Hochverrat mit Tod bedrohte.

Sie wurden überführt. Und der Prozess
vorm Volksgerichtshof war nur noch Theater
des Richters Freisler, der als rabiater
Gesetzeshüter auftrat. Sie indes

bewahrten auch in dieser Stunde Größe
und gaben sich nicht die geringste Blöße
vor dessen hasserfüllter, finstrer Miene.

Trotz Angst im Herzen blieben sie sich treu
und zeugten für die Freiheit ohne Scheu.
Dann schleppte man sie ab – zur Guillotine.
 



 
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